Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der im Jahr 1958 geborene Kläger hat den Beruf des Gipsers erlernt und ist zum Elektroniker umgeschult worden. Als solcher
war er von 2004 - 2015 selbstständig tätig und entrichtete freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung. Sodann war er arbeitslos.
Von Januar 2017 bis Januar 2018 war er auf geringfügiger Basis als Hausmeister bei der Stadtverwaltung B. L. tätig.
Am 20.10.2016 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Er gab an, dass
ihm wegen einer Depression alles schwerfalle und er auch für leichte Tätigkeiten keine Entschlusskraft mehr aufbringen zu
können.
Nachdem der behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. unter dem 16.12.2016 mitgeteilt hatte, dass beim Kläger
eine langandauernde depressive Anpassungsstörung bei einer schwierigen psychosozialen Konfliktkonstellation bestehe und diese
zu einem Suizidversuch im Jahr 2015 geführt habe, bewilligte die Beklagte dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme,
die dieser vom 04.04. - 09.05.2017 in der K.-Klinik, S. B. , durchlief und aus der er unter der Diagnose einer mittelgradigen
depressiven Episode als fähig entlassen worden ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen
Umfang von sechs Stunden und mehr täglich verrichten zu können.
Gestützt auf diese Leistungseinschätzung lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 02.06.2017 ab.
Zur Begründung seines hiergegen am 20.06.2017 eingelegten Widerspruchs brachte der Kläger vor, die Einschätzung der Beklagten
gehe an der Realität vorbei, er habe bereits Mühe, seine im Umfang von sechs Stunden wöchentlich ausgeübte geringfügige Tätigkeit
absolvieren zu können. Er könne sich nicht aufraffen, Freunde zu besuchen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Unter Berücksichtigung der medizinischen
Unterlagen sei die Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt.
Am 04.09.2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat. Er hat vorgebracht, ihm fehle die nötige Kraft, einer vollzeitigen
Tätigkeit nachgehen zu können. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten finde seinen Hintergrund weniger in seiner Erkrankung
als in den bestehenden Sparvorgaben. Die Ursache für seine depressive Erkrankung liege nicht nur im Tod seiner Ehefrau im
November 2011, sondern auch darin, dass er von seiner Krankenkasse und dem Jobcenter ungerecht behandelt worden sei, wodurch
seine Psyche auch angegriffen worden sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das SG hat Dr. S. als sachverständigen Zeugen schriftlich einvernommen. In seiner Stellungnahme vom 25.10.2017 hat dieser ausgeführt,
die depressive Erkrankung des Klägers habe mit dem Tod der Ehegattin begonnen und sich im Jahr 2016 massiv verschlechtert.
Er habe den Kläger ab dem 08.11.2016 im Wege einer ambulanten tiefenpsychologischen Psychotherapie behandelt. Der Kläger habe
hierbei von einem sozialen Rückzug und fehlendem Lebensmut berichtet. Durch die Erkrankung sei zwar die seelische Belastbarkeit
reduziert, die Erwerbsfähigkeit sei jedoch nicht eingeschränkt; eine regelmäßige Tätigkeit mit den damit verbundenen sozialen
Interaktionen ließe vielmehr eine Besserung der depressiven Symptomatik erwarten.
Mit Gerichtsbescheid vom 31.01.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es gestützt auf die Einschätzung von Dr. S. und den Rehabilitationsentlassungsbericht
ausgeführt, der Kläger sei weder erwerbsgemindert noch berufsunfähig. Die bestehende psychische Erkrankung führe nicht zu
einer Reduzierung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht.
Gegen den ihm am 07.02.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 02.03.2018 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg
eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, bei ihm bestehe eine posttraumatische Verbitterung darüber, dass er sein Eigenheim
nicht halten könne und er gezwungen sei, eine Krankenversicherung zu bezahlen, die er sich nicht leisten könne. Zwischenzeitlich
stehe er wegen seiner psychischen Erkrankung bei einem anderen Mediziner in Behandlung. Aufgrund der psychischen Erkrankung
sei es bei ihm zu einer Netzhautablösung gekommen, die im Februar 2018 operativ habe behandelt werden müssen.
Der Kläger beantragt (zweckdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.01.2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 02.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2017 zu verurteilen, ihm ab dem 01.10.2016 eine Rente wegen
voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages verweist sie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen
des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid. Auf Anfrage des Senats hat sie einen Versicherungsverlauf vom 10.08.2018 vorgelegt.
Der Senat hat die nunmehr behandelnde Dipl.-Psych. P. schriftlich als sachverständige Zeugin einvernommen. Diese hat unter
dem 30.09.2019 ausgeführt, den Kläger von Dezember 2018 bis März 2019 dreimal behandelt und bei ihm eine rezidivierende depressive
Episode diagnostiziert zu haben. Die Frage der Leistungsfähigkeit könne sie nicht beantworten. Auf Anfrage des Senats ist
seitens des Universitätsklinikums T. (Departement für Augenheilkunde) durch die dortigen Ärzte mitgeteilt worden, dass der
Kläger dort vom 10. - 13.01.2019 behandelt worden sei. Nach der durchgeführten clear cornea Phakoemulsifikation habe beim
Kläger am linken Auge ein Visus von 0,4 bestanden. Aus augenärztlicher Sicht bestünden keine Einschränkungen der Leistungsfähigkeit.
Der Senat hat sodann Dr. H. , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie, zum gerichtlichen Sachverständigen
ernannt und mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem nervenärztlichen Gutachten vom 05.01.2020
hat Dr. H. beim Kläger eine depressive Episode, aktuell in einer leichten Ausprägung, diagnostiziert. Durch diese Erkrankung
seien qualitative Leistungseinschränkungen im Hinblick auf Überforderungen durch Akkordarbeit, Nachtarbeit oder Arbeiten unter
Zeitdruck bedingt, in zeitlicher Hinsicht sei die Leistungsfähigkeit jedoch nicht eingeschränkt; der Kläger könne sechs Stunden
und mehr täglich arbeiten.
Der Kläger ist der gutachterlichen Einschätzung von Dr. H. entgegengetreten. Er hat hierzu betont, sich nicht motivieren zu
können. Sein Innerstes sträube sich massivst dagegen, einen auch nur geringen Beitrag für das Unrechtsregime zu leisten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte
sowie die Prozessakten beider Rechtszüge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 13.05.2020 geworden sind, sowie das
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.05.2020 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§
151 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers ist nach §
143 Abs.
1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, da dieser
über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist (§§
153 Abs.
1,
110 Abs.
1 Satz 2
SGG).
Die Berufung des Klägers führt für diesen inhaltlich nicht zum Erfolg; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der den Antrag des Klägers ablehnende Bescheid der Beklagten vom 02.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2017
ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach §
43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung
und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554) haben Versicherte
bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§
43 Abs.
2 Satz 1
SGB VI) oder Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§
43 Abs.
1 Satz 1
SGB VI), wenn sie voll- bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung
drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung
die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr.
3). Voll erwerbsgemindert sind nach §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach
§
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß §
43 Abs.
3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer - unabhängig von der Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hieraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein eine Einschränkung
der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher (quantitativer) Hinsicht eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen vermag,
hingegen der Umstand, dass bestimmte inhaltliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Situation
nicht mehr verrichtet werden können, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht zu
begründen vermag.
In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger in der Lage ist, einer leichten Tätigkeit in einem
zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr nachzugehen. Der Senat folgt der Leistungseinschätzung des gerichtlichen
Sachverständigen Dr. H. , der in seinem Gutachten vom 05.01.2020 ausgeführt hat, dass die beim Kläger bestehende depressive
Erkrankung nicht zu einer quantitativen Leistungsreduzierung führt. Da die dieser Einschätzung zu Grunde liegende Untersuchung
des Klägers durch den Gutachter keine gravierenden psychopathologischen Befunde ergeben hat -, Dr. H. hat lediglich von einer
leicht gedrückten Stimmungslage, einer leicht reduzierten affektiven Schwingungsfähigkeit, einem leicht reduzierten Antrieb
berichtet und im Übrigen keine maßgebliche Einschränkung einer psychopathologischen Dimension beschrieben -, ist diese Leistungseinschätzung
für den Senat nachvollziehbar. Sie stimmt im Übrigen mit der des den Kläger ehemals behandelnden Dr. S. überein. Da schließlich
auch die den Kläger danach behandelnde Dipl.-Psych. P. in ihrer Stellungnahme vom 30.09.2019 keine weitergehenden Befunde
aufgeführt hat, bestehen für den Senat an der in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkten Leistungsfähigkeit keine Zweifel.
Dies gilt für den Senat in Ansehung der Stellungnahme seitens des Universitätsklinikums T. auch im Hinblick auf das augenärztliche
Fachgebiet.
Mithin bestehen beim Kläger über qualitative Einschränkungen hinaus, keine Leistungseinschränkungen in zeitlicher Hinsicht,
weswegen ein Anspruch auf eine Rente wegen voller bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht. Soweit der Kläger
sein Leistungsvermögen abweichend bewertet, bedingt dies keine abweichende Beurteilung, insb. da, wie aus der Stellungnahme
des Klägers betr. dem Gutachten von Dr. H. , dass sich sein Innerstes massivst dagegen sträube, einen auch nur geringen Beitrag
für das Unrechtsregime zu leisten, ersichtlich wird, der Kläger selbst die geltend gemachte Unfähigkeit, erwerbstätig sein
zu können, zuvorderst nicht auf gesundheitliche Einschränkungen, sondern auf seine eigene Motivation zurückführt, m.a.W. der
Kläger räumt selbst ein, nicht arbeiten zu wollen.
Bei Beachtung der beim Kläger bestehenden qualitativen Einschränkungen (keine Überforderungen durch Akkordarbeit, Nachtarbeit
oder durch Arbeiten unter Zeitdruck) liegen weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen vor, die eine Pflicht der Beklagten zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit zur Folge
hätte. Die festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen sind nicht geeignet, das Feld zumutbarer Tätigkeiten zusätzlich
wesentlich einzuengen. Die Wegefähigkeit des Klägers ist nicht beeinträchtigt.
Das SG hat ebenfalls zutreffend entschieden, dass der Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht
beanspruchen kann. Anspruch auf diese Rente haben nach §
240 Abs.
1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die - wie der Kläger
- vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind gem. §
240 Abs.
2 Satz 1
SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig
und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als
sechs Stunden täglich gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen
ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und
des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit
zugemutet werden können (§
240 Abs.
2 Satz 2
SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige
Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§
240 Abs.
2 Satz 4
SGB VI). Der Kläger ist vor diesem rechtlichen Hintergrund nicht berufsunfähig. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit
des Klägers ist die zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Elektroniker. Diese Tätigkeit kann der Kläger jedoch zur Überzeugung
des Senats weiterhin ausüben, da die bestehenden qualitativen Einschränkungen einer Tätigkeit in diesem Berufsfeld nicht entgegenstehen.
Nach alledem ist der Bescheid der Beklagten vom 02.06.2017 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 03.08.2017 rechtmäßig.
Die Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 31.01.2018 ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.