Vergütungsanspruch eines Apothekers
Grundsatzrüge
Entscheidungserheblichkeit einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage
Genügen der Darlegungspflicht
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache i.S. des §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.
2. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren revisiblen Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren
eine solche Klärung erwarten lässt.
3. An der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit fehlt es, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage im konkreten Rechtsstreit
nicht notwendigerweise beantwortet werden muss, weil die Entscheidung der Vorinstanz mit anderer rechtlicher Begründung bestätigt
werden.
4. Daher erfordert die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage grundsätzlich Ausführungen zu allen Voraussetzungen
des geltend gemachten Anspruchs.
5. Wurde ein Anspruch mangels Erfüllung einer Voraussetzung verneint, muss - wenn der Anspruch mehrere Voraussetzungen hat
- dargelegt werden, dass nicht nur diese, sondern auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.
Gründe:
I
Im Streit steht ein Vergütungsanspruch der klagenden Apothekerin in Höhe von 4564,70 Euro nebst Zinsen. Die beklagte Krankenkasse
zahlte diese Vergütung zunächst im Dezember 2009, forderte sie jedoch im April 2011 wieder zurück und verrechnete sie schließlich
- weil die Rückforderung erfolglos blieb - im August 2011 mit einem Abrechnungsguthaben der Klägerin. Der Grund dafür war
eine Fälschung des abgerechneten Rezepts, die nach Auffassung der Beklagten für eine Fachkraft deutlich erkennbar gewesen
sei. Das SG hat die Zahlungsklage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 3.9.2014), das LSG hat den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Beklagte
antragsgemäß zur Zahlung verurteilt (Urteil vom 26.1.2017) und zur Begründung ausgeführt, nach § 4 Abs 5 S 5 des Arzneilieferungsvertrages
(ALV) entstehe ein Zahlungsanspruch eines Apothekers auch bei der Abrechnung aufgrund von gefälschten oder missbräuchlich
benutzten Verordnungen, wenn die Fälschung auch bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar gewesen sei. Zwar
habe es sich bei der vorgelegten ärztlichen Verordnung um eine Fälschung gehandelt, die Unregelmäßigkeiten seien aber aus
Sicht des Senats nicht sehr gravierend gewesen. Ob gleichwohl im Hinblick auf die besondere Sachkunde der Klägerin von Fahrlässigkeit
auszugehen sei, könne letztlich dahinstehen, weil die Beklagte mit Einwendungen gegen den Vergütungsanspruch ausgeschlossen
sei. Nach § 17 Abs 1 ALV dürfe die Rechnung nur innerhalb von 12 Monaten beanstandet werden. Es handele sich um eine materiell-rechtliche
Ausschlussfrist, die zum Erlöschen des Anspruchs durch Zeitablauf führe. Nachdem die Beklagte diese Frist nicht eingehalten
habe, könne die Forderung auch nicht dadurch wieder aufleben, dass die Klägerin gegen diese Retaxierung nicht fristgerecht
iS des § 17 Abs 2 ALV Einspruch erhoben habe.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Beklagte Beschwerde eingelegt und beruft sich auf eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beklagte den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung nicht formgerecht dargetan hat (§
160a Abs
2 S 3
SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
revisiblen Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen,
dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung
des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Beklagte hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:
"a) Handelt es sich bei der Beanstandungsfrist des § 17 Abs. 1 des zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen und
dem Deutschen Apothekerverband geschlossenen Arzneilieferungsvertrages (ALV) i.d.F. vom 21.08.2008 um eine materielle Ausschlussfrist,
die mit höherrangigem Recht im Einklang steht?
b) Greift die Beanstandungsfrist des § 17 Abs. 1 ALV nur unter der weiteren Voraussetzung ein, dass der Apotheker sich innerhalb
der 3-Monats-Frist des § 17 Abs. 2 ALV mit einem Einspruch gegen die Taxdifferenz wendet?
c) Ist die Frist des § 17 Abs. 1 ALV gehemmt oder die Berufung auf den Ablauf der Beanstandungsfrist rechtsmissbräuchlich,
wenn der Krankenkasse der Grund für die Beanstandung (hier: Rezeptfälschung) erst nach Ablauf der 12-Monats-Frist bekannt
wird?"
Die Zulässigkeit der Beschwerde scheitert daran, dass die Beklagte die Entscheidungserheblichkeit der aufgestellten Fragen
nicht hinreichend dargelegt hat. Mit dem angestrebten Revisionsverfahren kann eine Klärung der aufgezeigten Rechtsfragen nur
erwartet werden, wenn diese Rechtsfragen für den zu entscheidenden Fall tatsächlich erheblich sind, das Revisionsgericht also
über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich zu entscheiden hat. An der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit
fehlt es, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage im konkreten Rechtsstreit nicht notwendigerweise beantwortet werden muss,
weil die Entscheidung der Vorinstanz mit anderer rechtlicher Begründung bestätigt werden kann (vgl BSG SozR 4-1500 §
160a Nr 5; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 9g mwN). Daher erfordert die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage grundsätzlich Ausführungen zu
allen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (stRspr, vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5). Wurde ein Anspruch mangels Erfüllung einer Voraussetzung verneint, muss - wenn der Anspruch mehrere Voraussetzungen
hat - dargelegt werden, dass nicht nur diese, sondern auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.
Daran fehlt es, denn die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen zur Beanstandungsfrist des § 17 Abs 1 ALV stellen sich nur
dann, wenn die Abrechnungen der Klägerin tatsächlich zu beanstanden waren. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Klägerin
habe trotz der unstreitig vorliegenden Fälschung der Verordnungen den Vergütungsanspruch erworben, wenn die Fälschung auch
bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar gewesen sei. Ob die Klägerin im Hinblick auf ihre besondere
Sachkenntnis die Fälschung unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen müssen, hat das Berufungsgericht
ausdrücklich offengelassen. Nur unter der Voraussetzung, dass die Klägerin die Fälschung hätte erkennen müssen, kommt danach
aber eine Retaxierung des Vergütungsanspruchs durch die Beklagte in Betracht. Dies ist auch durchgängig Gegenstand des Rechtsstreits
gewesen, und das Berufungsgericht hat seine Zweifel an der Berechtigung des Fahrlässigkeitsvorwurfs deutlich zum Ausdruck
gebracht. Es hätte nach Ansicht des Berufungsgerichts diesbezüglich einer weiteren Sachverhaltsaufklärung bedurft, wenn der
Fahrlässigkeitsvorwurf entscheidungserheblich geworden wäre.
Deshalb erschließt sich ohne weitere Darlegungen hierzu nicht, dass die aufgeworfenen Fragen zur Beanstandungsfrist des §
17 Abs 1 ALV notwendigerweise in der angestrebten Revisionsentscheidung beantwortet werden müssen. Die Beklagte hat weder
dargelegt, wie sich der Fahrlässigkeitsvorwurf ggf rechtlich begründen ließe, noch hat sie zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts
einen Beweisantrag gestellt oder einen diesbezüglichen Verfahrensmangel geltend gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.