Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Voraussetzungen des Überprüfungsverfahrens nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO
Gründe:
I. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 20. Dezember 2010, mit dem das SG den Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligenden Beschluss vom 1. September 2008 aufgehoben hat.
Mit Beschluss vom 1. September 2008 hat das SG den Klägern des Klageverfahrens S 2 AS 3334/08 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Fr., F., ohne Ratenzahlungsanordnung ab 4. Juli 2008 bewilligt. Mit
am 8. Dezember 2008 zugestelltem Urteil vom 16. September 2008 hat das SG -rechtskräftig- über die Hauptsache entschieden und die Beklagte verurteilt, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der
Kläger zu tragen. Im Januar 2009 erfolgte die Auszahlung der hälftigen Gebühren an den Klägerbevollmächtigten.
Der Verwaltungsleiter des SG forderte unter dem 16. April 2010 unter Hinweis auf §
73a SGG i.V.m. §
120 Abs.
4 ZPO bei der 2. Kammer des SG die Akten an, da zu prüfen sei, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Zahlungen zu leisten seien. Mit Schreiben vom 21. April
und 4. Juni 2010 -letzteres mittels Postzustellungsurkunde zugestellt- hat der Veraltungsleiter -als Kostenbeamter der 2.
Kammer des SG- die Klägerin Ziff. 1 aufgefordert, binnen vier Wochen mitzuteilen, ob und gegebenenfalls welche Veränderung(en) in ihren
Verhältnissen eingetreten sind und zu ggf. eingetretenen Änderungen entsprechende Belege einzureichen. Falls sie Sozialleistungen
beziehe, solle der letzte Bewilligungsbescheid in Kopie vorgelegt werden. Sollte der Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen
werden oder sollten sich ihre persönlichen und/oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben, könne die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe aufgehoben werden. Im Betreff war die Klägerin Ziff. 1 u.a. aufgeführt, als Anlage genannt war ein
Formulare zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Mit Schreiben vom 12. Juli 2010 hat sich
der Verwaltungsleiter an die 2. Kammer des SG gewandt und unter Mitteilung, dass die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, zur Prüfung aufgefordert.
Nach der "Verfügung" des Vorsitzenden der 2. Kammer vom 3. November 2010 sollte seines Erachtens vorsorglich auch der Klägerbevollmächtigte
Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten; die Akte wurde zur weiteren Veranlassung an den Verwaltungsleiter übersandt. Dieser
hörte die Klägerbevollmächtigte als Amtsrat im Namen der 2. Kammer an; eine Reaktion erfolgte nicht. Mit Beschluss vom 20.
Dezember 2010 hat die 2. Kammer des SG durch den Vorsitzenden die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für beide Kläger und die Beiordnung von Rechtsanwalt Fr. durch
Beschluss vom 1. September 2008 aufgehoben. Die unterlassene Mitwirkung der Kläger trotz ausdrücklicher Belehrung über die
Folgen sei mindestens als grobe Nachlässigkeit zu qualifizieren, weshalb die Voraussetzungen des §
124 Nr. 2
ZPO vorlägen. Angesichts des Umstandes, dass die Kläger auf insgesamt drei Anfragen nicht reagiert hätten und der Tatsache, dass
keinerlei Umstände dargetan oder sonst ersichtlich seien, die das Interesse der Allgemeinheit an der Einziehung der gesamten
verauslagten Kostenbetrages aufwiegen könnten, erachte das Gericht die Aufhebung nach pflichtgemäßem Ermessen für angemessen.
Gegen den dem Bevollmächtigten der Kläger am 22. Dezember 2010 zugestellten Beschluss haben die Kläger am 5. Januar 2011 Beschwerde
eingelegt, einen Bescheid der Krankenkasse vom 6. Dezember 2010, Bescheide der Familienkasse vom 5. Oktober 2010 sowie einen
Bescheid des Landratsamtes E. vom 10. August 2010 über die Bewilligung von Wohngeld vorgelegt und die Nachreichung weiterer
Belege angekündigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten des SG und des LSG Baden-Württemberg verwiesen.
II. Die Beschwerde der Kläger ist statthaft, darüber hinaus frist- und formgerecht eingelegt und damit insgesamt zulässig.
Die Beschwerde ist statthaft; ein gesetzlicher Ausschlusstatbestand greift nicht ein, wenn der Beschwerdeführer sich gegen
die Aufhebung bewilligter PKH wendet (s. Beschlüsse des Senates vom 8. Februar 2011, L 13 AS 2819/10 B, und 21. Februar 2011, L 13 AL 5384/10 B, beide veröffentlicht in juris). Gemäß §
172 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidung der Vorsitzenden dieser
Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) statt, soweit im
SGG nicht etwas anderes bestimmt ist. Eine andere Bestimmung in diesem Sinne liegt hier nicht vor. Insbesondere findet §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des
SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S.444), wonach die Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH ausgeschlossen
ist, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für PKH verneint, keine Anwendung.
Beschwerden gegen die Aufhebung von PKH werden zunächst vom Wortlaut des §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG nicht erfasst. Der Senat folgt darüber hinaus auch der Meinung in der Rechtsprechung, dass eine erweiternde Auslegung oder
analoge Anwendung dieses Ausschlusstatbestandes auf Fallgestaltungen, in denen die Bewilligung von PKH aufgehoben worden ist,
nicht in Betracht kommt (so LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14. Januar 2010 - L 1 AL 137/09 B m.w.N.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. Oktober 2009 - L 11 R 898/09 PKH-B - beide veröffentlicht in Juris). Es liegt weder eine planwidrige Regelungslücke vor, noch sind gleichartige Sachverhalte
gegeben. Die Ablehnung eines Antrags auf PKH ist mit der Aufhebung einer bereits bewilligten PKH, durch die dem Antragsteller
eine Rechtsposition wieder entzogen wird, nicht vergleichbar. Der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 820/07, S. 29 zu Nr. 29 Buchst.
b) ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Ausschluss der Beschwerde auf die Aufhebung von PKH erstrecken wollte
(LSG Rheinland-Pfalz, aaO.).
Die Beschwerde der Kläger ist auch begründet. Der Beschluss des SG vom 20. Dezember 2010 hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Denn der Verwaltungsleiter war nicht berechtigt, das
der Beschlussfassung nach §
124 Nr. 2 Alt. 2
ZPO vorausgehende Überprüfungsverfahren zu betreiben. Zudem war das SG nicht berechtigt, die Aufforderung nach §
120 Abs.
4 Satz 2
ZPO ohne jeden konkreten Anlass im Rahmen einer rein routinemäßigen Überprüfung an die Klägerin zu Ziff. 1 zu richten (so auch
Hessischer VGH, Beschluss vom 16. August 2005 - 10 TP 15138/05, veröffentlicht in juris unter Hinweis auf die amtliche Begründung in der
BT-Drucks.10/3054 S. 18; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Dezember 2009, L 19 B 41/09 AL, veröffentlicht in juris m.w.N.; LAG Köln, Beschluss vom 23. Juli 1991, 10 Ta 135/91, veröffentlicht in juris; Stein-Jonas, 21. Auflage, §
120 ZPO Rdnr. 34; Schoreit/Groß, Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe, 10. Aufl., §
120 ZPO Rdnr. 34 und §
124 ZPO Rdnr. 13 m.w.N.; wohl auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 69. Auflage, §
120 ZPO Rdnr. 28; andere Auffassung Münchener Kommentar, 3. Aufl., §
120 ZPO Rdnr.19 ohne Begründung). Dementsprechend muss das Verlangen des Gerichts die Anhaltspunkte benennend auf den Einzelfall
bezogen sein (vgl. OLG München FamRZ 1992, 702; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Auflage, Rdnr. 842; Schoreit/Groß,
aaO. m.w.N.; Musielak, 8. Aufl., § 124 Rdnr. 6 m.w.N.).
Gemäß §
120 Abs.
4 Satz 2
ZPO hat sich die Partei auf Verlangen des Gerichts darüber zu erklären, ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Gemäß
§
124 Nr. 2 Alt. 2
ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit
unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung nach §
120 Abs.
4 Satz 2
ZPO nicht abgegeben hat.
Für das der Beschlussfassung nach §
124 Nr. 2 Alt. 2
ZPO vorausgehende Überprüfungsverfahren ist in der Sozialgerichtsbarkeit ausschließlich der Richter zuständig, da es keine Norm
gibt, die die Kompetenz hierfür auf andere überträgt; so gibt es in der Sozialgerichtsbarkeit weder Rechtspfleger, auf die
diese Aufgabe übertragen wäre, wie z. B. §
20 Nr. 4 Buchstabe c des Rechtspflegergesetzes (
RPflG), noch eine andere kompetenzübertragende Norm, die diese Aufgabe dem Verwaltungsleiter oder dem Urkundsbeamten/Kostenbeamten
(wie z.B. §
197 SGG oder § 55 Abs. 6 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) überträgt. Damit hat in der Sozialgerichtsbarkeit der Spruchkörper, der über die Bewilligung von PKH entscheidet, nämlich
der Richter, auch das Überprüfungsverfahren zu betreiben.
Hier hat nicht der zuständige Richter, sondern der Verwaltungsleiter des SG die Initiative ergriffen und die Akten von der 2. Kammer des SG angefordert. Anschließend hat der Verwaltungsleiter, nunmehr als Kostenbeamter der 2. Kammer -obwohl er nach dem Organisationsplan
des Gerichts (Stand 18. Februar 2008) kein Kostenbeamter war- ohne richterliche Verfügung eine Aufforderung zur Abgabe der
Erklärung an die Klägerin Ziff. 1 gerichtet. Er hat die erneute Aufforderung vom 4. Juni 2010 verfügt und sogar die 2. Kammer
nach Fristablauf zur Prüfung aufgefordert. Damit war das der Beschlussfassung vorausgehende Überprüfungsverfahren nach Auffassung
des betreibenden -unzuständigen- Verwaltungsleiters bereits abgeschlossen. Die Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens wurde auch
nicht dadurch geheilt, dass der zuständige Richter der 2. Kammer dem Verwaltungsleiter noch die Anhörung des Prozessbevollmächtigten
empfohlen und dieser der Empfehlung entsprochen hat. Denn darin ist bereits eine richterliche Anordnung an den Verwaltungsleiter
nicht zu sehen -weshalb dessen Schreiben vom 4. November 2010 an die Prozessbevollmächtigten zutreffend eine solche auch nicht
erwähnt- so dass nicht entschieden werden musste, ob nicht sogar das Schreiben selbst vom Richter zu unterschreiben ist (vgl.
zur prozessleitenden Verfügung Lüdtke, Kommentar zum
SGG, 3. Auflage, §
157a SGG Rdnr. 8 m.w.N.).
Damit fehlt für die Aufhebung der PKH die tatbestandlich vorausgesetzte wirksame Aufforderung zur Abgabe der Erklärung (Beschlüsse
des Senats aaO.). Wenn schon das Geschäft eines sachlich unabhängigen und nur an Gesetz und Recht gebundenen (§
9 RPflG) Rechtspflegers unwirksam ist, wenn es ihm nicht durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes übertragen wurde (§
8 Abs.
4 RPflG), muss dies erst recht gelten, wenn ein Verwaltungsleiter oder Urkundsbeamter/Kostenbeamter tätig geworden ist.
Das SG war auch nicht berechtigt, eine Aufforderung zur Abgabe einer Erklärung ohne jeden konkreten Anlass im Rahmen einer routinemäßigen
Überprüfung zu betreiben. Das Gesetz sieht keine Pflicht des Gerichts vor, die wirtschaftlichen Verhältnisse zu bestimmten
Zeitpunkten zu überprüfen (LSG Nordrhein-Westfalen aaO.). So hätte es nahegelegen, dass das Gesetz eine z.B. jährliche Überprüfungspflicht
vorschreibt, wenn es eine Überprüfungspflicht ohne jeglichen Anhaltspunkt statuieren wollte. Der Gesetzgeber hätte aber auch
eine Überprüfungspflicht erst vor Ablauf der Vierjahresfrist des §
120 Abs.
4 Satz 3
ZPO festschreiben können, was er nicht getan hat. Auch die Begründung des Gesetzentwurfs enthält keinen Hinweis dafür, dass unabhängig
von entsprechenden Verdachtsmomenten eine routinemäßige Überprüfung durch das Gericht vorzunehmen ist (LSG Nordrhein-Westfalen
aaO.). Vielmehr ist darauf verwiesen worden, dass vor allem die Fälle als unbefriedigend empfunden worden seien, in denen
das Gericht während des Verfahrens Kenntnis davon erhält, dass sich die für die Bewilligung von PKH maßgebenden Verhältnisse
verbessert haben. Dies ist aber ein Musterbeispiel für eine anlassbezogene Überprüfung. Die Auffassung, §
120 Abs.
4 Satz 2
ZPO ermächtige zu einer nicht anlassbezogenen Überprüfung, verstieße auch gegen Art.
3 GG, da je nach Vorgehensweise der einzelnen Gerichte bzw. Spruchkörper eine nicht sachgerechte Ungleichbehandlung stattfände.
Denn mangels Konkretisierung einer solchen Kompetenz wäre eine gleichmäßige Anwendung dieser Norm und der darauf aufbauenden
Ermächtigung zum Eingriff in eine bereits erworbene Rechtsposition durch §
124 Nr. 2
ZPO nicht zu sichern, da die Justizverwaltung dem Richter keine normkonkretisierende Weisungen erteilen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
9. Auflage, §
73a SGG Rdnr. 12g: die Befugnisse der Justizverwaltung beschränken sich auf Stundung und Erlass). Je nachdem, ob und in welchen Abständen
die jeweils zuständige Kammer bzw. Senat ein anlassunabhängiges Überprüfungsverfahren einleitet, würde in die bereits erworbenen
Rechte ohne sachlichen Grund unterschiedlich eingegriffen.
Das SG hat hier durch den Verwaltungsleiter im Rahmen einer routinemäßigen Überprüfung die Klägerin Ziff. 1 aufgefordert, binnen
vier Wochen mitzuteilen, ob und gegebenenfalls welche Änderung in ihren persönlichen und/oder wirtschaftlichen Verhältnissen
eingetreten sind und zu gegebenenfalls eingetretenen Änderungen entsprechende Belege einzureichen. Die Aufforderung war demgemäß
pauschal gehalten und nicht auf den Einzelfall bezogen; Anhaltspunkte für eine Änderung wurden nicht dargelegt. Damit war
auch deshalb der hierauf beruhende Beschluss des SG aufzuheben (Beschlüsse des Senates, aaO.; OLG Nürnberg, aaO.)
Dahin gestellt bleiben kann deshalb, ob das SG den Kläger Ziff. 2 überhaupt aufgefordert hat, sich zu erklären, nachdem auf diesen allenfalls im Betreff der Schreiben Bezug
genommen worden ist ("Meike Welschehold u.a.") und ob mit der bloßen Vorlage einiger Belege und der Ankündigung weitere nachzureichen
die geforderte Erklärung im Beschwerdeverfahren nachgeholt worden ist (s. Beschluss des Senates vom 21. Februar 2011, L 13 AL 5384/10 B, aaO.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§
177 SGG).