Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
Zumutbarkeit eines beruflichen Abstieges auf die nächstniedrigere Qualifikationsstufe
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1956 in der Türkei geborene Kläger hat nach seinen Angaben von 1971 bis 1973 eine Ausbildung als CNC Dreher absolviert
und von 1973 bis 1995 als Dreher gearbeitet. Anschließend sei er etwa fünf Jahre lang als selbständiger Stuckateur tätig gewesen.
Danach erfolgten verschiedene Tätigkeiten, zumeist als Bauarbeiter oder Stuckateurhelfer. Ab dem 07.10.2015 bestand Arbeitsunfähigkeit.
Der Kläger bezog Krankengeld vom 16.10.2015 bis 28.09.2016 und Leistungen der Bundesagentur für Arbeit vom 29.09.2016 bis
31.01.2018. Für die Zeit vom 03.04.2017 bis 31.01.2018 sind im Versicherungsverlauf der Beklagten Zeiten einer geringfügigen
nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung verzeichnet.
Das Zentrum Bayern Familie und Soziales - Region Mittelfranken - Versorgungsamt stellte mit Bescheid vom 13.07.2015 einen
Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest. Führende Gesundheitsstörungen waren eine seelische Störung mit Somatisierung (Einzel-GdB
30), Funktionsbehinderungen des oberen Sprunggelenks links und des Kniegelenkes links (Einzel-GdB 20) und Funktionsbehinderung
der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20). Nach einem nach Aktenlage erstellten sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes
der Krankenkassen in Bayern (MDK) vom 04.04.2016 sei der Kläger für nicht absehbare Zeit nicht mehr in der Lage gewesen, körperlich
leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als drei Stunden täglich zu verrichten.
Am 02.06.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er halte sich wegen
Nervenbeschwerden, Lungenbeschwerden und wegen eines gebrochenen Fußes für erwerbsgemindert. Die Beklagte holte Befundberichte
der behandelnden Ärzte ein und ließ den Kläger vom Facharzt für Allgemeinmedizin und Sozialmedizin Dr. W. untersuchen (Gutachten
vom 27.09.2016). Dr. W. stellte ein vollschichtiges Leistungsbild auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fest. Für die Tätigkeit
als Bauarbeiter sei von einem Leistungsvermögen mit 3 bis unter 6 Stunden täglich auszugehen. Unter Hinweis auf die ärztlichen
Feststellungen lehnte die Beklagte den Antrag vom 02.06.2016 mit Bescheid vom 06.10.2016 und Widerspruchsbescheid vom 11.11.2016
ab.
Am 17.11.2016 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Der Bevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 12.01.2017
darauf hingewiesen, dass der Kläger unter einer Vielzahl von Funktionsbeeinträchtigungen leide und daher eine Tätigkeit auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt realistischer Weise nicht möglich sei. So werde kein Arbeitgeber einen täglich nahezu pro Arbeitsstunde
zweimal zur Toilette gehenden Arbeitnehmer einstellen (Hinweis auf Miktionsbeschwerden bei Prostataerkrankung).
Das Sozialgericht hat Befundberichte von den behandelnden Ärzten eingeholt (Urologe Dr. E. vom 02.01.2017, Orthopäde Dr. D.
vom 29.12.2016, Neurologe und Psychiater Dr. F. vom 30.12.2016, Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. C. vom 13.01.2017, jeweils
mit Fremdbefunden).
Sodann hat das Sozialgericht den Internisten und Sozialmediziner Dr. W. mit Gutachten vom 06.03.2017 gehört. Dr. W. hat beim
Kläger die folgenden Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Chronischobstruktive Atemwegserkrankung bei fortgesetztem Nikotinabusus mit geringgradiger Funktionseinschränkung.
2. Essenzielle arterielle Hypertonie ohne Hinweis auf eine hypertensive Herzerkrankung.
3. Refluxösophagitis, Gastritis und Sigmadivertikulose sowie Hämorrhoidalleiden ohne relevante Beschwerdesymptomatik.
4. Zustand nach rechtsseitiger und linksseitiger operierter Leistenhernie (2006 bzw. 2014) ohne sozialmedizinische Bedeutung.
5. Prostatahyperplasie mit bestätigter objektiver Beschwerdefreiheit.
6. Degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit Bandscheibenschäden.
7. Gonarthrose bds. und linksseitige Sprunggelenkseinschränkung mit geringgradiger Funktionseinschränkung.
8. Zustand nach linksseitiger distaler Radiusfraktur mit posttraumatischer Handgelenksteife mit geringgradiger Funktionseinschränkung.
9. Depression und Somatisierungsstörung mittelgradiger Ausprägung.
Zumutbar seien körperlich leichte Tätigkeiten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit nervlichen Belastungen, unfallgefährdende
Tätigkeiten und eine Belastung mit pulmonalen Reizstoffen. Gleiches gelte für schweres Heben und Tragen von schweren Gegenständen
sowie ständiges Bücken, Knien oder das Einnehmen von Zwangshaltungen. Quantitativ sei weiterhin ein Leistungsvermögen von
mindestens 6 Stunden täglich für den allgemeinen Arbeitsmarkt feststellbar. Unübliche Arbeitspausen seien nicht einzuhalten.
Die Wegefähigkeit des Klägers sei erhalten.
Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht den Neurologen und Psychiater Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
Mit Gutachten vom 02.08.2017 hat Dr. S. die folgenden Diagnosen gestellt:
1. Anhaltende depressive Störung, gegenwärtig schwer ausgeprägt, zum Teil mit psychotischer Ausgestaltung.
2. Generalisierte Angststörung.
3. Soziophobie.
4. Kanzerophobie, Impulssteuerungsstörungen.
5. Karpaltunnelsyndrom beidseits mit Feinmotorikstörungen beider Hände.
6. Distalsymmetrisch sensible Polyneuropathie mit Gang- und Standunsicherheit.
7. Chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Anteilen bei
- degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und Bandscheibenschäden
- degenerativen OSG- und Kniegelenksveränderungen beidseits
- Zustand nach distaler Radiusfraktur links
- posttraumatischer Handgelenkssteife links
- Fersensporn
- posttraumatischer OSG-Steife links.
8. Hirnorganisches Psychosyndrom vom Ausmaß eines mild cognitive impairment.
9. Persönlichkeits- und Wesensveränderung.
10. Psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak und Alkohol.
11. Allgemeiner körperlicher Abbau.
Beim Kläger bestehe neben den beschriebenen seelischen und körperlichen Behinderungen und Leiden vor allem ein hirnorganisches
Psychosyndrom im Sinne eines zerebralen Abbauprozesses und eines weit über den physiologischen Alterungsprozess hinausreichenden
Abbaus der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit. Es sei von einer mehrschichtigen psychischen Behinderung und Erkrankung
auszugehen, aus der insgesamt ein depressiver Rückzug mit Kompetenzverlust der gesamten Persönlichkeit und eine kompromisshafte
Daseinsbewältigung resultieren. Umstellungsvermögen, Anpassungsfähigkeit und die psychophysische Dauerbelastbarkeit seien
erheblich beeinträchtigt, so dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, einer geregelten Erwerbstätigkeit von wirtschaftlichem
Wert nachzukommen, egal wie diese auch geartet sein sollte.
Die Beklagte hat Stellung genommen und auf die Ausführungen der Neurologin und Psychiaterin Dr. K. vom 23.08.2017 verwiesen.
Die Angaben des Klägers seien nicht kritisch hinterfragt und nur übernommen worden. Die bisherige Behandlungsstrategie sei
unklar und werde nicht nachvollziehbar dargestellt; eine psychotherapeutische Behandlung habe nicht stattgefunden. Trotz der
schweren Erkrankung des Klägers sei keine tagesklinische oder vollstationäre Behandlung in einem akut-psychiatrischen Krankenhaus
in die Wege geleitet worden.
Unter dem 22.10.2017 hat Dr. W. ergänzend Stellung genommen. Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausreichend ausgeschöpft
worden. Selbstverständlich liege ein relevantes nervenärztliches Krankheitsbild vor. Dies habe durchaus Potenzial, eine dauernde
Erwerbsminderung nach sich zu ziehen. Das ambulante Behandlungspotenzial sei andererseits in keiner Form ausgeschöpft. Weder
eine Psychotherapie noch tagesklinische oder vollstationäre Behandlungsmethoden seien wahrgenommen worden.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 29.11.2017 abgewiesen. Es hat sich
auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. gestützt. Zu den psychischen Gesundheitsstörungen sei im Übrigen auf die
Rechtsprechung zu verweisen, wonach psychische Störungen nur dann als rentenrechtlich relevant anerkannt werden, wenn sie
austherapiert seien. Solange noch Behandlungsoptionen bestehen, müssten diese erst ausgeschöpft werden. Dr. W. führe ausdrücklich
an, dass bisher keine Psychotherapie bzw. tagesklinische oder vollstationäre Behandlung stattgefunden habe und daher noch
Behandlungsmöglichkeiten bestehen würden, die erst noch ausgeschöpft werden müssten. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
bei Berufsunfähigkeit könne ebenfalls nicht beansprucht werden. Der Kläger habe zwar angegeben, den Beruf des Drehers gelernt
zu haben, er habe sich jedoch von diesem Beruf gelöst, da er danach als Bauarbeiter gearbeitet habe. Dabei habe es sich um
ungelernte bzw. angelernte Arbeiten gehandelt, die im unteren Bereich anzusiedeln wären. Demnach sei der Kläger auf die Tätigkeiten
des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen. Hierfür liege aber nach dem Gutachten von Dr. W. eine mindestens sechsstündige
Leistungsfähigkeit vor.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 21.12.2017. Der Kläger sei definitiv nicht mehr erwerbsfähig. Das Sozialgericht
habe das von Dr. S. erstellte Gutachten nicht zugrunde gelegt, sondern dem von Amts wegen eingeholten Gutachten den Vorrang
gegeben. Das Hauptproblem des Klägers sei sein psychischer Zustand. Es sei lediglich ein internistisches Gutachten eingeholt
worden, nicht aber ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. Zu den Behandlungsmöglichkeiten sei auszuführen, dass - nach
Dr. S. - der Kläger über ein nur eingeschränktes Verhaltensrepertoire bei starren Interaktionsmustern verfüge, was eine Therapieresistenz
nach sich ziehen würde.
Der Senat hat die Akten des Bayer. Landessozialgerichts zu dem Berufungsverfahren beigezogen. Auf das dort erstinstanzlich
im Auftrag des Klägers von Dr. S. erstellte Gutachten vom 02.08.2017 und das von Dr. S. eingeholte orthopädische Gutachten
vom 14.03.2017 wird Bezug genommen.
Weiter hat der Senat Befundberichte von den behandelnden Ärzten eingeholt (Urologe Dr. E. vom 22.05.2018, Orthopäde Dr. D.
vom 28.05.2018, Neurologe und Psychiater Dr. F. vom 16.05.2018, Internist Dr. G. vom 16.05.2018, Facharzt für Allgemeinmedizin
Dr. C. vom 24.05.2018).
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Neurologen und Psychiater Dr. H. (Gutachten vom 20.11.2018).
Dr. H. kam zum Schluss, dass auf neurologischem oder psychiatrischem Fachgebiet keine wesentlichen Gesundheitsstörungen bestehen
würden, die sich auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers auswirken. Diagnostisch sei aufgrund der mitgeteilten Vorbefunde, der
jetzt erhobenen Anamnese und der jetzt durchgeführten gutachterlichen Untersuchung auszugehen von einer rezidivierenden depressiven
Störung, derzeit remittiert (ICD 10 F 33.4). Der neurologische Befund sei regelrecht gewesen. Der von Dr. S. beschriebene
psychopathologische Befund sei in keiner Weise mehr nachzuweisen gewesen. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht seien leichte
und mittelschwere körperliche Arbeiten zumutbar. Zu vermeiden seien Tätigkeiten in Wechselschicht, insbesondere Nachtschichten,
und mit besonderen psychischen Belastungen. Der Kläger sei durchaus in der Lage, sich noch auf Tätigkeiten umzustellen, die
nicht von einfachster Art sind, sondern eine Einarbeitung bzw. eine betriebliche Anleitung erfordern und durchschnittliche
Anforderungen an die geistige und psychische Belastbarkeit stellen. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.
Bei der Untersuchung durch Dr. H. am 14.11.2018 hat der Kläger angegeben, er arbeite seit dem 01.01.2018 auf dem Bau als Stuckateur.
Sein Arbeitsvertrag gehe bis zum 31.01.2019. Er arbeite 8 Stunden am Tag, 41 Stunden in der Woche. Zu den Baustellen fahre
er mit dem Firmenauto.
Auf Nachfrage des Senats hat der Bevollmächtigte unter dem 08.01.2019 mitgeteilt, der Kläger sei für den Zeitraum vom 01.02.2018
bis 31.01.2019 bei der Firma J. beschäftigt. Der Arbeitgeber erhalte von der Bundesagentur für Arbeit einen Zuschuss in Höhe
von knapp 1/3 des Lohnes. Der Kläger werde nur für leichteste Tätigkeiten eingesetzt, wie z.B. Abklebearbeiten, Anbringen
von Eckschienen und Profilen, Grundierungsarbeiten, Ziehen von Acrylfugen, Erstellen von Aufmaßen, Liefertätigkeiten und überhaupt
leichteste Stuckateurarbeiten. Zu mehr sei der Kläger körperlich nicht in der Lage. Er sei gezwungen, diese Tätigkeit auszuüben,
um wirtschaftlich zu überleben. Regelmäßig leide der Kläger unter erheblichen Schmerzen und auch psychisch unter der gesamten
Situation sehr. Er gehe unter Qualen einer Erwerbstätigkeit nach. Das Arbeitsverhältnis ende auch zum 31.01.2019, da man für
ihn derzeit keine Arbeit habe bzw. ihn nicht weiter einsetzen könne. Mit Schriftsatz vom 23.01.2019 hat der Bevollmächtigte
das Kündigungsschreiben des Arbeitgebers vom 14.01.2019 mit Kündigung zum 09.02.2019 zugeleitet.
Der Senat hat eine Auskunft von der AOK Bayern vom 28.02.2019 eingeholt. In der Zeit ab Januar 2018 hätten Arbeitsunfähigkeitszeiten
vom 10.12.2018 bis 04.01.2019 (26 Tage), 22.11.2018 bis 30.11.2018 (9 Tage), 05.11.2018 bis 09.11.2018 (5 Tage) und 09.05.2018
bis 11.05.2018 (3 Tage) bestanden.
Nach Auskunft des Arbeitgebers des Klägers vom 06.03.2019 sei der Kläger dort seit dem 01.02.2018 als Stuckateur beschäftigt.
Er verrichte Außen- und Innenputzarbeiten, Trockenbauarbeiten und Malerarbeiten. Die Entlohnung erfolge nach der Lohngruppe
für Facharbeiter. Die Leistungen des Klägers würden nicht dem Entgelt, sondern nur 70 v.H. den Anforderungen entsprechen.
Der Kläger gelte aus altersbedingten körperlichen Gründen nicht als vollwertige Arbeitskraft. Arbeitsunfähigkeit habe aus
körperlichen Gründen bestanden und zwar vom 10.12.2018 bis 04.01.2019 und 05.11.2018 bis 30.11.2018. Der Kläger habe über
Belastungsschmerzen in den Gelenken, starke Rückenschmerzen, Schmerzen und Versteifungen in den verschiedenen Muskelbereichen,
Bewegungseinschränkungen, Kurzatmigkeit und Erschöpfungssymptome geklagt. Die Arbeitskraft habe nach den ersten paar Monaten
nachgelassen.
Der Senat hat einen Anschlussbefundbericht vom Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. C. vom 12.03.2019 eingeholt. Arbeitsunfähigkeit
habe in der Zeit vom 10.12.2018 bis 04.01.2019 wegen COPD, vom 22.11.2018 bis 30.11.2018 wegen einer Gastroenteritis und vom
05.11.2018 bis 09.11.2018 wegen einer Sinubronchitis bestanden. Beigefügt war ein Befundbericht des Internisten und Pneumologen
Dr. T. T. vom 11.12.2018. Die lungenfunktionelle Einschränkung sei im Vergleich zum Vorbefund aus dem Jahr 2015 nicht progredient.
Der vom Senat beauftrage Orthopäde Dr. L. hat das Gutachten vom 28.06.2019 nach Untersuchung des Klägers am 14.06.2019 erstellt.
Er hat die folgenden Diagnosen gestellt:
1. Belastungsminderung und mittelgradige Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule bei Fehlstatik und Verschleiß ohne aktuellen
Anhalt für eine von der Lendenwirbelsäule ausgehende Nervenwurzelirritation.
2. Verspannungen im Nacken mit einer leichtgradigen Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule bei Verschleiß ohne Anhalt
für eine von der Halswirbelsäule ausgehende Nervenwurzelirritation.
3. Belastungsabhängige Beschwerden im linken Handgelenk mit einer leichten Funktionseinschränkung bei posttraumatischem Verschleiß
nach konservativ versorgter distaler Radiusfraktur links.
4. Leichte Funktionseinschränkung des linken Sprunggelenkes nach Fraktur mit bildgebend gesicherten Verschleißerscheinungen.
5. Beiderseitige Gonalgien bei leichteren Verschleißerscheinungen ohne Funktionsbehinderung und ohne Hinweise für anhaltende
Reizerscheinungen.
Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen sei dem Kläger zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
noch eine mindestens 6-stündige Tätigkeit zumutbar. Aus orthopädischer Sicht sei qualitativ zu fordern, dass es sich um eine
leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung handele. Zu vermeiden seien länger anhaltende
statische Wirbelsäulenzwangshaltungen, längere Tätigkeiten in gebückter, gehockter oder kniender Stellung, häufige und länger
anhaltende Überkopfarbeiten sowie eine Kälte-, Nässe- oder Zugluftexposition ohne entsprechenden Bekleidungsschutz. Die Wegefähigkeit
sei nicht eingeschränkt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.11.2017 und den Bescheid der Beklagten vom 06.10.2016 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.11.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller, hilfsweiser
wegen teilweiser und hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.11.2017 zurückzuweisen.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen - insbesondere auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten
und der Gutachten und Stellungnahmen der Sachverständigen - und auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Akten
des Bayer. Landessozialgerichts (Az.) und die Akten des Sozialgerichts Nürnberg (Az. S 15 U 36/13) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht Nürnberg hat zutreffend die Klage abgewiesen. Denn der angefochtene
Bescheid der Beklagten vom 06.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.11.2016 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Nach §
43 Abs.
1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Nachweis einer zeitlichen Leistungsminderung in Folge der gesundheitlichen
Einschränkungen durch den Kläger nicht geführt wurde. Vielmehr ist aufgrund der überzeugenden ärztlichen Sachverständigengutachten
von Dr. W., Dr. H. und Dr. L. davon auszugehen, dass der Kläger in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mehr als sechs Stunden täglich
zu verrichten. Die qualitativen Leistungseinschränkungen erfordern eine Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung. Zu vermeiden
sind eine Tätigkeit in Wechselschicht, insbesondere Nachtschicht. Ebenfalls zu vermeiden sind nervlich belastende Tätigkeiten
und unfallgefährdende Tätigkeiten. Gleiches gilt für länger anhaltende statische Wirbelsäulenzwangshaltungen, längere Tätigkeiten
in gebückter, gehockter oder kniender Stellung, häufige und länger anhaltende Überkopfarbeiten, eine Kälte-, Nässe- oder Zugluftexposition
ohne entsprechenden Bekleidungsschutz sowie eine Belastung mit pulmonalen Reizstoffen.
Nach den Sachverständigengutachten bestehen beim Kläger Gesundheitsstörungen auf dem internistischen, orthopädischen und psychiatrischen
Fachgebiet.
Auf dem internistischen Gebiet hat der Internist Dr. W. mit Gutachten vom 06.03.2017 eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung,
eine essenzielle arterielle Hypertonie, eine Refluxösophagitis, eine Gastritis und eine Sigmadivertikulose sowie ein Hämorrhoidalleiden
festgestellt. Die Atemwegserkrankung ist medikamentös eingestellt. Nach Dr. W. resultieren aus der Atemwegserkrankung lediglich
geringgradige Funktionseinschränkungen. Zwar hat der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. C. für die Zeit vom 10.12.2018 bis
04.01.2019 eine Arbeitsunfähigkeit wegen COPD bescheinigt. Allerdings ist nach dem Befundbericht des Internisten und Pneumologen
Dr. T. vom 11.12.2018 davon auszugehen, dass eine Verschlimmerung der Lungenfunktion nicht eingetreten ist. Die Atemwegserkrankung
bedingt lediglich die qualitative Anforderung an die dem Kläger zumutbare Tätigkeit, nicht pulmonalen Reizstoffen ausgesetzt
zu sein. Die arterielle Hypertonie ist sozialmedizinisch nicht relevant. In den Vorbefunden wurde eine hypertensive Herzerkrankung
nicht dokumentiert; sichere kardiale Dekompensationszeichen waren nicht festzustellen. Die übrigen Erkrankungen Refluxösophagitis,
Gastritis, Sigmadivertikulose und Hämorrhoidalleiden sind kurativ behandelbar und stellen keine relevanten, das Leistungsvermögen
des Klägers negativ beeinflussenden Erkrankungen dar. Hinsichtlich der beim Kläger bestehenden Prostatahyperplasie hat Dr.
W. darauf hingewiesen, dass nach dem behandelnden Urologen unter Medikation Beschwerdefreiheit bestehe (Befundbericht vom
02.01.2017), die in dieser Form von dem Kläger aber nicht bestätigt werde. Nach dem Befundbericht des Urologen Dr. E. vom
22.05.2018 habe sich der Kläger letztmalig am 12.01.2017 zur Diagnostik vorgestellt. Im Mai 2018 sei letztmalig eine Rezeptierung
erfolgt. Unter Medikation sei eine deutliche Besserung der Beschwerden eingetreten.
Die auf dem orthopädischen Gebiet von dem Orthopäden Dr. L. mit Gutachten vom 28.06.2019 festgestellten Diagnosen bzw. Funktionseinschränkungen
führen zur Überzeugung des Senats ebenfalls nicht zu einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens. Sie bedingen lediglich
qualitative Anforderungen an eine dem Kläger zumutbare Tätigkeit. Die Belastungsminderung und mittelgradige Funktionseinschränkung
der Lendenwirbelsäule, die Verspannungen im Nacken mit einer leichtgradigen Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule, die
belastungsabhängigen Beschwerden im linken Handgelenk, die leichte Funktionseinschränkung des linken Sprunggelenkes nach Fraktur
und die beiderseitigen Gonalgien führen dazu, dass vom Kläger nur noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten gefordert
werden können. Länger andauernde Wirbelsäulenzwangshaltungen sind zu vermeiden. Wegen der Wirbelsäulenveränderungen und der
Kniegelenkproblematik sollten längere Tätigkeiten in gebückter, gehockter oder kniender Stellung nicht verrichtet werden.
Aufgrund der Verspannungen im Nacken mit einer leichtgradigen Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule sollten länger anhaltende
Überkopfarbeiten nicht ausgeführt werden. Die mit der Wirbelsäulenveränderung einhergehenden muskulären Dysbalancen erfordern
einen entsprechenden Bekleidungsschutz bei Kälte-, Nässe- oder Zugluftexposition. Hinsichtlich des orthopädischen Gebietes
hat auch Dr. W. eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens nicht festgestellt und ebenfalls herausgestellt, dass
längere Tätigkeiten in gebückter oder kniender Stellung sowie Zwangshaltungen zu vermeiden seien.
Auf dem neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet hat der Neurologe und Psychiater Dr. H. mit Gutachten vom 20.11.2018 keine
relevanten Gesundheitsstörungen festgestellt, die das Leistungsvermögen des Klägers zeitlich einschränken. Der neurologische
Befund war in allen Einzelheiten und in Übereinstimmung mit den Voruntersuchungen und Vorbegutachtungen regelrecht. Auf dem
psychiatrischen Bereich ist Dr. H. aufgrund der Vorbefunde, der Anamnese und des erhobenen psychopathologischen Befundes überzeugend
zum Schluss gekommen, dass beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert, besteht. Der Internist
Dr. W. hatte mit Gutachten vom 06.03.2017 noch eine mittelgradig ausgeprägte Depression mit Anpassungsstörung festgestellt.
Wesentlich hiervon abweichende Erkrankungen hat der den Kläger behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. F. nicht festgestellt.
Er hatte mit Befundbericht vom 30.10.2015 eine Dysthymie mit mittelgradigen depressiven Phasen und eine ausgeprägte Impulskontrollstörung
beschrieben. Nach dem Befundbericht vom 14.09.2016 bestehe beim Kläger eine seelische Störung mit Somatisierungsstörung und
Schwindel sowie eine Depression. Nach den Befundberichten vom 30.12.2016 und 16.05.2018 leide der Kläger unter einer rezidivierenden
Depression, einer Dysthymie und einer Somatisierungsstörung.
Aufgrund der rezidivierenden depressiven Störung sind dem Kläger leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten zumutbar.
Arbeiten in Wechselschicht, insbesondere Nachtschichten, und Arbeiten in besonderen psychischen Belastungen sind zu vermeiden.
Leicht eingeschränkt sind die Merkfähigkeit und das mittelfristige Gedächtnis. Dennoch ist der Kläger durchaus noch in der
Lage, sich auf Tätigkeiten umzustellen, die nicht von einfachster Art sind, sondern einer Einarbeitung bzw. eine betriebliche
Anleitung erfordern und durchschnittliche Anforderungen an die geistige und psychische Belastbarkeit stellen.
Der Senat folgt nicht den Feststellungen und Ausführungen von Dr. S.. Dieser ist mit Gutachten vom 02.08.2017 von einem schwerwiegenderen
psychiatrischen Befund ausgegangen. Der Kläger leide unter einer anhaltenden depressiven Störung, gegenwärtig schwer ausgeprägt,
einer generalisierten Angststörung mit Soziophobie und Kanzerophobie mit ausgeprägtem sozialen Rückzug und Verlust fast aller
sozialen Kompetenzen, einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Anteilen, einem hirnorganischen Psychosyndrom,
einer Persönlichkeits- und Wesensveränderung, einer psychischen Störung und Verhaltensstörungen durch Tabak und Alkohol sowie
unter einem allgemeinen körperlichen Abbau.
Nach Dr. S. sei im Befund eine massiv reduzierte Antriebs- und Interessenlage auffällig gewesen. Bei allgemeiner psychomotorischer
Verlangsamung mit verminderter gedanklicher Flexibilität seien zusätzlich deutliche Einschränkungen im Bereich der Leistungsfähigkeit
des Kurzzeitgedächtnisses festzustellen gewesen. Es bestehe bei deutlicher Passivität ein massives Rückzugsverhalten mit unselbständigem
selbstunsicheren Vermeidungsverhalten. Vor allem bestehe ein hirnorganisches Psychosyndrom im Sinne eines zerebralen Abbauprozesses
und eines weit über den physiologischen Alterungsprozess hinausreichenden Abbaus der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit.
Das Umstellungsvermögen, die Anpassungsfähigkeit und die psychophysische Dauerbelastbarkeit seien erheblich beeinträchtigt,
so dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, einer geregelten Erwerbstätigkeit von wirtschaftlichem Wert nachzukommen, egal
wie diese auch geartet sein sollte.
Allerdings waren die von Dr. S. erhobenen Befunde bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. H. in keiner Weise mehr nachzuweisen.
Dr. H. führt überzeugend aus, dass weder auf neurologischem noch auf psychiatrischen Fachgebiet pathologische Befunde erhoben
werden konnten, die die Einschätzung von Dr. S. begründen könnten. Insbesondere hat sich kein Hinweis auf eine depressive
Störung oder auf eine morose dysthyme Verstimmung gefunden. Der Antrieb war völlig normal; die Schwingungsfähigkeit war gut
erhalten.
Zudem hat Dr. H. auch zutreffend darauf hingewiesen, dass aufgrund der niederfrequenten nervenärztlichen Kontakte und aufgrund
des Umstandes, dass der Kläger seit Februar 2018 eine vollschichtige Beschäftigung ausgeübt hat, Zweifel an dem Vorliegen
einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung bestehen. Nach der Arbeitgeberauskunft vom 06.03.2019 stand jedenfalls nicht
eine psychiatrische Erkrankung einer vollschichtigen Tätigkeit des Klägers entgegen. Nach der Arbeitgeberauskunft habe die
Arbeitskraft des Klägers auch erst nach den ersten paar Monaten seit Beginn der Beschäftigung nachgelassen. Aufgrund seines
altersbedingten körperlichen Allgemeinzustandes habe der Kläger nicht als vollwertige Arbeitskraft gegolten. Zu berücksichtigen
ist auch, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten ab Aufnahme der Beschäftigung somatische und nicht psychische Erkrankungen betrafen
(COPD, Gastroenteritis, Sinubronchitis).
Der gutachterlichen Stellungnahme des MDK vom 04.04.2016 vermochte der Senat nicht zu folgen. Diese Stellungnahme erfolgte
nach Aktenlage und konnte die im Verwaltungsverfahren und in beiden Instanzen eingeholten Gutachten nicht berücksichtigen.
Aufgrund der zur Überzeugung des Senats bestehenden mehr als 6stündigen Leistungsfähigkeit des Klägers für Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsmarkts kommt es auf die Frage der Ausschöpfung zumutbarer Behandlungsoptionen (vgl. hierzu BayLSG Urteil
vom 08.05.2019, L 19 R 376/17, juris) nicht mehr an.
Bei Beachtung der beim Kläger bestehenden qualitativen Einschränkungen liegen weder eine spezifische Leistungsbehinderung
noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die eine Pflicht der Beklagten zur Benennung einer konkreten
Verweisungstätigkeit zur Folge gehabt hätte. Die festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen sind nicht geeignet,
das Feld zumutbarer Tätigkeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Die Wegefähigkeit des Klägers ist nicht beeinträchtigt.
Aufgrund des Leistungsvermögens des Klägers von täglich mehr als sechs Stunden ergibt sich auch, dass eine Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung gemäß §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI ebenfalls nicht beansprucht werden kann.
Ebenfalls zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass der Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
nicht beanspruchen kann. Anspruch auf diese Rente haben nach §
240 Abs.
1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die - wie der Kläger
- vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind gem. §
240 Abs.
2 Satz 1
SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig
und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als
sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist,
umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des
Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet
werden können (§
240 Abs.
2 Satz 2
SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige
Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§
240 Abs.
2 Satz 4
SGB VI).
Der Kläger ist nicht berufsunfähig. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers ist die zuletzt ausgeübten
Tätigkeit als Bauarbeiter. Diese Tätigkeit kann der Kläger nach den Feststellungen der Sachverständigen nicht mehr ausüben.
Damit liegt aber noch nicht ohne weiteres eine Berufsunfähigkeit im rentenrechtlichen Sinne vor. Maßgeblich ist vielmehr,
ob der Kläger noch für andere, ihm zumutbare Verweisungstätigkeiten einsetzbar ist. Ob eine zumutbare Verweisungstätigkeit
in Betracht kommt, bestimmt sich nach dem qualitativen Wert des zuletzt auf Dauer versicherungspflichtig ausgeübten Berufs.
Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung zur Feststellung des qualitativen Werts des bisherigen Berufs und
damit zur Bestimmung der zumutbaren Verweisungstätigkeiten - nunmehr unter Berücksichtigung der Zusammenführung in der allgemeinen
Rentenversicherung sowohl für gewerbliche als auch für Angestelltenberufe - ein Mehrstufenschema entwickelt. Es unterscheidet
zwischen ungelernten Berufen (Stufe 1), Berufen mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Stufe 2), Berufen mit einer Ausbildung
von mehr als zwei Jahren (Stufe 3), Berufen, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch
einer Fachschule voraussetzen (Stufe 4, z.B. Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern Spezialfacharbeiter,
Meister, Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung), Berufen, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule
oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen (Stufe 5) und Berufen, deren hohe Qualität regelmäßig auf
einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe 6); vgl. zum Ganzen Gürtner, KassKom, Std. 12/2016,
§ 240 Rn 24.
Zumutbar im Sinne des §
240 Abs.
2 Satz 3
SGB VI ist stets ein beruflicher Abstieg auf die nächstniedrigere Qualifikationsstufe. Versicherte, deren bisheriger Beruf beispielsweise
der Stufe 2 (sog. Angelerntenbereich) zuzuordnen ist, können demnach zumutbar auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden.
Die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist nicht erforderlich, wenn der bisherige Beruf der ersten Stufe angehört
oder wenn ein sogenannter einfacher Angelernter (Stufe 2, aber Ausbildung nur bis zu einem Jahr) auf ungelernte Berufe verwiesen
wird.
In diesem Sinne ist die Tätigkeit des Klägers allenfalls als die Tätigkeit eines einfachen Angelernten einzuordnen. Zwar hat
der Kläger nach seinen Angaben eine Berufsausbildung als Dreher absolviert und sei auch in diesem Beruf tätig gewesen. Danach
war er jedoch als (angelernter) Bauarbeiter versicherungspflichtig tätig, so dass er den entsprechenden Berufsschutz aufgegeben
hat. Soweit nach der Arbeitgeberauskunft vom 06.03.2019 der Kläger als Stuckateur tätig gewesen und eine Entlohnung nach der
Lohngruppe der Facharbeiter erfolgt sei, ergibt sich hieraus nicht die Einordnung der Tätigkeit des Klägers in eine höhere
Qualifikationsstufe (Stufe 3). Denn der Kläger hat diesen Ausbildungsberuf nicht erlernt und hat erkennbar nicht die Tätigkeiten
eines (gelernten) Stuckateurs vollwertig verrichtet (vgl. hierzu BSG Urteil vom 28.06.1989 - 5 RJ 5/88, juris). Nach Angaben im BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit verputzen Stuckateure Rohbauten, bauen leichte Trennwände
aus Metallprofilen und Gipskartonplatten ein, montieren Fertigteildecken- und wände oder Fassadenverkleidungen. Sie bringen
Dämmmaterialien an. Fassaden und teilweise auch Innenwände oder Decken schmücken sie mit Stuckarbeiten. Nach der Arbeitgeberauskunft
hat der Kläger mit Putz- und Trockenbauarbeiten nur einen Teilbereich der Tätigkeit eines Stuckateurs ausgeübt. Auch haben
die erbrachten Leistungen nicht dem Entgelt entsprochen. Letztendlich hat auch der Bevollmächtige mit Schriftsatz vom 08.01.2019
darauf hingewiesen, dass der Kläger nur für leichteste Tätigkeiten eingesetzt wurde, wie z.B. Abklebearbeiten, Anbringen von
Eckschienen und Profilen, Grundierungsarbeiten, Ziehen von Acrylfugen, Erstellen von Aufmaßen, Liefertätigkeiten und überhaupt
leichteste Stuckateurarbeiten.
Aufgrund der Einordnung des Klägers als sog. einfacher Angelernter ist die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit
nicht erforderlich und der Kläger ist sozial zumutbar auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen. Diese sind nach den überzeugenden
Gutachten von Dr. W., Dr. H. und Dr. L. auch dem Kläger gesundheitlich zumutbar.
Nach alledem sind der Bescheid der Beklagten vom 06.10.2016 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11.11.2016 und der Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.11.2017 nicht zu beanstanden, so dass die Berufung als unbegründet zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Nrn. 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.