Verurteilung des Grundsicherungsträgers im sozialgerichtlichen Verfahren nach Beiladung wegen bereits bindender Ablehnung
des Leistungsanspruchs, keine Abgabe an das nächst höhere Gericht nach § 181 SGG
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Frage, welcher Sozialleistungsträger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den
Aufenthalt des Klägers im G. in Hannover erbringen muss. Streitig ist der Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005.
Der im April 1963 geborene Kläger gehörte zum Personenkreis, dem Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten
zu gewähren war. Nach einem Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hannover wurde der Kläger im März 2003 im Werkheim
in der H. in Hannover stationär aufgenommen; Leistungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach
§ 72 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wurden gewährt, ebenso Hilfe zum Lebensunterhalt. Nach einem weiteren Aufenthalt vom 15. Februar bis 21. April 2005 in der
JVA Hannover wurde der Kläger wiederum stationär im Werkheim aufgenommen und erhielt entsprechende Sozialhilfeleistungen nach
dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch Sozialhilfe (SGB XII). Zum 8. Juni 2005 fand im gegenseitigen Einvernehmen ein Umzug in
das G. (Sozialpädagogisch betreutes Wohnen) statt. Der Kläger wurde dort stationär betreut, Leistungen nach § 67 SGB XII wurden
von der Beklagten bewilligt. Leistungen zum Lebensunterhalt nach den §§ 19, 35 SGB XII wurden abgelehnt, weil dem Kläger Arbeitslosengeld
II (Alg II) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zustünde (Bescheid vom 20. Juni
2005 für die Zeit ab 8. Juni 2005). Die Zeit ab 1. Juli 2005 wurde geregelt durch Bescheid vom 24. Juni 2005, Leistungen nach
§§ 19, 35 SGB XII wurden wiederum abgelehnt, weil der Kläger anspruchsberechtigt nach dem SGB II sei. Der Bescheid erfasst
die Zeit bis zum 31. Dezember 2005; ab 1. Januar 2006 bewilligte die Beklagte Leistungen zum Lebensunterhalt an den Kläger.
Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Juni 2005 wurde nicht eingelegt.
Anträge auf Gewährung von Alg II bei der Beigeladenen blieben erfolglos (Bescheide vom 1. Februar und 12. Mai 2005). Ein erneuter
Antrag im Hinblick auf den Aufenthalt im I. nach den negativen Sozialhilfebescheiden wurde mit Bescheid vom 27. Oktober 2005
abgelehnt. Gemäß § 7 Abs 4 SGB II erhalte Leistungen nach dem SGB II nicht, wer für länger als 6 Monate in einer stationären
Einrichtung untergebracht sei. Dies sei für den Kläger hinsichtlich der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer im I. der Fall.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2005 als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen erhobene
Klage (- S 50 AS 43/06 -) hat der Kläger nach einem negativen Prozesskostenhilfebeschluss zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 23. November 2005 stellte der Kläger einen Antrag gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) bei der Beklagten mit dem Ziel, den Verwaltungsakt vom 24. Juni 2005 abzuändern und ihm während seines Aufenthaltes in der
Einrichtung I. Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Leistungen nach dem SGB II stünden ihm nicht zu, ihm müsse daher Sozialhilfe
in der Form der Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden, §§ 19, 35 SGB XII. Mit als Verwaltungsakt zu deutendem Schreiben
vom 9. Dezember 2005 wies die Beklagte den Antrag gemäß § 44 SGB X, den sie als Widerspruch wertete, als unzulässig zurück, weil die Monatsfrist seit längerem verstrichen sei. In dem Widerspruch
wurde darauf hingewiesen, dass ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Juni 2005 nicht eingelegt, sondern ein Antrag gemäß
§ 44 SGB X gestellt worden sei. Dieser müsse erfolgreich sein, weil ihm dem Kläger Leistungen nach dem SGB II nicht zustünden. Mit Widerspruchsbescheid
vom 5. September 2006 zugegangen am 12. September 2006 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Regelung
des § 44 SGB X sei auf die Sozialhilfe nicht anzuwenden.
Das Sozialgericht (SG) Hannover (S 51 SO 793/05 ER) hatte in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Beklagte verpflichtet, dem Kläger vorläufig
ab dem 30. November 2005 Hilfe zum Lebensunterhalt zu bewilligen, solange er im I. in Hannover untergebracht ist. Der Kläger
hielt sich dort tatsächlich bis zum 27. Oktober 2006 auf und nahm anschließend Aufenthalt wiederum in der JVA Hannover. In
Haft befand er sich bis zum 11. Juni 2007. Im Anschluss daran erhielt er Alg II von der Beigeladenen und bezog eine eigene
Wohnung (ab 1. November 2007).
Der Kläger hat am 12. Oktober 2006 Klage beim SG Hannover mit dem Ziel erhoben, Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beklagten
für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 zu erhalten. Er habe sich in der stationären Einrichtung I. aufgehalten
und keinen Anspruch auf Alg II gehabt. Die begehrte Sozialhilfe stünde ihm somit zu. Die Beklagte hat sich auf die Begründung
ihres Widerspruchsbescheides bezogen. Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 24. April 2007 verpflichtet, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
§§ 19, 35 SGB XII für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 zu gewähren. Die Regelung des § 44 SGB X sei nunmehr auch im Bereich der Sozialhilfe anwendbar. Die Ablehnung der Sozialhilfe sei unrichtig gewesen, weil der Kläger
sich für mehr als 6 Monate in einer stationären Einrichtung aufgehalten habe, sodass ein Anspruch auf Alg II nicht vorgelegen
habe. Ihm sei daher Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Das Urteil wurde der Beklagten am 25. Mai 2007 zugestellt.
Die Beklagte hat am 20. Juni 2007 Berufung eingelegt. Sie trägt weiterhin vor, dass § 44 SGB X in dem Rechtsgebiet der Sozialhilfe nicht anwendbar sei. Aus der neueren Rechtsprechung des BSG ergäbe sich, dass der Einrichtungsbegriff
des § 7 Abs 4 SGB II anders als bislang zu bestimmen sei. Der Kläger hätte vom I. aus einer Erwerbstätigkeit nachgehen können,
sodass ihm Alg II zugestanden hätte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. April 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beigeladene zur Leistung zu verurteilen.
Er trägt vor, ihm könne nicht angelastet werden, dass zwischen den Sozialleistungsträgern unterschiedliche Ansichten über
ihre Zuständigkeiten bestanden hätten. Dies dürfe nicht zu seinen Lasten gehen, sodass ihm Leistungen für die fragliche Zeit
zustünden. Abgesehen davon habe er der Kläger in der fraglichen Zeit aufgrund seiner Alkoholproblematik einer Erwerbstätigkeit
nicht nachgehen können.
Die Beigeladene beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Die Beigeladene trägt vor, dass eine Abhilfe bereits deshalb nicht
in Betracht komme, weil der ablehnende Bescheid bindend geworden sei. Die neuere Rechtsprechung des BSG stamme von September
2007 und habe daher für die vorliegende streitige Zeit keine Relevanz. Auch erscheine es zweifelhaft, ob der Kläger im streitrelevanten
Zeitraum überhaupt erwerbsfähig gewesen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Der Berufungsbeschwerdewert des §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz SGG (Fassung bis 31. März 2008) von mehr als 500,00 EUR ist erreicht. Selbst wenn als Streitgegenstand nur der monatliche Barbetrag
von 89,70 EUR zugrunde gelegt wird, errechnet sich ein streitiger Betrag für die Monate Juli bis Dezember 2005 von 538,20
EUR. Die Berufung ist weiterhin in der Form und Frist des §
151 SGG eingelegt worden.
Die Berufung ist begründet. Der Kläger hat für die streitige Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 keinen Anspruch auf Gewährung
von Sozialhilfe gemäß §§ 19, 35 SGB XII gegen die Beklagte. Eine Verurteilung der Beigeladenen zur Gewährung des ihm stattdessen
zustehenden Alg II scheidet aus, weil die Beigeladene die Leistungsgewährung mit bindendem Bescheid abgelehnt hat; es ist
nicht zu prüfen, ob der Kläger Anspruch auf Rücknahme des Bescheides nach § 44 SGB X hat (vgl BSG, Urteil vom 13. August 1981 11 RA 56/80 SozR 1500 § 75 Nr 38; Urteil vom 4. Mai 1999 B 2 U 19/98 R SozR 3-2200 § 1150 Nr 2; Groß in Nomos-Kommentar zum
SGG, 3. Auflage 2009, §
75 Rdnr 15; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 9. Auflage 2008, §
75 Rdnr 18b). Eine Verurteilung der Beigeladenen nach §
181 SGG scheidet ebenfalls aus, weil diese kein Versicherungsträger iS dieser Vorschrift ist.
Der Kläger hat für die streitige Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 keinen Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe Hilfe
zum Lebensunterhalt gemäß §§ 19 Abs 1, 35 Abs 1 SGB XII. Dem Anspruch steht die Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII entgegen,
wonach Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind,
keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ausschlussnorm liegen vor.
Der Kläger hat in der fraglichen Zeit Anspruch auf Alg II gemäß § 19 SGB II. Denn der Kläger hatte das 15. Lebensjahr vollendet
und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, war erwerbsfähig und hilfebedürftig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt
in der Bundesrepublik Deutschland (erwerbsfähige Hilfebedürftige), § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II in der damaligen Fassung. Weder
die Ausschlussnorm des § 7 Abs 4 noch § 8 Abs 1 SGB II (jeweils in der damaligen Fassung) stehen dem Anspruch auf Gewährung
von Alg II entgegen.
Nach § 7 Abs 4 SGB II erhielt Leistungen nach dem SGB II nicht, wer für länger als 6 Monate in einer stationären Einrichtung
untergebracht oder Rente wegen Alters bezieht. Zur Auslegung dieser Vorschrift ist das Urteil des BSG (vom 6. September 2007
B 14/7b AS 16/07 R BSGE 99, Seite 88 = FEVS 59, Seite 305) heranzuziehen. Danach gilt Folgendes: Bei einem Aufenthalt in einer stationären
Einrichtung gemäß § 7 Abs 4 SGB II ist nicht allein eine prognostische Betrachtung über die Aufenthaltsdauer anzustellen.
Vielmehr ist festzustellen, ob trotz des Aufenthaltes in der Einrichtung objektiv eine Erwerbstätigkeit von mindestens 15
Stunden wöchentlich möglich gewesen ist, weil insofern von einem eigenständigen Begriff der Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB
II auszugehen ist
(Leitsatz des BSG: "Eine stationäre Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II liegt dann vor, wenn die objektive Struktur der Einrichtung
es nicht zulässt, dass ein Hilfebedürftiger 3 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nachgeht
(Abgrenzung zu BVerwG vom 24. Februar 1994 5 C 24/02 = BVerwGE 95, 149 = NDV 1994, 431)").
Das BSG hat mithin eine funktionale Auslegung des Einrichtungsbegriffs vorgenommen (vgl Spellbrink in Eicher/Spellbrink, Kommentar
zum SGB II, 2. Auflage 2008, § 7 Rdnr 62). Danach ist ein Leistungsausschluss nach dem SGB II nur dann gerechtfertigt, wenn
ein an sich Erwerbsfähiger in einer Einrichtung so untergebracht ist, dass er objektiv daneben nicht mehr erwerbstätig sein
kann. Es kommt also darauf an, ob aufgrund des Charakters, der Art, der Struktur und der Verfasstheit der Einrichtung objektiv
einer Erwerbstätigkeit unmöglich ist, wobei auf die objektive Struktur der Einrichtung abzustellen ist. Für einen SGB II-Anspruch
ist also erforderlich, dass die stationäre Einrichtung eine wöchentliche Arbeitszeit bzw Erwerbstätigkeit von 15 Stunden zulässt.
Daran kann hier kein Zweifel sein. Bei der Einrichtung I. handelt es sich um eine Einrichtung für den Personenkreis des §
67 SGB XII (Personen bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind). Ziel dieser Einrichtung
war die Heranführung dieses Personenkreises an ein eigenverantwortlich zu führendes Leben und gerade auch die Heranführungen
an und Vermittlung von Arbeit. Dem Gesamtplan und den Entwicklungsberichten des J. lässt sich keinerlei Anhalt dafür entnehmen,
wonach der Kläger strukturell derart in die Einrichtung eingebunden war, dass daneben die erforderliche Erwerbstätigkeit von
15 Stunden wöchentlich nicht möglich gewesen wäre (Gesamtplan vom 15. Juni 2005, Entwicklungsbericht vom 29. Dezember 2005
und vom 16. Juni 2006). Danach sollte dem Kläger durch Hilfestellung und Motivation Anlass für ein eigenverantwortlich selbstbestimmtes
Leben gegeben werden. Als Hilfeziele wurden ua angegeben: Motivation zur Teilnahme am kulturellen Leben und an Veranstaltungen,
Entwicklung eigener Perspektiven, Motivation zur Teilnahme an Gruppenveranstaltungen innerhalb der Einrichtung, Motivation
zur Teilnahme an Gruppenveranstaltungen außerhalb der Einrichtung, gegebenenfalls Reflektion des Gruppenverhaltens und gegebenenfalls
Integration in das Wohnumfeld. Es gab demnach keine Pflichtveranstaltungen in der Einrichtung, die dem Kläger eine wöchentliche
Erwerbstätigkeit von 15 Stunden nicht ermöglicht hätten. Mithin kann § 7 Abs 4 SGB II dem Anspruch auf Gewährung von Alg II
erfolgreich nicht entgegengehalten werden.
Weiterhin war der Kläger in der fraglichen Zeit erwerbsfähig iS des § 8 Abs 1 SGB II. Danach ist erwerbsfähig, wer nicht wegen
Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Durchgreifende Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsfähigkeit lassen
sich nicht feststellen. Die bekannte Alkoholproblematik des Klägers schloss seine Erwerbsfähigkeit gemäß § 8 Abs 1 SGB II
nicht aus. Dem Gesamtplan und dem Entwicklungsberichten lassen sich Anhaltspunkte für eine Erwerbsunfähigkeit wegen der Alkoholproblematik
nicht entnehmen. Zwar wird auf die Alkoholproblematik des Klägers eingegangen, jedoch nicht in der Weise, dass eine Erwerbstätigkeit
ausgeschlossen wäre. So heißt es im Gesamtplan zum Problembereich "Arbeit" zu den Hilfezielen: Beschaffung einer angemessenen
Arbeit, als Teilziele lassen sich beschreiben: Überprüfung der eigenen Fähigkeiten, Realisierung einer angemessenen Arbeitsperspektive,
Erlangung eines angemessenen Arbeitsplatzes und als Maßnahmen: Beratung und Motivation zu Arbeitsstellen, Gespräche betreffend
der Motivation des Klägers, sich eine geeignete Arbeitsstelle zu suchen, die laufend stattfinden und auch weiterhin nötig
sind, wobei derzeit (9. November 2005) die Ableistung einer gemeinnützigen Arbeit im Vordergrund steht. An keiner Stelle vom
Gesamtplan und Entwicklungsberichten wird problematisiert, dass eine Erwerbstätigkeit aufgrund der Alkoholproblematik ausgeschlossen
wäre. Dem widerspricht auch der Umstand, dass der Kläger tatsächlich eine Arbeit iS einer gemeinnützigen Tätigkeit geleistet
hat, wobei es wohl um gemeinnützige Arbeit als Geldstrafenableistung ging. Die im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 1.
Juli 2008 eingereichte Stellungnahme des I. es kann daran nichts ändern. Darin wurde mitgeteilt, dass der Kläger im streitigen
Zeitraum nicht habe arbeiten können, hauptsächlich aufgrund seiner massiven Alkoholproblematik und seiner mangelnden Verständigungsmöglichkeiten,
wobei abgestellt wird auf den Umstand, dass der Kläger Langzeitarbeitsloser war, völlig arbeitsentwöhnt und daher auf dem
Arbeitsmarkt keine Chance hätte. Dies belegt eine Erwerbsunfähigkeit iS des § 8 Abs 1 SGB II gerade nicht. Die Alkoholproblematik
und die Arbeitsentwöhnung mögen der Vermittlung in Arbeit sicherlich entgegenstehen. Doch zeigt dies, dass durch die persönlichen
Probleme des Klägers seine Vermittlung in Arbeit erschwert, jedoch keine Erwerbsunfähigkeit festgestellt werden kann. Gegen
Erwerbsunfähigkeit spricht weiterhin der Umstand, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung am 11. Juni 2007 Alg II von der
Beigeladenen bezieht. Das Problem "Erwerbsfähigkeit" ist mithin ohne Relevanz. Eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers für den
streitigen Zeitraum kann nicht festgestellt werden.
Im Übrigen bei Streit über die Erwerbsfähigkeit wäre die Beigeladene gemäß § 44a Abs 1 SGB II (vor) leistungspflichtig gewesen.
Mithin hat der Kläger Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, weil die leistungsausschließenden Voraussetzungen des § 7 Abs
4 SGB II nicht vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit gemäß § 8 Abs 1 SGB II zu bejahen war bzw § 44a Abs 1 SGB II eingreift.
Er hat daher Anspruch auf das Alg II gemäß § 19 SGB II für die streitige Zeit.
Dies müsste dazu führen, die Beigeladene zur Leistung zu verurteilen. Allerdings steht dem entgegen, dass der Bescheid vom
27. Oktober 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2005, der die Frage der Leistungsgewährung für die
Zeit seines Aufenthaltes in der Einrichtung I. regelt, bindend geworden ist, weil die Klage gegen diesen Bescheid zurückgenommen
wurde. Eine Verurteilung der Beigeladenen nach §
75 Abs
5 SGG scheidet aus, wenn sie bereits einen bindend gewordenen Bescheid erteilt hat; ob der Kläger einen Anspruch auf einen Zugunsten-
oder Rücknahmebescheid hat, ist nicht zu prüfen (siehe die obigen Zitate).
Eine Verurteilung der Beigeladenen hätte nur erfolgen können, wenn sie von sich aus den bindenden Bescheid vom 27. Oktober
2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2005 aufgehoben hätte, weil nunmehr feststeht, dass die Beigeladene
für die streitige Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 leistungspflichtig war. Die Beigeladene lehnt dies ab, weil sie davon
ausgeht, dass die Auswirkungen des BSG-Urteils vom 6. September 2007 (aaO.) nur für die Zukunft gelten. Die Beigeladene beruft
sich insoweit auf §§
40 Abs 1 Satz 2 Nr
1 SGB II, 330 Abs
1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch Arbeitsförderung (
SGB III). Durch §
40 Abs
2 Nr
1 SGB II wird die entsprechende Anwendbarkeit des §
330 Abse 1, 2, 3 Sätze 1 und 4
SGB III angeordnet. Die Vorschrift des §
330 Abs
1 SGB III bestimmt Folgendes:
"Liegen die in § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht
begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig
oder für unvereinbar mit dem
Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden ist, so ist der Verwaltungsakt,
wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab
dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen."
Der Kläger könnte nur erfolgreich sein, wenn er mit seinem Antrag nach § 44 SGB X durchdringt. Allerdings wäre ein entsprechender Antrag von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn die Rechtsansicht der
Beigeladenen zuträfe, dass auf die vorliegende Fallgestaltung die "Behördenschutznorm" des §
330 Abs
1 SGB III entsprechend anwendbar wäre. Insoweit wäre maßgeblich, ob durch das Urteil des BSG vom 6. September 2007 (aaO.) zum speziellen
Einrichtungsbegriff des SGB II eine ständige Rechtsprechung iS des §
330 Abs
1 SGB III begründet worden wäre. Doch ist diese Frage in diesem Verfahren nicht entscheidungserheblich (vgl zu Auslegung des Begriffs
"ständige Rechtsprechung" BSG, Urteil vom 29. Juni 2000 B 11 AL 99/99 R SozR 3-4100 § 152 Nr 10; Urteil vom 23. März 1995 11 RAr 71/94 SozR 3-4100 § 152 Nr 5 = NZS 1996, Seite 48; siehe auch kritisch zur Rechtsprechung des BSG Eicher in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage 2008, § 40
Rndrn 54ff). Selbst wenn die Rechtsansicht der Beigeladenen zuträfe, folgte daraus nicht im Umkehrschluss, dass die Beklagte
doch zur Leistung verpflichtet wäre. Denn die Zuständigkeit der Beigeladenen für die hier fragliche Zeit bleibt bestehen,
eine Zuständigkeit der Beklagten als Sozialhilfeträger wird durch §
330 Abs
1 SGB III nicht begründet. Die Regelung des §
330 Abs
1 SGB III führt lediglich zu einem Leistungsverweigerungsrecht der Beigeladenen trotz ihrer Zuständigkeit, weil dem Leistungsberechtigten
die ihm günstige Vorschrift des § 44 SGB X für die Zeit vor der Begründung der ständigen Rechtsprechung genommen wird.
Eine Verurteilung der Beigeladenen nach §
181 SGG scheidet ebenfalls aus. Diese Vorschrift lautet folgendermaßen:
"Will das Gericht die Klage gegen einen Versicherungsträger ablehnen, weil es einen anderen Versicherungsträger für leistungspflichtig
hält, obwohl dieser bereits den Anspruch endgültig abgelehnt hat oder in einem früheren Verfahren rechtskräftig befreit worden
ist, so verständigt es den anderen Versicherungsträger und das Gericht, das über den Anspruch rechtskräftig entschieden hat,
und gibt die Sache zur Entscheidung an das gemeinsam nächsthöhere Gericht ab. Im Übrigen gilt § 180 Abs 2 und Abs 4 und 5."
Danach ist die Verurteilung eines Versicherungsträgers möglich, auch wenn er den Anspruch bereits bindend abgelehnt hat, sodass
bei der vorliegenden Fallgestaltung die Verurteilung der Beigeladenen nach §
181 SGG grundsätzlich möglich wäre. Doch ist Voraussetzung die Entscheidung eines Versicherungsträgers. Die Beigeladene als Arbeitsgemeinschaft
ist jedoch kein Versicherungsträger, sondern ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eine Auslegung des Begriffs
"Versicherungsträger" dahin, dass davon auch Träger der Grundsicherung erfasst sind, ist ausgeschlossen. In §
75 Abs
5 SGG hat der Gesetzgeber neben Versicherungsträgern den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende und auch den Träger der Sozialhilfe
mit aufgenommen (durch Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006, BGBl I Seite 1706, Artikel 9 dadurch wurden die Wörter "Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Träger der Sozialhilfe" in §
75 Abs
2 und Abs
5 SGG eingefügt Inkrafttreten am 21. Juli 2006). Eine dementsprechende Änderung wurde in §
181 SGG nicht vorgenommen. Offenbar entspricht es weiterhin dem Willen des Gesetzgebers, dass §
181 SGG nur Versicherungsträger erfasst und nicht Träger der Grundsicherung und Träger der Sozialhilfe.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Da der Kläger unterliegt, trägt er seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Gerichtskosten werden in Sozialhilfeverfahren dieser Art gemäß §
183 SGG nicht erhoben.
Die Revision bedarf der Zulassung (§
160 SGG). Diese ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von höchstrichterlichen
Entscheidungen abweicht.