Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren;
Kein Rechtsschutzbedürfnis bei vorläufigen Leistungen; Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses für Unionsbürger
bei Aufenthalt zur Arbeitsuche
Gründe:
Die am 6. März 2014 bei dem Thüringer Landessozialgericht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Gotha (SG) vom 4. März 2014, mit dem er vorläufig verpflichtet ist,
der Antragstellerin Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 25. Februar 2014 bis 31. Mai 2014 zu zahlen,
hat in der Sache keinen Erfolg.
Das SG hat im Ergebnis zu Recht die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu der in der Hauptsache bei dem
SG spätestens am 25. Februar 2014 erhobenen Klage S 29 AS 980/14 bejaht.
Allerdings ist der Tenor des Beschlusses des SG gemäß §§
142 Abs.
1,
138 SGG zu berichtigen, weil aus seinem Wortlaut nicht eindeutig zum Ausdruck kommt, dass die einstweilige Anordnung zeitlich nur
gelten soll, solange der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht erledigt ist, längstens bis zum 31. Mai 2014 (vgl. zur Berichtigungsbefugnis
im Rechtsmittelverfahren: Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 10. Aufl., §
138 Rn. 4 m.w.N.).
Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin bisher nicht vorläufige Leistungen
bei dem Antragsgegner beantragt hat. Zwar kann ein Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen sein, wenn die Möglichkeit besteht,
bei dem Leistungsträger vorläufige Leistungen zu erwirken, was vorliegend nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. §
328 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGB III - vorläufige Bewilligung wegen Vorlage bei dem EuGH zu entscheidungserheblicher Rechtsfrage - in Betracht kommt. Ein Verweis
auf den vorrangig in Anspruch zu nehmenden vorläufigen Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren ist jedoch jedenfalls dann nicht
mehr zumutbar, wenn - spätestens im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - zweifelsfrei zu erkennen ist, dass ein solcher
Antrag keinen Erfolg haben wird. Zumal eine durch die vorrangige Antragstellung gegenüber dem Antragsgegner verzögerte Antragstellung
bei Gericht den Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 S. 1
SGG für die Zeit vor der Antragstellung bei Gericht vereiteln kann, weil in der Regel sozialgerichtlicher einstweiliger Rechtsschutz
frühestens ab Eingang des Antrags bei Gericht, ggf. sogar erst ab dem Zeitpunkt der Beschlussfassung, gewährt wird.
Zwar liegt es durchaus nahe, dass der Antragsgegner nach der vorbenannten Anspruchsgrundlage vorläufige Leistungen zu erbringen
hat. Es sind zu der Frage, ob der Leistungsausschluss für Ausländer nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II europarechtskonform ist, Vorlagen des BSG (Beschluss vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 9/13 R, juris) - für arbeitsuchende Unionsbürger - und des SG Leipzig (Beschluss vom 3. Juni 2013 - S 17 AS 2198/12, juris) - für wirtschaftlich inaktive Unionsbürger - bei dem EuGH anhängig. Doch setzt eine vorläufige Leistungsbewilligung
danach weiter voraus, dass die Vorabentscheidungen des EuGH für einen Anspruch auf die begehrte Leistung entscheidungserheblich
sind. Das ist nach Auffassung des Antragsgegners, die in den Gründen seines Widerspruchbescheids vom 10. Februar 2014 ihren
Niederschlag gefunden hat, nicht der Fall. Er bestreitet von vornherein, dass der Antragstellerin selbst bei europarechtskonformer
Auslegung des Leistungsausschlusses ein Anspruch zustehen kann.
Nach §
86b Abs.
2 S. 2
SGG kann das Gericht auf Antrag bei Leistungsbegehren in der Regel durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Regelung treffen,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Danach muss die einstweilige Anordnung
erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen,
wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache
- möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch
in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund).
Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen
Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung
in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen.
Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das menschenwürdige
Existenzminimum zu sichern (Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG) ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch, vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare
Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist, in der Regel vorläufig zu befriedigen,
wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, 12.
Mai 2005 - 1 BvR 569/05, juris; Wehrhahn in Estelmann, SGB II, §
86b SGG Rn. 62, Stand: August 2009). Denn im Rahmen der gebotenen Folgeabwägung hat dann regelmäßig das Interesse des Leistungsträgers
ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden gegenüber der Sicherstellung des ausschließlich gegenwärtig für den Antragsteller
verwirklichbaren menschenwürdigen Existenzminimums zurückzutreten.
Ob die Antragstellerin die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen für Arbeitslosengeld II erfüllt, ist nur im Hinblick auf zwei
Gesichtspunkte fraglich, nämlich den gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II) und die Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 und 2 S. 1, 12 Abs. 1 SGB II). Erwerbsfähig nach § 8 Abs. 2 SGB II ist sie hingegen ohnehin. Als Unionsbürgerin i.S.d. § 1 FreizügG/EU darf sie ohne Genehmigung eine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet aufnehmen (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, nach dem sie den Genehmigungsvorbehalten für Ausländer im AufenthG nicht unterliegt; BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2013, aaO. juris Rn. 12 a.E.). Jedenfalls gilt das nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU solange das Nichtvorliegen oder der Verlust des Aufenthaltsrechts nach § 2 FreizügG/EU von der Ausländerbehörde nicht festgestellt ist (vgl. Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl., § 1 AufenthG Rn. 20).
Das BSG hat mittlerweile geklärt, dass für den Leistungsbereich des SGB II der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
30 Abs.
3 S. 2
SGB I nicht durch rechtliche Anforderungen, die tatbestandlich keinen Ausdruck gefunden haben (sog. Einfärbungslehre), überlagert
werden darf (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R, juris). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse tatsächlich dauerhaft im Bundesgebiet liegt.
"Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem
Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr
- ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser
jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll" (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013, aaO.).
Ist diese Voraussetzung bei der Antragstellerin ebenfalls zweifellos gegeben, zumal sie nach eigenen Angaben jedenfalls auch
nach Deutschland eingereist ist, um dauerhaft in der Nähe ihrer Tochter und zwei Enkel leben zu können, steht ihrem gewöhnlichen
Aufenthalt im Bundesgebiet auch nicht eine drohender Verlust des Aufenthaltsrecht entgegen. Zwar lässt insoweit die vorbenannte
Rechtsprechung einen rechtlichen Einschlag bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts gelten. Eine zeitliche Beschränkung
des Aufenthaltsrechts kann der für einen gewöhnlichen Aufenthalt erforderlichen zukunftsoffenen Dauer entgegenstehen. Ausschlaggebend
sein soll das aber nur, wenn der Aufenthalt nach einer bereits vorliegenden Entscheidung der Ausländerbehörde absehbar beendet
wird (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013, aaO. Rn. 23).
Das scheidet vorliegend aus. Es ist derzeit unabhängig von der Frage, ob der Antragstellerin ein Aufenthaltsrecht zusteht,
nicht zu erkennen, dass die zuständige Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen einleiten wird. Wird Unionsbürgern
eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU a.F. nicht mehr ausgestellt, sondern sind sie nur den allgemeinen landesrechtlichen Meldepflichten, hier § 13 ThürMeldeG, unterworfen (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 5 FreizügG/EU Rn. 8, 12) - eine Meldepflicht gemäß Art. 8 RL 2004/38/EG ist nach deutschem Recht nicht vorgesehen -, ist der Ausländerbehörde nunmehr nach § 5 Abs. 3 FreizügG/EU i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 21. Januar 2013 (BGBl I 86) - FreizügG/EU - die Befugnis eingeräumt, aus besonderem Anlass das Bestehen eines Aufenthaltsrechts zu prüfen. Dabei kann der Bezug von
Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II den erforderlichen Anlass auslösen (Dienelt, aaO. Rn. 50 m.w.N.). Erst die als Ergebnis der Prüfung erfolgende Feststellung
des Nichtbestehens eines Aufenthaltsrechts, insbesondere gemäß oder entsprechend § 5 Abs. 4 FreizügG/EU, bildet die Grundlage für eine Ausreisepflicht des Unionsbürgers nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU. Vorliegend ist noch nicht einmal erkennbar, dass die Ausländerbehörde sich überhaupt veranlasst gesehen hat, das Prüfungsverfahren
nach § 5 Abs. 3 FreizügG/EU einzuleiten, geschweige denn die Negativfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU oder einer anderen Befugnisgrundlage erfolgt ist. Es bleibt alleine einer Entscheidung der Ausländerbehörde vorbehalten,
ob sie ein Prüfungsverfahren einzuleiten hat, das ggf. eine Negativfeststellung im oben genannten Sinne zur Folge haben kann.
Gewisse Zweifel bestehen noch hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin wegen vorrangig einsetzbaren Vermögens
aus einer Verwertung der Immobilie im Herkunftsland. Zwar hat sie auf Anforderung des Antragsgegners Dokumente in litauischer
Sprache eingereicht, die belegen sollen, dass die litauische Darlehensbank die Immobilie zur Sicherung ihres Darlehens vollständig
erworben hat. Weiter liegen eidesstattliche Versicherungen der Antragstellerin und ihrer Tochter vor, dass die Antragstellerin
über eigene Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts nicht verfügt, Was durch die ausgebliebenen Mietzahlungen bis zur
vorläufigen Bewilligung von Leistungen bestätigt wird. Doch könnte es erforderlich sein, die vorgelegten Dokumente in die
deutsche Sprache übersetzen zu lassen, um verbliebene Restzweifel vollständig - ggf. auf Grundlage weiterer Ermittlungen -
ausräumen zu können.
Ohne weitere Ermittlungen spricht derzeit nichts dafür, dass der Antragstellerin ein anspruchserhöhender Mehrbedarf wegen
kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II zustehen kann. Zumindest ein Attest der behandelnden Ärzte, das von Amts wegen, ggf. unter Mitwirkung der Antragstellerin
einzuholen ist, ist erforderlich, um einen anspruchserhöhenden Bedarf ernsthaft in Betracht zu ziehen. Die bloße Behauptung
im Antragsformblatt genügt insoweit nicht.
Ob die Antragstellerin dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II unterliegt, lässt sich derzeit nicht vollständig klären.
Sollte der Antragstellerin ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 1. oder 3. Fall, Nr. 2 bis 7 FreizügG/EU) oder überhaupt kein Aufenthaltsrecht zustehen, greift der vorbenannte Leistungsausschluss ohnehin nicht.
Ist das für die erste Alternative offensichtlich (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013, aaO. Rn 23), gilt das auch wenn ein Aufenthaltsrecht nicht besteht (ebenso: LSG NRW, Beschluss
vom 10. Oktober 2013 - L 19 AS 129/13, LSG Hessen, Beschluss vom 27. November 2013 - L 6 AS 378/12, beide juris; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. März 2014 - L 15 AS 16/14 B ER, juris). Bei dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche handelt es sich nicht um einen Auffangtatbestand, der stets greift,
wenn ansonsten kein Aufenthaltsrecht zur Verfügung steht. Vielmehr liegt aufenthaltsrechtlich eine Arbeitssuche über die ersten
drei Monate nach der Einreise hinaus nur vor, wenn der Unionsbürger nachweisen kann, dass er weiterhin Arbeit sucht - subjektives
Moment - und begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden - objektives Moment - (Art. 14 Abs. 4 Buchst. b RL 2004/38/EG; EuGH, Urteile vom 20. Februar 1997 - C-344/95, 26. Februar 1991 - C-292/89, 23. März 2004 - C-138/02 - Collins; LSG NRW, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - L 19 AS 129/13; alle juris; Dienelt, aaO. § 2 FreizügG/EU, Rn. 62). Dabei ist einem Arbeitnehmer eine Zeit zur Arbeitsuche von mindestens sechs Monaten einzuräumen (vgl. auch OVG
Sachsen, Beschluss vom 20. August 2012 - 3 B 202/12 Rn. 10; VG München Urteil vom 02. August 2010 - M 12 K 12.1882, M 12 S 12.1883; beide juris). Soweit diese Voraussetzungen
zu verneinen sind, kann die Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen einleiten. Damit ist bereits aufenthaltsrechtlich
eine unverhältnismäßige Inanspruchnahme von Sozialleistungen ausgeschlossen, ohne dass es zusätzlich eines leistungsrechtlichen
Ausschlusses bedarf.
Vor diesem Hintergrund ist der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II so zu verstehen, dass er nur greifen soll, wenn wegen der Arbeitssuche der Aufenthalt nicht beendet werden kann.
Spricht hierfür bereits der Wortlaut der Regelung, der ausdrücklich die Voraussetzung "allein aus" und nicht "allenfalls aus"
benennt, fallen dafür auch systematische Gründe und die Entstehungsgeschichte der Norm ins Gewicht.
Systematisch handelt es sich bei dem Ausschlusstatbestand um eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen ist, wenn keine besonderen
Gründe dem entgegenstehen. Das gilt vor allem, wenn Personengruppen von einer grundrechtlichen Gewährleistung ausgenommen
werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013, aaO. Rn. 26 m.w.N.; Janda ZFSH/SGB 2013, 453 f.).
Für eine erweiternde Anwendung auf Personen, denen kein Aufenthaltsrecht zur Verfügung steht, fehlt es zudem an der erforderlichen
planwidrigen Lücke. Bereits benannt ist, dass der Zweck der Norm, eine unverhältnismäßige Inanspruchnahme der Grundsicherungsleistungen
nach dem SGB II auszuschließen, für diese Personengruppe nicht greift. Weiter ist die Regelung durch das Änderungsgesetz vom 24. März 2006
(BGBl I 558) eingefügt worden, um die Befugnis nach Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 RL 2004/38/EG aufzugreifen (BT-Ausschuss für Arbeit und Soziales, BT-Drucks 16/688 S. 13; BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2013, aaO. Rn. 15). Die Vorschrift erlaubt Leistungseinschränkungen nur für die ersten drei Monate
des Aufenthalts sowie darüber hinaus, wenn wegen nachgewiesener Arbeitssuche bei begründeter Einstellungsaussicht (Art. 14 Abs. 4b RL 2004/38/EG) weiterhin Ausweisungsschutz besteht (vgl. LSG NRW, aaO. Rn. 64). Eine Regelung für Personen, denen kein Aufenthaltsrecht
zusteht, enthält sie gerade nicht (so auch Hessisches LSG, Urteil vom 27. November 2013 - L 6 AS 378/12, juris Rn. 60 m.w.N.).
Sollte hingegen die Antragstellerin nach den vorbenannten Kriterien sich zur Arbeitssuche im Bundesgebiet aufhalten, bleibt
ohne die Vorabentscheidung durch den EuGH jedenfalls zweifelhaft, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II auch bei einer europarechtskonformen Auslegung erfüllt ist.
Dabei steht einer europarechtlich einschränkenden Auslegung nationalen Rechts bereits im einstweiligen Rechtsschutz nicht
entgegen, dass eine mögliche Bedenken bestätigende Rechtsprechung des EuGH noch nicht vorliegt (so aber: LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 26. März 2014, aaO. Rn. 5). Insoweit ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des EuGH bereits im nationalen
einstweiligen Rechtsschutz sicherzustellen ist, dass bis zur Klärung einer europarechtlichen Frage im Vorabentscheidungsverfahren
die betroffenen europarechtlichen Normen vorrangig gelten, wenn "unter Umständen" innerstaatliche Vorschriften entgegenstehen
(EuGH, Urteil vom 19. Juni 1990 - C-213/89, juris Rn. 18 ff.; Tischler in jurisPR-SozR8/2014 Anm. 2).
Dabei hat ein letztinstanzliches Gericht i.S.d. Art. 267 Abs. 3 AEUV den EuGH nicht erst um Vorabentscheidung zu ersuchen, wenn es davon überzeugt ist, dass eine entscheidungserhebliche innerstaatliche
Norm europarechtswidrig ist. Dieser Maßstab gilt nur für die konkrete Richtervorlage an das BVerfG gemäß Art.
100 Abs.
1 GG für die Vereinbarkeit einer entscheidungserheblichen einfachrechtlichen Norm mit dem
Grundgesetz. Die Pflicht zur Vorlage an den EuGH besteht schon, wenn das letztinstanzliche Gericht in einem schwebenden Verfahren insoweit
nur Zweifel hegt, weil zu der entscheidungserheblichen Rechtsfrage Rechtsprechung noch nicht vorliegt oder vorliegende Rechtsprechung
die Rechtsfrage nicht erschöpfend beantwortet und die Antwort nicht derart offenkundig ist, dass kein vernünftiger Zweifel
verbleiben kann (zu Art. 177 Abs 3 EWGVtr: EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 238/81 - CILFIT, juris Rn. 13 ff.; zu Art. 234 EGV, EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 - C-461/03 - Gaston Schul Douane-Expediteur, juris Rn. 16 m.w.N.; ebenso LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 26. März 2014, aaO.
Rn. 5, allerdings mit dem falschen Schluss, deshalb keinen einstweiligen Rechtsschutz gewähren zu müssen). Insoweit kann aufgrund
des Vorlagebeschlusses des BSG (Beschluss vom 12. Dezember 2013, aaO.) als letztinstanzliches Gericht i.S.d. Art. 267 Abs. 3 AEUV im einstweiligen Rechtsschutz nicht abschließend geklärt werden, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II unter einem vorliegend entscheidungserheblichen Gesichtspunkt mit europarechtlichen Vorgaben in Einklang steht. Das gilt
auch vor dem Hintergrund, dass der vorliegende Sachverhalt nicht vollständig deckungsgleich mit dem ist, den das BSG zu entscheiden hat.
Soweit das BSG zunächst geklärt haben will, ob der ausnahmslose Leistungsausschluss im SGB II gegen das sekundärrechtliche strikte Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 verstößt (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2013, aaO., Rn. 31 ff.), ist die Frage hier gleichermaßen entscheidungserheblich. Auch die Antragstellerin
kann sich auf das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 (VO) berufen, wenn sein sachlicher Geltungsbereich nicht
nur die Rechtsvorschriften i.S. der Legaldefinition in Art. 1 lit I VO (EG) 883/2004 erfasst, die sich auf die im Einzelnen
aufgeführten Zweige der sozialen Sicherheit nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 bezieht, sondern sämtliche beitragsunabhängigen
besonderen Geldleistungen mit Ausnahme der in Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 genannten einbezieht, zu denen auch die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II gehören.
In jedem Fall unterliegt die Antragstellerin dem persönlichen Anwendungsbereich des vorbenannten Gleichbehandlungsgebots.
Der persönliche Anwendungsbereich ist nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 selbst bei einer engen Auslegung bereits eröffnet,
wenn die betreffende Person konkret-individuell den Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 unterliegt
oder unterlegen hat. Aus der Legaldefinition in Art. 1 Buchst. l S. 1 VO (EG) 883/2004 ersichtlich sind Rechtsvorschriften
für jeden Mitgliedsstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die
in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit. Umfasst sind danach insbesondere Leistungen bei
Krankheit (Buchst. a). Aufgrund dessen ist die Antragstellerin einbezogen, weil sie seit dem 1. September 2013 Mitglied bei
einer gesetzlichen Krankenkasse im Bundesgebiet ist (vgl. zu dieser Voraussetzung: BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2013, aaO. Rn. 32).
Selbst wenn in Anlehnung an die neueste Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19. September 2013 - C-140/12 - Brey, juris) davon auszugehen sein wird, dass das Gleichbehandlungsgebot eine Einschränkung unter den Voraussetzungen des
ebenfalls sekundärrechtlich verankerten Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 EG erlaubt und das Arbeitslosengeld II eine Sozialhilfeleistung
im Sinne dieses Artikels darstellt (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2013, aaO. Rn. 40 ff.,) bleibt fraglich, ob das ohne Einzelfallprüfung ausnahmslos einen Leistungsausschluss
zu rechtfertigen vermag. Jedenfalls verdeutlicht der EuGH in der Sache B. hinreichend, dass ein Leistungsausschluss europarechtskonform
nur gerechtfertigt sein kann, wenn - bei wirtschaftlich inaktiven Unionsbürgern - im Einzelfall berücksichtigt ist, in welcher
Höhe und Regelmäßigkeit diese über eigene Einkünfte verfügen, und in welchem Umfang insgesamt das nationale Sozialhilfesystem
im Rahmen einer Gesamtbilanz durch die Einbeziehung von Unionsbürgern einer unzumutbaren Belastung ausgesetzt ist. Runtergebrochen
auf Arbeitsuchende könnte bereits im Gegensatz zu wirtschaftlich inaktiven Unionsbürgern ins Gewicht fallen, dass diesen ein
Aufenthaltsrecht nur zusteht, soweit sie in einem Zeitraum über drei Monaten hinaus die begründete Aussicht haben, in eine
Tätigkeit als Arbeitnehmer vermittelt werden zu können.
Schließlich steht ebenso wie bei dem Vorlagebeschluss des BSG in Frage, ob den Leistungsausschluss im SGB II gegen das primärrechtliche Gleichbehandlungsgebot für Unionsbürger aus Art. 18 AEUV und Arbeitnehmer Art. 45 AEUV entgegensteht. Dabei wird auch die Antragstellerin wohl dem primärrechtlichen Gleichbehandlungsgebot für Arbeitnehmer unterliegen,
da nach der Rechtsprechung des EuGH Arbeitsuchende voraussichtlich selbst dann einzubeziehen sind, wenn sie vor ihrer einen
gewissen Zeitraum dauernden Arbeitsuche noch nicht als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sind und sich nachhaltig um eine Arbeitsstelle
bemühen (vgl. Brechmann in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl., Art. 45 AEUV Rn. 18 m.w.N. zur Rspr. des EuGH).
Dieser primärrechtliche Schutz könnte auch für die Antragstellerin bedeuten, bereits über eine hinreichende Verbindung zu
Deutschland zu verfügen, weil hier bereits ihre Tochter mit ihren zwei Enkeln seit einem längeren Zeitraum als Alleinerziehende
lebt.
Soweit dabei der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen ist, dass bei Leistungen, welche den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern,
ein Leistungsausschluss primärrechtlich gerechtfertigt ist, wenn eine tatsächliche Verbindung zum nationalen Arbeitsmarkt
noch nicht besteht (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - C-22/08 u.a. - Vatsouras), führt das in der Person der Antragstellerin nicht zwingend zu einem europarechtskonformen Leistungsausschluss,
selbst wenn es sich bei dem Arbeitslosengeld II um eine Leistung handelt, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert (so
BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2013, aaO. Rn. 45 ff.).
Zwar ist sie im Gegensatz zu dem von dem BSG zu entscheidenden Fall, nicht bereits früher im Bundesgebiet wirtschaftlich aktiv gewesen. Auch ist eine langjährige Verbindung
zu Deutschland ebenso zweifelhaft wie die Prognose alsbald eine berufliche Tätigkeit aufnehmen zu können. Eine hinreichende
Verbindung zum Arbeitsmarkt kann aber bereits der Umstand begründen, dass der Unionsbürger während eines angemessenen Zeitraums
tatsächlich eine Beschäftigung in dem Mitgliedsstaat gesucht hat (EuGH, Urteile vom 23. März 2004, aaO., Rn. 71; 4. Juni 2009,
aaO. Rn. 39; a.A. wohl LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. März 2014, aaO., Rn. 8). Soweit der Antragstellerin ein
Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche zusteht, könnte diese Voraussetzung erfüllt sein, weil sie nachweislich sich bereits seit
dem 1. September 2013 und damit knapp ein halbes Jahr vor Beginn der vorläufigen Leistungsverpflichtung des SG der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt und sich regelmäßig beworben hat.
Im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung ist jedenfalls derzeit der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums der Antragstellerin
Vorrang gegenüber dem Risiko für den Antragsgegner einzuräumen, im Falle ungerechtfertigter Leistungen Rückforderungsansprüche
nicht durchsetzen zu können. Eine Kürzung, die grundsätzlich in Betracht kommt, wenn nur geringe Erfolgsaussichten bestehen,
ohne sie völlig ausschließen zu können, scheidet hier derzeit aus, weil nur ein kurzer Leistungszeitraum von gut drei Monaten
gegenständlich erfasst ist und ggf. die Antragstellerin eine vollständige Bedarfsdeckung benötigt, um seit dem 1. Dezember
2013 aufgelaufene Mietschulden, die erst seit dem 25. Februar 2013 ihr gegenüberüber und seit dem 1. März 2014 ihrem Ehepartner
gegenüber übernommen werden, tilgen zu können.
Bis zum Ende der vorläufigen Leistungsverpflichtung sollte es auch möglich sein, die Frage, ob bereite Geldmittel aus Vermögen
der Hilfebedürftigkeit entgegenstehen, abschließend zu klären. Einer Änderung der einstweiligen Anordnung bedürfte es ohnehin
nicht, falls anrechenbares Vermögen zu berücksichtigen wäre. Die einstweilige Anordnung ist nur dem Grunde nach entsprechend
§
130 SGG ergangen (zu dieser Möglichkeit: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl., §
201 Rn. 2, 2a), so dass der fragliche Einsatz von Vermögen im Rahmen des vorläufigen Betragsverfahrens geklärt werden kann.
Letztlich gilt das auch für einen in Betracht kommenden anspruchserhöhenden Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aus
§ 21 Abs. 5 SGB II.
Nicht zu klären hat der Senat vorliegend, unter welchen Voraussetzungen eine einstweilige Anordnung für Grundsicherungsleistungen
nach dem SGB II erst ab dem Tag der Beschlussfassung zu ergehen hat. Wäre hier ohnehin auf den Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses des
SG abzustellen - 4. März 2014 -, darf es auch bei dem früheren Beginn ab 25. Februar 2014 verbleiben, da die Antragstellerin
aus den vorläufigen Leistungen zusammen mit ihrem Ehepartner die Kosten der Unterkunft ab dem 1. Dezember 2013 als nachzuholenden
Bedarf zu decken hat. Aufgrund der erfolgten Kündigung des Mietverhältnisses durch den kommunalen Wohnungsträger ist auch
ohne eine bereits erhobene Räumungsklage die vollständige Deckung der aufgelaufenen Mietschulden angezeigt.
Ob die Antragstellerin einen Anspruch auf eine vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners bereits vor dem 25. Februar 2014
oder über den 31. Mai 2014 hinaus haben kann, bedarf keiner Entscheidung durch den Senat, da sie gegen den Beschluss des SG keine Beschwerde eingelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang der Beschwerde entsprechend §
193 Abs.
1 S. 1
SGG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter anwaltlicher Beiordnung ist abzulehnen. Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnis
unzulässig geworden, weil der Antragstellerin aufgrund dieses Beschlusses ein rechtskräftiger Kostenerstattungsanspruch gegenüber
dem Antragsgegner zusteht, dessen Leistungsfähigkeit und -willigkeit im Falle einer gerichtlich auferlegten Pflicht zur Kostenerstattung
nicht in Zweifel steht (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Februar 2012 - L 4 AS 1197/11 B, juris). Auch ist ohne weitere Anhaltspunkte unter dieser Voraussetzung nicht zu befürchten, dass der Prozessbevollmächtigte
der Antragstellerin diese gegenüber dem Antragsgegner vorrangig wegen seiner anwaltlichen Vergütung in Anspruch nehmen wird.
Daher bedarf die Antragstellerin auch nicht des Schutzes vor einer vorrangigen Inanspruchnahme durch ihren Prozessbevollmächtigten,
den im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Sperrwirkung des §
122 Abs.
1 Nr.
3 ZPO - keine Geltendmachung der anwaltlichen Vergütung gegenüber der eigenen Partei - bieten würde.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).