Anspruch auf Prozesskostenhilfe; Prüfung der Erfolgsaussichten für eine Klage gegen die Bemessung von Arbeitslosengeld II
Gründe:
I. Streitig ist die Höhe des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II -)
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011.
Mit vor dem Sozialgericht Bayreuth (SG) geschlossenem Vergleich vom 28.02.2011 erklärten sich die Beteiligten unter Erledigung dieses Rechtsstreites S 15 AS 1500/10 bereit, hinsichtlich der Höhe des Anspruches auf Alg II für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 (Bescheid vom 24.11.2010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2010), das Ergebnis des Berufungsverfahrens L 11 AS 608/09 betreffend die Zeiträume vom 01.01.2005 bis 30.06.2009 umzusetzen.
Mit Bescheid vom 26.03.2011 berücksichtigte der Beklagte die ab 01.01.2011 geltende Höhe des Regelbedarfes. Hiergegen legte
der Kläger u.a. wegen des zu niedrigen Regelbedarfes Widerspruch ein. Diesen verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 09.05.2011 als unzulässig. Der Bescheid vom 26.03.2011 enthalte nur eine Leistungserhöhung und beschwere den Kläger daher
nicht.
Dagegen hat der Kläger Klage zum SG erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt. U.a. sei der ab 01.01.2011 festgelegte Regelbedarf zu niedrig.
Der Gesetzgeber habe die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht durchgehend beachtet.
Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 27.02.2012 mangels hinreichender Erfolgsaussicht
abgelehnt. Der Beklagte habe den Widerspruch zu Recht verworfen, denn der den streitigen Zeitraum betreffende Ausgangsbescheid
vom 24.11.2010 sei nach dem Vergleichsabschluss bestandskräftig geworden und der Bescheid vom 26.03.2011 beschwere den Kläger
nicht. Im Übrigen gebe es keine Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit des ab 01.01.2011 festgelegten Regelbedarfes.
Dagegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zusätzlich Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren
wegen der Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt. Das SG Berlin habe in seinem Beschluss vom 25.04.2012
- S 55 AS 9238/12 - die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Regelbedarfes dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt, denn der Gesetzgeber
habe die EVS 2008 nicht tragfähig ausgewertet.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Der Kläger macht im Rahmen seiner Klage eine Regelleistung in Höhe von 594,00 EUR monatlich geltend.
Nach §
73a SGG iVm §
114 Satz 1
ZPO erhält PKH ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftliche Verhältnissen die Kosten der Prozessführung
nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die
Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für sich hat (BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R - SozR 3-1500 §
62 Nr 19; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
SGG, 10.Aufl., §
73a RdNr 7a).
Eine solche hinreichende Erfolgsaussicht besteht vorliegend nicht. Zwar ist der Widerspruch im Gegensatz zur Auffassung des
SG zulässig, denn auch allein der Bescheid vom 26.03.2011 enthält eine für den Kläger nachteilige Regelung, also eine Beschwer.
Neben der Erhöhung des Regelbedarfes wird mit diesem Bescheid ein darüber hinaus gehender Regelbedarf abgelehnt. Die Beschwer
des Klägers ist darin zu sehen, dass er davon ausgeht, einen Anspruch auf höheres AlgII wegen eines ab 01.01.2011 zu berücksichtigenden
höheren Regelbedarf zu haben. Der Vergleich vom 28.02.2011 und der Bescheid vom 24.11.2010 kann zur Höhe des ab 01.01.2011
festgesetzten Regelbedarfes keine Entscheidung getroffen haben, denn dieser ist erst nach diesem Zeitpunkt vom Gesetzgeber
festgelegt worden und konnte daher im Bescheid vom 24.11.2010 nicht berücksichtigt worden sein. Auch war die Höhe des ab 01.01.2011
anzusetzenden Regelbedarfes nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens L 11 AS 608/09, das jedoch Grundlage für eine neue Entscheidung über den streitgegenständlichen Zeitraum sein sollte.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht jedoch für den streitigen Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 nicht. Nach den
Entscheidungen des BVerfG vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - ist der Senat nicht davon überzeugt, dass dem Kläger die Beweisführung hinsichtlich einer Verfassungswidrigkeit der Festlegung
des Regelbedarfes durch den Gesetzgeber gelingt.
Die ab 01.01.2011 anzuwendenden Regelbedarfe werden durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des
Zweiten und Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII) vom 24.03.2011 (BGBl. I S. 453 ff) festgelegt. Gerichte sind an das Gesetz gebunden (Art
20 Abs
3, Art
97 Abs
1 Grundgesetz -
GG -). Bei einem Konflikt zwischen einem einfachen Gesetz und Verfassung kann sich ein Gericht nicht über das Gesetz stellen,
es kann das Gesetz nur gemäß Art
100 Abs
1 GG dem BVerfG vorlegen. Dies aber kommt nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit des
einfaches Gesetzes überzeugt ist (Jarass/Pieroth,
GG, Art
100 Rdnr 10). Für eine Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfsgesetzes gibt es nach Auffassung des Senates keine Anhaltspunkte
(vgl. dazu Beschluss des Senats vom 12.10.2011 - L 11 AS 686/11 B PKH - sowie vom 08.02.2012 - L 11 AS 49/12 B PKH - mwN).
Wie sich aus der Begründung des Regelbedarfs- und Ermittlungsgesetzes (BT-Drucks 17/3404 S. 42 ff) ergibt, hat sich der Gesetzgeber
sehr genau an die Vorgaben der Urteile des BVerfG gehalten. Dieses hat dem Gesetzgeber auferlegt, die zur Bestimmung des Existenzminimums
im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offen zu legen (vgl. dazu auch LSG
Baden Württemberg, Urteil vom 10.06.2011 - L 12 AS 1077/11 - veröffentlicht in juris), die erforderlichen Wertungen hat der parlamentarische Gesetzgeber vorzunehmen. Die materielle
Kontrolle des Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers beschränkt sich daher darauf, ob die Leistungen evident unzureichend
sind (LSG Baden Württemberg aaO.).
Der vom Gesetzgeber festgelegte Regelbedarf von 364,00 EUR kann zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums eines
Alleinstehenden nicht als evident unzureichend angesehen werden. Der Gesetzgeber hat sich zur Festlegung des Regelbedarfes
des Statistikmodells bedient. Dies ist vom BVerfG ebenso wenig beanstandet worden wie die Tatsache, dass die in den einzelnen
Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben nicht vollständig, sondern als regelleistungsrelevanter
Verbrauch nur zu einem bestimmten Prozentsatz (oder auch gar nicht) in die Bemessung der Regelleistung einfließen. Allerdings
muss der jeweilige Abschlag sachlich gerechtfertigt sein.
Die wertende Entscheidung, welche Ausgaben zum Existenzminimum zählen, hat der Gesetzgeber sachgerecht und vertretbar zu treffen.
Kürzungen von Positionen und Teilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe bedürfen zu ihrer Rechtfertigung einer entsprechenden
Grundlage. Der Gesetzgeber darf Ausgaben, welche die Referenzgruppe tätigt, nur dann als nicht relevant einstufen, wenn feststeht,
dass sie anderweitig gedeckt werden oder zur Sicherung des Existenzminimums nicht notwendig sind (vgl. LSG Baden Württemberg
aaO.). Die Verbrauchsausgaben u.a. für alkoholische Getränke z.B. durfte der Gesetzgeber vertretbar nicht dem physischen Existenzminimum
zurechnen, da alkoholische Getränke Drogen darstellen und nicht zum unablässigen Grundbedarf gehören. Zum Ausgleich der mit
dem alkoholischen Getränken verbundenen Flüssigkeitsmenge hat der Gesetzgeber diese durch alkoholfreie Getränke ersetzt und
die entsprechenden Verbrauchsausgaben für Mineralwasser in Höhe von 2,99 EUR berücksichtigt (BT-Drucks 17/3404 S. 53; vgl.
hierzu auch LSG Baden Württemberg aaO.). Einen Teilhabeaspekt durch den Genuss von alkoholischen Getränken kann der Senat
nicht erkennen (so aber SG Berlin aaO. RdNr 114).
Auch die Auswahl der Vergleichsgruppe hat der Gesetzgeber zutreffend vorgenommen, die Auswahl einer anderen Vergleichsgruppe
diesbezüglich mag - dem Kläger bzw dem SG Berlin - als sinnvoll erscheinen, jedoch hat der Gesetzgeber diesbezüglich einen
Gestaltungsspielraum. Bei der Auswahl der Referenzgruppe hat der Gesetzgeber lediglich Zirkelschlüsse zu vermeiden. Dieses
vom BVerfG ihm aufgelegte Gebot hat er beachtet. Er hat Haushalte, deren Nettoeinkommen unter dem Niveau der Leistungen nach
dem SGB II bzw. SGB XII liegen, nicht in die Referenzgruppe aufgenommen. Im Übrigen ist es allein die Entscheidung des Gesetzgebers,
ob er auch diejenigen Haushalte aus der Referenzgruppe herausnehmen will, die über ein - wenn auch geringes - zusätzliches
Einkommen verfügen. Wie Fälle "verdeckte Armut" entsprechend berücksichtigt werden sollten, ist dem Senat derzeit nicht nachvollziehbar,
wobei der Gesetzgeber jedoch beabsichtigt, die Abgrenzung der Referenzhaushalte weiter zu entwickeln (vgl. zum Ganzen u.a.
LSG Baden Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 - L 12 AS 3445/11 -; Mogwitz in ZFSH SGB 2011, 323 ff; Groth in NZS 2011, 571 ff).
Auch die Ausführungen im Urteil des SG Berlin, der Finanzbedarf für langlebige Gebrauchsgüter sei nicht zutreffend ermittelt
worden, kann nicht durchgreifen. Vielmehr haben 4 Gruppen jeweils über ein Quartal, insgesamt also kontinuierlich über 1 Jahr
lang, ihre Verbrauchsausgaben in einem Haushaltsbuch aufgezeichnet, (vgl. Mogwitz aaO.). Es erschließt sich dem Senat nicht,
weshalb hierdurch die Ausgaben für langlebige Gebrauchsgüter nicht berücksichtigt sein sollten.
Nach alledem geht der Senat weiterhin von einer Verfassungsmäßigkeit der vom Gesetzgeber festgelegten Regelbedarfe aus. Allein
der Beschluss einer Kammer des SG Berlin führt zu keiner Änderung dieser Auffassung. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist
nicht anzunehmen, die Beschwerde war zurückzuweisen.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bezüglich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht zu bewilligen (vgl.
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10.Aufl., §
73a RdNr 2b).
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§
177 SGG).