Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung
(BKV) bzw. einer "Wie-BK" streitig.
Der 1961 geborene Kläger ist Kfz-Mechaniker-Meister. Er übte folgende Tätigkeiten aus:
Seine Ausbildung absolvierte er von Juni 1977 bis Juli 1980 bei der C. GmbH in A-Stadt, wo er anschließend bis 31. März
1983 als Kfz-Mechaniker beschäftigt war. Nach einem Inhaberwechsel setzte er diese Tätigkeit nunmehr im D. Autohaus mit im
Wesentlichen gleichen Aufgaben fort. Es handelte sich hierbei um typische Instandhaltungsarbeiten wie Ölwechsel, Motor- und
Vergasereinstellungen, Austausch von größeren Baugruppen, Kupplungs- und Bremsendienst sowie sonstige Reparaturen, aber auch
um Entkonservierung von Neuwagen und Motorreinigungen sowie Reinigung der Gruben und Sammelbecken. Während der Tätigkeit im
D. Autohaus kamen außerdem vermehrt Arbeiten an Dieselfahrzeugen mit Abgasuntersuchungen hinzu.
Im Januar 1985 wechselte der Kläger als Kundendienstberater zu der Firma E. in E-Stadt. Seine wesentlichen Aufgaben beinhalteten
dort die Annahme von Fahrzeugen, Diagnose und Werkstattkoordination und ggf. auch Mitarbeit, die Durchführung von Abgasuntersuchungen,
Kundendienstmaßnahmen sowie den Verkauf von Ersatzteilen.
Ab Januar 1988 war der Kläger dann bei der Fa. F. GmbH in F-Stadt als Kundendienstberater und mitarbeitender Kfz-Mechaniker
tätig, wobei er die Tätigkeit im ersten Halbjahr 1988 für die Absolvierung eines Meisterkurses unterbrach. In diesem Unternehmen,
das überwiegend Fahrzeugtuning durchführte, war der Kläger jeweils hälftig mit administrativen und technischen Aufgaben betraut.
Es handelte sich insbesondere um Arbeiten am Motor, wie Diagnose, Motorein- und Ausbau, Reinigung und Endkontrolle.
Nach Liquidation der Firma F. GmbH im Juni 1992 wurde diese im Juli 1992 unter dem Namen G. Ing. Büro GmbH neu gegründet
und später in F. Technik GmbH umbenannt. Bei der Fa. G. war der Kläger als Geschäftsführer, bei der Fa. F. Technik GmbH wiederum
als Kundendienst- und Werkstattmeister im Bereich der Leistungssteigerung von Motoren tätig.
Ab Juli 2003 war der Kläger sodann bei der Fa. H. HX. als Serviceberater tätig. Seine Hauptaufgaben bestanden dort in der
Diagnose von Störungen am Fahrzeug, der Werkstattkoordination, Qualitätskontrolle, der Führung von Kundengesprächen und ähnlichem.
Im September 1999 wurde bei dem Kläger erstmals ein Harnblasenkarzinom diagnostiziert; in den Jahren 2002 und 2005 traten
Rezidive auf, im Juni 2006 ein Nierenbeckenurothelcarcinom mit im April 2014 erfolgter Nierenharnleiterentfernung links. Nach
umfangreicher operativer Versorgung eines Urothelkarzinoms der prostatischen Harnröhre im Juni 2009, erfolgte unter dem 27.
Oktober 2009 durch die Techniker Krankenkasse die Anzeige des Verdachts einer Berufskrankheit.
Die Beklagte holte Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes zur Arbeitsplatzexposition des Klägers bezüglich der BK Nr. 1301
vom 18. Dezember 2009 und vom 19. Januar 2010 ein, wonach im Zeitraum von 1964 bis 1994 in Ottokraftstoffen (Normal und Super)
Bleiverbindungen eingesetzt worden seien, die auch einen Farbstoff enthielten. Als Farbstoff zur Kennzeichnung dieser Bleifluids
sei in der Regel Sudan Rot verwendet worden, das im Wesentlichen aus Methylderivaten des Azobenzols 4 Azo-2 Naphtol bestanden
habe. 1986 sei in Deutschland das verbleite Normalbenzin verboten und 1996 auch der Verkauf von verbleitem Superbenzin eingestellt
worden. Der Anteil des Azo-Farbstoffes in Kraftstoffen sei äußerst gering gewesen. Aufgrund der hohen Farbintensität hätten
die Gesamtanteile dieser Farbstoffe in der Konzentration von lediglich maximal 1 ppm gelegen.
Sodann holte die Beklagte ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. J. vom 29. Juli 2010 ein. Dieser führte aus, Studien,
die Daten über das Auftreten von Blasenkarzinomen bei Kfz-Mechanikern enthielten, sähen für diese Berufsgruppe keine Risikoverdopplung
vor. In der Zusammenschau lasse sich festhalten, dass der Kläger während seiner Tätigkeit als Kfz-Mechaniker gegenüber in
Mineralölprodukten enthaltenen Azofarbstoffen, aus denen aromatische Amine der Kanzerogenitätskategorie 2 freigesetzt werden
können, in einer geringen Konzentration von 1 ppm exponiert gewesen sei. Zwar ließen eine Reihe von Kriterien ein beruflich
bedingtes Harnblasenkarzinoms als möglich erscheinen. Vor dem Hintergrund der Exposition in geringen Konzentrationen und der
fehlenden Risikoverdopplung seien die Voraussetzungen einer BK Nr. 1301 im Ergebnis aber als nicht erfüllt anzusehen.
Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. September 2010 die Anerkennung der Erkrankung des Klägers als BK Nr. 1301
oder wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII ab und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 10. Februar 2011 ab.
Am 28. Februar 2011 hat der Kläger hiergegen Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) erhoben.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Februar 2013 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die bei dem Kläger
bestehende Erkrankung mit einem Harnblasenkarzinom könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf berufliche Einwirkungen
zurückgeführt werden. Zwar sei nachgewiesen, dass der Kläger durch den Kontakt mit Kraftstoffen bis 1994 aromatischen Aminen
in geringem Umfang ausgesetzt gewesen sei, jedoch könne nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand
die erforderliche Risikoverdopplung für die Berufsgruppe der Kfz-Mechaniker nicht angenommen werden und fehle es damit grundsätzlich
an dem Nachweis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für eine berufliche Genese eines Harnblasenkarzinoms im Zusammenhang
mit aromatischen Aminen. Umstände, die vorliegend trotz der fehlenden Risikoverdopplung den wesentlichen Ursachenzusammenhang
belegen könnten, seien nicht festzustellen. Zwar sei eine schädliche Untergrenze für aromatische Amine nicht bekannt und finde
sich eine solche auch nicht in dem Merkblatt zur BK Nr. 1301 und der Kläger sei deutlich vor dem mittleren Erkrankungsalter
an einem Harnblasenkarzinom erkrankt, dies führe vor dem Hintergrund einer fehlenden Risikoverdopplung, der nur sehr geringen
Konzentration von aromatischen Aminen in Kraftstoffen (1 ppm) und einer teilweisen Ausübung der Tätigkeit auch im administrativen
Bereich nicht zu einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Verursachung der Erkrankung durch berufsbedingte Einwirkungen.
Auch die Feststellung des Harnblasenkarzinoms als "Wie-BK" im Hinblick auf den Kontakt mit Benzol komme nicht in Betracht,
da es insoweit an diesbezüglichen neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen fehle.
Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 27. Februar 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. März 2013 Berufung
zum Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.
Der Kläger ist der Auffassung, seine Harnblasenkrebserkrankung sei auf seine Tätigkeit als Kfz-Mechaniker über mehr als 30
Jahre in verschiedenen Kfz-Betrieben zurückzuführen. Neben einer berufsbedingten Exposition gegenüber einer Vielzahl anderer
Stoffe habe die bei ihm vorhandene jahrelange tägliche Exposition gegenüber Benzin, welches mit Azofarbstoff eingefärbt gewesen
sei, zu einer relevanten Risikoerhöhung geführt. Bei seiner Tätigkeit sei die Aufnahme über die Haut besonders hoch gewesen.
Grenzwerte zum Gefährdungspotenzial bei aromatischen Aminen gebe es nicht. Zudem seien sowohl die Autoabgase als auch die
Dieselkraftstoffe nicht hinreichend in die Prüfung eingeflossen. Auch habe er mit Staufferfett gearbeitet, das mit Azo-Farbstoffen
gefärbt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. Februar 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. September 2010
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2011 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit
nach Nr. 1301 der Anl. 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung,
hilfsweise
eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig.
In einer Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 8. Oktober 2015 hat dieser ausgeführt, Dieselkraftstoffe
seien nicht mit Azofarbstoffen eingefärbt gewesen. Auch Autoabgase von Verbrennungsmotoren enthielten keine aromatischen Amine.
Ein Einsatz von Farbstoffen in Schmierfetten sei besonders in Industrieschmierfetten, nicht aber im Pkw-Bereich erfolgt. Auch
enthielten solche Universalfette in den alten Bundesländern keine aromatischen Amine.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein fachurologisches Gutachten des Dr. K. vom 14.
Oktober 2017 mit toxikologischem Zusatzgutachten des Prof. Dr. L. vom 30. Juni 2017 eingeholt. Der Sachverständige Dr. K.
hat bei dem Kläger das Vorliegen einer BK Nr. 1301 sowie außerdem eine "Wie-BK" durch Emissionen von Dieselmotoren bejaht.
Hierbei hat sich Dr. K. im Wesentlichen auf die Ausführungen des Prof. Dr. L. bezogen, der zu diesem Ergebnis gekommen ist.
Der Toxikologe hat zur Begründung ausgeführt, zwar könne die ehemals im Benzin eingesetzte Konzentration von Sudan Rot 7B
mit 1 mg/Liter Benzin (1 ppm) auf den ersten Blick als gering angesehen werden. Für das durch die aus dem Farbstoff entstehenden
aromatischen Amine gegebene kanzerogene Risiko dürfe jedoch nicht die genannte Konzentration im Benzin zugrunde gelegt werden,
sondern es müsse eine Risikoabschätzung auf der Basis der Menge an Sudan Rot 7B durchgeführt werden, die unter den Arbeitsbedingungen
des Klägers relevant gewesen sei. Hierzu hat der Sachverständige eine Berechnung angestellt, die eine Exposition des Klägers
durch die regelmäßige Durchführung von Ölwechseln aufgrund von Verbrennungsrückständen im Motoröl darlegt. Bei einer Zahl
von 3 Ölwechseln pro Tag an 200 Arbeitstagen stelle sich danach insgesamt eine kumulative Dosis von ca. 6 mg/Jahr dar. Diese
Menge an kanzerogenen aromatischen Aminen führe mit hoher Wahrscheinlichkeit insbesondere vor dem Hintergrund der Gesamtarbeitszeit
des Klägers von vielen Jahren zu einem Harnblasenkarzinom.
Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Dr. M. vom 12. November 2017 vorgelegt. Dieser geht von der Tätigkeit des Klägers
von 1977-1984 als Kfz-Mechaniker aus, anschließend als Kundenberater und Werkstattmeister. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe
sicherlich eine Exposition gegenüber Kraftstoffen bestanden, die in früheren Jahren in geringem Anteil mit Azofarbstoffen
eingefärbt gewesen seien, von denen einige krebserzeugende aromatische Amine wie o-Toluidin freisetzten. Es sei allerdings
davon auszugehen, dass die Farbstoffmoleküle relativ stabil gewesen seien, so dass freies o Toluidin allenfalls im ppb-Bereich
angenommen werden könne. Dieses gelte unter den krebserzeugenden aromatischen Aminen als relativ gering kanzerogen. Es bedürfe
einer kumulativen Dosis von mehr als 30 g, um das Verdopplungsrisiko für Harnblasenkarzinome zu erreichen. Dies sei bei der
stattgehabten Exposition undenkbar, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass eine inhalative Exposition nicht stattgefunden
habe, da der Siedepunkt der Farbstoffe viel zu hoch liege, um bei Umgang mit diesen inhalativ relevant aufgenommen werden
zu können. Damit sei eine Exposition gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen, wenn sie denn überhaupt bestanden habe,
so gering gewesen, dass in keiner Weise BK-relevant gewesen sei.
Prof. Dr. L. hat hierzu unter dem 3. Januar 2018 ausgeführt, nach Aufnahme in den Organismus könnten die beiden Azo-Gruppen
des Sudan Rot 7B reduktiv gespalten werden, was zur Entstehung verschiedener aromatischer Amine führe. Eine inhalative Exposition
könne auf keinen Fall völlig ausgeschlossen werden, einer solchen bedürfe es jedoch auch nicht, da eine dermale Exposition
gegenüber den Farbstoffen mit der anschließenden Fremdstoffmetabolisierung völlig ausreiche, um im Organismus des Klägers
kanzerogene Amine entstehen zu lassen.
In einer weiteren Stellungnahme hierzu vom 30. Januar 2018 hat Dr. M. dargelegt, die Ausführungen des Prof. Dr. L. stünden
nicht im Einklang mit der anzunehmenden stattgehabten Exposition und der stattgehabten Aufnahme krebserzeugender aromatischer
Amine in den Organismus. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Azofarbstoffe zur Einfärbung von Ottokraftstoffen jedenfalls
nur in einer Konzentration von 0,1-1 ppm zum Einsatz gekommen seien. Von den Inhaltsstoffen sei nur das o Toluidin ein humankanzerogenes
aromatisches Amin im Sinne der BK Nr. 1301, wobei das krebserzeugende Potenzial deutlich unter dem von 2-Naphthylamin liege.
Wegen der äußerst geringen Farbstoffkonzentration, erfahrungsgemäß nur kurzen Expositionszeiten und einer möglichen o-Toluidin-Abspaltung
nur bei einem Teil der eingesetzten Farbstoffe sei die ausschließlich dermale Exposition bei Kfz-Schlossern als gering einzuschätzen.
Es sei zu berücksichtigen, dass es sich naturgemäß bei Farbstoffen um stabile Moleküle handele, welche unter den gegebenen
Bedingungen nur zum geringsten Teil in ihre Ausgangsstoffe dissoziiert seien. Es sei zu hinterfragen, ob die stattgehabte
Exposition geringen Ausmaßes ausreiche, eine BK Nr. 1301 zu begründen. Wenn, dann sei die Aufnahme ausschließlich über die
Haut erfolgt. Zweifellos werde die Frage, bei welcher kumulativen Dosis eines aromatischen Amins, hier insbesondere o-Toluidin,
ein Verdopplungsrisiko für Harnblasenkarzinome bestehe, kontrovers diskutiert. Es sei nicht möglich, allein aus der Erkenntnis
heraus, dass ein Stoff kanzerogen wirke, eine Kausalität einer Berufskrankheit abzuleiten. Zumindest bedürfe es einer epidemiologischen
Bestätigung, ob eine bestimmte Berufsgruppe einem höheren Risiko, an einem Urothelkarzinom zu erkranken, unterliege (Risikoverdopplung).
Dieses epidemiologische Kriterium sei bei Kfz-Mechanikern nicht erfüllt.
Prof. Dr. L. hat hierzu nochmals unter dem 28. März 2018 und dem 30. April 2018 ausgeführt, Dr. M. gehe lediglich von einer
Hautresorption aromatischer Amine durch den Kontakt mit dem originären Motorentreibstoff aus, er lasse hierbei aber unberücksichtigt,
dass eine Anreicherung von Azofarbstoffen in den Motorenölen stattfinde, mit denen der Kläger in weitaus größerem Umfang Kontakt
gehabt habe. Auch gehe Dr. M. nicht auf den Fremdstoffmetabolismus ein, der im Organismus aus den Azofarbstoffen teilweise
kanzerogene aromatische Amine entstehen lasse. Diese Azofarbstoffe seien zwar chemisch stabil, unterlägen jedoch einer wirksamen
biochemischen Umsetzung zu kanzerogenen aromatischen Aminen. Auch lasse Dr. M. unberücksichtigt, dass der Kläger nicht nur
gegenüber aromatischen Aminen, sondern auch gegenüber Dieselmotorabgasen exponiert gewesen sei, für die eine Erhöhung des
kanzerogenen Risikos um den Faktor "mehr als 2" für die Berufsgruppe des Klägers zweifelsfrei dokumentiert sei. Auch habe
Dr. M. keine Argumente gegen die von ihm durchgeführte Expositionsabschätzung gegenüber aromatischen Aminen angebracht oder
eine Gegenrechnung präsentiert. Bei Azofarbstoffen handele es sich zwar um chemisch stabile Substanzen, die jedoch biochemisch/biologisch
sehr leicht reduktiv gespalten und durch diesen Abbau zu freien aromatischen Aminen "toxifiziert" würden. Die von Dr. M. reklamierte
Risikoverdopplung habe weder Eingang in die entsprechenden Vorschriften und Arbeitshilfen der DGUV noch in die Rechtsprechung
gefunden.
In einer weiteren Stellungnahme vom 7. Juni 2018 ist Dr. M. auf die Frage von Dieselabgasexpositionen eingegangen und hat
im Übrigen darauf hingewiesen, hinsichtlich der auftretenden aromatischen Amine habe es sich im Wesentlichen um o Toluidin
gehandelt, da in dem Zeitraum ab 1977 andere Kupplungskomponenten auf der Basis aromatischer Amine von etwaigen Azofarbstoffen
kaum mehr in Gebrauch gewesen seien. Die gesamte Diskussion sei eine theoretische, welche im Hinblick auf die Pathomechanismen,
die Prof. Dr. L. anführe, korrekt sei. Eine stattgehabte Exposition des Klägers liege allerdings in einer Größenordnung, in
welcher kein realistischer Beitrag zur Krebsentstehung angenommen werden könne: Versteuerte Dieselkraftstoffe seien niemals
eingefärbt worden; Schmierstoffe hätten in dem Zeitraum, in welchem der Kläger seinen Beruf als Kfz-Mechaniker ausgeübt habe,
keine Substanzen mehr als Oxidationsinhibitoren enthalten, die krebserzeugende aromatische Amine enthielten oder hätten abspalten
können. Unterbodenschutz sei auf der Basis von Bitumenprodukten eingesetzt worden, die allenfalls Spuren aromatischer Amine
enthielten. Motor- und Getriebeöl hätten als Antioxidantien und Farbstoffe keine als krebserzeugend eingestuften aromatischen
Amine und auch keine Farbstoffe auf der Basis von Azofarbmitteln enthalten. Selbst wenn im Ausnahmefall Azofarbstoffe bei
Schmieröl eingesetzt worden seien, sei ein dermaler Kontakt zu Motoröl eher als geringgradig zu bewerten. Beim Ölwechsel seien
großflächige Verschmutzungen möglichst immer vermieden worden. Auch das Einfüllen neueren oder älteren Motor- oder Getriebeöls
gehe nicht mit einer relevanten dermalen Exposition einher. Es könnten allenfalls durch Tropfen Verunreinigungen der Hände
auftreten. Die Exposition sei in ihrer Quantität aus arbeitsmedizinischer Sicht als geringfügig zu bewerten. Die Ausführungen
von Prof. Dr. L. seien in qualitativer Hinsicht sicherlich richtig, in quantitativer Hinsicht aber spekulativ. Die Auswertung
der Literatur ergebe ein leicht erhöhtes Risiko für Kfz-Mechaniker, an einem Harnblasenkarzinom zu erkranken (1,27), ein Verdopplungsrisiko
sei für diese Berufsgruppe nicht nachgewiesen. Eine Studie von Colt, Karagas, Silverman (Journal of Occupational and Environmental
Med. 2011 April; 68 (4) 239 - 249), ergebe ein relatives Risiko unter Automobilmechanikern von 1,6 insgesamt. Die weitere
Aufschlüsselung dieser Daten sei aber im Hinblick auf den Beschäftigungszeitraum von ganz besonderem Interesse: So seien Automechaniker
vor 1950 mit einem relativen Risiko von 4,4, von 1950-1959 von 1,6, von 1960-1969 von 1,8 und von 1970-1979 sowie von 1980
bis heute mit einem Risiko von 0,9 gefährdet, an einem Harnblasenkarzinom zu erkranken. Damit ergab sich nach 1970 kein erhöhtes
Risiko mehr im Vergleich zur unbelasteten Referenz.
Prof. Dr. L. hat sich hierzu nochmals unter dem 15. August 2018 geäußert und ausgeführt, Dr. M. lasse völlig unberücksichtigt,
dass nach der gängigen wissenschaftlichen Lehrmeinung bei aromatischen Aminen in den Kanzerogenitätsklassen K1 und K2 die
Angabe von Grenzwerten, unter denen mit Sicherheit keine Krebserkrankung zu erwarten ist, nicht möglich sei. Die Einlassung
des Dr. M., eine stattgehabte Exposition des Klägers liege in einer Größenordnung, in welcher kein realistischer Beitrag zur
Krebsentstehung angenommen werden könne, sei eine reine Meinungsäußerung, da sie in keiner Weise durch eine Modellrechnung
auch nur ansatzweise belegt werde. Auch den Ausführungen zu der Publikation von Colt u.a. könne nicht gefolgt werden: Die
dort in Tabelle 4 in Bezug genommenen Zeitangaben dokumentierten den Beginn, nicht aber die Dauer der jeweiligen Beschäftigung;
daher fehle diesen Daten jede Beweiskraft für eine Verminderung des Krebsrisikos ab 1970. Im Übrigen hätten die Autoren der
Studie selbst den Verdacht geäußert, dass es sich hierbei um einen "latency effect" handeln könne, denn bei einer Latenzzeit
von 30 bis 40 Jahren hätten in der 2011 publizierten Studie die meisten Krebsfälle, die auf eine Exposition während der Jahre
1975 bis 1990 zurückgingen, gar nicht erfasst werden können. Hingegen könne man aus den der Tabelle 3 dieser Studie zu entnehmenden
Daten sowohl für die Berufsgruppe der "Fahrzeug- und Mobilgerätemechaniker und reparateure" als auch für die der "Automobilmechaniker"
bei Beschäftigungszeiten von mindestens 15 Jahren eine statistisch signifikante Erhöhung der Blasenkrebsinzidenz mit einem
Faktor von mehr als 2 erkennen.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere auch im Vorbringen der Beteiligten und in der Gutachtenslage, wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Nach Auffassung des Senats ist die Beklagte verpflichtet, bei dem Kläger eine Berufskrankheit
nach der Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) Krankheiten,
die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte
infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur BKV
ist unter Nr. 1301 bezeichnet: "Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine".
Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist zunächst, dass die versicherte Tätigkeit, die
schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Eine absolute Sicherheit ist
bei der Feststellung des Sachverhalts dabei nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit,
wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (BSGE 6, 144; Meyer-Ladewig, SGG,
9. Auflage, § 118 Rdnr. 5 m.w.N.). Der Grad der Wahrscheinlichkeit muss so hoch sein, dass alle Umstände des Einzelfalles
nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die
volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128).
Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende
schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. Einwirkungskausalität) und
diese Einwirkung muss die als Berufskrankheit zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).
Als Beweismaßstab genügt für die ursächlichen Zusammenhänge statt des Vollbeweises die hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.
h. bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden
Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen
Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a. F.). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht
schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).
Bei dem Kläger ist im September 1999 im Lebensalter von 38 Jahren ein Harnblasentumor im Stadium pT1 G2 diagnostiziert worden
sowie ein erstes Rezidiv im Juli 2002 und ein zweites Rezidiv im Jahr 2005. Im weiteren Verlauf trat im Juni 2006 ein Nierenbeckenurothelcarcinom
links auf, im Juni 2009 erfolgte eine Urethrektomie mit Anlage eines Ileocaecalpouchs, im April 2014 eine Nierenharnleiterentfernung
links. Eine Erkrankung im Sinne der BK Nr. 1301 ist damit im Vollbeweis gesichert.
Der Kläger war während seiner versicherten Tätigkeit auch gegenüber aromatischen Aminen exponiert.
Bezüglich der versicherten Tätigkeiten des Klägers als Kraftfahrzeugmechaniker vom Beginn seiner Ausbildung im Juni 1977 bis
Ende 1984 in ganztägiger Ausübung und ab 1985 bei verschiedenen Arbeitgebern in ca. hälftiger Tätigkeit als mitarbeitender
Kraftfahrzeugmechaniker bei im Übrigen ausgeübter Tätigkeit im Bereich des Kundendienstes hält der Senat eine Exposition des
Klägers gegenüber o-Toluidin im Vollbeweis für gesichert und die Einwirkungskausalität für gegeben. Wie der Präventionsdienst
der Beklagten dargelegt hat (Stellungnahme vom 19. Januar 2010), wurden im Zeitraum von 1964 bis 1994 in Ottokraftstoffen
(Normal und Super) Bleiverbindungen zur Verbesserung der Klopffestigkeit eingesetzt. Zur Kennzeichnung dieser sog. Bleifluids
wurde ein Farbstoff (in der Regel Sudan Rot) verwendet, bei dem es sich um einen Azofarbstoff handelt, der o-Toluidin abspalten
kann. Diese Bleifluids wurden in einer Konzentration von ca. 1 mg/l Kraftstoff zugefügt. Das entspricht etwa einem Gehalt
von 1 ppm Farbstoff im Kraftstoff (vgl. hierzu insgesamt BK-Report Aromatische Amine 2/2018 S. 124, Ziffer 13.5.1.4). Insoweit
besteht auch Übereinstimmung zwischen dem Präventionsdienst der Beklagten und allen vorliegend befassten Sachverständigen.
Der Gefahrstoff o-Toluidin gehört zu den Stoffen, denen im Hinblick auf ihr kanzerogenes Potenzial die größte Bedeutung beigemessen
wird. Nach Abschnitt III der MAK-Werte-Liste der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe ist das
Amin o-Toluidin nach K1 als gesichert beim Menschen krebserzeugender Arbeitsstoff eingestuft (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die
Berufskrankheitenverordnung - BKV -, Stand September 2018, M 1301, Seite 15; Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit
Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV (GMBl 2011, 18)).
Nach Auffassung des Senats hat die Exposition des Klägers gegenüber dem Gefahrstoff o-Toluidin während seiner versicherten
Tätigkeit als Kraftfahrzeugmechaniker von 1977 bis Ende 1983 hinreichend wahrscheinlich die bei ihm eingetretene Krebserkrankung
der Harnwege verursacht.
Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Versicherungsfalles basieren auf der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht
geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach geht es auf einer ersten Stufe der Kausalitätsprüfung um die Frage, ob
ein Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne vorliegt, d.h. - so die neueste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
- ob eine objektive Verursachung zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Beweisrechtlich ist
zudem zu beachten, dass der möglicherweise aus mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden
muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen
(BSG, Beschluss vom 23. September 1997 - 2 BU 194/97 - Deppermann-Wöbbeking in: Thomann (Hrsg.), Personenschäden und Unfallverletzungen,
Referenz Verlag Frankfurt 2015, Seite 630). In einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann durch Wertung die Unterscheidung zwischen
solchen Ursachen notwendig, die wesentlich sind, weil sie rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, und den
anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O; BSG, Urteil vom 24. Juli 2012
- B 2 U 9/11 R - juris).
Der naturwissenschaftliche Zusammenhang (1. Prüfungsstufe) zwischen der berufsbedingten Dosis an o-Toluidin und der Krebserkrankung
ist gegeben. Es überwiegen im vorliegenden Fall die Indizien deutlich, die für eine Verursachung sprechen.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Gefahrstoff o-Toluidin nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse
generell geeignet ist, beim Menschen bösartige Neubildungen der Harnwege im Sinne der BK Nr. 1301 zu verursachen. Die Prüfung
der generellen Geeignetheit in diesem Sinne bezieht sich auf die spezifische Krebslokalisation bzw. Krebsart und auf die bestimmte
Personengruppe sowie die besondere Tätigkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB VII und nicht auf die bloße Kanzerogenität. Die festgestellte
Schädigung lässt sich im Einzelfall weder aus den MAK-Werten noch der Einstufung als krebserzeugender Arbeitsstoff ableiten,
sondern der ärztliche Befund unter Berücksichtigung aller äußeren Umstände des Fallhergangs ist entscheidend (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall- und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Nr. 18.3., S. 1143 mit Verweis auf BSG vom 24. Januar 1990 - 2 RU 20/89
- und BSG vom 12. Juni 1990 - 2 RU 21/89 -). Der Nachweis der Kanzerogenität erfolgt durch epidemiologische Erhebungen bei
entsprechend belasteten Kollektiven. Ergebnisse aus Tierversuchen können Hinweise für eventuelle kanzerogene Potenzen bzw.
Gefährdungen ergeben, wobei die Gültigkeit solcher Ergebnisse auf die Krankheitslehre des Menschen geklärt sein muss (vgl.
Schönberger u.a., a.a.O. Nr. 18.4., S. 1147). Dass o-Toluidin nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse
geeignet ist, auch beim Menschen bösartige Neubildungen der Harnwege im Sinne der BK Nr. 1301 herbeizuführen, ergibt sich
aus der MAK-Werte-Liste und der dortigen Einstufung von o-Toluidin in Kategorie 1 und der wissenschaftlichen Stellungnahme
zur BK Nr. 1301 des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" bei dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(GMBl 2011, 18). Allen krebserzeugenden aromatischen Aminen gemeinsam ist, dass sie an sich nicht krebserzeugend sind. Erst
in der Verstoffwechselung entstehen aus den Ausgangsmolekülen krebserzeugende Zwischenprodukte in der Harnblase (Schönberger
u.a., a.a.O. Nr. 18.6.2.2.1 S. 1182).
Die Einwirkung von o-Toluidin während der versicherten beruflichen Tätigkeit des Klägers als Kfz-Mechaniker war auch nicht
nur der Art nach, sondern auch nach Dauer und Intensität geeignet, die bösartigen Neubildungen der Harnwege im Sinne der BK
Nr. 1301 im naturwissenschaftlichen Sinn zu verursachen (vgl. zu der Voraussetzung der Qualität und Quantität der Gefahrstoffe
Brandenburg in Juri-PK-SGB VII Rdnrn. 67 ff.).
Für diese Feststellung stützt sich der Senat insbesondere auf die Ausführungen des Prof. Dr. L. in seinem Gutachten vom 30.
Juni 2017 und seinen ergänzenden Stellungnahmen hierzu. Der Sachverständige geht unter Zugrundelegung der durch den Präventionsdienst
der Beklagten festgestellten, vom Kläger während seiner Tätigkeit als Kfz-Mechaniker ausgeführten Verrichtungen und auf diese
Basis durchgeführter Berechnungen davon aus, dass die Aufnahme von o-Toluidin am Arbeitsplatz des Klägers, insbesondere in
der Zeit von 1977 bis 1984 quantitativ von erheblicher Bedeutung gewesen und nicht als gering einzustufen ist. Die entgegenstehende
Auffassung von Dr. M., wonach eine Ursächlichkeit des Gefahrstoffes für die Verursachung der Krebserkrankung nur bei einer
kumulativen Dosis von mindestens 30 g angenommen werden könne, vermag den Senat nicht zu überzeugen. Auch in der von diesem
angeführten Veröffentlichung "Berufskrankheit 1301" (Weiß/Henry/Brüning, Arbeitsmed. Sozialmed. Unfallmed. 2010, 222 ff.)
räumen die Autoren ein, dass sich den in der internationalen Literatur verfügbaren epidemiologischen Arbeiten weder Dosis-Wirkungs-
noch Dosis-Risiko-Beziehungen zu den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) als humankanzerogen eingestuften aromatischen
Aminen entnehmen lassen, und dass diese Studien in der Regel sogar keine Exposition angeben. Hinsichtlich des Nachweises einer
kumulativen Exposition gegenüber urothelkanzerogenen Aminen im mg- oder g-Bereich und damit der Forderung nach einer Mindestdosis
oder Schwellendosis herrscht hiernach gerade kein Konsens in der Wissenschaft (Urteile des Senats vom 21. Februar 2017 - L
3 U 9/13 - und vom 19. Juni 2018 - L 3 U 129/13; so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2014, L 8 U 4478/13,
juris Rdnr. 52; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2011 L 31 U 339/08 - juris Rdnr. 30; LSG Baden-Württemberg,
Urteil vom 7. September 2010 - L 1 U 2869/09 - juris Rdnr. 38, 39; vgl. zu dem Stand der Diskussion: T. Weiß, J. Henry, T.
Brüning, Berufskrankheit 1301, Bewertung der beruflichen (Mit )Verursachung von Harnblasenkrebserkrankungen unter Berücksichtigung
der quantitativen Abschätzung der Einwirkung der aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4 Aminodiphenyl und o-Toluidin, in: ASUMed
2010, Seiten 231, 233; Dietrich Henschler, Klaus Norpoth, Heinz Walter Thielmann, Hans-Joachim Woitowitz, Blasenkrebs durch
aromatische Amine als Berufskrankheit: Zur Validität der neuen berufsgenossenschaftlichen Dosisgrenzwerte, ZblArbeitsmed 2012,
Seite 73). Bei der Formulierung des Tatbestandes der BK Nr. 1301 - auch in der aktualisierten Fassung des GMBl. 2011, 18 -
hat der Verordnungsgeber auch auf die Angabe eines konkreten Belastungsgrenzwerts verzichtet. Der Verzicht auf die Angabe
konkreter Belastungsarten und Belastungsgrenzwerte bei der Formulierung von BK-Tatbeständen geschah dabei vielfach bewusst,
um bei der späteren Rechtsanwendung Raum für die Berücksichtigung neuer, nach Erlass der Verordnung gewonnener oder bekannt
gewordener Erkenntnisse zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - juris Rdnr. 18 ff. m.w.N.). Im Merkblatt
zur BK Nr. 1301 (Bek. des BMA vom 12. Juni 1963, BArbBl. Arbeitsschutz 1964, 129) ist hierzu unter IV. "Hinweise für die ärztliche
Beurteilung" ausgeführt, dass Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege im Allgemeinen nach mehrjähriger, gelegentlich auch
mehrmonatiger Exposition mit aromatischen Aminen entstehen; noch Jahrzehnte nach Aufgabe des gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatzes
können sie in Erscheinung treten." Eine Mindestexpositionsmenge ist weder in dem Merkblatt zu BK Nr. 1301 noch in den späteren,
das Merkblatt aktualisierenden wissenschaftlichen Stellungnahmen enthalten (vgl. dazu Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 1301,
Seiten 1 11). Ein Modell zur Ableitung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen wurde für 2 Naphthylamin, 4-Aminodiphenyl und o-Toluidin
zwar vorgeschlagen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, 18.6.2.2.1, Seite 1182
unter Hinweis auf Weiß/Henry/Brüning in ASU 45(2010) 222 ff.). Es gibt mit Ausnahme des Einflusses von Tabakrauch jedoch keine
sicheren epidemiologischen Erkenntnisse zur Risikoschätzung.
Nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L. ist für die Bejahung der haftungsbegründenden
Kausalität ausschlaggebend, dass aromatische Amine (hier o-Toluidin) bis zum Auftreten der Harnblasenkrebserkrankung über
einen hinreichenden Zeitraum von mehr als 20 Jahren am Arbeitsplatz des Klägers auf diesen in ausreichendem Umfang eingewirkt
haben. In welcher Höhe die Exposition jeweils erfolgt ist, lässt sich nicht mehr genau feststellen. In einem solchen Fall
ist aber eine lebensnahe Beweiswürdigung zu praktizieren. Bei den auftretenden Beweisschwierigkeiten sind im Rahmen der freien
Beweiswürdigung nach § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in die auch Billigkeitserwägungen einfließen dürfen, an den Vollbeweis
keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Für den Umfang der Exposition genügt deshalb eine Schätzung, wenn ausreichende Grundlagen
hierfür vorhanden sind (so Urteile des Senats vom 21. Februar 2017 - L 3 U 9/13 -, vom 16. Juni 2015 - L 3 U 141/10 - und
vom 31. August 2010 - L 3 U 162/05 - jeweils juris mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG; LSG Baden-Württemberg, Urteil
vom 29. September 2011 L 6 U 5889/06; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Anmerkung 26.2 zu § 9 SGB VII).
Soweit Dr. M. in seiner Stellungnahme vom 30. Januar 2018 noch ausgeführt hat, dass die verbleiten Ottokraftstoffe Farbstoffe
enthalten hätten, von denen je nach Struktur nur einige o-Toluidin enthielten, hat er unter dem 7. Juni 2018 dargelegt, dass
es sich bei der maßgeblichen Kupplungskomponente in dem vorliegend in Rede stehenden Zeitraum ab 1977 im Wesentlichen um o-Toluidin
gehandelt hat. Dabei ist für die ersten Jahre seiner Tätigkeit als Kraftfahrzeugmechaniker (insbesondere 1977 bis einschließlich
1984) von einer vergleichsweise höheren Einwirkung auszugehen, da er in diesem Zeitraum ausschließlich die für diesen Beruf
typischen Werkstatttätigkeiten ausgeübt hat, während er ab 1985 neben diesen Aufgaben auch solche im Bereich des Kundendienstes
wahrgenommen hat. Prof. Dr. L. hat nachvollziehbar dargelegt, dass entgegen der Ausführungen des Dr. M. unter Berücksichtigung
der Tätigkeit des Klägers nicht nur der Kontakt zu Kraftstoffen zu beurteilen ist, für die von einer Belastung mit o-Toluidin
im Bereich von 1 ppm auszugehen ist und unter deren ausschließlicher Berücksichtigung der Präventionsdienst der Beklagten
in seiner Stellungnahme von 18. Dezember 2009 von einer dermalen Exposition arbeitstäglich im Minutenbereich und über einen
Zeitraum von ca. 5 Jahren bei Tankumfüll- und Tankumbauarbeiten auch von gelegentlichen größeren Expositionen ausgeht. Vielmehr
weist der toxikologische Sachverständige auf eine deutlich höhere dermale Belastung aufgrund der regelmäßigen Vornahme von
Ölwechseln hin. Er hat hierzu überzeugend ausgeführt, dass bei einer Laufleistung von 30.000 km zwischen zwei Ölwechseln und
einem durchschnittlichen Verbrauch von 8 l Benzin pro 100 km in der verbrauchten Benzinmenge 2400 mg Sudan Rot enthalten waren
und Rückstände der Kraftstoffverbrennung und aufgrund der Fettlöslichkeit des Farbstoffes Sudan Rot auch dieser in das Motorenöl
übergehen und dort ausgehend von ca. 1% unverbrannt bleibender Rückstände ein Anteil von 24mg/6 Liter auszutauschenden Altöls
verbleibt. Bei der Durchführung von 3 Ölwechseln täglich (Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 18. Dezember
2009: bis 1983 3 bis 4 Ölwechsel arbeitstäglich) und einer Kontamination der Haut während des Ölwechsels mit durchschnittlich
10 ml dieses Altöls ist danach von einer Resorption von 0,02 mg Sudan Rot auszugehen, das zu ca. 0,1 mg aromatischer Amine
metabolisiert wird. Dies bedeutet ausgehend von 200 Arbeitstagen eine kumulative Dosis von 6mg/Jahr. Dieser überzeugenden
Berechnung durch den Prof. Dr. L. ist die Beklagte auch nicht entgegengetreten. Dr. M. bezeichnet "die gesamte Diskussion"
insoweit als "eine theoretische", wobei er im Hinblick auf die Pathomechanismen, die Prof. Dr. L. anführe, diese als korrekt
bestätigt und keine konkreten Argumente gegen die rechnerischen Überlegungen liefert. Nach diesen für den Senat nachvollziehbaren
Berechnungen kann zu seiner Überzeugung in der Gesamtschau nicht von einer nur geringen beruflichen Exposition ausgegangen
werden, auch wenn die Quantität im Nachhinein nicht konkret festgestellt werden kann. Soweit Dr. M. und mit ihm die Beklagte
als Voraussetzung für die Annahme einer Ursächlichkeit einer beruflich bedingten Schadstoffexposition auf eine Risikoverdopplung
abstellt, entspricht dies nicht dem aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand unabhängig davon, dass das Gesetz
in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII das Kriterium einer Risikoverdopplung als Voraussetzung einer BK-Anerkennung auch nicht erwähnt
(vgl. dazu BSG, Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R - juris Rdnr. 19).
Wie bereits der im Verwaltungsverfahren durch die Beklagte beauftragte Sachverständige Prof. Dr. J. - der allerdings auf der
Basis einer vom Präventionsdienst der Beklagten als nur gering beschriebenen Exposition gegenüber aromatischen Aminen der
Kanzerogenitätskategorie 2 zu einer negativen Beurteilung gekommen ist - in seinem Gutachten vom 29. Juli 2010 dargelegt hat,
erfüllt der Kläger auch eine Reihe weiterer Kriterien, die für einen Zusammenhang seiner Krebserkrankung im Bereich der Harnwege
mit einer beruflichen Exposition gegenüber relevanten Gefahrstoffen sprechen. So ist zunächst das deutlich vorgezogene Erkrankungsalter
des Klägers von 38 Jahren bei einem mittleren Erkrankungsalter in Deutschland für Harnblasenkarzinome bei Männern von 70 Jahren
ein Indiz für eine berufliche Verursachung. Ebenso spricht nach Prof. Dr. J. für die berufliche Genese der Erkrankung insbesondere
auch das Krankheitsbild eines rezidivierenden und multilokulären Auftretens des Harnblasenkarzinoms, wie es bei dem Kläger
der Fall ist. Prof. Dr. J. hat auch bestätigt, dass die bei dem Kläger sich ergebende Latenzzeit von 22 Jahren einen Zeitraum
darstellt, wie er für beruflich bedingte Harnblasenkarzinome beschrieben ist.
Die berufliche Exposition des Klägers gegenüber o-Toluidol war auch wesentliche Ursache für die Harnblasenkrebserkrankung.
Die auf der 2. Prüfungsstufe der Kausalität zu prüfende Wesentlichkeit der Bedingung ist eine reine Rechtsfrage (vgl. zur
Theorie der wesentlichen Bedingung: BSG, Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R - juris Rdnr. 23 ff. m.w.N. aus Rechtsprechung
und Literatur). Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach Auffassung des praktischen
Labens über die besondere Beziehung zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden und
beantwortet sich nach dem Schutzzweck der Norm (grundlegend Becker, MedSach 2007, 92; Spellbrink, MedSach 2017, 51,55). Die
rechtliche Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellten mitwirkenden
unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden
Gefahr ist. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung auch rechtlich
wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der
jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen. Wesentlich ist dabei nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd
gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache
kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat.
Im Rahmen der hier maßgeblichen BK Nr. 1301 soll die gesetzliche Unfallversicherung vor Krebserkrankungen durch aromatische
Amine schützen und im Falle einer solchen Erkrankung Leistungen gewähren. Da der Verordnungsgeber keinen Schwellenwert (weder
nach Menge noch nach Dauer der Einwirkung) festgeschrieben hat, der überschritten sein muss, damit die BK Nr. 1301 festgestellt
werden kann, zeigt bereits die Normformulierung, dass die betreffenden Gefahrstoffe auch niedrigschwellig als gefährlich eingestuft
werden (BSG, Urteil vom 30. März 2017, a. a. O.). Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung wird der Versicherte zudem
in dem gesundheitlichen Zustand geschützt, in dem er mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert wird. Außerberufliche Noxen sind
vorliegend als Ursachen nicht festzustellen, nachdem der Kläger unstreitig immer Nichtraucher war und damit auch das wichtigste
außerberufliche Risiko des Tabakkonsums als Ursache ausscheidet. Es ergeben sich auch sonst keine konkreten Hinweise auf außerberufliche
Ursachen der Krebserkrankung des Klägers. Damit entfällt eine Abwägung zur Frage der Wesentlichkeit.
Da zur Überzeugung des Senats die Exposition des Klägers gegenüber o-Toluidol allein schon hinreichende und notwendige Bedingung
für die Entstehung der Krebserkrankung der Harnwege bei diesem war, kann die Frage anderer beruflicher Schadstoffexpositionen,
wie Prof. Dr. L. sie aufwirft, dahingestellt bleiben.
Da der Hauptantrag des Klägers erfolgreich ist, brauchte der Senat über den Hilfsantrag (Anerkennung einer "Wie-BK") keine
Entscheidung treffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2
SGG.