Anspruch auf Sozialhilfe; Erstattungsanspruch nach § 107 Abs. 1 BSHG bei Ortswechsel eines Sozialhilfeempfängers
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Beklagte als Sozialhilfeträger nach dem Umzug eines danach hilfebedürftig Gewordenen
aus seinem Zuständigkeitsbereich in den Zuständigkeitsbereich des Klägers dessen Sozialhilfeaufwendungen für den Hilfebedürftigen
erstatten muss. Streitig ist der Zeitraum vom 1. August 2003 bis 31. Dezember 2004.
Der am 24. Oktober 1977 geborene E. (Hilfebedürftiger) wohnte bei seinen Eltern in Lenterode, im Zuständigkeitsbereich des
Beklagten. Der Hilfebedürftige leidet an progressiver Muskeldystrophie, ist Rollstuhlfahrer und auf fremde Hilfe angewiesen.
Sein Grad der Behinderung (GdB) beträgt seit Mai 1991 100, Merkzeichen G, aG und H. Der Hilfebedürftige erhält seit 1999 Leistungen
der Pflegekasse; er war eingestuft in der Pflegestufe II und nahm sowohl Pflegesachleistungen wie Pflegegeld in Anspruch.
Seit dem 1. August 2003 beträgt die Pflegestufe III (Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß
SGB XI vom 5. Dezember 2003, Untersuchungstag 24. November 2003). Sozialhilfeleistungen nahm der Hilfebedürftige bis zum 31. Juli
2003 nicht in Anspruch.
Am 13. Juni 2003 reiste der Hilfebedürftige nach Goslar, in den Zuständigkeitsbereich des Klägers, um sich dort über ein Pflegemodell
zu erkundigen. Eine Rückkehr nach Lenterode fand nicht mehr statt. Am 4. August 2003 beantragte der Hilfebedürftige die Gewährung
von Sozialhilfe Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe nach dem BSHG von dem Kläger, weil sich sein Leidenszustand verschlechtert habe. Seit dem 1. August 2003 gewährt der Kläger Sozialhilfe
an den Hilfebedürftigen.
Der Hilfebedürftige hat sich ordnungsbehördlich zum 18. Juni 2003 umgemeldet nach F. Goslar, G ... Die AOK Thüringen hat offenbar
auf Frage des Beklagten bestätigt, dass der Hilfebedürftige sie bereits Ende Juni über den Umzug nach Goslar in Kenntnis gesetzt
und die Ummeldung bei der Krankenkasse zum 1. Juli 2003 erfolgt sei. Der später (12. Januar 2005) von dem Kläger befragte
Hilfebedürftige hat Folgendes geantwortet: Ich bin am 13.06.2003 mit Familie H. nach Goslar gekommen. Den Kontakt zur Familie
H. hatte ich zuvor telefonisch und über das Internet aufgenommen. Meine damalige Freundin I. J. und ich wurden von Familie
H. und deren Bekannten mit dem Kfz der Familie H. in Lenterode abgeholt. Es ging mir vor allem darum, dass Pflegemodell der
Familie H. kennen zu lernen. Wir hatten nicht die Absicht unseren Lebensmittelpunkt bei der Familie H. zu begründen und auf
Dauer in Goslar zu verbleiben.
Ich persönlich hatte am 13.06.2003 nur meinen Rolli, Hygieneartikel, Sommerbekleidung und meinen PC dabei. Erst im September
2003 holte ich, wiederum mit Hilfe der Familie H. und deren Bekannten, weitere Gegenstände nach Goslar. Diese waren mein eigenes,
persönliches Pflegebett, Bettzeug, eine Stereoanlage und weitere Bekleidung. Die Wohnung die Frau J. und ich bezogen, war
renoviert und mit dem Notwendigsten ausgestattet. Den mittlerweile in der Wohnung vorhandenen Hausrat haben wir nach und nach
angeschafft.
Meine Freundin und ich haben uns bei Familie H. in Goslar, G., aufgehalten. Unseren Lebensunterhalt bestritten wir von meiner
Rente und meinem Pflegegeld. Erst im Juli 2003 trafen wir den Entschluss in Goslar zu bleiben und uns hier eine Wohnung zu
suchen. Zum 01.08.03 konnten wir in die Wohnung K. in Goslar einziehen. Der Mietvertrag lief ab 01.09.2004, mit dem Vormieter
trafen wir die Vereinbarung, dass wir gegen Zahlung der halben Monatsmiete in bar, am 01.08.2003 einziehen konnten.
Gepflegt wurde ich von meiner Freundin. Mit dem zu diesem Zeitpunkt für die Familie H. tätigen Pflegedienst L. hatte ich nichts
zu tun. Im Juli 2003 habe ich erstmals Kontakt zum Pflegedienst der M. aufgenommen, dieser Dienst pflegt mich seit August
2003.
Die später befragten Eltern (9. Februar 2005) haben Folgendes mitgeteilt:
&61607; 13.06.03 Auszug vom Elternhaus unter Mithilfe von Frau N. H., O. in Goslar/Oker. &61607; Mitnahme nur von persönlicher
Bekleidung, da Möbel von Goslar waren, &61607; Bett und Schrank sind hier verblieben, Computer, Fernseher mitgenommen, &61607;
hat gesetzlichen Betreuer &61607; lebt jetzt allein &61607; halbes Jahr vorher hat diese Frd mit in Lenterode gewohnt, wo
Umzug geplant wurde &61607; hat nach 1/2 Jahr dort die Wohnung gewechselt &61607; von besuchsweise Aufenthalt war nie die
Rede.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 15. Juli 2004 einen Kostenerstattungsantrag gemäß § 107 BSHG hinsichtlich der Sozialhilfegewährung für den Hilfebedürftigen ab 1. August 2003 angemeldet. Der Beklagte lehnte dies ab,
weil der Hilfebedürftige am 18.06.2003 nach Goslar verzogen sei und Hilfebedürftigkeit erst am 1. August 2003 angemeldet habe.
Gemäß § 107 BSHG bestehe die Kostenerstattungspflicht nur, wenn die fragliche Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der
Hilfe bedürfe.
Der Kläger hat 6. Mai 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Nordhausen erhoben, welches den Rechtsstreit an das örtlich zuständige SG Braunschweig verwiesen hat. Der Kläger hat vorgetragen,
dass ihm für die Zeit vom 1. August 2003 bis 31. Dezember 2004 ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 107 BSHG zustehe. Der Hilfebedürftige sei am 13. Juni 2003 besuchsweise nach Goslar gereist, um Informationen über Möglichkeiten einer
eigenständigen Lebensführung außerhalb des Elternhauses zu erhalten. Erst während des besuchsweisen Aufenthaltes in einer
Gastfamilie sei der Entschluss gereift, eine Wohnung anzumieten und Grundsicherungsleistungen sowie Hilfe zur Pflege zu beantragen.
Noch in dem für die Wohnung auszufüllenden Bewerberbogen am 3. Juli 2003 habe der Hilfebedürftige als jetzige die Anschrift
in Lenterode angegeben. Der gewöhnliche Aufenthalt des Hilfebedürftigen habe daher noch im Juli in Lenterode gelegen. Den
Lebensmittelpunkt habe der Hilfebedürftige erst im Juli 2003 nach Goslar verlegt; die ordnungsbehördliche Ummeldung sei nicht
ausschlaggebend. Zwischen der tatsächlichen Gewährung der Sozialhilfeleistungen ab 1. August 2003 und der Begründung eines
gewöhnlichen Aufenthaltes in Goslar sei daher weniger als ein Monat vergangen. Im Übrigen habe der objektive Sozialhilfebedarf
von Beginn des Aufenthaltes in Goslar bestanden. Der Beklagte hat erwidert, dass die bekannt gewordenen Umstände für einen
Umzug des Hilfebedürftigen bereits im Juni 2003 sprächen, so die ordnungsbehördliche Ummeldung zum 18. Juni 2003, die Ummeldung
bei der AOK Thüringen zum 1. Juli 2003 und die Erklärung der Eltern des Hilfebedürftigen, wonach von einem besuchsweisen Aufenthalt
in Goslar nie die Rede gewesen sei.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. Juli 2007 abgewiesen. Sie sei als Feststellungsklage zulässig, in der Sache jedoch nicht
begründet. Die streitige Frage, ob der Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Goslar erst am 3. Juli 2003 oder
bereits mit seiner Reise am 13. Juni 2003 begründet habe, sei iS des Beklagten zu entscheiden. Denn der Mittelpunkt seiner
Lebensbeziehungen habe ab dem 13. Juni 2003 in Goslar gelegen. Der Hilfebedürftige sei bereits am 13. Juni 2003 vom Zuständigkeitsbereich
des Beklagten in den Bereich des Klägers verzogen und habe mit der Aufnahme in der Gastfamilie in Goslar dort seinen gewöhnlichen
Aufenthalt begründet. Gegen einen lediglich besuchsweisen Aufenthalt spräche die Auskunft seiner Eltern, die bereits zum 18.
Juni 2003 vorgenommene ordnungsbehördliche Ummeldung sowie der Umstand, dass der Hilfebedürftige neben Kleidung auch teilweise
Einrichtungsgegenstände wie Fernseher und Computer mitgenommen habe. Der Ortswechsel habe nicht lediglich einen von vornherein
zeitlich nur unbedeutenden und kurz befristeten Aufenthalt in Goslar bedeutet. Somit sei zwischen dem Zeitpunkt des Umzuges
nach Goslar und der Hilfegewährung ab 1. August 2003 länger als ein Monat vergangen, sodass der Beklagte zur Kostenerstattung
nicht verpflichtet sei.
Der Kläger hat am 22. März 2007 Berufung eingelegt. Er trägt vor, bei der Entscheidung des SG sei nicht berücksichtigt worden, dass der schwerstpflegebedürftige Hilfebedürftige, wenn man mit dem SG den Umzug im Juni 2003 terminiere, von Beginn an sozialhilfebedürftig gewesen sei. Damit habe iS der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(Urteil vom 20. Oktober 2005 - 2 C 28/03 - FEVS 57, Seite 347) ein objektiver Sozialhilfebedarf bestanden, womit die Monatsfrist des § 107 Abs 1 BSHG nicht zum Tragen käme.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 22. Februar 2007 aufzuheben,
2. festzustellen, dass der Beklagte zur Erstattung der im Zeitraum vom 1. August 2003 bis 31. Dezember 2004 an den Hilfebedürftigen
E. gewährten Sozialhilfeleistungen verpflichtet ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die vom Kläger behauptete objektive Sozialhilfebedürftigkeit vor dem 1. August 2003
lasse sich nicht feststellen.
Der Hilfebedürftige hat schriftlich folgende Auskunft vom 6. April 2009 gegeben: In der Zeit vom 18. Juni bis 31. Juli habe
ich bei einer Bekannten in Goslar gelebt und wurde von ihren Pflegekräften mit versorgt. Gelebt habe ich von meinem Pflegegeld
und einer Rente. Über sonstige Einnahmen oder Vermögen habe ich nicht verfügt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass ein Umzug des Hilfebedürftigen bereits im Juni 2003 stattgefunden hat, sodass die Monatsfrist
des § 107 Abs 1 BSHG dem Erstattungsanspruch entgegensteht. Eine objektive Hilfebedürftigkeit für die Zeit vor dem 1. August 2003 lässt sich nicht
feststellen. Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Da der Kläger sein Begehren mit einer Feststellungsklage verfolgt, erscheint fraglich, ob die Einhaltung des Berufungsbeschwerdewertes
gemäß §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGG von mehr als 5.000,00 EUR (bis 30. März 2008 - ab 1. April 2008 mehr als 10.000,00 EUR) erforderlich ist. Allerdings ist
die Berufung auch statthaft, wenn der Berufungsbeschwerdewert des §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGG von mehr als 5.000,00 EUR herangezogen wird, weil die Feststellungsklage anstelle einer Leistungsklage bei einem Erstattungsstreit
erhoben wurde. Nach dem Vorbringen des Klägers stehen in der Sache 54.980,65 EUR in Streit. Der Berufungsbeschwerdewert von
mehr als 5.000,00 EUR ist mithin überschritten. Die Berufung wurde weiterhin in der Frist und Form des §
151 Abs
1 SGG erhoben. Der Kläger verfolgt sein Begehren mit einer Feststellungsklage. Das ist zulässig gemäß §
55 Abs
1 Nr
1 SGG. Hinter der begehrten Feststellung steht ein Erstattungsverlangen des Klägers gegenüber dem Beklagten, sodass grundsätzlich
die Erhebung einer Leistungsklage möglich und vorrangig wäre. Doch tritt der Subsidiaritätsgrundsatz Vorrang der Leistungsklage
gegenüber der Feststellungsklage - zurück bei Feststellungsklagen gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts bzw bei
Streitigkeiten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar
zum
SGG, 9. Aufl 2008, §
55 Rdnr 19a ff mwN). Denn es kann angenommen werden, dass der Beklagte den Kläger beides juristische Personen des öffentlichen
Rechts angesichts seiner in der Verfassung verankerten Bindung an Gesetz und Recht auch ohne Leistungsurteil mit Vollstreckungsdruck
befriedigt. Das in §
55 Abs
1 SGG weiterhin geforderte berechtigte Interesse ergibt sich aus dem Umstand, dass je nach Fallgestaltung Leistungspflichten des
Sozialhilfeträgers folgen, sodass dem Kläger bei positiver Feststellung aufgrund seiner Leistung ein Erstattungsanspruch nach
§ 107 BSHG zuwächst.
Die Feststellungsklage ist nicht begründet und die Berufung damit erfolglos, weil der Beklagte Kostenerstattung nach § 107 BSHG für den Zeitraum vom 1. August 2003 bis 31. Dezember 2004 nicht leisten muss. Die Zeit ab 1. Januar 2005 steht nicht in Streit.
Das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch Sozialhilfe (SGB XII) enthält keine dem § 107 BSHG entsprechende Kostenerstattungsvorschrift. Ab diesem Zeitpunkt ist daher ein Kostenerstattungsanspruch nach Umzug ausgeschlossen.
Dies gilt natürlich nicht für Erstattungssachverhalte bis zum 31. Dezember 2004. Denn bis zu diesem Zeitpunkt galt das BSHG und damit auch § 107 BSHG. Nach dieser Vorschrift sind die bis zum 31. Dezember 2004 entstandenen Erstattungsstreitigkeiten abzuwickeln.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 107 BSHG. Darin ist Folgendes bestimmt:
Verzieht eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts, ist der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes
verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von
Einrichtungen im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel
der Hilfe bedarf. (Abs 1) Die Verpflichtung nach Absatz 1 entfällt, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten
keine Hilfe zu gewähren war. Sie endet spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Aufenthaltswechsel.
Die Voraussetzungen dieser Kostenerstattungsvorschrift sind nicht erfüllt. Der Hilfebedürftige hatte seinen bisherigen gewöhnlichen
Aufenthalt in Lenterode bei seinen Eltern im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Das Verziehen der Umzug iS des § 107 Abs 1 BSHG in den Zuständigkeitsbereich des Klägers erfolgte am 13. spätestens am 18. Juni 2003, wie es das SG begründet hat. Darauf wird zunächst verwiesen, §
153 Abs
2 SGG. Ergänzend gilt: Mit Verziehen ist der Umzug gemeint, wie sich aus der Überschrift der Vorschrift ergibt: "Kostenerstattung
bei Umzug". Damit wird die Art und Weise des Ortswechsels bezeichnet, wobei dieser Tatbestand erfüllt ist, wenn die bisherige
Unterkunft und damit der dortige gewöhnliche Aufenthalt aufgegeben wird mit der Absicht, zumindest vorläufig nicht zurückzukehren
und zwar unter Mitnahme der persönlichen Habe. Der vorübergehende Aufenthalt außerhalb der beibehaltenen Unterkunft in der
Wohnung eines Dritten oder einer sonstigen Unterkunft erfüllt die Voraussetzungen für die Kostenerstattung nicht, da es sich
um kein Verziehen, um keinen Umzug, handelt. Ein Aufenthalt, der nur vorübergehend iS von zufällig, augenblicklich, besuchsweise
ist, genügt nicht. Neben der Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts am bisherigen Aufenthaltsort wird in der Regel die Begründung
eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts am Zuzugsort dazu kommen, ist aber nicht zwingendes Tatbestandsmerkmal des § 107 BSHG, weil der Begriff "Verziehen" gegenüber dem Begriff "Umzug" weiter gefasst ist (vgl Schoch in Lehr- und Praxiskommentar -
BSHG, 6. Aufl 2003, § 107 Rdnr 13 f; Schellhorn/Schellhorn, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 107 Rdnr 6 f).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Hilfebedürftige spätestens am 18. Juni 2003 einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in
Goslar begründet. Zwar trifft es zu, dass er nach seinen Erläuterungen gegenüber dem Kläger die Wohnung seiner Eltern in Lenterode
verlassen hat, um sich in Goslar zunächst über ein bestimmtes Pflegemodell zu informieren. Doch ist dieser womöglich besuchsweise
gemeinte Aufenthalt schnell umgeschlagen in einen gewöhnlichen Aufenthalt in Goslar iS des §
30 Abs
3 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil Erstes Buch (
SGB I). Dafür ist beachtliches und durchschlagendes Indiz die ordnungsbehördliche Anmeldung zum 18. Juni 2003. Damit gab der Hilfebedürftige
zu erkennen, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in Lenterode, sondern in Goslar sah. Denn ansonsten wäre eine
ordnungsbehördliche Ummeldung nicht nötig gewesen. Weiterhin spricht dafür die Ummeldung bei seiner AOK zum 1. Juli 2003,
woraus ebenfalls erkennbar wird, dass der Hilfebedürftige den Ortswechsel als dauerhaft ansah. Für einen Umzug zu diesem Zeitpunkt
spricht auch die schriftliche Erklärung der Eltern, aus der sich ergibt, dass "von besuchsweise Aufenthalt nie die Rede" war,
den Eltern somit der Eindruck vermittelt worden war, ihr Sohn der Hilfebedürftige werde sich dauerhaft an einem anderen Ort
in Goslar niederlassen. Insbesondere fällt ins Gewicht, dass der Hilfebedürftige seit Beginn der Informationsfahrt nicht mehr
in die bisherige Wohnung bei seinen Eltern zurückgekehrt ist, allenfalls um dort noch verbliebene Wohnungsgegenstände abzuholen.
Auch dieser Umstand ist ein starkes Indiz dafür, dass in Goslar kein besuchsweiser, sondern ein dauernder Aufenthalt geplant
war, der dann auch tatsächlich stattfand. Mithin war die Monatsfrist des § 107 Abs 1 BSHG bei Gewährung der Sozialhilfe ab 1. August 2003 überschritten, sodass die Kostenerstattung daran scheitert.
Zwar kommt es im Hinblick auf diese Monatsfrist nicht allein auf die tatsächliche Hilfegewährung an; vielmehr ist entscheidend
die objektive Hilfebedürftigkeit, es ist also die Frage zu beantworten, ob dem Hilfebedürftigem nach dem Umzug Hilfe nach
dem BSHG unabhängig von der Kenntnis des Sozialhilfeträgers hätte gewährt werden müssen (vgl Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom
20. Oktober 2005 - 5 C 28/03 - FEVS 57, Seite 347; Senatsurteil vom 23. April 2009 - L 8 SO 84/06 -). Dies wäre der Fall gewesen, wenn dem Hilfebedürftigen
bereits vor dem 1. August 2003 Hilfe zur Pflege gemäß § 68 BSHG hätte gewährt werden müssen. Das kann nicht festgestellt werden. Hierbei ist zu bedenken, dass der pflegebedürftige Hilfebedürftige
seit Jahren an der Erkrankung progressive Muskeldystrophie litt und seit 1999 Leistungen der Pflegekasse nach der Pflegestufe
II bekam. Leistungen der Sozialhilfe sind trotz dieses Leidenszustandes bis zum 31. Juli 2003 nicht beansprucht und damit
auch nicht gewährt worden. Daraus ist zu schließen, dass der Hilfebedürftige bis zum 1. August 2003 seine nötige Pflege mit
eigenen Mitteln bewerkstelligen konnte. Dafür spricht auch seine eigene Erklärung aus dem Berufungsverfahren, wonach er vom
18. Juni bis zum 31. Juli (2003) bei einer Bekannten in Goslar gelebt und von ihren Pflegekräften mit versorgt worden sei.
Hierbei ist zu bedenken, dass der Hilfebedürftige durch die Einstufung in die Pflegestufe II Anspruch auf Pflegesachleistungen
gemäß §
36 Sozialgesetzbuch Elftes Buch Soziale Pflegeversicherung (
SGB XI) in Höhe von seinerzeit 921,00 EUR gehabt hatte. Wie sich aus dem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit ergibt,
nahm er diese Leistungen als Kombinationsleistungen in Anspruch, einmal als Pflegesachleistung und andererseits als Pflegegeld
gemäß §
37 SGB XI. Offensichtlich war der Hilfebedürftige damit in der Lage, seine nötige Pflege mit den Mitteln des
SGB XI sicherzustellen. Ein Anspruch auf Sozialhilfe war nicht gegeben. Denn Sozialhilfe erhält nicht, wer sich selbst helfen kann
oder die erforderliche Hilfe an anderen erhält, § 2 Abs 1 BSHG, wie es hier der Fall war. Wenn diese Mittel nicht ausgereicht hätten, hätte es nahegelegen, dass der Hilfebedürftige einen
Sozialhilfeantrag bereits weitaus früher gestellt hätte, was nicht geschehen ist. Weiterhin ist der Antrag auf Gewährung von
Sozialhilfe, der im August 2003 bei der Klägerin eingereicht wurde, mit der Begründung erfolgt, dass sich sein Leidenszustand
verschlechtert habe, was durch die Einstufung in Pflegestufe II ab 1. August 2003 bestätigt wird. Mithin kann nicht festgestellt
werden, dass bereits vor dem 1. August 2003 eine objektive Hilfelage bestanden hat, sodass weiterhin die Monatsfrist des §
107 Abs 1 BSHG nicht eingehalten ist.
Schließlich verhilft der Klage nicht zum Erfolg, dass der Hilfebedürftige von Beginn an dem Grunde nach anspruchsberechtigt
für Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) gewesen war. Bei dem Leidenszustand des Hilfebedürftigen war unzweifelhaft dauerhafte und volle Erwerbsminderung gemäß §
1 Nr 2 GSiG gegeben. Der Hilfebedürftige war weiterhin bedürftig iS des § 2 GSiG, da er lediglich über Renteneinkommen in monatlicher Höhe von 170,00 EUR verfügte. Doch unterfallen die Leistungen nach dem
GSiG nicht der Kostenerstattung nach § 107 BSHG. Diese Kostenerstattung betrifft nach dem BSHG erbrachte Leistungen. Demgegenüber war die Grundsicherung nach dem GSiG in der Zeit vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004 eine eigenständige und von der Sozialhilfe nach dem BSHG unabhängige Leistung, die zwar zum Teil auf die Vorschriften des BSHG verweist, dadurch jedoch nicht den Charakter einer Sozialhilfeleistung iS des BSHG erhält. Die Grundsicherung ist vielmehr eine gegenüber der Sozialhilfe vorrangige Sozialleistung iS des § 2 Abs 1 BSHG und schloss daher auch Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG aus.
Mithin verbleibt es dabei, dass ein Umzug des Hilfebedürftigen spätestens zum 18. Juni 2003 erfolgte, sodass wegen Überschreitens
der Monatsfrist des § 107 Ab 1 BSHG die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nicht vorliegen.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 63 Abs 1 Satz 1, 52 Abs 1 Satz 3 Gerichtskostengesetz.
Die Revision bedarf der Zulassung (§
160 SGG). Diese ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von höchstrichterlichen
Entscheidungen abweicht.