LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.10.2014 - 4 R 5172/13
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung; Bestimmung des Leistungsfalles bei einem weiterem Absinken des quantitativen Restleistungsvermögens
nach dem Eintritt des Leistungsfalls der Erwerbsminderung ohne Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
Sinkt das Leistungsvermögen eines/einer Versicherten nach dem Eintritt des Leistungsfalls der Erwerbsminderung, bei welchem
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren, weiter ab, tritt kein neuer Leistungsfall der Erwerbsminderung
ein, so dass bei nunmehr gegebenen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen keine Rente wegen Erwerbsminderung zu leisten
ist.
Sinkt das Leistungsvermögen eines/einer Versicherten nach dem Eintritt des Leistungsfalls der Erwerbsminderung, bei welchem
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren, weiter ab, tritt kein neuer Leistungsfall der Erwerbsminderung
ein, so dass bei nunmehr gegebenen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen keine Rente wegen Erwerbsminderung zu leisten
ist. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Vorinstanzen: SG Freiburg 19.11.2013 S 16 R 730/12
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. November 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. September 2011.
Die am 1963 geborene Klägerin absolvierte vom 1. August 1979 bis 30. Juni 1981 eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau.
Im Anschluss daran war sie bis 30. September 1986 als Verkäuferin und sodann bis 4. August 1987 mit der Verrichtung von Bürotätigkeiten
versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit durch die Erziehung ihrer im Jahr 1986 und
1987 geborenen Kinder absolvierte die Klägerin zwischen dem 10. August und 31. Oktober 1993 eine nicht näher bezeichnete berufliche
Ausbildung. Zwischen dem 1. Januar 2000 und 6. Juni 2007 war sie geringfügig beschäftigt. Ab 1. November 2007 war sie auf
der Grundlage eines bis zum 30. April 2009 befristeten Arbeitsvertrags, der nicht verlängert wurde, als Verkäuferin in einem
Supermarkt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden versicherungspflichtig tätig. Ab 17. Februar 2009 war sie arbeitsunfähig
krank und bezog nach Beendigung der Lohnfortzahlung vom 31. März 2009 bis 16. August 2010 Kranken- bzw. Übergangsgeld und
vom 17. August 2010 bis 15. August 2011 Arbeitslosengeld. Seither ist sie arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug. Vom 17.
Oktober bis 11. November 2011 absolvierte die Klägerin auf Kosten der Bundesagentur für Arbeit in einer Praxis für Physiotherapie
eine Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung als Rezeptionskraft im Umfang von täglich zwei Stunden. Nach dem
Vermerk der Bundesagentur für Arbeit vom 23. Dezember 2011 konnte der Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen keine Anschlussbeschäftigung
bieten.
Wegen neurologischer Auffälligkeiten befand sich die Klägerin in der Zeit vom 17. bis 25. Februar 2009 in stationärer Behandlung
des O.-Klinikums L.-E. und sodann vom 16. März bis 18. April 2009 in einer Anschlussheilbehandlung in den Kliniken S. in A..
Prof. Dr. D. diagnostizierte in seinem Entlassungsbericht vom 17. April 2009 eine Gleichgewichtsstörung, eine Paraparese der
Beine, eine Fatigue-Symptomatik, eine Dranginkontinenz und eine Multiple Sklerose vom schubförmigen Verlauf, Differentialdiagnose:
primär chronischer Verlauf, Erstmanifestation 2006, Erstdiagnose 2009. Die Gehstrecke der Klägerin betrage je nach Tagesform
zwischen 200 bis 400 Metern, darüber hinaus werde die Schwäche im linken Bein deutlicher sichtbar. Die Klägerin wurde arbeitsunfähig
entlassen. Ihre bisherige Tätigkeit als Verkäuferin sei ihr nur noch unter drei Stunden täglich, leichte bis mittelschwere
Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen und überwiegend im Sitzen in Tagesschicht und mit Einschränkung insbesondere im
Bewegungs- und Haltungsapparat bezüglich des Ersteigens von Treppen, Leitern und Gerüsten, Heben und Tragen und Bewegen von
Lasten, Gang- und Standsicherheit seien ihr noch drei bis unter sechs Stunden täglich möglich. Eine Umdeutung des Rehabilitationsantrags
in einen Rentenantrag erfolgte wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen nicht.
Dr. W., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), hielt die Klägerin in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom
9. Juni 2009, das er auf der Grundlage der Akte der IKK, einer Arztanfrage bei dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. V. und des
Entlassungsberichts des Prof. Dr. D. erstattete, bezogen auf die bisherige Tätigkeit als Verkäuferin für auf Dauer arbeitsunfähig.
Am 27. September 2011 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Sie trug vor, sie halte sich seit Februar 2009
wegen Multipler Sklerose für erwerbsgemindert. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt
für Allgemeinmedizin und Facharzt für Anästhesiologie Dr. Z.. Dr. Z., dem ein an ihn gerichteter Brief des die Klägerin behandelnden
Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. vom 20. Oktober 2011 vorlag, wonach es bei der Klägerin über die Jahre hin zu
einer langsam stetigen Befundverschlechterung gekommen sei, sich im August 2011 das Laufen weiter deutlich verschlechtert
und die Dranginkontinenz massiv zugenommen habe und sie nicht mehr in der Lage sei, mehr als zwei bis drei Stunden zu arbeiten,
diagnostizierte in seinem Gutachten vom 24. Oktober 2011 nach einer Untersuchung der Klägerin am selben Tag eine Multiple
Sklerose, Erstdiagnose Frühjahr 2009 mit chronisch progredientem Verlauf, eine ausgeprägte Fatigue-Symptomatik bzw. raschere
Erschöpfbarkeit, eine Dranginkontinenz und eine linksbetonte Paraspastik mit Gefühlsstörungen und Schwäche bei Belastung beider
Beine. Er kam zu dem Ergebnis, bei der Klägerin bestehe bereits seit April 2009 auch für leichte körperliche Tätigkeiten auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur ein drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen. Seit diesem Zeitpunkt habe sich der
Allgemeinzustand weiter verschlechtert. Zum Zeitpunkt der jetzigen (24. Oktober 2011) Untersuchung besitze sie auch für leichte
körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch ein unter dreistündiges positives Leistungsbild. Mit einer
Besserung sei nicht mehr zu rechnen. In der formularmäßigen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung gab er an, dass die Klägerin
auch leichte Tätigkeiten seit April 2009 (handschriftlich verbessert auf Februar) nur noch unter drei Stunden täglich verrichten
könne. Mit Bescheid vom 28. Oktober 2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zwar sei die Klägerin seit dem 17. Februar
2009 dauerhaft voll erwerbsgemindert, sie erfülle jedoch nicht die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Im
Zeitraum vom 17. Februar 2004 bis 16. Februar 2009 habe sie nur 16 Monate mit Pflichtbeiträgen. Die Erwerbsminderung sei auch
nicht z.B. durch einen Arbeitsunfall oder innerhalb von sechs Jahren nach einer Ausbildung eingetreten (§ 43 Abs. V i.V.m.
§ 53 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Vor dem 1. Januar 1984 habe sie auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren
nicht zurückgelegt.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie trug vor, mit der Renteninformation vom 6. September 2011 sei ihr mitgeteilt worden, dass
sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente erfülle. Abgesehen davon sei die Feststellung des Leistungsfalls
für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf den 17. Februar 2009 nicht nachvollziehbar. Sie sei aus der Reha-Maßnahme
im März/April 2009 mit einem Leistungsvermögen von mindestens dreistündig für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
entlassen worden. Damals habe man keine Veranlassung gesehen, den Rehabilitationsantrag in einen Rentenantrag umzudeuten.
Dr. M. berichte in seinem Arztbrief vom 20. Oktober 2011 von einer Verschlechterung ihres Zustands erst im August 2011. Ab
17. August 2010 sei ihr auch Arbeitslosengeld gezahlt worden, was nur dann geschehen könne, wenn man dem Arbeitsmarkt zumindest
15 Stunden wöchentlich zur Verfügung stehe. Dies ergebe bei einer Fünf-Tage-Woche eine Belastung von mindestens drei Stunden
pro Tag. Auch dies weise darauf hin, dass im August 2010 noch keine volle Erwerbsminderung vorgelegen habe. Selbst wenn man
davon ausgehen würde, dass im Februar 2009 auf Grund des Leistungsvermögens von drei bis unter sechs Stunden eine Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren gewesen sei, müsse die Belegungsdichte bei einem nachfolgenden Leistungsfall erneut
geprüft werden. Denkbar wäre ein Leistungsfall im August 2011 oder mit Antragstellung am 27. September 2011. Die Beklagte
hörte die Krankenkasse der Klägerin, die am 13. Dezember 2011 mitteilte, dass die Klägerin zum 16. August 2010 ausgesteuert
worden sei. Die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit O., bekundete unter dem 15. Dezember 2011, dass die Klägerin
in der Zeit vom 17. August 2010 bis 15. August 2011 dem Arbeitsmarkt im Rahmen der - beigefügten - auf der Grundlage der Eigenangaben
der Klägerin und des Entlassungsberichts des Prof. Dr. D. erstatteten gutachterlichen Äußerungen ihrer Gutachterin, Fachärztin
für Allgemeinmedizin Dr. L. vom 29. Juli 2010, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 20 Stunden zur Verfügung gestanden
habe. Außerdem hörte die Beklagte Dr. Z., der in seinen sozialmedizinischen Stellungnahmen vom 30. November 2011 und 9. Januar
2012 im Formular ankreuzte, dass die Klägerin in ihrem bisher hauptsächlich ausgeübten Beruf seit 17. Februar 2009 und mit
Blick auf eine dem Leistungsbild entsprechende Tätigkeit seit diesem Tag nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten
könne und außerdem ankreuzte, dass sie ab zumindest April 2009 eine dem Leistungsbild entsprechende Tätigkeit nur noch unter
drei Stunden täglich verrichten könne. Bei der gutachterlichen Äußerung von Dr. L. handele es sich um eine Stellungnahme nach
Aktenlage, die er nicht teile.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2012 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück.
Nach den Feststellungen des Sozialmedizinischen Dienstes Baden-Württemberg sei die Klägerin seit dem 17. Februar 2009 nur
noch in der Lage, leichte Arbeiten drei bis unter sechs Stunden täglich zu verrichten. Seit April 2009 habe sich ihr Leistungsvermögen
auf unter drei Stunden täglich verringert. Auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im Widerspruchsverfahren ergäben
sich nach Auffassung des Sozialmedizinischen Dienstes keine Hinweise darauf, dass bei ihr der Leistungsfall erst später eingetreten
sei. Bereits im Entlassungsbericht des Prof. Dr. D. vom 17. April 2009 sei angegeben, dass sie nur noch drei bis unter sechs
Stunden täglich arbeiten könne. Auch das MDK-Gutachten vom 9. Juni 2009 beschreibe eine dauerhaft geminderte Erwerbsfähigkeit.
Die Beurteilung der Agentur für Arbeit sei nach Aktenlage ohne körperliche Untersuchung erfolgt. Die allgemeine Wartezeit
sei bei der Klägerin zum 17. Februar 2009 erfüllt. Allerdings habe sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung
keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet. Im maßgeblichen Zeitraum vom
17. Februar 2004 bis 16. Februar 2009 seien lediglich 16 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vorhanden. Die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen seien nur erfüllt, wenn der Leistungsfall der Erwerbsminderung nach dem 30. September 2010 eingetreten wäre.
Die Klägerin erhob am 14. Februar 2012 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Sie trug vor, ihre Erwerbsfähigkeit sei gestützt auf die gutachterliche Äußerung von Dr. L. vom 29. Juli 2010, wonach sie
bis zum 15. August 2011 dem Arbeitsmarkt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 20 Stunden zur Verfügung gestanden
habe, und die Bewertung durch Dr. M. in seinem Brief vom 20. Oktober 2011 erst zum 16. August 2011 auf ein unter dreistündiges
Leistungsvermögen herabgesunken. Selbst wenn man davon ausgehe, dass im Februar 2009 auf Grund des Leistungsvermögens von
drei bis unter sechs Stunden die Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vorgelegen hätten, müsse
die Belegungsdichte bei einem nachfolgenden Leistungsfall erneut geprüft werden. Der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente werde
nicht allein vom Gesundheitszustand des Versicherten, sondern auch davon, ob er noch dazu in der Lage sei, bei der konkreten
Situation des (Teilzeit-) Arbeitsmarktes die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens einzusetzen,
abhängig gemacht. Vom 17. Oktober bis 11. November 2011 habe sie im Übrigen noch eine Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen
Eingliederung absolviert.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Klägerin sei seit dem 17. Februar 2009 voll erwerbsgemindert (konkrete Betrachtungsweise).
Der Leistungsfall der Rente wegen voller Erwerbsminderung könne nicht erneut eintreten, solange eine einmal eingetretene volle
Erwerbsminderung fortbestehe. Dabei sei unerheblich, ob die volle Erwerbsminderung auf dem verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkt
oder auf dem Gesundheitszustand beruhe. In der sozialmedizinischen Stellungnahme äußerte sich ihr beratender Arzt für Neurologie
Dr. Wa. unter dem 1. August 2012 dahingehend, dass es sich bei der im Entlassungsbericht des Prof. Dr. D. vom 17. April 2009
vorgenommenen Leistungseinschätzung von drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich um eine prospektive Sichtweise, die von
einem grundsätzlich günstigen weiteren Gesundheitsverlauf ausgegangen sei, gehandelt habe. Tatsächlich sei aber ein protrahierter
Verlauf mit stetiger Befundverschlechterung eingetreten. Der faktische Verlauf habe nicht dem prospektiv angenommenen günstigen
Leistungsbild von drei bis unter sechs Stunden entsprochen. Ein solches habe sich zu keinem Zeitpunkt realisiert. Die Stellungnahme
von Dr. L. stehe dem nicht entgegen, da als maßgebliche Beurteilungsgrundlage die Eigenangaben der Klägerin im Gesundheitsfragebogen
und der Reha-Entlassungsbericht zugrunde gelegt worden seien. Subjektive Angaben seien zur objektiven Einschätzung des tatsächlichen
Leistungsvermögens wenig dienlich. Faktisch sei die Klägerin seit April 2009 zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen, erwerbsbringend
auch nur drei Stunden arbeitstäglich tätig zu sein. Unter dem 30. November 2012 führte Dr. Wa. aus, aus einer prima-vista-Betrachtung
der sachverständigen Zeugenauskünfte des Dr. M. und des Dr. V. (hierzu im Folgenden) scheine sich zwar der übereinstimmende
Tenor zu erschließen, dass das Leistungsvermögen der Klägerin erst zwischen August und Oktober 2011 auf weniger als drei Stunden
arbeitstäglich abgesunken sein solle. Die einzelnen zeitlichen Zuordnungen der wesentlich leistungsmindernden Symptome gingen
jedoch nicht eindeutig aus den sachverständigen Zeugenauskünften hervor. Die MRT-Untersuchungen zeigten, dass die zahlreichen
MS-bedingten Entmarkungsherde im Gehirn zwischen dem 27. Mai 2010 und 29. Juni 2012 unverändert geblieben seien. Nach den
objektiven MRT-Befunden sei der Eintritt des Leistungsfalls damit spätestens (!) im Mai 2010 anzunehmen. Unter dem 27. Februar
2013 gab Dr. Wa. schließlich an, dass die Unterlagen der Agentur für Arbeit (hierzu im Folgenden) seine bisherigen Einschätzung
stützten (Ausrufezeichen im Original).
Das SG hörte Dr. M. und Dr. V. als sachverständige Zeugen. Dr. M. führte unter dem 9. Oktober 2012 aus, dass es bei der Klägerin
ab Oktober 2011 zu einer weiteren deutlichen Befundverschlechterung gekommen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei sie nicht mehr in
der Lage gewesen, mehr als drei Stunden regelmäßig zu arbeiten. Von Ende des Jahres bis jetzt habe sich eine weitere Befundverschlechterung
insoweit ergeben, als die Gangstörung, die psycho-physische Erschöpfung und das Fatigue-Syndrom zugenommen hätten. Auch die
Dranginkontinenz habe sich wieder verschlechtert. Er fügte eigene Arztbriefe, Arztbriefe über radiologische Untersuchungen
in den Jahren 2009 und 2010 und den Arztbrief des Prof. Dr. Su., Chefarzt des O.-Klinikums vom 4. März 2009 über den stationären
Aufenthalt der Klägerin vom 17. bis 25. Februar 2009 bei. Dr. V. führte unter dem 29. Oktober 2012 aus, dass es im August
2009 zu einer flüchtigen Verschlechterung der Gangstörung bzw. im November 2009 zu einer mäßiggradigen depressiven Episode
gekommen sei. Im Wesentlichen habe eine Befundkonstanz bis leichte Verschlechterung vorgelegen. Ab etwa August/September 2011
sei es dann zu einer deutlichen Verschlechterung vor allem des Gehens, der Dranginkontinenz und der Belastbarkeit der Klägerin
gekommen. Er fügte weitere Arztbriefe über radiologische Untersuchungen und Arztbriefe des Dr. M. bei.
Außerdem nahm das SG Auszüge der beigezogenen Leistungsakte der Klägerin von der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit O. zu den Akten,
u.a. das vollständige Gutachten von Dr. L. vom 29. Juli 2010 und die Unterlagen über die auf Kosten der Bundesagentur für
Arbeit, Agentur für Arbeit O. durchgeführte Maßnahme bei einem Arbeitgeber zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach
§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB III) vom 17. Oktober bis 11. November 2011.
Mit Urteil vom 19. November 2013 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Sie sei zwar voll
erwerbsgemindert, erfülle aber nicht die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Über den Wortlaut des § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI hinaus liege eine volle Erwerbsminderung vor, wenn das Leistungsvermögen auf unter sechs Stunden abgesunken sei - so dass
an sich nach § 43 Abs. 1 SGB VI nur eine teilweise Erwerbsminderung vorliege - und kein (leidensgerechter) Teilzeitarbeitsplatz gefunden werden könne (Bundessozialgericht
[BSG], Urteil vom 5. Oktober 2005 - B 5 RJ 6/05 R -, in [...]). Wie nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechtslage sei die konkrete Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen
(konkrete Betrachtungsweise), so dass die teilweise Erwerbsminderung, wenn der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen sei, in
die volle Erwerbsminderung "durchschlage". Die volle Erwerbsminderung sei hier spätestens im Mai 2009 eingetreten. Jedenfalls
ab Entlassung aus der Reha-Maßnahme im April 2009 sei die Klägerin nur noch in der Lage gewesen, drei bis weniger als sechs
Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Jedenfalls ab Mai 2009 habe sie auch keinen Teilzeitarbeitsplatz mehr inne gehabt, so
dass nach der konkreten Betrachtungsweise volle Erwerbsminderung bestanden habe. Jedenfalls ab der Untersuchung bei Dr. Z.
am 24. Oktober 2011 sei die Klägerin nicht mehr in der Lage gewesen, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Dies werde auch durch den Abbruch des Praktikums in der Physiotherapiepraxis mit einem zeitlichen Umfang von zwei Stunden
belegt. Aus den sachverständigen Zeugenauskünften von Dr. M. und Dr. V. ergebe sich, dass es im August, spätestens im September
2011 zu einer deutlichen Befundverschlechterung gekommen sei. Letztlich könne dahingestellt bleiben, wann genau das Leistungsvermögen
auf weniger als drei Stunden abgesunken sei und ob nicht bereits die im Reha-Entlassungsbericht geschilderte Einschränkung
des Gehvermögens zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarkts wegen fehlender Wegefähigkeit geführt habe. Der Leistungsfall
der vollen Erwerbsminderung sei auf jeden Fall bereits spätestens im Mai 2009 eingetreten, nachdem die Klägerin keinen leidensgerechten
Teilzeitarbeitsplatz innegehabt habe und ihr ein anderes Teilzeitarbeitsverhältnis auch nicht habe angeboten werden können.
Der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung sei durch das spätere Absinken des Restleistungsvermögens nicht erneut eingetreten.
Die konkrete Betrachtungsweise habe bereits zu einer vollen Erwerbsminderung geführt. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch
auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, da sie jedenfalls seit Rentenantragstellung voll erwerbsgemindert sei.
Dagegen hat die Klägerin am 28. November 2013 Berufung eingelegt. Die Auffassung des SG, dass nur von einem einzigen Leistungsfall auszugehen sei, sei nicht haltbar. Dies offenbare sich darin, dass erst ab 17.
August 2010 Arbeitslosigkeit vorgelegen habe, mit Hilfe derer eine Arbeitsmarktrente überhaupt erst konstruiert werden könne.
2009 habe keine Arbeitslosigkeit vorgelegen und dem zu Folge sei die teilweise Erwerbsminderung nicht arbeitsbedingt in eine
Rente wegen voller Erwerbsminderung durchgeschlagen. Nach Aktenlage erschließe sich keine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes.
2009 habe der "klassische Fall" einer teilweiser Erwerbsminderung vorgelegen. Ihr Leistungsvermögen habe offensichtlich noch
über drei Stunden täglich gelegen. Eine Arbeitslosigkeit im rechtenrechtlichen Sinne habe nicht vorgelegen. Die Urteile des
Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Juni 2010 (L 21 R 1203/07, in [...]) und des SG vom 13. März 2014 (S 19 R 3503/12, in [...]) seien mit der bei ihr vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar. In beiden Fällen sei der Kläger bereits längere
Zeit vor der Antragstellung nicht mehr arbeitsfähig gewesen. Bei ihr habe bei erstmaligem Eintritt der teilweisen Erwerbsminderung
nachweislich noch keine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes vorgelegen. Selbst wenn ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung 2009 wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen nicht gegeben gewesen sein sollte, sei doch
eine signifikante Verschlechterung des Gesundheitszustands auf ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden pro Tag ein erneuter
Leistungsfall und damit seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen entsprechend dem weiteren Leistungsfall zu prüfen.
Im Übrigen sei die Argumentation der Beklagten bezüglich eines einzigen Leistungsfalls trotz Verschlechterung des Gesundheitszustands
und bekannter Abstufung zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung nicht recht nachvollziehbar. Der Ausschluss eines
Rentenanspruchs zu einem späteren Zeitpunkt durch Weiterwirkung des alten Leistungsfalls, wenn der Versicherte durch weitere
Beitragszahlung wieder für später einen Versicherungsschutz erwerbe, könne nicht Wille des Gesetzgebers sein. So werde jemand
durch einen früheren "Leistungsfall" mit fehlender Belegungsdichte bestraft, der sich trotz gesundheitlicher Einschränkungen
weiter durchkämpfe und deswegen vielleicht sogar eine gesundheitliche Verschlimmerung erleide, um wieder einen Versicherungsschutz
zu erwerben. Dies ergebe keinen Sinn.
Die Klägerin beantragt - sachgerecht gefasst -,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. November 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. September 2011 Rente wegen
voller Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt unter Vorlage des Versicherungsverlaufs der Klägerin vom 6. Februar 2014 die Auffassung, dass für einen Anspruch
auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht nur die gesundheitsbedingte Einschränkung des Leistungsvermögens des Versicherten
maßgebend (abstrakte Betrachtungsweise), sondern auch die jeweilige Arbeitsmarktlage zu berücksichtigen sei (konkrete Betrachtungsweise).
Es gebe allerdings nur einen Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung. Hierbei sei unerheblich, ob er auf ausschließlich
medizinischen Gründen beruhe oder auch arbeitsmarktbedingt sei. Der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung könne nicht
erneut eintreten, solange eine einmal eingetretene volle Erwerbsminderung fortbestehe. Aus der Formulierung der Gesetzesbegründung
des § 43 SGB VI, wonach Versicherte eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erhielten, wenn sie das verbliebene Restleistungsvermögen von
drei bis unter sechs Stunden täglich wegen "Arbeitslosigkeit" nicht in Erwerbseinkommen umsetzen können, könne nicht gefolgert
werden, dass der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung nur bejaht werden könne, wenn Arbeitslosigkeit im (engen) Sinne
des § 138 SGB III vorliege. Arbeitslos im Sinne der rentenrechtlich relevanten konkreten Betrachtungsweise sei der Versicherte, der arbeitslos
gemeldet sei, der, der dauernd arbeitsunfähig krank sei und dessen Arbeitsverhältnis nur noch aus formalen Gründen bestehe,
der, der in keinem Beschäftigungsverhältnis stehe oder der, der eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit
mit einem monatlichen Entgelt bzw. Arbeitseinkommen bis zu € 450,00 und einer Arbeitszeit von weniger als drei Stunden täglich
bzw. 15 Stunden wöchentlich ausübe. Die Klägerin habe ein Teilzeitarbeitsverhältnis bis 30. April 2009 inne gehabt, habe jedoch
auf Grund Arbeitsunfähigkeit im Krankengeldbezug vom April 2009 bis August 2010 gestanden. Die Einschätzung, dass die Klägerin
auf Grund nachfolgender langanhaltender Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage gewesen sei, erneut eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen
werde von Dr. W., MDK, in seinem Gutachten vom 9. Juni 2009 geteilt. Ein anderes Teilzeitarbeitsverhältnis habe nicht bestanden
und sei der Klägerin nicht angeboten worden. Damit habe Arbeitslosigkeit im Sinne der rentenrechtlich relevanten konkreten
Betrachtungsweise bestanden. Die Meldung bei der zuständigen Arbeitsagentur habe in erster Linie dazu gedient, den weiteren
Sozialleistungsbezug sicher zu stellen und keine Lücke im Versicherungsleben entstehen zu lassen. Aus dem Bezug des Arbeitslosengeldes
könne nicht geschlossen werden, dass wieder Erwerbsfähigkeit vorgelegen habe, auch wenn der Form halber Vermittlungsbemühungen
aufgenommen worden seien. Eine Besserung des Gesundheitszustandes sei nach dem eindeutigen medizinischen Beweisergebnis zu
keinem Zeitpunkt eingetreten, vielmehr habe sich der Gesundheitszustand stetig verschlechtert. Die volle Erwerbsminderung
liege damit spätestens seit Mai 2009 vor. Da bereits im Jahr 2009 unter Beachtung der konkreten Betrachtungsweise volle Erwerbsminderung
vorlegen habe, sei es unbeachtlich, dass zu einem späteren Zeitpunkt das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden abgesunken
sei. Der sogenannten konkreten Betrachtungsweise, welche sich aus dem Beschluss des Großen Senats des BSG vom 10. Dezember 1976 (GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76, in [...]) ergebe, sei zu entnehmen, dass der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente nicht allein vom Gesundheitszustand
des Versicherten abhängig gemacht (sogenannte abstrakte Betrachtungsweise) werde. Es sei auch zu berücksichtigen, ob der Versicherte
noch in der Lage sei, bei der konkreten Situation des (Teilzeit-) Arbeitsmarktes die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit zur
Erzielung eines Erwerbseinkommens einzusetzen. Versicherte, die noch mindestens drei, aber nicht mehr als sechs Stunden täglich
arbeiten, das verbliebene Restleistungsvermögen wegen Arbeitslosigkeit aber nicht in Erwerbseinkommen umsetzen können, erhielten
eine volle Erwerbsminderungsrente. Auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg verweise in seinem Urteil vom 10. Juni
2010 (L 21 R 1203/07, a.a.O.) darauf, dass bei der Bestimmung des Leistungsfall nicht nur auf den medizinischen Sachverhalt abzustellen sei. Für
die Annahme eines einheitlichen Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung spreche auch § 33 SGB VI. Er nehme keine Unterscheidung nach dem Grund der vollen Erwerbsminderung (verschlossener Teilzeitarbeitsmarkt oder ausschließlich
medizinische Gründe) vor. Auch das BSG gehe davon aus, dass es nur einen Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit geben könne (Urteile vom 26. Juni 1990 - 5 RJ 62/89 -, vom 29. November 1990 - 5/4a RJ 41/87 - und vom 31. Oktober 2002 - B 4 RA 9/01 R -, alle in [...]).
Der Senat hat auf das Urteil des SG vom 13. März 2014 (S 19 R 3503/12 - , a.a.O.) hingewiesen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG und die Verwaltungsakten der Beklagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) statthafte und zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis beider Beteiligter durch Urteil ohne
mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober
2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren
Rechten. Die Klägerin hat ab 1. September 2011 keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein, ob die (rechtskundig vertretene) Klägerin Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung
hat, nicht aber, ob sie einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung hat. Denn diese Rente hat sie im Berufungsverfahren
nicht mehr begehrt. Ihr schriftsätzlich formulierter Antrag in der Berufungsschrift vom 12. Februar 2014 bezog sich nur auf
Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar
2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge
für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit
erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit
durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter
durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem
Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft
eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung
im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert;
dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann und mithin teilweise
erwerbsgemindert ist, er bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts jedoch keinen entsprechenden Arbeitsplatz innehat
(BSG, Urteile vom 8. September 2005 - B 13 RJ 10/04 R -, in [...] und vom 5. Oktober 2005 - B 5 RJ 6/05 R -, a.a.O.). Auch nach Inkrafttreten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) zum 1. Januar 2001 ist nicht davon auszugehen, dass Teilzeitstellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schlechthin in genügender
Anzahl zur Verfügung stehen (SG, Urteil vom 13. März 2014 - S 19 R 3503/12 -, in [...]). Angesichts der Arbeitsmarktlage gehen die Rentenversicherungsträger deshalb in der Regel ohne weitere Ermittlungen
davon aus, dass die Vermittlung eines in seinem Leistungsvermögen qualitativ und quantitativ eingeschränkten Versicherten
nicht innerhalb der Jahresfrist möglich ist. In einem solchen Fall schlägt wie nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden
Rechtslage, wonach die konkrete Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen ist (konkrete Betrachtungsweise), die teilweise Erwerbsminderung
in die volle Erwerbsminderung durch. Dies hat der Große Senat des BSG in den Beschlüssen vom 11. Dezember 1969 und 10. Dezember 1976 bereits zu dem unter der Reichsversicherungsordnung ( RVO) geltenden Recht entschieden (BSG, Beschlüsse vom 11. Dezember 1969 - GS 4/69 -, in [...] und vom 10. Dezember 1976 - GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 -, a.a.O.). Nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drucksache 14/4230 Seite 25 zu Nr. 10) sollte die konkrete Betrachtungsweise
wegen der ungünstigen Arbeitsmarktsituation auch nach dem 31. Dezember 2000 beibehalten werden. Dies ergibt sich auch aus
§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI, der auf Renten "unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage" abstellt (vgl. zu alledem KassKomm-Gürtner § 43 SGB VI, Rdnr. 30 ff). Nach der Rechtsprechung des BSG ergibt sich die Beibehaltung der konkreten Betrachtungsweise auch aus einem Umkehrschluss aus § 43 Abs. 3 SGB VI (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2005 -B 5 RJ 6/05 R -, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin, wie das SG zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren sowie der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin spätestens seit April 2009 nur noch
in der Lage ist, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zwischen drei und unter sechs Stunden täglich zu verrichten.
Der Senat entnimmt dies wie das SG dem Rehaentlassungsbericht des Prof. Dr. D. vom 17. April 2009 und dem Textteil des Gutachtens des Dr. Z. vom 24. Oktober
2011, in dem dieser davon ausging, dass bei der Klägerin seit April 2009 für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
ein drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen bestehe. Davon, dass es sich diesbezüglich Dr. Wa. folgend um eine zu
optimistische Leistungseinschätzung gehandelt hat, geht der Senat wie das SG nicht aus. Auch Dr. L., Ärztin der Agentur für Arbeit, vertrat in ihrer gutachterlichen Äußerung vom 29. Juli 2010 die Auffassung,
dass die Klägerin, insbesondere gestützt auf den Rehaentlassungsbericht des Prof. Dr. D., Tätigkeiten noch in einem Umfang
von drei bis unter sechs Stunden täglich ausüben könne. Nicht im Widerspruch hierzu steht das sozialmedizinische Gutachten
von Dr. W., MDK, vom 9. Juni 2009, der die Klägerin für auf Dauer arbeitsunfähig hielt. Diese Einschätzung bezog sich auf
die bisherige Tätigkeit der Klägerin als Verkäuferin. Insoweit sah auch Prof. Dr. D. ein nur noch unter dreistündiges Leistungsvermögen
der Klägerin.
Ab 1. Mai 2009 hatte die Klägerin auf Grund der Befristung ihres Arbeitsplatzes bis zum 30. April 2009 keinen Teilzeitarbeitsplatz
mehr inne. Nach der konkreten Betrachtungsweise schlug damit die teilweise Erwerbsminderung in die volle Erwerbsminderung
um. Entgegen der Auffassung der Klägerin ändert sich hieran nichts durch die Tatsache, dass sie im Mai 2009 nicht arbeitslos,
sondern arbeitsunfähig krank war und deshalb nach Beendigung der Lohnfortzahlung vom 31. März 2009 bis zum 16. August 2010
zunächst Kranken- bzw. Übergangsgeld und sodann bis 15. August 2011 Arbeitslosengeld bezog. Denn maßgeblich ist nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI allein, dass der Versicherte auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies beinhaltet, dass die Voraussetzungen vorliegen, wenn der Versicherte
- wie hier die Klägerin - arbeitsunfähig ist, Tätigkeiten nur noch in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden verrichten
kann und keinen Teilzeitarbeitsplatz inne hat. Auf die Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit im engen Sinne des § 138 SGB III kommt es nicht an. Dies hat auch - entgegen des Vorbringens der Klägerin - nicht zur Folge, dass damit bei jeder Teilzeitbeschäftigung
mit anschließender Arbeitsunfähigkeit bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung
zu zahlen wäre. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Versicherte keinen Teilzeitarbeitsplatz mehr inne hat. Bei Fortbestehen
des Arbeitsverhältnisses schlägt unter Zugrundelegung der konkreten Betrachtungsweise die teilweise Erwerbsminderung nicht
in die volle Erwerbsminderung durch.
Am 1. Mai 2009 fehlen jedoch die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI. In dem maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum vom 2. Mai 2004 bis 1. Mai 2009 sind für die Klägerin nicht drei Jahre Pflichtbeiträge
für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit, sondern nur 18 Monate Pflichtbeiträge enthalten (siehe Versicherungsverlauf
vom 6. Februar 2014, Blatt 14/15 der LSG-Akte), nämlich für die Zeit vom 1. November 2007 bis 30. April 2009. Zeiten, die
den maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum vom 2. Mai 2004 bis 1. Mai 2009 verlängern, sind nicht vorhanden. Dies trägt auch die
Klägerin nicht vor.
Ob und wenn ja, wann nach Mai 2009 eine weitere Verschlechterung des quantitativen Restleistungsvermögens der Klägerin auf
unter drei Stunden täglich eingetreten ist und zu welchem Zeitpunkt nach Mai 2009 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erfüllt gewesen sind, kann offen bleiben. Denn ein neuer Versicherungsfall
ist nach Mai 2009 unabhängig vom weiteren Absinken des Leistungsvermögens nicht eingetreten. Der Zustand der den Versicherungsfall
der vollen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB VI begründenden Erwerbsminderung bestand und besteht bei der Klägerin unverändert seit spätestens Mai 2009. Durch die von Dr.
M. und Dr. V. in ihren sachverständigen Zeugenauskünften vom 9. und 29. Oktober 2012 beschriebene Verschlimmerung der bestehenden
Erkrankung konnte die bereits voll erwerbsgeminderte Klägerin nicht erneut erwerbsgemindert werden. Es kommt nicht darauf
an, worauf die Erwerbsminderung letztlich beruht, d.h. ob sie allein auf Krankheit oder Behinderung des Versicherten, mithin
den Gesundheitszustand, zurückzuführen ist oder ob sie nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Versicherten, sondern
auch darauf, dass der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen war, beruht. Entscheidend ist allein die eingetretene Folge, die in
beiden Fällen in der eingetretenen vollen Erwerbsminderung besteht (BSG, Urteil vom 29. November 1990 - 5/4a RJ 41/87 -, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Juni 2010 - L 21 R 1203/07 -, jeweils a.a.O., Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. August 2014 - L 9 R 1721/14 -, in [...]). Etwas anderes lässt sich auch nicht darauf stützen, dass die sogenannte Arbeitsmarktrente und die klassische
Erwerbsminderungsrente durch die Befristung der Arbeitsmarktrente nach § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI und dem hieraus folgenden divergierenden Leistungsbeginn dieser beiden Renten nach § 101 Abs. 1 SGB VI unterschiedliche Voraussetzungen und unter Umständen auch unterschiedliche Rechtsfolgen aufweisen. Dies bedingt keinen unterschiedlichen
Leistungsfall für diese beiden Renten. Denn der Leistungsfall beinhaltet lediglich den Eintritt der (vollen) Erwerbsminderung
und begründet für sich genommen - etwa ohne das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - keinen Anspruch auf
die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Entscheidend ist, dass es sich bei diesen beiden Renten letztendlich um ein einheitliches
Recht des Versicherten handelt, das - anders als etwa eine Rente wegen Berufsunfähigkeit - das identische Versicherungsrisiko
abdeckt. Dieses einheitliche Versicherungsrisiko ist in dem Umstand begründet, dass ein Versicherter nicht mehr in der Lage
ist, seinen Lebensunterhalt auch nur teilweise durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit selbst zu bestreiten (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2002 - B 4 RA 9/01 R-, SG, Urteil vom 13. März 2014 - S 19 R 3503/12 -, beide a.a.O.). Dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin seit April 2009 während des Krankengeldbezugs, des Bezugs
von Arbeitslosengeld oder während der im Oktober/November 2011 durchgeführten Qualifizierungsmaßnahme der Gestalt verbessert
hätte, dass sie wieder über sechs Stunden täglich leistungsfähig gewesen wäre und sich erst danach wieder eine erneute - volle
- quantitative Leistungsminderung eingestellt haben könnte, ist auf Grund des Krankheitsbilds der Klägerin auszuschließen.
Dies trägt die Klägerin auch nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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