Anspruch auf Hinterbliebenenrente; Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer großen Witwenrente aus der Versicherung des im Januar 2004 verstorbenen
M. L. (im Folgenden: L.).
Die 1940 geborene Klägerin war in der Zeit von März 1959 bis Dezember 1973 mit dem 1929 geborenen L. verheiratet. Aus dieser
Ehe gingen sechs gemeinsame Kinder hervor. Die Klägerin hat noch ein weiteres leibliches, 1974 geborenes Kind. Weder die Klägerin
noch L. haben einen anderen Partner geheiratet.
Nach der Scheidung führten die Klägerin und L. jeweils einen eigenen Haushalt und lebten in verschiedenen Orten. Im Jahre
2003 bezogen beide eine Versichertenrente von der Beklagten. Die Rente der Klägerin betrug ca 290 Euro, die des L. ca 1850
Euro/Monat.
Im April 2003 wurde bei L. eine unheilbare Krebserkrankung festgestellt. Eine operative Behandlung war nicht mehr möglich;
bis Juni 2003 unterzog sich L. einer als palliativ bezeichneten Chemotherapie.
Anfang Mai 2003 zog L. zur Klägerin; beide heirateten am 23.5.2003. In den letzten Monaten vor seinem Tod war L. größtenteils
bettlägerig und wurde von der Klägerin gepflegt. Er verstarb am 30.1.2004 an den Folgen seiner Krebserkrankung.
Am 9.2.2004 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des L. Die Beklagte lehnte
den Rentenantrag mit Bescheid vom 6.5.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.9.2004 mit der Begründung ab, dass
L. innerhalb eines Jahres nach Eheschließung verstorben sei und deshalb nach §
46 Abs
2a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VI) eine sog Versorgungsehe vorgelegen habe.
Das Sozialgericht Duisburg (SG) hat nach Beiziehung medizinischer Unterlagen über L. und persönlicher Anhörung der Klägerin sowie Vernehmung ihrer Töchter
C. L., R. L. und K. H. als Zeugen mit Urteil vom 3.11.2006 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt,
der Klägerin Witwenrente ab dem 1.2.2004 zu gewähren. Dem Anspruch stehe der rechtshindernde Einwand der Versorgungsehe nicht
entgegen. Denn es sei insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen, der Klägerin eine Versorgung
zu verschaffen. Zum einen sei das Vorstellungsbild der Eheleute zum Zeitpunkt der Heirat nicht vornehmlich von der Erkrankung
des L. geprägt gewesen; zum anderen habe für L. eine andere Motivation zum Eheschluss als die finanzielle Versorgung der Klägerin
im Vordergrund gestanden. Er habe sich nicht vorstellen können, mit der Klägerin zusammenzuleben, deren Fürsorge und Betreuung
er sich habe sichern wollen, ohne mit dieser verheiratet zu sein.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) nach Beiziehung weiterer medizinischer
Unterlagen über L. und persönlicher Anhörung der Klägerin mit Urteil vom 31.8.2007 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Erwägungen des SG zur Motivationslage des L. und zu dessen persönlichen Moralvorstellungen seien verfehlt, weil es nicht Aufgabe der Rentenversicherungsträger
und der Gerichte sei, in die Intimsphäre eingreifende Erwägungen anzustellen. Ermittlungen seien auf die nach außen tretenden
Tatsachen zu beschränken; nur diese seien zu bewerten. Nach den hiernach festzustellenden objektiven Umständen sei die gesetzliche
Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe nicht widerlegt. Nach dem Gesundheitszustand des L. sei sein Tod in nicht allzu
ferner Zukunft als konkrete und nicht abwegige Möglichkeit zu erwarten gewesen. Ausmaß und Umfang der Erkrankung seien L.
und der Klägerin zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt gewesen. Der Entschluss zur Eheschließung sei erst nach der Diagnose
der tödlichen Erkrankung gefasst worden. Aus welchen Gründen es zuvor nicht zu einer Eheschließung gekommen sei und ob bei
dem Entschluss zu heiraten, das "Prinzip Hoffnung" im Vordergrund gestanden habe, könne dahingestellt bleiben, weil ansonsten
zur innersten und nicht nachprüfbaren intimen Motivationslage der Betroffenen Stellung genommen werden müsste. Die Klägerin
habe keine besonderen äußeren Umstände dargetan, welche die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe widerlegen könnten.
Die gemeinsamen Kinder seien zum Zeitpunkt der zweiten Heirat bereits volljährig gewesen, sodass ihre Betreuung und Erziehung
keine Motivation zur zweiten Heirat gewesen sein könne. Dem Umstand, dass sich L. von der Ehe Pflege und Betreuung von der
Klägerin versprochen habe, komme kein solches Gewicht zu, dass er allein vor dem Hintergrund der weiteren objektiv vorliegenden
Umstände die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe widerlegen könne. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung der
höchst unterschiedlichen Einkommensverhältnisse der Ehegatten bei der Wiederheirat. Dem im Verhältnis zur Klägerin hohen Einkommen
des L. habe auf ihrer Seite ein äußerst geringes und unter dem Sozialhilfebedarf liegendes Einkommen gegenüber gestanden,
sodass auch objektive finanzielle Gründe nicht gegen, sondern für die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe sprächen.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des §
46 Abs
2a SGB VI. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den einschlägigen Vorläufervorschriften sei bei der Prüfung der
Versorgungsabsicht auch auf subjektive Vorstellungen abzustellen (Hinweis auf BSGE 35, 272 = SozR Nr 2 zu § 594 der
Reichsversicherungsordnung [RVO]). Diese seien klar von objektiven Umständen zu trennen. Soweit das BSG in seiner Entscheidung vom 3.9.1986 (BSGE 60,
204 = SozR 3100 § 38 Nr 5) ausgeführt habe, es sei vorrangig auf objektive Umstände abzustellen und nicht allgemein geboten,
in der privaten Lebenssphäre Ermittlungen anzustellen, sei damit nicht gemeint, dass es unzulässig sei, Ermittlungen in der
privaten Lebenssphäre der Eheleute vorzunehmen bzw das Ergebnis derartiger Ermittlungen zu berücksichtigen. Die Nichtbeachtung
ihrer subjektiven Motivationslage und der des L. führe dazu, dass es ihr erschwert werde, die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe
zu widerlegen. Beim Fehlen ausreichender objektiver Umstände könne sie den Beweis nur dadurch führen, dass subjektive Momente
vorgetragen und unter Beweis gestellt würden. Sie habe einen gemeinsamen Hausstand mit L. gegründet, um dessen Betreuung und
Pflege zu gewährleisten; es sei sein größter Wunsch gewesen, sie wieder zu heiraten, weil er sie immer geliebt habe. Nach
seinen eigenen moralischen Ansprüchen habe er sich nicht vorstellen können, mit ihr ohne Trauschein unter einem Dach zu leben.
Weiterhin habe bei dem Entschluss zu heiraten das "Prinzip Hoffnung" im Vordergrund gestanden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31.8.2007 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts
Duisburg vom 3.11.2006 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen
des LSG kann nicht entschieden werden, ob die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin
auf die von ihr begehrte Witwenrente abgelehnt hat.
1. Nach §
46 Abs
2 Satz 1
SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt
hat, ua dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend
erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 30.1.2004 verstorbenen L., der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß §
50 Abs
1 SGB VI erfüllt hatte. Sie hatte im Zeitpunkt des Todes des L. auch das 45. Lebensjahr vollendet.
2. Gemäß §
46 Abs
2a SGB VI, der mit Wirkung vom 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21.3.2001 (BGBl I 403) eingeführt worden ist
und für alle seit dem 1.1.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl §
242a Abs
3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass
nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck
der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
a) Die zweite (und hier maßgebliche) Ehe zwischen der Klägerin und L. hat weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 23.5.2003
bis 30.1.2004. Damit ist der Tatbestand des §
46 Abs
2a Halbsatz 1
SGB VI erfüllt.
b) Die entsprechende Rechtsfolge (Ausschluss des Anspruchs auf Witwenrente) tritt jedoch dann nicht ein, wenn "besondere Umstände"
vorliegen, aufgrund derer trotz der kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende
Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (§
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI). Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, kann vom Senat nicht abschließend entschieden werden, weil
insoweit die Tatsachenfeststellungen des LSG nicht ausreichen.
aa) Der Begriff der "besonderen Umstände" in §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten mit einem bestimmten Inhalt
ausgefüllt werden muss und dessen Beurteilungsspielraum der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt (vgl BSGE 60, 204, 207 = SozR 3100 § 38 Nr 5 mwN).
Aus §
46 Abs
2a SGB VI ergibt sich nicht ohne weiteres, was unter "den besonderen Umständen des Falles" zu verstehen ist, die geeignet sind, die
Annahme einer Versorgungsehe (definiert in Anlehnung an Abs 2a Halbsatz 2 aaO als "Ehe, die allein oder überwiegend zu dem
Zweck geschlossen wird, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen") zu entkräften bzw eine Ausnahme vom gesetzlichen
Ausschluss einer Witwen-/Witwerrente bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr zuzulassen. Da §
46 Abs
2a SGB VI jedoch vom Gesetzgeber bewusst den entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs 6 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch, vormals § 594
RVO) und der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs 2 des Bundesversorgungsgesetzes) nachgebildet ist (vgl BT-Drucks 14/4595 S 44; s auch die inhaltsgleiche Norm des § 19 Abs
1 Satz 2 Nr 1 des Beamtenversorgungsgesetzes), kann an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Begriff der "besonderen Umstände"
in diesen Bestimmungen angeknüpft werden.
Als besondere Umstände iS des §
46 Abs
2a SGB VI sind daher alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen
Beweggrund für die Heirat schließen lassen (vgl BSGE 35, 272, 274 = SozR Nr 2 zu § 594
RVO). Dabei kommt es auf die (gegebenenfalls auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten
an, es sei denn, dass der hinterbliebene Ehegatte den Versicherten beispielsweise durch Ausnutzung einer Notlage oder Willensschwäche
zur Eheschließung veranlasst hat (vgl BSGE 35, 272, 275 f = SozR Nr 2 zu § 594
RVO; BSGE 60, 204, 208 = SozR 3100 § 38 Nr 5).
Die "Annahme" des anspruchsausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr
ist nach dem Ausnahmetatbestand des §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI (vgl BSGE 60, 204, 206 = SozR 3100 §
38 Nr 5) nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat
ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen (vgl
BSGE 35, 272, 276 = SozR Nr 2 zu § 594
RVO) oder - da der Wortlaut auf den "alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat" abhebt - zumindest gleichwertig sind. Es
ist daher auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung
ausschlaggebend waren. Vielmehr sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung auch
dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung
keine Rolle gespielt hat (vgl BSGE 35, 272, 276 = SozR Nr 2 zu § 594
RVO; BSGE 60, 204, 208 = SozR 3100 §
38 Nr 5; Gürtner in Kasseler Komm, §
46 SGB VI RdNr 46c, Stand: September 2007; Dopheide/Haas/Wagner, Informationen der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung
in Bayern 2006, 257, 261).
Die Vorschrift des §
46 Abs
2a SGB VI zwingt den Hinterbliebenen aber nicht, seine inneren Gründe für die Eheschließung oder die des verstorbenen Ehegatten zu
offenbaren (vgl BSGE 35, 272, 273 = SozR Nr 2 zu § 594
RVO; BSGE 60, 204, 208 = SozR 3100 § 38 Nr 5). Der hinterbliebene Ehegatte kann sich auch auf die Darlegung von äußeren (objektiv nach außen tretenden) Umständen
beschränken, die seiner Ansicht nach auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen
lassen. Ebenso bleibt es ihm unbenommen, keinerlei Auskünfte über den "Zweck der Heirat" zu geben. Es soll nicht gegen seinen
Willen zu einem Eingriff in seine Intimsphäre kommen, indem der Hinterbliebene genötigt wird, auch seine allerpersönlichsten,
innersten Gedanken und Motive für die Eheschließung mit dem verstorbenen Versicherten mitzuteilen. Denn die gesetzestechnische
Ausgestaltung des §
46 Abs
2a SGB VI als Regel-/Ausnahmetatbestand verfolgt gerade den Zweck, die Träger der Rentenversicherung und die Sozialgerichte von der
Ausforschung im Bereich der privaten Lebensführung zu entbinden (vgl Senatsurteil vom heutigen Tage, B 13 R 53/08 R; BSGE 60, 204, 206 = SozR 3100 §
38 Nr 5; Kamprad in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
46 RdNr 38, Stand: September 2008; in der Gesetzesbegründung [BT-Drucks 14/4595 S 44] wird §
46 Abs
2a SGB VI auch als "gesetzliche Vermutung" bezeichnet, die jedoch "widerlegt" werden könne, wenn "Umstände" vorlägen, die trotz der
kurzen Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen ließen; ähnlich bereits BT-Drucks IV/120 S 59 zu § 592 des Entwurfs = § 594
RVO; vgl auch BSGE 35, 272, 273 = SozR Nr 2 zu § 594
RVO; BSGE 60, 204, 205 f = SozR 3100 § 38 Nr 5).
Dies bedeutet aber nicht, dass es dem hinterbliebenen Ehegatten untersagt ist, seine (höchst-)persönlichen Gründe und die
des verstorbenen Versicherten für die Eheschließung darzulegen. Vielmehr kann er selbst abwägen, ob er derartige private Details
preisgeben will, um die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr zu entkräften.
Macht der Hinterbliebene von sich aus oder auf Befragen entsprechende Angaben und sind diese glaubhaft, so sind auch diese
persönlichen Gründe in die (abschließende) Gesamtbetrachtung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände
des Falls zu würdigen. Eine Beschränkung auf objektiv nach außen tretende Umstände bei der "Ermittlung der Beweggründe für
die Heirat" bzw des "Zwecks der Heirat" würde jedenfalls in einem solchen Fall die Möglichkeiten des hinterbliebenen Ehegatten,
die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften, in unzulässiger Weise beschneiden. Lediglich wenn der Hinterbliebene
keine - glaubhaften - Angaben über die inneren Umstände macht, darf sich die Ermittlung, welche Gründe für die Eheschließung
ausschlaggebend waren, und die Prüfung, ob es sich dabei um (anspruchsbegründende) besondere Umstände iS des §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI handelt, auf nach außen tretende objektive Tatsachen beschränken.
Allerdings ist eine abschließende Typisierung oder Pauschalierung der von der Versorgungsabsicht verschiedenen ("besonderen")
Gründe im Rahmen des §
46 Abs
2a SGB VI angesichts der Vielgestaltigkeit von Lebenssachverhalten nicht möglich. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten
Einzelfalls. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind zudem nicht nur für sich -
isoliert - zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände
in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen worden ist, mit
einzubeziehen.
bb) Eine gewichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der
Eheschließung zu.
Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand iS des §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko
eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt ("plötzlich" und "unerwartet") eingetreten ist (vgl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr,
Handbuch der Rentenversicherung, §
46 SGB VI RdNr 53, Stand: November 2005; Kamprad in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
46 RdNr 38, Stand: September 2008; Dopheide/Haas/Wagner, Informationen der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung in
Bayern, 2006, 257, 259 f; Kreikebohm in Beck`scher Online-Komm, §
46 SGB VI RdNr 25, Stand: September 2008). Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender
Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wird als ein
Beispiel hierfür der "Unfalltod" genannt (BT-Drucks 14/4595 S 44). Unvermittelt eingetreten in diesem Sinne ist der Tod aber
auch bei einem Verbrechen oder bei einer Erkrankung, die plötzlich aufgetreten ist und schnell zum Tode geführt hat (zB Infektionskrankheit
oder Herzinfarkt bei unbekannter Herzerkrankung).
Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden
Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose
und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest
gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung
diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger
und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt
mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem
Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der
gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres
nach Eheschließung angeführt werden.
cc) Der Ausnahmetatbestand des §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI wird nur erfüllt, wenn insoweit nach §
202 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) iVm §
292 der
Zivilprozessordnung der volle Beweis erbracht wird (vgl BSGE 60, 204, 206 = SozR 3100 §
38 Nr 5; Gürtner in Kasseler Komm, §
46 SGB VI RdNr 46b, Stand: September 2007; Löns in Kreikebohm,
SGB VI, 3. Aufl 2008, §
46 RdNr 28). Dieser erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit
reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des
Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind,
die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 3 S 9 und § 15 Nr 4 S 13; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG-Komm, 9. Aufl 2008, §
128 RdNr 3b).
dd) Das Vorliegen von "besonderen Umständen" iS des §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI ist von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten von Amts wegen zu prüfen; es gilt der Untersuchungsgrundsatz
(§
20 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch, §
103 SGG). Eine Regelung (wie zB §
144 Abs
1 Satz 4 oder § 147a Abs 1 Satz 2 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch), wonach der Betroffene zur Anspruchsbegründung bestimmte Sachverhalte "darzulegen
und zu beweisen" hat, enthält §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI nicht. Die Regelungstechnik des §
46 Abs
2a SGB VI verfolgt - wie bereits ausgeführt - den Zweck, die Rentenversicherungsträger und die Sozialgerichte zur Ermittlung des Sachverhalts
nicht zu Ausforschungen im Bereich der privaten Lebensführung der Betroffenen zu zwingen. Der Frage, ob besondere Umstände
vorliegen, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, ist daher vorrangig anhand aller vorhandenen objektiven Ermittlungsmöglichkeiten
nachzugehen (vgl BSGE 60, 204, 206 = SozR 3100 §
38 Nr 5; Kamprad in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
46 RdNr 38, Stand: September 2008). Zu prüfen ist daher zunächst, ob die Eheschließungsmotive der Ehegatten in irgendeiner Form
durch objektive Tatsachen nach außen getreten sind. Ermittlungen im Bereich der privaten Lebenssphäre der Ehegatten und zu
deren (höchst-)persönlichen, inneren Motiven für die Heirat sind grundsätzlich nicht anzustellen, es sei denn, der Hinterbliebene,
der hierüber naturgemäß zuvörderst Angaben machen kann, beruft sich hierauf und ist zur Auskunft bereit (vgl BSGE 60, 204, 206, 208 = SozR 3100 § 38 Nr 5; Kamprad, aaO). Das Gesetz zwingt ihn aber nicht zu entsprechenden Angaben. Der hinterbliebene Ehegatte
muss dann aber mit der Versagung des geltend gemachten Anspruchs auf Witwen- oder Witwerrente rechnen, wenn nach Ausschöpfung
des Amtsermittlungsgrundsatzes "besondere Umstände" iS des §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI nicht festgestellt werden können. Denn die Darlegungs- und Beweislast für ihr Vorliegen als ein den Anspruch begründender
Umstand und damit auch die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast derjenige,
der den Witwen-/Witwerrentenanspruch geltend macht (vgl BSGE 60, 204, 208 = SozR 3100 § 38 Nr 5; Kamprad, aaO).
3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen §
46 Abs
2a SGB VI bestehen nicht (s hierzu Senatsurteil vom heutigen Tage - B 13 R 53/08 R).
4. Ausgehend von den vorstehend genannten rechtlichen Gesichtspunkten reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG zur
abschließenden Entscheidung nicht aus, ob die Voraussetzungen des §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI erfüllt sind und der Klägerin trotz einer Ehedauer von weniger als einem Jahr der geltend gemachte Anspruch auf große Witwenrente
aus der Versicherung des L. zusteht. Dies wäre der Fall, wenn besondere Umstände iS des §
46 Abs
2a Halbsatz 2
SGB VI vorlägen, die geeignet wären, die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe zwischen der Klägerin und L. zu entkräften. Zu
Unrecht hat das Berufungsgericht seine Ermittlungen und Feststellungen insoweit auf objektiv nach außen tretende Tatsachen
beschränkt.
Die Heirat eines zur Zeit der Eheschließung bereits offenkundig an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten
wie des L. ist zwar - wie oben ausgeführt - in der Regel als ein die gesetzliche Annahme der Versorgungsehe bestätigender
(objektiver) Umstand anzusehen. Jedoch ist auch hier der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet überwiegend
oder zumindest gleichwertig aus anderen als aus Versorgungsgesichtspunkten geheiratet wurde. Dabei sind alle zur Eheschließung
führenden Motive der Ehegatten zu berücksichtigen. Eine Beschränkung der Ermittlung und Prüfung, welche Gründe für die Eheschließung
ausschlaggebend waren, auf objektiv nach außen tretende Umstände ist nur dann zulässig, wenn der hinterbliebene Ehegatte es
ablehnt, seine persönlichen Gründe für die Eheschließung zu offenbaren. Macht er hingegen - gegebenenfalls im Rahmen einer
persönlichen Anhörung - entsprechende Angaben und sind diese glaubhaft, so sind auch diese (höchst-)persönlichen, subjektiven
Motive in die Gesamtbetrachtung einzustellen und in ihrer Bedeutung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls zu würdigen.
Dies hat das LSG nicht beachtet.
Das Berufungsgericht hat insoweit lediglich festgestellt, dass für L. ein Grund für die Wiederheirat gewesen sei, von der
Klägerin Pflege und Betreuung zu erhalten (vgl zu diesem Motiv BSGE 35, 272, 274 f = SozR Nr 2 zu § 594
RVO; BSGE 60, 204, 207 = SozR 3100 §
38 Nr 5; Gürtner in Kasseler Komm, §
46 SGB VI RdNr 46c, Stand: September 2007). Diesem Grund hat es jedoch nicht ein solches Gewicht beigemessen, dass "er allein vor dem
Hintergrund der (...) objektiv vorliegenden Umstände die gesetzliche Vermutung (...) widerlegen kann". Das LSG hat aber nicht
- auch nicht in Form der Übernahme der im Urteil des SG getroffenen tatsächlichen Feststellungen - festgestellt, welche Motive die Klägerin persönlich für die Eheschließung hatte
und ob L. neben dem bereits festgestellten Beweggrund auch noch andere (höchst-)persönliche Motive hatte. Dies wird das LSG
nachzuholen haben.
Erst danach wird die Abwägung möglich sein, ob im konkreten Einzelfall die Gesamtbetrachtung der festgestellten inneren Umstände
zusammen mit den vom LSG bereits festgestellten objektiven Umständen zum Zeitpunkt der Eheschließung (Wiederheirat und Begründung
einer gemeinsamen Haushaltsführung erst nach Kenntnis der unheilbaren Krebserkrankung des L., erhebliche Unterschiede in den
Einkommensverhältnissen der Ehegatten, volljährige Kinder) ergibt, ob "besondere Umstände" vorliegen, die die Annahme rechtfertigen,
dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der (zweiten) Heirat war, der Klägerin eine Hinterbliebenenversorgung
aus der Versicherung des L. zu verschaffen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.