Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren; Entstehung der Verfahrensgebühr auch bei Auslösung einer Termins-
und Einigungsgebühr
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um die Höhe der Verfahrensgebühr, die dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung
aus der Staatskasse zusteht.
Der Beschwerdeführer erhob für seine Mandantin am 08.08.2008 Klage zum Sozialgericht Bayreuth gegen Bescheide der Arbeitsagentur
Stadt A-Stadt mit dem Ziel der Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf den Bedarf der Kinder und der Gewährung von höheren
Kosten der Unterkunft (S 4 AS 998/08) und legte zugleich die am 30.06.2008 unterzeichnete Prozessvollmacht der Klägerin vor. Am 05.09.2008 begründete er die Klage
und stellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung. Am 18.09.2008 reichte er die Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein, am 18.03.2009 legte er unaufgefordert eine aktualisierte Erklärung über
die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Nach Terminierung eines Erörterungstermins für den 30.06.2009 forderte
das Gericht mit Schreiben vom 25.05.2009 und 12.06.2009 ergänzende Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Ehemanns
an, die am 29.06.2009 bei Gericht eingingen. Im Termin am 30.06.2009 wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung
unter Beiordnung des Beschwerdeführers bewilligt und das Klageverfahren nach 60minütiger Verhandlung durch Vergleich beendet.
Im Kostenpunkt verpflichtete sich die Beklagte, der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu einem Drittel zu
erstatten.
Mit Schriftsatz vom 09.07.2009 stellte der Beschwerdeführer Kostenfestsetzungsantrag. Die Vergütung für seine anwaltliche
Tätigkeit im Rahmen der Prozesskostenhilfe bezifferte er auf 494,67 Euro und legte dabei eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103
VV RVG in Höhe von 170 Euro zugrunde (außerdem: Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200 Euro, Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 190 Euro, Fahrtkosten Nr. 7003 VV RVG 21 Euro, Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG 10 Euro, Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20 Euro, Dokumentenpauschale für 120 Ablichtungen Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG 47,50 Euro, Anrechnung Beratungshilfe 35 Euro: netto 623,50 Euro, zzgl. 19 % MWSt 118,47 Euro: brutto 741,97 Euro; davon
zwei Drittel).
Die Kostenbeamtin setzte die aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren am 10.08.2009 auf 353,83 Euro fest:
Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG
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40,00 Euro
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Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG (antragsgemäß Mittelgebühr)
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200,00 Euro
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Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG (antragsgemäß Mittelgebühr)
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190,00 Euro
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abzüglich Beratungshilfe nach Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG zu 1/2
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- 35,00 Euro
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Reisekosten/Abwesenheitsgelder (antragsgemäß)
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31,00 Euro
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Auslagenpauschale, Nr. 7002 RVG (antragsgemäß)
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20,00 Euro
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Zwischensumme:
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446,00 Euro
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19% Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG
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84,74 Euro
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Rechtsanwaltsgebühren brutto
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530,74 Euro
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davon zwei Drittel laut gerichtlichem Vergleich:
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353,83 Euro
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Zur Kürzung der Verfahrensgebühr führte die Kostenbeamtin aus, dass diese sich zwar im gesetzlich gesteckten Gebührenrahmen
bewege, aber überhöht sei. Unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Bedeutung
der Angelegenheit für die Klägerin sei die Gebühr auf 40 Euro festzusetzen. Laut Beschluss des Sozialgerichts vom 30.06.2009
sei Prozesskostenhilfe erst ab 29.06.2009 bewilligt worden. Das Verfahren sei im Erörterungstermin am 30.06.2009 erledigt
worden. Insoweit erscheine der Ansatz der doppelten Mindestgebühr gerechtfertigt.
Mit der dagegen eingelegten Erinnerung beanstandete der Beschwerdeführer die Kürzung der Verfahrensgebühr auf 40 Euro. Der
Anwalt erhalte im Rahmen der Prozesskostenhilfe die volle gesetzliche Gebühr. Vor Bewilligung der Prozesskostenhilfe sei eine
umfangreiche Tätigkeit entfaltet worden (Anträge gestellt, Klageschrift gefertigt, Stellungnahmen zu den Schriftsätzen der
Gegenseite). Seine Tätigkeit in einem Termin löse eine Verfahrensgebühr aus, die hier als Mittelgebühr anzusetzen sei.
Mit Beschluss vom 24.09.2009 hat das Sozialgericht Bayreuth die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen und die Beschwerde
zugelassen. Der beigeordnete Rechtsanwalt könne über Prozesskostenhilfe sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, dies
sich aus seiner Tätigkeit (erst) ab 29.06.2009 ergeben. Prozesskostenhilfe sei nach dem eindeutigen Beschluss des Hauptsachegerichts
erst ab 29.06.2009 bewilligt. Die Verfahrensgebühr sei nach Ziffer 3103 VV RVG zu bemessen, da der Erinnerungsführer die Klägerin bereits im Widerspruchsverfahren vertreten habe. Die Gebühr bewege sich
damit in einem Rahmen zwischen 20 Euro und 320 Euro, die Mittelgebühr betrage 170 Euro. Die Voraussetzungen für die Mittelgebühr
seien aber nicht gegeben. Für das gesamte Gerichtsverfahren möge durchaus der Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt sein.
Die hier im Wege der Prozesskostenhilfe verlangte Zahlung in Höhe der Mittelgebühr sei jedoch eindeutig nicht gerechtfertigt.
Das Ausmaß der für die Bemessung der Verfahrensgebühr ab 29.06.2009 relevanten anwaltlichen Tätigkeit erreiche prozesskostenhilferechtlich
die durchschnittlich in sozialgerichtlichen Verfahren übliche Aktivität bei weitem nicht. Bei dem im Rahmen der Prozesskostenhilfe
zu berücksichtigenden fiktiven Eintritt des Erinnerungsführers ins Verfahren am 29.06.2009 sei die Klage bereits anhängig
und ausführlich begründet und die abzugebenden Erklärungen und Informationen dem Gericht bereits vorgelegt gewesen. Der Erinnerungsführer
habe "im Verfahren" ab seiner Beiordnung nur noch das Protokoll in Empfang genommen. Die Teilnahme am Termin und auch der
Abschluss des Vergleichs seien anderweitig über die Termins- und Einigungsgebühr bereits berücksichtigt worden. Eine Doppelberücksichtigung
der Terminswahrnehmung auch bei der Verfahrensgebühr sei nicht zulässig. Die Dauer des Verfahrens habe ab Wirksamwerden der
Prozesskostenhilfebewilligung und der Beiordnung des Erinnerungsführers bis zum Abschluss des Vergleichs am Folgetag nur Stunden
betragen. Somit sei die Verfahrensgebühr auf der Basis eines ganz geringen Falles festzusetzen. Eine Gebühr von 40 Euro sei
angemessen, aber auch ausreichend.
Mit der am 29.09.2009 eingelegten Beschwerde wird weiterhin die Festsetzung der Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr
verlangt. Richtig sei zwar, dass die Tätigkeit des beigeordneten Anwalts einen Anspruch gegen die Staatskasse nur für Tätigkeiten
nach dem Wirksamwerden der Beiordnung begründe. Allerdings begründe jede Tätigkeit nach Wirksamwerden der Beiordnung und Auftragserteilung
den Anspruch auf eine Verfahrensgebühr aus der Staatskasse. Unschädlich sei, dass der Gebührentatbestand auch schon vor der
Beiordnung verwirklicht worden sei, wenn er nach der Beiordnung erneut verwirklicht werde. Nur bei Fehlen einer weiteren Tätigkeit
nach der Beiordnung entfalle ein Anspruch gegen die Staatskasse. So sei es hier aber nicht. Es reiche aus, wenn der Anwalt
einen Termin in der Hauptsache wahrnehme. Die Verfahrensgebühr könne im Verlauf eines Rechtsstreits mehrfach vom Rechtsanwalt
ausgelöst werden, sie könne dann aber nur einmal geltend gemacht werden. Ein Abweichen von der Mittelgebühr nach unten sei
hier nicht gerechtfertigt sei.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 24.09.2009 und den Festsetzungsbeschluss vom 10.08.2009 aufzuheben und über
die festgesetzten Kosten hinaus die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr zuzüglich gesetzlicher Auslagen und Mehrwertsteuer
zu erstatten.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Für die Zeit vor Antragstellung könne Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden. Dies habe auf die Bemessung der Verfahrensgebühr
keine unerheblichen Auswirkungen, da eine Vergütung nur für Tätigkeiten erfolgen könne, die nach dem Wirksamwerden der Beiordnung
erfolgten. Wenn die Höhe der Verfahrensgebühr nicht auch abhängig wäre vom Zeitpunkt der Prozesskostenhilfebewilligung, dann
mache die Nennung eines Beiordnungszeitpunktes im Bewilligungsbeschluss keinen Sinn. Der Zeitpunkt der Antragstellung würde
dann keinerlei Rolle mehr spielen. Bei der Vergütung durch die Staatskasse sei deshalb nicht die Gesamttätigkeit des Rechtsanwalts,
sondern nur seine Tätigkeit ab dem Zeitpunkt der Beiordnung, also dem 29.06.2009, zu berücksichtigen. Nur für den Zeitpunkt
ab wirksamer Beiordnung ersetze die Staatskasse den Kläger als Auftraggeber des Rechtsanwalts. Zu unterscheiden sei zwischen
den Rechtsanwaltskosten, die der Kläger als Auftraggeber dem Rechtsanwalt schulde, und zwar bis zum Zeitpunkt der Prozesskostenhilfebewilligung
nebst Beiordnung, und den ab diesem Zeitpunkt zusätzlichen und gebührenrechtlich relevanten Rechtsanwaltstätigkeiten, für
die ja nunmehr und allein die Staatskasse die Gebührenschuld übernehme. Hierfür dürfe der Rechtsanwalt nach §
122 Abs.
1 Nr.
1b und Nr.
3 ZPO absolut nichts mehr vom Kläger verlangen. Im Zeitraum seit der Beiordnung sei von einem stark unterdurchschnittlichen Umfang
der anwaltlichen Tätigkeit auszugehen. Bei einem Kostenfestsetzungsantrag gegenüber der Beklagten würde dem Beschwerdeführer
demgegenüber die Mittelgebühr zustehen.
Der Senat hat den Beteiligten mit Schreiben vom 12.04.2010 Hinweise zur Einschätzung der Rechtslage und Gelegenheit zur Äußerung
gegeben. Gleichzeitig wurde darüber informiert, dass das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen
wird.
II. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere auch statthaft, nachdem das Sozialgericht Bayreuth die Beschwerde im angefochtenen
Beschluss zugelassen hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG).
Die Beschwerde ist begründet. Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf Erstattung der Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr
(170 Euro), so dass sich sein Vergütungsanspruch auf insgesamt 456,96 Euro beläuft (576,00 Euro netto zzgl. 19 % MWSt 109,44
Euro = 685,44 Euro brutto, davon laut Vergleich zwei Drittel). Über den am 10.08.2009 festgesetzten Betrag hinaus sind dem
Beschwerdeführer aus der Staatskasse also weitere 103,13 Euro zu leisten (Differenz zwischen 456,96 Euro und 353,83 Euro).
Der Anspruch des Beschwerdeführers gegen die Staatskasse auf Vergütung der Verfahrensgebühr ergibt sich aus §§ 45 Abs. 1, 48 Abs. 1, 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 3103 VV RVG. Der Beschwerdeführer kann nach diesen Vorschriften die Gebühren und Auslagen verlangen, die sich aus seiner Tätigkeit seit
Wirksamwerden der Beiordnung am 29.06.2009, dem im Prozesskostenhilfebewilligungs- und Beiordnungsbeschluss vom 30.06.2009
bezeichneten Zeitpunkt, ergeben. Die Verfahrensgebühr ist nach dem 29.06.2009 dadurch ausgelöst worden, dass der Beschwerdeführer
den Gerichtstermin am 30.06.2009 wahrgenommen und beim verfahrensbeendenden Vergleichsabschluss mitgewirkt hat. Denn die Verfahrensgebühr
entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG) und damit bei jeder Tätigkeit, die der Rechtsanwalt aufgrund des Prozessführungsauftrags vornimmt. Der Umstand, dass die
anwaltliche Tätigkeit im Termin am 30.06.2009 auch die Terminsgebühr und die Einigungsgebühr ausgelöst hat, hindert die Entstehung
der Verfahrensgebühr nicht. Die Vorbemerkung 3 VV RVG enthält zwar verschiedene Anrechnungsregeln, beispielsweise auch für das Zusammentreffen der Verfahrensgebühr mit der Geschäftsgebühr,
eine Anrechnung im Verhältnis Verfahrensgebühr einerseits und Terminsgebühr und Einigungsgebühr andererseits ist aber nicht
vorgesehen.
Dem Anspruch auf Vergütung der Verfahrensgebühr aus der Staatskasse steht nicht entgegen, dass diese Gebühr schon mehrfach
vor dem Wirksamwerden der Beiordnung am 29.06.2009 entstanden ist, nachdem der Beschwerdeführer das Klageverfahren zunächst
als Wahlanwalt geführt und dabei verschiedene anwaltliche Tätigkeiten entfaltet hat (Klageeinreichung, Klagebegründung, weitere
Schriftsätze). Denn auch bei erneuter gebührenauslösender Tätigkeit des beigeordneten Rechtsanwalts nach dem Wirksamwerden
der Beiordnung entsteht der Vergütungsanspruch gemäß §§ 45, 48 RVG (Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 48 RVG, Rn. 89, 91; Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2010, § 48 Rn. 104; OLG Oldenburg vom 12.02.2007, 6 W 165/06; LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.09.2008, L 19 B 21/08 AS; FG Düsseldorf vom 28.01.2008, 14 Ko 3929/07 KF; FG Düsseldorf vom 01.07.2008, 18 Ko 382/08 KF). Zu Unrecht wendet der
Beschwerdegegner ein, dass dann der Zeitpunkt der Antragstellung keine Rolle spielen und die Nennung eines Beiordnungszeitpunkts
im Prozesskostenhilfebewilligungsbeschluss keinen Sinn machen würde. Der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Beiordnung muss
bekannt sein um prüfen zu können, ob nach diesem Zeitpunkt eine gebührenauslösende Tätigkeit feststellbar ist. In den meisten
Fällen werden die Voraussetzungen für die Verfahrensgebühr vorliegen, auch wenn die Beiordnung erst in einem späten Stadium
des Prozesses wirksam wird. Wenn aber eine gebührenauslösende Tätigkeit nach dem Wirksamwerden der Beiordnung nicht festgestellt
werden kann, fällt eine Verfahrensgebühr zu Lasten der Staatskasse überhaupt nicht an, auch nicht in geringem Umfang.
Der Senat sieht keine Veranlassung, die vom Beschwerdeführer bestimmte Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr für unbillig
und nicht verbindlich anzusehen. Wie beantragt ist die Mittelgebühr in Höhe von 170 Euro festzusetzen, bei einem nach Nr.
3103 VV RVG gegebenem Gebührenrahmen von 20 Euro bis 320 Euro. Bei Betragsrahmengebühren im Sinn des § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit
der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers
nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht
verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Sätze 1 und 4 RVG). Um Streit über die billige Gebühr nach Möglichkeit zu vermeiden, hat der Gesetzgeber dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs-
und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist. Nach überwiegender Auffassung wird ihm bei der Bestimmung der billigen Gebühr ein gewisser
Spielraum zugestanden, wobei Abweichungen von bis zu 20 % im Allgemeinen noch als verbindlich angesehen werden. Für "Normalfälle"
bzw. "Durchschnittsfälle", in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt,
ist die Mittelgebühr zugrunde zu legen (zum Ganzen Gerold/Schmidt, aaO. § 14 Rn. 4 ff., 10 ff.; Hartmann, aaO. § 14 RVG, Rn. 14 ff., 23 f.; BSG vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R; vgl. auch Strassfeld, NZS 2010, S. 253, 254 f.). Der Senat ordnet das Hauptsacheverfahren als Normalfall ein. Dies wird vom Beschwerdegegner, der für den Fall eines
Kostenfestsetzungsantrags gegenüber der Beklagten die Mittelgebühr für gerechtfertigt hält, offenbar genauso gesehen und entspricht
auch der Einschätzung des Sozialgerichts Bayreuth, das im angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, dass für das gesamte Gerichtsverfahren
durchaus der Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt sein möge. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit waren von
durchschnittlicher Art. Bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist zwar normalerweise von unterdurchschnittlichen
Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen, denen jedoch regelmäßig eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit
gegenübersteht (BSG vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, Leitsatz Nr. 3).
Die in der Kostenfestsetzung vom 10.08.2009 erfolgte Kürzung der Verfahrensgebühr auf 40 Euro mit der Begründung, dass die
Prozesskostenhilfebewilligung und die Beiordnung erst ab 29.06.2009 wirken, ist nicht zulässig (so aber LSG Schleswig-Holstein
vom 17.07.2008, L 1 B 127/08 SK). Denn das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bietet keine Grundlage für eine Betrachtungsweise, die auf eine Quotelung der Gebühr hinauslaufen würde. Insbesondere lässt
sich eine solche Kürzung nicht darauf stützen, dass bei der Abwägung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit
ist der im gesamten Verfahren aufgewendete Arbeits- und Zeitaufwand zu würdigen, nicht nur der Arbeits- und Zeitaufwand nach
dem Wirksamwerden der Beiordnung (LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.09.2008, L 19 B 21/08 AS, juris Rn. 29; OLG Oldenburg, 12.02.2007, 6 W 165/06; im Ergebnis auch LSG Thüringen vom 06.03.2008, L 6 B 198/07 SF).
Maßgeblich fällt dabei ins Gewicht, dass das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz aus Gründen der Kostengerechtigkeit und der Vereinfachung vom Grundsatz der Pauschgebühr beherrscht wird. Nach § 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit. Der Rechtsanwalt
wird also nicht für einzelne Tätigkeiten vergütet, sondern erhält Pauschgebühren. Die Gebühren entstehen durch jede weitere
Erfüllung des Gebührentatbestands erneut, wobei der Anwalt die Gebühren im gerichtlichen Verfahren in jedem Rechtszug nur
einmal fordern kann (vgl. § 15 Abs. 2 RVG; dazu Gerold/Schmidt, aaO. § 15 Rn. 2; Hartmann, aaO. § 15 RVG Rn. 1, 4, 5, VV 3100 Rn. 11, 13 a.E.). Mit dieser Systematik unvereinbar ist eine Handhabung, die mit einer Auflistung der
einzelnen anwaltlichen Tätigkeiten vor und nach der Beiordnung einhergeht, um dann den Umfang einer Kürzung der Verfahrensgebühr
abhängig vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Beiordnung zu bestimmen.
Gegen eine Kürzung der Verfahrensgebühr abhängig vom Beiordnungszeitpunkt spricht auch die Regelung des §
122 Abs.
1 Nr.
3 ZPO (i.V.m. §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG). Danach bewirkt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, dass die beigeordneten Rechtsanwälte Ansprüche auf Vergütung gegen
die Partei nicht geltend machen können. Die Forderungssperre gegenüber dem Mandanten gilt für alle nach der Beiordnung verwirklichten
Gebührentatbestände, auch wenn diese bereits vor der Beiordnung erfüllt waren (BGH vom 21.02.2008, I ZR 142/06; OLG Oldenburg vom 12.02.2007, 6 W 165/06; OLG München vom 21.09.1990, 11 W 2427/90; FG Düsseldorf vom 28.01.2008, 14 Ko 3929/07 KF; Thomas/Putzo,
Zivilprozessordnung, 31. Auflage 2010, §
122 Rn. 3; Zöller,
Zivilprozessordnung, 28. Aufl. 2010, §
122 Rn. 11; Münchner Kommentar zur
ZPO, 2. Aufl. 2000, §
122 Rn. 17). Da die zugunsten der bedürftigen Partei wirkende Forderungssperre zwingendes Recht ist, hätte die in der angefochtenen
Kostenfestsetzung vorgenommene Kürzung die nicht akzeptable Folge, dass der Rechtsanwalt einen Gebührenausfall hinnehmen muss,
der wie dargelegt nicht gerechtfertigt ist.
Diese Entscheidung trifft der Kostensenat des Bayerischen Landessozialgerichts nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung
(§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).