Tatbestand:
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache noch um den Zeitpunkt des Inkraftsetzens eines Schiedsstellenspruchs der A. - Sozialhilfe
gemäß § 77 Abs. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Ursprünglich ging der Streit auch um die Höhe der Festsetzung
von Vergütungen nach den §§ 75 ff SGB XII für die Werkstätten N. (Töpferei), S. und G. der Beklagten.
Die Klägerin betreibt in B-Stadt drei Werkstätten mit insgesamt sieben Standorten, in denen Menschen mit geistiger Behinderung
betreut werden. Dabei umfasst der G. 70 Plätze, die Werkstatt N. 156 Plätze und die Werkstatt S. 304 Plätze.
Die Beteiligten schlossen zuletzt für diese drei Werkstätten seit dem 01.01.2004 geltende Vergütungsvereinbarungen. Im Juli
2007 nahmen die Beteiligten Verhandlungen über neue Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen auf und schlossen mit Wirkung
vom 01.01.2009 neue Leistungsvereinbarungen. Die Vergütungsverhandlungen scheiterten daran, dass die Kalkulationen von Klägerin
und Beklagtem teilweise differierten.
Mit Schriftsätzen vom 30.07.2009 bzw. 05.08.2009 beantragten die Beteiligten die Festsetzung der Vergütung durch die A. -
Sozialhilfe gemäß ihrer jeweiligen Berechnungen, die Klägerin für die Zeit ab dem 01.02.2009, der Beklagte für die Zeit ab
dem 01.08.2009.
Während des Schiedsstellenverfahrens erzielten die Beteiligten eine Einigung hinsichtlich der beim Sachaufwand zu berücksichtigenden
Kosten.
Die Schiedsstelle setzte mit Beschluss vom 01.12.2009 ab 01.08.2009 bis 31.01.2010 die Vergütungen kalendertäglich und pro
Platz wie folgt fest:
G.:
MP HBG 1
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20,11 EUR
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MP HBG 2
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37,25 EUR
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Grundpauschale
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9,18 EUR
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N.:
MP HBG 1
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19,82 EUR
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MP HBG 2
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38,62 EUR
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Grundpauschale
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8,88 EUR
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S.:
MP HBG 1
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19,87 EUR
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MP HBG 2
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37,52 EUR
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Grundpauschale
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8,14 EUR
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Zur Begründung führte die Schiedsstelle unter anderem aus, die Schiedsstelle habe die Festsetzung nur für den Zeitraum vom
01.08.2009 bis 31.01.2010 getroffen, weil nach § 77 Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB XII eine Festsetzung der Vergütung vor dem Tag,
an dem der Antrag bei der Schiedsstelle eingegangen sei, nicht zulässig sei. Die Schiedsstelle führe in ständiger Praxis zunächst
einen sogenannten internen Vergleich durch. Dabei überprüfe sie die Posten in der vom Beklagten vorzulegenden prospektiven
Kalkulation, die zwischen den Beteiligten strittig seien, an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit
sowie daran, ob und inwieweit der in den einzelnen strittigen Kalkulationsposten eingestellte Aufwand notwendig sei, damit
der Einrichtungsträger die vereinbarte Leistung erbringen kann.
Mit Schriftsatz vom 29.12.2009 hat die Klägerin Klage zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben und die auf Aufhebung
des Schiedsspruches vom 01.12.2009 und auf Festsetzung der Vergütungen entsprechend dem Antrag der Klägerin im Schiedsstellenverfahren
gerichtete Klage damit begründet, dass die Entscheidung der Schiedsstelle vom 01.12.2009 im Hinblick auf den Tag der Inkraftsetzung
rechtswidrig sei. Die Verschiebung vom 01.02.2009 auf den 01.08.2009 bedeute Mindereinnahmen von 250.000,00 EUR. Im Übrigen
habe die Schiedsstelle materiell rechtsfehlerhaft den so genannten externen Vergleich mit anderen Einrichtungen durchgeführt
und im internen Vergleich wirtschaftliche Personalaufwendungen für die Leitung nicht berücksichtigt.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 29.12.2009 (Eingang beim LSG am 04.01.2010) ebenfalls Klage gegen den Beschluss der Schiedsstelle
vom 01.12.2009 erhoben und beantragt, den Schiedsstellenanspruch aufzuheben, soweit dieser die Grundpauschale für die Werkstatt
N. auf 8,08 EUR und die Grundpauschale für die Werkstatt S. auf 7,81 EUR festsetzt. Die Schiedsstelle habe die im externen
Vergleich anzusetzenden Obergrenzen verschoben, indem sie eine Kostenanpassung durch den Beklagten mit einbezogen habe. Sie
orientiere sich damit am zufälligen Ergebnis der Grundpauschale G ... Dieses sei zustande gekommen, da bestimmte Kostenpositionen
von der Größe abhängig seien. Da der G. wesentlich weniger Plätze aufweise, sei es ermessensfehlerhaft, diesen Betrag auf
die anderen Betriebe zu übertragen.
In der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2012 haben die Beteiligten einen Teil-Vergleich abgeschlossen und die Vergütungen
ab dem 01.08.2009 klaglos gestellt.
Die Klägerin beantragt,
den Schiedsspruch der A. -Sozialhilfe- vom 01.12.2009 aufzuheben, soweit die Vergütung erst ab dem 01.08.2009 und nicht bereits
ab dem 01.02.2009 festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage der Klägerin abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte des LSG sowie auf die vorgelegten Akten der Schiedsstelle - Sozialhilfe-
Bayern verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Nach dem Abschluss des Teilvergleichs vom 03.05.2012 ist die Entscheidung der A. vom 19.11.2009 lediglich noch hinsichtlich
des Datums ihres Inkraftsetzens streitbefangen. Die insoweit von der Werkstatt für Behinderte erhobene Klage ist zulässig,
aber nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung der A. vom 19.11.2009 ist nicht zu beanstanden.
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig (BayLSG, Urteil vom 24.11.2011, L 8 SO 223/09 KL).
Für die Klage ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. Nach §
77 Abs.
1 S. 3 und 4 SGB XII, 51 Abs.
1 Nr. 6a
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist gegen Entscheidungen der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Die Beteiligten wenden sich auch gegen eine solche Entscheidung einer
Schiedsstelle, den Beschluss der A. vom 19.11.2009.
Für die vor dem LSG gegen diese Entscheidung der Schiedsstelle erhobene Klage ist das Gericht auch nach §
29 Abs.
2 Nr.
1 SGG im ersten Rechtszug zuständig.
Die Klage richtet sich - § 77 Abs. 1 S. 5 SGB XII entsprechend - gegen den jeweiligen Vertragspartner der Kläger. Nach § 77
Abs. 1 S. 6 SGB XII war auch vor Klageerhebung keine Nachprüfung der Entscheidung der Schiedsstelle in einem Vorverfahren
notwendig. Die Klägerin hat die Anfechtungsklage auch form- und fristgerecht erhoben.
Der angefochtene Beschluss der A. stellt einen vertragsgestaltenden Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar. Nach § 31 Abs. 1 SGB X ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles
auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Der Beschluss
der A. vom 19.11.2009 erfüllt alle Merkmale eines Verwaltungsaktes, insbesondere stellen die nach §§ 80, 81 SGB XII zu bildenden Schiedsstellen Behörden im Sinne von § 1 Abs. 2 SGB X dar, die hoheitliche Maßnahmen treffen (BayLSG, aaO., juris-RdNr. 46 m.w.N.).
Die Entscheidungen der Schiedsstellen sind gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar; die statthafte Klageart ist die reine
Anfechtungsklage (vgl. BayLSG, aaO., juris-Rdnr. 58; aA: jurisPK-SGB XII (Jaritz/Eicher), 1. Auflage 2010, 20.03.2012, Rdnr.
68: kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage).
2. Die auf die noch streitbefangene Frage des Inkrafttretens beschränkte gerichtliche Überprüfung, ob die Schiedsstelle die
widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien ermittelt hat, sie alle für die Abwägung erforderlichen tatsächlichen Erkenntnisse
gewonnen hat und die Abwägung frei von Einseitigkeiten in einem fairen und willkürfreien Verfahren, inhaltlich orientiert
an den materiellen Vorgaben des Entgeltvereinbarungsrechts, vorgenommen wurde, ergibt, dass im Schiedsstellenspruch vom 01.12.2009
der Zeitpunkt des Inkrafttretens ohne Rechtsfehler auf den 01.08.2009 festgesetzt wurde.
§ 77 Abs. 2 SGB XII bestimmt, dass Festsetzungen der Schiedsstelle zu dem darin bestimmten Zeitpunkt in Kraft treten (§ 77
Abs. 2 S.1 SGB XII), wobei eine Festsetzung auf einen Zeitpunkt vor dem Tag des Eingangs des Antrags bei der Schiedsstelle
unzulässig ist (§ 77 Abs. 2 S. 3 SGB XII). Der Antrag der Klägerin auf Festsetzung der Vergütung für die Werkstatt für Behinderte
GmbH ist am 30.07.2009 bei der Schiedsstelle eingegangen. Es ist daher bei Anwendung der gesetzlichen Regelung und Beachtung
des oben dargestellten Prüfungsrahmens nicht zu beanstanden, dass die Schiedsstelle den Schiedsspruch zum 01.08.2009 in Kraft
gesetzt hat.
Der Senat kann der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28.10.2008, B 8 SO 22/07 R) und des BVerwG
(Urteil vom 04.08.2006, BVerwGE 126, 295) keinen Rechtssatz entnehmen, der es als allein rechtmäßig erscheinen ließe, den Schiedsspruch zu einem früheren Zeitpunkt
in Kraft zu setzen. Die zitierte Rechtsprechung von BSG und BVerwG befasst sich mit einer gänzlich anderen Fallkonstellation;
dort ging es nämlich jeweils um die Frage, ob ein Einrichtungsträger gegen den Sozialhilfeträger einen Anspruch auf Übernahme
der Heimkosten in bestimmter Höhe nach § 93 Abs. 2 BSHG bzw. § 75 Abs. 3 SGB XII hat, obwohl zwar Verhandlungen über eine Vergütungsvereinbarungen liefen, aber eine solche Vereinbarung noch nicht
in Kraft gesetzt worden war. Das BSG hat auch in jener Fallkonstellation auf den Grundsatz der Weitergeltung bisheriger Regelungen
gemäß § 77 Abs. 2 S. 4 SGB XII verwiesen (Vgl. BSG, aaO., juris-RdNr. 29) und weiter - in Übereinstimmung mit der oben dargelegten
gesetzlichen Regelung - ausgeführt, dass der Grundsatz der Prospektivität der Vertragsverhandlungen einer rückwirkenden Inkraftsetzung
der Vereinbarung nicht entgegensteht. Den Ausführungen des BSG und auch des BVerwG in der Entscheidung, auf die das BSG Bezug
nimmt, vermag der Senat allerdings keinen Hinweis darauf zu entnehmen, dass damit der Zeitpunkt des Inkraftsetzens vor Anrufen
der Schiedsstelle liegen kann. Ohnehin verfolgt die Rechtssprechung von BSG und BVerwG in diesem Zusammenhang lediglich das
Ziel, dem Vorrang der Sozialhilfegewährung auf der Grundlage von Vereinbarungen effektiv Geltung zu verschaffen (vgl. BVerwG,
aaO., juris-RdNr. 15). Dieses Prinzip ist aber im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten wegen der Weitergeltung
der Vereinbarungen von 2004 gewahrt, so dass für die Schiedsstelle weder die Möglichkeit (im Hinblick auf den Zeitraum vor
dem 30.07.2009) noch die Notwendigkeit bestand, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs vorzuverlegen.
Das Anfechtungsbegehren der Klägerin hat aber auch dann keinen Erfolg, wenn man mit Stimmen in Rechtsprechung (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen,
Urteil vom 24.05.2007, L 8 SO 136/06) und Literatur (vgl. jurisPK-SGB XII, aaO., RdNrn. 89, 90 zu § 77) der Schiedsstelle
die grundsätzliche Möglichkeit einräumen würde, den von ihr festgesetzten Inhalt auf den 6 Wochen nach dem Beginn der Vertragsverhandlungen
liegenden Zeitpunkt zurückzudatieren, da es im Hinblick auf die eingangs dargestellte Einschätzungsprärogative der Schiedsstelle
rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass diese den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruches an der gesetzlichen Regelung
des § 77 Abs. 2 S. 3 SGB XII ausgerichtet hat. Abwägungsfehler sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegen keine Umstände
vor, die im konkreten Fall für ein früheres Inkrafttreten gesprochen hätten. Umgekehrt wird die Klägerin durch die Entscheidung
der Schiedsstelle schon deshalb nicht unangemessen benachteiligt, weil sie es selbst in der Hand gehabt hätte, die Schiedsstelle
sofort nach Ablauf der 6-Wochen-Frist des § 77 Abs. 1 S. 3 SGB XII anzurufen und damit die nunmehr geklagten wirtschaftlichen
Nachteile abzuwenden.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§
197 a Abs.
1 SGG,
154 Abs.
1,
155 Abs.
2 VwGO und berücksichtigt das Unterliegen der Klägerin mit ihrem nach Rücknahme im Teilvergleich noch verbliebenen Klageantrag.
4. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§
160 Abs.
2 SGG)