Notwendige Beiladung des Jobcenters im sozialgerichtlichen Verfahren; Rechtsstreit um einen Antrag auf Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe;
Förderung der Ausbildung zum Steuerfachangestellten als zweite Berufsausbildung
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 13. Mai 2013, mit dem die Beiladung des Jobcenters
Landkreis G abgelehnt worden ist.
Der 1988 geborene Kläger absolvierte von August 2004 bis Juni 2007 erfolgreich die Ausbildung als Koch. Im Anschluss daran
erwarb er die Fachoberschulreife. Bis August 2012 bezog er mit Unterbrechungen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Am 1. September 2012 begann der Kläger eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten. Bereits am 17. Juli 2012 hatte er einen
Antrag auf Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe gestellt. Er trug vor, dass er nach seiner Ausbildung nie unter einem
festen Arbeitsvertrag in seinem Beruf gearbeitet habe. Außerdem machte er gesundheitliche Einschränkungen geltend, die einer
dauerhaften Beschäftigung als Koch entgegenstünden. Die Allgemeinmedizinerin I K diagnostizierte am 5. Dezember 2012 Adipositas
(E66.99), Hypertonie (I10.90) und Diabetes mellitus (E11.90).
Die beklagte Bundesagentur für Arbeit lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 15. Januar 2013 ab.
Der Kläger hat am 6. Februar 2013 Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 8. April 2013 hat er beantragt, das Jobcenter Landkreis
G beizuladen. Zum einen könne der Beizuladene alle Fragen bezüglich seiner Vermittlung und seines Fallmanagements beantworten.
Zum anderen bestehe die Möglichkeit, dass er einen Anspruch gegen den Beizuladenen auf Förderung der beruflichen Weiterbildung
habe.
Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 7. Mai 2013 ebenfalls, das Jobcenter Landkreis G beizuladen, weil es zur Sachverhaltsaufklärung
beitragen könne.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 13. Mai 2013 die Beiladung des Jobcenter Landkreis G abgelehnt.
Hiergegen hat der Kläger am 31. Mai 2013 Beschwerde eingelegt. Es bestehe die ernsthafte Möglichkeit, dass er statt des Anspruches
gegen die Beklagte auf Berufsausbildungsbeihilfe einen Anspruch gegen den Beizuladenen auf Förderung der beruflichen Weiterbildung
habe.
Der Beklagte hält die Entscheidung des Sozialgerichtes Dresden für zutreffend.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig (vgl. §
172 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) jedoch nicht begründet, weil die in §
75 Abs.
1 und
2 SGG geforderten Voraussetzungen für eine Beiladung des Jobcenter Landkreis G nicht vorliegen.
a) Für den Zweck der Sachverhaltsaufklärung liegen die Voraussetzungen für eine Beiladung bereits tatbestandlich nicht vor.
Gemäß §
75 Abs.
1 Satz 1
SGG kann das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren berechtigte Interessen durch die Entscheidung berührt werden,
beiladen. Wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber
nur einheitlich ergehen kann oder wenn sich im Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger,
ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts
ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt, sind sie gemäß §
75 Abs.
2 SGG beizuladen.
Durch die Notwendigkeit, den Sachverhalt im Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der Beklagten weiter aufzuklären, wird weder
das Jobcenter Landkreis G in berechtigten Interessen berührt noch besteht zwischen dem Jobcenter auf der einen Seite und einem
der beiden Beteiligten auf der anderen Seite eine Rechtsbeziehung im Sinne von §
75 Abs.
2 SGG.
Für die Sachverhaltsaufklärung ist vielmehr auf die Regelungen über die Beweisaufnahme zurückzugreifen. Gemäß §
103 Satz 1
SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. So kann das Sozialgericht
vom Jobcenter Landkreis G verlangen, dass es Akten vorlegt (vgl. §
119 SGG) oder Auskünfte erteilt (vgl. §
106 Abs.
3 Nr.
3 SGG). Mitarbeiter des Jobcenters können als Zeugen vernommen werden (vgl. §
106 Abs.
3 Nr.
4 SGG). Soweit das Sozialgericht die Beweiserhebung nicht bereits von Amts wegen durchführt, können die Beteiligten Beweisanträge
stellen (§
244 Abs.
3 bis
5 der
Strafprozessordnung [StPO] analog).
b) Soweit der Kläger geltend macht, gegebenenfalls anstelle eines Anspruches gegen die Beklagte auf Berufsausbildungsbeihilfe
einen Anspruch gegen das Jobcenter Landkreis G auf Förderung seiner Ausbildung zum Steuerfachangestellten zu haben, kommt
als Rechtsgrundlage für eine Beiladung des Jobcenters allein §
75 Abs.
2 Alt 2
SGG in Betracht. Ausreichend aber auch erforderlich ist die ernsthafte Möglichkeit, dass anstelle der Beklagten ein (anderer)
Leistungsträger die Leistung zu erbringen hat (vgl. BSG, Urteil vom 27. August 2011 - B 4 AS 1/10 R - BSGE 109, 70 ff. = SozR 4-4200 § 16 Nr. 9 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 15; weitere Nachweise bei Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], §
75 Rdnr. 12). Wann eine solche ernsthafte Möglichkeit besteht, ergibt sich aus dem materiellen Recht. Zudem erfordert das Attribut
"ernsthaft" ein gesteigertes Prognoseergebnis. Eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit ist nicht ausreichend.
In diesem Sinne lässt sich derzeit noch nicht eine ernsthafte Möglichkeit für einen Leistungsanspruch gegen das Jobcenter
Landkreis G feststellen.
In Bezug auf die begehrte Berufsausbildungsbeihilfe hat das Sozialgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass ein solcher
Anspruch grundsätzlich nicht auf der Grundlage des SGB II besteht. Denn die Berufsausbildungsbeihilfe ist im Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) im Dritten Kapitel Dritter Abschnitt Dritter Unterabschnitt in den §§
56 bis
72 SGB III geregelt. In § 16 SGB II in der ab 1. April 2012 geltenden Fassung (vgl. Artikel 5 Nr. 5 des Gesetzes vom 20.Dezember 2011 [BGBl. I S. 2854]), wo die Leistungen geregelt sind, die die zuständige Behörde nach
dem SGB II zur Eingliederung in Arbeit zu erbringen hat oder nach Ermessen erbringen kann, ist aber weder auf diesen Teil des
SGB III noch auf die genannten Vorschriften Bezug genommen.
Hingegen kann das Jobcenter gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Alt. 1 SGB II Leistungen zur beruflichen Weiterbildung nach dem Dritten Kapitel Vierter Abschnitt des
SGB III (§§
81 bis
87 SGB III) erbringen. Förderfähig ist nach §
81 Abs.
1 Satz 1
SGB III nur eine berufliche Weiterbildung.
Die berufliche Weiterbildung ist abzugrenzen von der Berufsausbildung, die nach den §§
56 ff.
SGB III förderfähig ist, sowie der schulischen Ausbildung, die nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz gefördert werden kann. Gemäß §
57 Abs.
1 SGB III ist eine Berufsausbildung förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seearbeitsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist.
Die Frage, ob es sich bei einer Maßnahme um eine solche der Berufsausbildung oder der beruflichen Weiterbildung handelt, ist
nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes allgemein unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven
Kriterien zu beantworten (vgl. BSG, Urteile vom 17. November 2005 - B 11a AL 23/05 R - JURIS-Dokument Rdnr 17 und vom 27. Januar 2005 - B 7a/7 AL 20/04 R -
SozR 4-4300 § 77 Nr. 2; jeweils m. w. N.). Maßgebend ist die konkrete Ausgestaltung des Bildungsangebots selbst (objektive
Umstände). Während die berufliche Weiterbildung nach §
77 Abs.
2 SGB III erkennbar auf eine angemessene Berufserfahrung als Grundlage einer beruflichen Weiterbildung abstellt, baut eine Ausbildungsmaßnahme
nicht auf bereits erworbenen beruflichen Kenntnissen auf (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. April 2007 - L 7 AL 755/07 ER-B - JURIS-Dokument Rdnr. 15, m. w. N.).
Der Ausbildungsberuf zum Steuerfachangestellten ist ein anerkannter Ausbildungsberuf nach dem Berufsbildungsgesetz (vgl. Berufsklasse BA 72302 unter Nummer 1.2 der Bekanntmachung des Bundesinstituts für Berufsbildung des Verzeichnisses
der anerkannten Ausbildungsberufe und des Verzeichnisses der zuständigen Stellen vom 22. Mai 2013 (BAnz. AT 13.06.2013 B16).
Diese berufliche Ausbildung ist somit förderfähig nach Maßgabe der §§
57 ff.
SGB III.
Vorliegend ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, diesen
erlernten Beruf aber nach eigener Einschätzung wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht ausüben kann. Als Anspruchsgrundlage
für die Förderung der Ausbildung zum Steuerfachangestellten kommt in diesem Fall §
57 Abs.
2 Satz 2
SGB III in Betracht. Zwar ist gemäß §
57 Abs.
2 Satz 1
SGB III die erste Berufsausbildung förderungsfähig. Eine zweite Berufsausbildung kann aber gemäß §
57 Abs.
2 Satz 2
SGB III gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft auf andere Weise nicht erreicht werden
kann und durch die zweite Berufsausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird. Eine Förderung der Ausbildung erscheint
allerdings auch im Rahmen der Leistungen für berufliche Weiterbildung nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Auch unter der Geltung
des
SGB III ist die Förderung einer Umschulung noch möglich, obwohl der Begriff im Gegensatz zum Arbeitsförderungsrecht nicht mehr ausdrücklich
verwandt wird. Dies ergab sich aus §
85 Abs.
3 Satz 1 Nr.
3 SGB III (in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung) und ergibt sich seit 1. April 2012 aus §
180 Abs.
2 Satz 1 Nr.
3 SGB III (vgl. Artikel 5 Nr. 18 des Gesetzes vom 20.Dezember 2011 [BGBl. I S. 2854]). Nach letzterer Regelung ist eine Maßnahme zuzulassen, wenn sie zu einer
anderen beruflichen Tätigkeit befähigt. Dies meint das Erlernen einer Tätigkeit mit neuem Inhalt mit dem Ziel, den Übergang
in eine andere "geeignete berufliche Tätigkeit" zu ermöglichen (vgl. BSG, Urteil vom 24. September 1974 - 7 RAr 51/72- BSGE 38, 138 = SozR 4100 §
43 Nr. 9 = JURIS-Dokument Rdnr. 17; Brand, in: Brand,
SGB III [6. Aufl., 2012], §
180 Rdnr. 7). Die Zulassung der Maßnahme erfolgt durch die fachkundige Stelle (vgl. §
179 Abs.
1 Satz 1
SGB III i. V. m. §
177 SGB III).
Auch wenn danach eine Förderung der Ausbildung des Klägers zum Steuerfachangestellten durch das Jobcenter nicht per se ausgeschlossen
erscheint, bedeutet dies jedoch noch nicht, dass eine ernsthafte Möglichkeit besteht, dass das Jobcenter die Förderleistung
zu erbringen hat. Denn die Förderung bei beruflicher Weiterbildung setzt gemäß §
81 Abs.
1 Satz 1
SGB III voraus, dass 1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende
Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt
ist, 2. die Agentur für Arbeit sie vor Beginn der Teilnahme beraten hat und 3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für
die Förderung zugelassen sind. Bereits zu diesen allgemein formulierten Voraussetzungen ist bislang kein substantiierter Vortrag
seitens des Klägerbevollmächtigten erfolgt. Der vorliegende Akteninhalt lässt nicht einmal eine summarische Prüfung der Fördervoraussetzungen
zu.
Zudem sind im
SGB III die in §
81 Abs.
1 Satz 1
SGB III aufgeführten Anspruchsvoraussetzungen weiter konkretisiert. So setzt die Maßnahmezulassung gemäß §
179 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 Halbsatz 1
SGB III voraus, dass die Maßnahme nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geplant und durchgeführt wird, insbesondere
die Kosten und die Dauer angemessen sind. Die Dauer ist angemessen, wenn sie sich auf den Umfang beschränkt, der notwendig
ist, um das Maßnahmeziel zu erreichen (vgl. §
179 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 Halbsatz 2
SGB III). In diesem Sinne ist die Dauer einer Vollzeitmaßnahme, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf
führt, angemessen, wenn sie gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit
verkürzt ist (vgl. §
180 Abs.
4 Satz 1
SGB III). Wenn eine Verkürzung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit auf Grund bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen
ausgeschlossen ist, ist ein Maßnahmeteil von bis zu zwei Dritteln nur förderungsfähig, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme
die Finanzierung für die gesamte Dauer der Maßnahme auf Grund bundes- oder landesrechtlicher Regelungen gesichert ist (vgl.
§
180 Abs.
4 Satz 2
SGB III). Auch dies lässt sich auf die bloße Behauptung hin, für einen Anspruch gegen das beizuladene Jobcenter bestehe eine ernsthaft
Möglichkeit, nicht beurteilen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. §
177 SGG).