Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Berücksichtigung von Einkommen; Gewinnermittlung bei selbstständiger Tätigkeit;
Auflösung einer Ansparabschreibung
Gründe:
I
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom
31.3.2005 bis 30.9.2005 und die Erstattung der gewährten Leistungen in Höhe von 2 832,95 Euro.
Der alleinstehende Kläger stellte erstmals am 31.3.2005 einen Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Zu Einkünften
aus selbstständiger oder anderer Tätigkeit machte er keine Angaben. Auf dem Zusatzblatt 2 findet sich mit grünem Stift - der
Beraterin - die Einfügung: "Ich-AG 3.2.03 - 1 Jahr Förderung". Durch Bescheid vom 19.4.2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 20,06 Euro für den Tag der Antragstellung und für die Monate April
bis einschließlich September 2005 von monatlich jeweils 601,89 Euro (Regelleistung in Höhe von 331 Euro, KdU in Höhe von 270,89
Euro). Einkommen des Klägers berücksichtigte er bei der Berechnung nicht.
Auf eine Einladung des Beklagten zu einem Gespräch über seine berufliche Situation und zur Vorlage seiner Bewerbungen legte
der Kläger am 29.12.2005 eine Änderungsmitteilung vor und gab an, er werde vom 9.1.2006 bis 28.2.2006 selbstständig tätig
sein (Abbruch, Entkernung, Maurerarbeiten). Zusammen mit dieser Änderungsmitteilung füllte der Kläger das Zusatzblatt 2.1.
(Einkommenserklärung) aus und legte die Anlage GSE zu seiner Einkommensteuererklärung für 2004 vor. Er teilte zunächst voraussichtliche
Betriebseinnahmen in Höhe von 750 Euro sowie -ausgaben in Höhe von 225 Euro mit. Der Gewinn habe sich gegenüber den Vorjahren
verringert, weil sich die Auftragslage verschlechtert habe. Im Mai und August 2006 reichte der Kläger ferner Betriebswirtschaftliche
Auswertungen (BWA) für die Jahre 2005 und für die bereits abgelaufenen Monate des Jahres 2006 ein und legte mit einem weiteren
Fortzahlungsantrag im Januar 2007 eine am 3.1.2007 erstellte betriebswirtschaftliche Auswertung vor, aus der sich für das
Jahr 2005 insgesamt ein vorläufiges positives betriebswirtschaftliches Ergebnis von 8581,40 Euro ergibt. Am 16.7.2007 gab
der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2005 zu den Akten, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer in Höhe
von 10 405 Euro ausweist. In einem vom Kläger beigefügten Schreiben des Steuerberaters wird zur Erläuterung ausgeführt, dass
der Gewinn nach §
4 Abs
3 EStG ermittelt worden sei und sich der in dem Steuerbescheid angesetzte Gewinn in Höhe von 10 405 Euro aus zwei Positionen zusammensetze
- einem Gewinnanteil aus laufendem Geschäftsbetrieb in Höhe von 381 Euro und einem Gewinnanteil in Höhe von 10 024 Euro, der
aus der Auflösung, Neubildung und Verzinsung von Sonderposten mit Rücklageanteil nach §
7g EStG (Ansparabschreibungen) entstanden sei. In dem Schreiben heißt es weiter: "Der hohe Gewinn des Jahres 2003 wurde im Rahmen
der gesetzlichen Regelungen des §
7g EStG in die Folgejahre verschoben. Dieser Gewinnanteil ist im Jahr 2005 nicht zugeflossen und stand damit nicht zur Bestreitung
des Lebensunterhaltes zur Verfügung."
Unter Berücksichtigung der Gesamteinkünfte, die sich aus dem Steuerbescheid für 2005 ergeben, führte der Beklagte eine Neuberechnung
für den Leistungszeitraum 31.3.2005 bis 30.9.2005 durch, hob mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 24.1.2008 den Bewilligungsbescheid
vom 19.4.2005 vollständig auf und begründete dies mit § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X. Zugleich wurde der Kläger aufgefordert, eine Summe von insgesamt 2923,57 Euro zu erstatten. Mit dem Änderungsbescheid vom
24.4.2008 reduzierte der Beklagte die Erstattungsforderung auf 2832,95 Euro. Den Widerspruch des Klägers vom 28.1.2008 wies
der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 25.4.2008 zurück.
Durch Urteil vom 22.12.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Die streitbefangenen Bescheide seien inhaltlich hinreichend bestimmt. Der Beklagte habe die rückwirkende
Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 19.4.2005 zutreffend auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X gestützt. Der Bescheid vom 19.4.2005 sei bei seinem Erlass rechtmäßig gewesen. Im streitgegenständlichen Zeitraum sei nachträglich
Einkommen erzielt worden, das zum Wegfall des Anspruchs geführt habe. Zu Recht habe der Beklagte das Einkommen ausgehend von
dem im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 festgestellten steuerrechtlichen Gewinn ermittelt. Der auf die Auflösung
der Ansparabschreibungen entfallende Gewinnanteil sei nicht abzuziehen. Die Auflösung der Rücklage fließe dem Steuerpflichtigen
zu, weil Gelder, die ursprünglich für eine Investition vorgesehen und gebunden waren, nun wieder - auch zur Bestreitung des
Lebensunterhalts - zur Verfügung stünden. Die von dem Beklagten vorgenommene Zwölftelung des berücksichtigungsfähigen Einkommens
sei nicht zu beanstanden. Eine Aufteilung nach Zuflussmonaten habe hingegen nicht zu erfolgen, da der Kläger ersichtlich keine
laufenden, dh regelmäßig zufließenden Einnahmen im Jahr 2005 gehabt habe. Das SG hat die Sprungrevision zugelassen. Der Beklagte hat der Einlegung zugestimmt.
Der Kläger rügt mit der Revision (sinngemäß) eine Verletzung des § 11 Abs 1 SGB II. Zu Unrecht habe das SG die Feststellungen des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2005 zugrunde gelegt. Die Auflösung der im Jahr 2003 gebildeten
Ansparabschreibung hätte nicht berücksichtigt werden dürfen. Hierbei handele es sich um einen im Jahr 2003 und nicht im maßgeblichen
Zeitraum 2005 zugeflossenen Gewinn. Allein durch die Ausweisung der aufgelösten Ansparabschreibung stünden ihm keine bereiten
Mittel zur Verfügung. Das Geld sei bereits im vorangegangenen Geschäftsjahr zur Deckung der laufenden Betriebskosten verwendet
worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 22. Dezember 2009 (S 40 AS 2408/08) sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. April 2008 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 25. April 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er schließt sich den Ausführungen des SG an.
II
Die Sprungrevision ist im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG begründet.
Der Senat vermochte nicht abschließend zu beurteilen, ob der aufgehobene Bewilligungsbescheid vom 16.8.2005 von Anfang an
rechtswidrig war (§ 45 SGB X) oder durch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nachträglich rechtswidrig geworden ist (§ 48 SGB X). Es ist vom SG nicht festgestellt worden, ob bei Bescheiderteilung nach den objektiven Verhältnissen Hilfebedürftigkeit vorlag oder die
Hilfebedürftigkeit ggf im Verlaufe des streitigen Zeitraumes entfallen ist.
1. Das beklagte Jobcenter ist gemäß §
70 Nr 1
SGG beteiligtenfähig (vgl Urteile des Senats vom 18.1.2011, ua B 4 AS 99/10 R). Nach § 76 Abs 3 Satz 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten
Arbeitsgemeinschaft getreten. Dieser kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation
des SGB II stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar.
Der Senat hat ebenfalls bereits entschieden, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 44b SGB
II bestehen, weil der Gesetzgeber sich bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung innerhalb des von Art
91e Abs
1 und
3 GG eröffneten Gestaltungsspielraums bewegt (BSG Urteile vom 18.1.2011, ua B 4 AS 99/10 R).
2. Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 24.1.2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24.4.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.4.2008, mit dem der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum
vom 31.3.2005 bis 30.9.2005 aufgehoben hat und eine Erstattungsforderung in Höhe von 2832,95 Euro gegenüber dem Kläger geltend
macht. Der Kläger hat ihn zutreffend mit der Anfechtungsklage angegriffen.
3. Ob der Beklagte die Aufhebungsentscheidung - die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung unterstellt (s hierzu unter
b) - auf § 48 SGB X stützen konnte, wie das SG annimmt, oder ob ggf § 45 SGB X als Rechtsgrundlage in Betracht kommt, kann vom erkennenden Senat mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen durch
das SG ebenso wenig entschieden werden, wie die Frage, ob der Bewilligungsbescheid materiell-rechtlich rechtswidrig war.
a) Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem
Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender
Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze
2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. § 45 SGB X findet also Anwendung, wenn der Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen geändert
werden soll. Beide Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts, der
aufgehoben werden soll, ab (vgl BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4 RdNr 13; BSGE 59, 206 = SozR 1300 § 45 Nr 20 S 68 und BSGE 65, 221 = SozR 1300 § 45 Nr 45 S 141; vgl auch Urteil des Senats vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R - und zuletzt BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 45/09 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die
Sachlage vollständig aufzuklären (BSG Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 113 ff = SozR 3-1300 § 32 Nr 2; BSGE 82, 183 = SozR 3-4100 § 71 Nr 2 mwN; BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1), um die objektiven Verhältnisse festzustellen. Insoweit kommt es entgegen der Auffassung des SG nicht darauf an, zu welchen Vermutungen die Verwaltung aufgrund der klägerischen Angaben Anlass gehabt hatte. Erlässt die
Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später
- nach weiteren Ermittlungen - heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist
ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Mangelnde Amtsermittlung kann auch niemals Grund für eine nur vorläufige Leistungsbewilligung sein. Der endgültige
Bescheid ist umgekehrt kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen - nicht wegen fehlerhafter Ausübung der Amtsermittlungspflicht,
sondern - objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung etwa der Einkommenssituation besteht. Eine endgültige
Bewilligung unter Abschlag von der Leistungshöhe aufgrund einer prospektiven Schätzung von Einkommen ohne rechtliche Befugnis
hierzu ist rechtswidrig (BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1). Entscheidet der Träger jedoch endgültig und bewilligt nicht nur vorläufige Leistungen, sind Maßstab
der Überprüfung der Aufhebungsentscheidung § 45 oder § 48 SGB X.
Die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt des Bewilligungsbescheids können den Feststellungen des SG nicht entnommen werden. Das SG hat ausgeführt, aufgrund der Angaben des Klägers in seinem Antrag auf Bewilligung von Alg II sei nicht zu vermuten gewesen,
dass sich im Leistungszeitraum Einkünfte - in wechselnder Höhe - aus selbstständiger Tätigkeit ergeben könnten. Die Kammer
glaube dem Kläger, dass er beim Ausfüllen des Antrags weder Einkünfte gehabt, noch solche erwartet und deswegen die entsprechenden
Felder des Antrags nicht angekreuzt habe. Wenn das Gericht in seinen weiteren Ausführungen gleichwohl davon ausgeht, dass
der Kläger Einkommen aus selbstständiger Beschäftigung hatte, brauchte es zwar von seinem Rechtsstandpunkt keine weitere Aufklärung
der tatsächlichen Einkommensund Vermögenssituation vorzunehmen. Insoweit verkennt es jedoch den rechtlichen Maßstab für die
Beurteilung, ob eine zur Rechtswidrigkeit führende wesentlich Änderung der Verhältnisse oder eine anfängliche Rechtswidrigkeit
gegeben waren.
b) Ob der Bewilligungsbescheid vom 16.8.2005 rechtmäßig war, beurteilt sich zuvörderst danach, ob der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen
für die Leistungsbewilligung nach dem SGB II erfüllt hatte, insbesondere, ob er hilfebedürftig war. Nach § 7 Abs 1 Nr 3 iVm
§ 9 Abs 1 SGB II - jeweils in der Fassung des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954 - ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt,
seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder
nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr 1), aus dem
zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen (Nr 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II - ebenfalls in der Fassung des Gesetzes vom 24.12.2003 - sind als Einkommen zu berücksichtigen
Einnahmen in Geld oder Geldeswert, mithin auch Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit. Eine nähere Bestimmung, was als Arbeitseinkommen
aus einer selbstständigen Beschäftigung zu berücksichtigen ist, findet sich in der Alg II-V in der im streitigen Zeitraum
anzuwendenden Fassung vom 20.10.2004 (BGBl I 2622) nicht. Danach ist auch bei Selbstständigen von den Bruttoeinnahmen auszugehen
(§ 2 Abs 1 Alg II-V). Nach § 2 Abs 2 Alg II-V sind laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen
und einmalige Einnahmen von dem Monat an, in dem sie zufließen (§ 2 Abs 3 Alg II-V). Ansonsten war das Einkommen iS des §
11 Abs 2 SGB II um die dort benannten Absetzbeträge zu bereinigen und nach § 3 Nr 3 Alg II-V bei Einkommen aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit ein Pauschbetrag für die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Betriebsausgaben in Höhe von 30 % der
Betriebseinnahmen abzusetzen, soweit der erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht höhere notwendige Ausgaben nachweist. Über welche
Einkünfte in diesem Sinne der Kläger bei Bescheiderteilung verfügte oder ihm nachträglich - nicht vorhersehbar oder regelmäßig
- im streitigen Bewilligungszeitraum zugeflossen sind, hat das SG nicht festgestellt. Es geht vielmehr davon aus, dass der im Einkommensteuerbescheid 2005 ausgewiesene Gewinn nach §
7g EStG als Einkommen auf das ganze Jahr 2005 zu verteilen und als wesentliche Änderung der Verhältnisse - unabhängig von seinem
tatsächlichen Zufluss - zu werten sei. Für diese Rechtsauffassung mangelt es im streitigen Zeitraum jedoch bereits an einer
Rechtsgrundlage.
Die im streitigen Zeitraum anzuwendende Alg II-V in ihrer ursprünglichen Fassung vom 20.10.2004 (aaO) sieht - wie schon dargelegt
- keine nähere Bestimmung des Arbeitseinkommens selbstständig Tätiger vor. § 2a Alg II-V in der Fassung vom 22.8.2005 (BGBl
I 2499), der auf §
15 SGB IV und von dort aus auf die einkommensteuerrechtlichen Regelungen Bezug nimmt, ist erst am 1.10.2005 in Kraft getreten und misst
sich keine Rückwirkung bei (vgl dazu bereits BSG Urteil vom 30.7.2008 - B 14 AS 44/07 R). Auch eine entsprechende Anwendung des § 4 Abs 1 der Verordnung (VO) zu § 76 BSHG kommt nicht in Betracht (Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl 2005, § 11 RdNr 38, 40; aA Hengelhaupt in Hauck/Noftz,
SGB II, § 11 RdNr 162 - Stand 32. EL VI/10). Ein Rückgriff auf die einkommensteuerrechtlichen Regelungen zur Gewinnermittlung
und damit auch auf §
7g EStG war mithin - anders als vom SG angenommen - nicht vorgesehen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass in § 2a Abs 1 Alg II-V in der ab 1.10.2005 geltenden Fassung ein allgemeiner Rechtsgedanke
Ausdruck gefunden hätte dergestalt, dass für die Einkommensermittlung bei Selbstständigen jeweils das Einkommensteuerrecht
maßgeblich sein solle (BSG Urteil vom 30.7.2008 - B 14 AS 44/07 R). Vielmehr hat der Verordnungsgeber zunächst in Abkehr von den differenzierten Verweisungen auf das Einkommensteuerrecht
gem § 4 Abs 1 der VO zu § 76 BSHG (siehe Fichtner/Wenzel, BSHG, 2. Aufl 2003, § 76 RdNr 19) in den §§ 2, 3 Alg II-VO 2004 eine andere Konzeption verfolgt.
Die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen nimmt das SGB II selbst zwar nicht vor. Wie der erkennende Senat im Urteil
vom 30.9.2008 (B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15; vgl auch Urteil des Senats vom 13.5.2009 - B 4 AS 49/08 R -; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R - FEVS 60, 546) dargelegt hat, ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II jedoch grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung
wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (ebenso schon BSG Urteil vom 30.7.2008 -
B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 17). Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als
maßgeblich bestimmt. Durch den Verweis in § 2a Alg II-V auf die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften wurde im Zeitraum
ab dem 1.10.2005 normativ bestimmt, dass die aufgelöste oder aufzulösende Ansparrücklage, obwohl sie vor der Antragstellung
gebildet wurde (s zum Sparguthaben BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16) als Einkommen bei Zufluss im jeweiligen Steuerjahr zu berücksichtigen ist (vgl Entscheidung des
Senat vom selben Tag - B 4 AS 21/10 R). Da diese Regelung, wie zuvor dargelegt, hier jedoch nicht anzuwenden ist und die Ansparrücklage in jedem Fall bereits
vor der Antragstellung gebildet wurde, ist sie - soweit sie im hier streitigen Zeitraum noch vorhanden war - Vermögen und
ist unter den Bedingungen des § 12 SGB II zur Lebensunterhaltssicherung zu verwerten.
Der Senat führt insoweit seine bisherige Rechtsprechung fort. Im Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R (SozR 4-4200 § 11 Nr 16) ist klargestellt worden, dass ein Sparguthaben eines Leistungsberechtigten, das vor der Antragstellung
gebildet wurde, durchgehend Vermögen ist, auch wenn es nach der Antragstellung fällig wird und zufließt. Dieses gilt insbesondere
in Fällen, in denen mit bereits erlangten Einkünften angespart wurde, zB bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Denn
anderenfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend bleibt ein auf längere
Zeit angelegtes Sparguthaben auch bei seiner Auszahlung Vermögen (vgl BVerwG Urteile vom 18.2.1999 - 5 C 16/98 - NJW 1999, 3210 f = juris RdNr 16, und - 5 C 14/98 - NJW 1999, 3137 f = juris RdNr 15). Dieses gilt auch für die Ansparrücklage. Die Ansparrücklage entstammt Jahren zuvor - hier wohl 2003 -
erwirtschaftetem Gewinn, war also zum damaligen Zeitpunkt Einkommen. Sie fließt bei ihrer Auflösung in den Betrieb/das Unternehmen
als Investition zurück. Sie hat damit zwar steuerrechtlich lediglich "Stundungseffekt" (vgl Kratzsch in
EStG, Praxiskommentar, Stand III/2008, §
7g RdNr 63c; s hierzu auch Entscheidung des erkennenden Senats vom selben Tag zum Aktenzeichen - B 4 AS 21/10 R), tatsächlich handelt es sich jedoch um die Freisetzung von angespartem Einkommen, also Vermögen. Hieraus folgt jedoch
kein umfassender Schutz des Klägers davor, die Mittel zur Lebensunterhaltssicherung verwenden zu müssen. Soweit es sich um
verwertbares Vermögen handelt, ist es zur Existenzsicherung einzusetzen (vgl Senatsurteil vom 30.8.2010 - B 4 AS 70/09 R). Vor dem Hintergrund des lediglich steuerrechtlichen Zwecks der Ansparrücklage, einen Anreiz für Investitionen zu setzen,
unterliegt die bei Antragstellung oder im Bewilligungszeitraum noch vorhandene Ansparrücklage einem Verwertungsschutz daher
wohl nur in den Grenzen des § 12 Abs 2 Nr
1 und 4 SGB II (in der Fassung des 4. Gesetzes zur Änderung des
SGB III und anderer Gesetze vom 19.12.2004, BGBl I 2902).
Dementsprechend wird das SG sowohl zu prüfen haben, ob die Ansparrücklage in dem hier streitigen Zeitraum noch vorhanden war, als auch, welche sonstigen
Betriebseinnahmen der Kläger im Zeitraum 31.3.2005 bis 30.9.2005 hatte und ob davon auszugehen war, dass diese ab dem 31.3.2005
regelmäßig zufließen würden bzw absehbar waren. Die vom Kläger selbst erstellten betriebswirtschaftlichen Auswertungen können
hierzu Anhaltspunkte liefern. Der Kläger wird mittels seiner Buchführung seine tatsächlichen Betriebseinnahmen offenzulegen
bzw Kontoauszüge vorzulegen haben (vgl zu Ermittlungsmöglichkeiten Knoblauch/Hübner, NDV 2006, 375, 376).
Festzustellen sein werden auch die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Betriebsausgaben. Des Weiteren fehlen Feststellungen
zum sonstigen Vermögen des Klägers, obwohl hierzu nach dem eigenen Vorbringen des Klägers Anlass bestanden hätte. Der Kläger
hat selbst vorgebracht, der "hohe Gewinn des Jahres 2003" aus seinem Gewerbebetrieb sei "in die Folgejahre verschoben" worden
und er habe auf dieses Geld auch tatsächlich Zugriff gehabt und es verbraucht. Daher hätte Anlass zur Prüfung bestanden, wie
hoch die Gewinne der letzten Jahre waren, wie viel davon in die Bildung von Ansparrücklagen geflossen ist und wie hoch das
sonstige Vermögen des Klägers bei Antragstellung am 31.3.2005 war.
4. Sollte § 45 SGB X Anwendung finden, wäre der Umstand, dass der Beklagte seinen Bescheid auf § 48 SGB X gestützt hat, alleine - im Gegensatz zur Auffassung des Klägers - nicht klagebegründend (Senatsurteil vom 16.12.2008 - B
4 AS 48/07 R -; vgl auch BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 7a AL 38/05 R - SozR 4-4300 § 141 Nr 2). Denn das so genannte "Nachschieben von
Gründen" (richtigerweise: Stützen der Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage) ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt
dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in
nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu §
54 SGG; BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 §
152 Nr 9; BSG Urteil vom 18.9.1997 - 11 RAr 9/97 - juris RdNr 22; BSG Urteil vom 25.4.2002 - B 11 AL 69/01 R - juris RdNr 16 f). Weil die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsaktes gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen
grundsätzlich zulässig (BSG Urteil vom 25.4.2002, aaO).
Wäre der rechtliche Maßstab für die Aufhebungsentscheidung vorliegend § 45 SGB X, so kann dies bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung jedoch nur dann unbeachtet bleiben, wenn es einer Ermessensentscheidung
nicht bedurfte, denn eine Ermessensentscheidung wurde hier von dem Beklagten nicht getroffen. §
40 Abs
1 Nr
1 SGB II verweist auf §
330 Abs
2 SGB III; dieser ordnet an, dass bei Vorliegen der in § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes diese - im Wege einer gebundenen
Entscheidung, also ohne Ermessen - auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Das SG hat bisher noch keine Tatsachen festgestellt, nach denen beurteilt werden kann, ob der Tatbestand des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X erfüllt ist. Das SG wird - sollte es zur Anwendung des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X gelangen - auch zu prüfen haben, ob der Beklagte eine Anhörung zu den tatsächlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift vorgenommen
hat und die Frage zu klären haben, ob eine ggf fehlende Anhörung hierzu auch nach einer Zurückverweisung durch das BSG im
weiteren Verfahren wirksam iS des § 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X durchgeführt werden kann.
Das SG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.