Rechtmäßigkeit der Rücknahme einer Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei falschen Angaben zur Identität
Tatbestand
Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II)
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.12.2011 sowie deren Erstattung iHv insgesamt 17.400,09 €.
Die Kläger, geboren 1958 bzw. 1960, sind türkische Staatsangehörige. Sie sind 1992 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist
und gaben sich fälschlicherweise als libanesische Staatsangehörige bzw staatenlose Kurden aus dem Libanon aus. Ein Asylverfahren
wurde ohne Erfolg durchgeführt (Bescheid des Bundesamte für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 03.01.1994; Urteil
des Verwaltungsgerichts Würzburg - VG - vom 08.06.1994 - W 2 K ...; Beschluss des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 25.08.1994
- 19 AA ...). Die Abschiebung der Kläger scheiterte an der Beschaffung von Pass- bzw Identitätspapieren. Seit 2002 waren sie
und ihre Kinder E. (E.; geboren 1987), M. (Me.; geboren 1990), Y. (Y.; geboren 1993), M. (Mi.; geboren 1995) und I. (I.; geboren
1996) im Besitz von Aufenthaltsbefugnissen, die später als Aufenthaltserlaubnisse verlängert worden sind. Am 18.06.2007 erhielten
die Kläger zusammen mit ihren Kindern A. und Me. sowie Y. am 07.07.2010 Niederlassungserlaubnisse.
Unter dem 20.09.2004 beantragten die Kläger für sich und ihre Kinder E., Me., Y., Mi. und I. Alg II bei der Beklagten. Dabei
gaben sie ebenfalls an, libanesische Staatsangehörige zu sein und mit Nachnamen "H." zu heißen. Weiter wurden unbefristete
Arbeitsgenehmigungen vom 02.08.2002 bzw. 12.08.2002 vorgelegt. Die Beklagte bewilligte hierauf nach eigenen Angaben mit Bescheid
vom 22.12.2004 (der Bescheid ist nicht in den Verwaltungsalten; lediglich eine Auszahlungsübersicht wurde von der Beklagten
vorgelegt) Alg II bzw. Sozialgeld für die Monate Januar und Februar 2005 an die Kläger (jeweils 391,53 € monatlich, Rentenversicherungsbeiträge
jeweils 78 € monatlich sowie für den Kläger zu 1. im Januar 2005 Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung iHv 139,87 €)
sowie die Kinder E. (356,53 € monatlich), Me. (356,53 € monatlich), Y. (287,53 € monatlich), Mi. (287,53 € monatlich) und
I. (287,53 € monatlich). Für die Folgezeit bewilligte die Beklagte - unter Berücksichtigung des jeweils zuletzt erlassenen
Änderungsbescheides (bei dem Bescheid vom 23.09.2008 handelt es sich um einen "Aufhebungs-/Erstattungsbescheid" u.a. für Januar
2008; hier wurden die zuvor erlassenen Bewilligungsbescheide mit Ziffer 1. des Bescheides für die Zeit ab 01.01.2008 aufgehoben
und mit Ziffer 2. des Bescheides angegeben, dass sich unter Berücksichtigung der geänderten Verhältnisse ein neuer Anspruch
iHv 88 € für die Bedarfsgemeinschaft für Januar 2008 errechne) - folgende Leistungen:
Mit Bescheid vom 22.02.2012 nahm die Ausländerbehörde der Stadt A-Stadt die den Klägern und ihren Kindern erteilten Aufenthaltsbefugnisse,
Aufenthaltserlaubnisse und Niederlassungserlaubnisse mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Sie hätten nach ihrer Einreise
falsche Personalien angegeben und vorgetragen, libanesische Staatsangehörige zu sein. Aufgrund einer Entscheidung des VG habe
man am 31.07.2002 bzw. am 07.08.2002 Aufenthaltsbefugnisse erteilt, die nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) als Aufenthaltserlaubnisse verlängert worden seien. Drei Kinder der Kläger hätten dann im März 2011 mitgeteilt, sie seien
türkische Staatsangehörige. Die erteilten Aufenthaltsbefugnisse seien folglich rechtswidrig erteilt worden, da sie auf unzutreffenden
Annahmen beruht hätten. Gleiches gelte für die nachfolgend erteilten Aufenthaltsgenehmigungen und Aufenthaltstitel. Als rechtswidrige
begünstigende Verwaltungsakte seien sie gemäß Art. 48 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungs- und Verfahrensgesetz (BayVwVfG) mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Es sei bewusst über die Identität, mit dem Ziel, den Aufenthalt zu erhalten
und in Deutschland zu bleiben, getäuscht worden. Aufgrund der Integrationsleistungen solle der Aufenthalt nicht beendet werden,
so dass keine Aufforderung zur Ausreise und keine Abschiebungsandrohung erfolge. Lediglich die durch Täuschung erwirkte Aufenthaltsverfestigung
solle zurückgenommen werden. Es könnten auch keine Rechte aus dem Assoziationsabkommen abgeleitet werden. Beschäftigungszeiten
nach Erlangung eines Aufenthaltstitels, die nur aufgrund einer Täuschung erteilt worden seien, könnten nicht als ordnungsgemäß
angesehen werden, da die Betroffenen nicht die Voraussetzungen für eine Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis erfüllt
hätten. Mit Erlass des Bescheides werde der rechtmäßige Aufenthalt der Familie der Kläger beendet. Eine gegen den Bescheid
gerichtete Klage beim VG (W 7 K 12.262) haben die Kläger zurückgenommen.
Die Beklagte nahm daraufhin mit Bescheid vom 31.10.2012 den Bescheid vom 22.12.2004 (Zeitraum 01-02/2005), den Bescheid vom
28.01.2008 (Zeitraum 10/2007-03/2008), den Bescheid vom 28.01.2008 (Zeitraum 11/2007-03/2008), den Bescheid vom 28.01.2008
(Zeitraum 12/2007-03/2008), den Bescheid vom 28.01.2008 (01/2007-03/2008), den Bescheid vom 27.02.2009 (Zeitraum 23.12.-31.12.2008),
den Bescheid vom 13.01.2010 (Zeitraum 03.12.2009-06/2010), den Bescheid vom 30.08.2010 (Zeitraum 01-06/2010), den Bescheid
vom 01.09.2010 (Zeitraum 02-06/2010), den Bescheid vom 31.08.2010 (Zeitraum 03-06/2010), den Bescheid vom 02.09.2010 (Zeitraum
04-06/2010), den Bescheid vom 03.09.2010 (Zeitraum 05-06/2010), den Bescheid vom 06.09.2010 (Zeitraum 06/2010), den Bescheid
vom 07.09.2010 (Zeitraum 07-12/2010), den Bescheid vom 08.09.2010 (Zeitraum 08-12/2010), den Bescheid vom 27.10.2010 (Zeitraum
09-12/2010), den Bescheid vom 01.10.2010 (Zeitraum 10-12/2010), den Bescheid vom 18.02.2011 (Zeitraum 11-12/2010), den Bescheid
vom 21.02.2011 (Zeitraum 12/2010), den Bescheid vom 13.04.2011 (Zeitraum 01-06/2011), den Bescheid vom 13.04.2011 (Zeitraum
02-06/2011), den Bescheid vom 13.04.2011 (Zeitraum 03-06/2011), den Bescheid vom 28.06.2011 (Zeitraum 07-12/2011), den Bescheid
vom 30.08.2011 (Zeitraum 08-12/2011), den Bescheid vom 22.11.2011 (Zeitraum 10-12/2011) und den Bescheid vom 23.11.2011 (Zeitraum
11-12/2011) gegenüber den Klägern und deren Kinder (Ziffern 1. bis 7. des Bescheides) sowie einmalig bewilligte Leistungen
für August 2010, August 2011 und September 2011 (Ziffer 8. des Bescheides) zurück und forderte aufgrund der zu Unrecht erbrachten
Leistungen die Erstattung des Alg II für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2011 in Höhe von 5.224,67 € vom Kläger zu 1. und
in Höhe von 5.244,49 € von der Klägerin zu 2. (Ziffer 9a des Bescheides). Weiter wurde die Erstattung der Beiträge zur Sozialversicherung
in Höhe von 956,32 € vom Kläger zu 1. und in Höhe von 859,39 € von der Klägerin zu 2. gefordert (ebenfalls noch Ziffer 9a
des Bescheides). Schließlich verfügte der Beklagte, die Kläger hätten gesamtschuldnerisch die an A., Me., Y., Mi. und I. gezahlten
Leistungen in Höhe von 909,60 €, 2.138,11 €, 847,39 €, 575,06 € und 645,06 € zu ersetzen (Ziffer 9b des Bescheides). Durch
Mitteilung des Ausländeramtes sei bekannt geworden, dass die Kläger für sich und ihre Kinder falsche Angaben für die Aufenthaltserlaubnis
gemacht hätten und die Aufenthaltserlaubnis durch Bescheid vom 22.02.2012 für die gesamte Familie rückwirkend zurückgenommen
worden sei. Für die gesamte Leistungsdauer habe der Familie der Kläger daher kein Anspruch auf Alg II zugestanden. Die Bewilligungsbescheide
seien nach § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen. Hätten die Kläger korrekte Angaben zur Staatsangehörigkeit und ihres Geburtsortes gemacht, wäre aufgefallen,
dass aufgrund der falsch ausgestellten bzw. fehlenden Aufenthaltserlaubnisse kein Anspruch auf Alg II bestehen könne. Die
Kläger hätten damit vorsätzlich gegen ihre Mitwirkungspflicht verstoßen und für sich bzw. ihre Kinder Sozialleistungen erschlichen.
Auch Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung seien zu erstatten. Gegenüber den Kindern scheide eine belastend
wirkende Rücknahme wegen Vertrauensschutz aus. Die Kläger seien gesamtschuldnerisch zum Ersatz der rechtswidrig an die Kinder
erbrachten Leistungen verpflichtet, da sie diese Leistungen aufgrund der falsch angegebenen Staatsangehörigkeit erschlichen
hätten. Mit den wahrheitswidrigen Angaben hätten sie dies vorsätzlich herbeigeführt. Ob die Gelder noch verfügbar seien, sei
ebenso wie die Leistungsfähigkeit der Kläger unerheblich. Dass die Kinder überwiegend in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs-
oder Ausbildungsverhältnissen stünden und seit vielen Jahren Sozialversicherungsbeiträge leisten würden, sei sachfremd. Den
dagegen eingelegten Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2013 zurück.
Dagegen haben die Kläger Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II hätten zum Zeitpunkt der Leistungsgewährung vorgelegen. Daran ändere auch der vorgeworfene Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten
nichts. Sie seien weder jetzt noch in der Zukunft in der Lage, Zahlungen zu leisten, so dass eine Niederschlagung sachgerecht
wäre. Im Übrigen seien die Ansprüche eventuell verjährt. Mit Urteil vom 09.06.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Bewilligungsbescheide seien zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig gewesen, da die Kläger nach
§
1 Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) dem Leistungssystem des
AsylbLG zugewiesen seien. Dies ergebe sich aus §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG. Sie seien als türkische Staatsangehörige Ausländer und ihr Aufenthaltstitel sei zurückgenommen worden, woraus sich die Ausreisepflichtigkeit
ergebe. Diese sei auch vollziehbar gewesen, weil sie unerlaubt eingereist seien. Die Rücknahme der Aufenthaltstitel habe statusbegründende
Wirkung für die Zuordnung zum Existenzsicherungssystem des
AsylbLG. Diese Statusentscheidung der Ausländerbehörden entfalte ohne Rücksicht auf ihre materielle Richtigkeit bindende Wirkung
und könne von den Leistungsträgern nicht überprüft werden. Somit seien die Kläger nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen. Daran ändere sich nichts dadurch, dass gemäß §
2 Abs.
1 AsylbLG nach einer Gesamtaufenthaltsdauer von 15 Monaten Leistungen in entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) bezogen werden könnten. Dadurch werde der Status als Asylbewerber nicht berührt, denn die Leistungsberechtigung nach §
1 AsylbLG sei Voraussetzung des Tatbestandes in §
2 AsylbLG. Da die Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben zur Staatsangehörigkeit gemacht hätten,
könnten sie sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Diese Angabe sei für die Gewährung von Alg II nach §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 2 SGB II rechtlich erheblich gewesen. Die Kläger hätten die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, weil sie schon
einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt hätten und daher nicht beachtet hätten, was im gegebenen Fall
jedem einleuchten müsse. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung könne bis zum Ablauf von 10 Jahren
nach seiner Bekanntgabe im vorliegenden Fall zurückgenommen werden. Ebenso sei die Jahresfrist eingehalten worden, welche
erst nach Durchführung der Anhörung der Kläger begonnen habe. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Einwendungen gegen die Forderungshöhe seien weder vorgebracht noch ersichtlich. Die Pflicht zum Ersatz der gegenüber den
Kindern der Kläger erbrachten Leistungen folge aus § 34a Abs. 1 SGB II. Dieser Anspruch sei auch nicht verjährt.
Dagegen haben die Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide seien
diese nicht rechtswidrig gewesen. Erst mit Bescheid vom 22.02.2012 seien die Aufenthaltstitel ab Zustellung mit Wirkung für
die Vergangenheit zurückgenommen und die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts mit Zustellung des Bescheides beendet worden. Eine
Leistungsberechtigung nach §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG habe für den streitbefangenen Zeitraum nicht bestanden. Der Bescheid beruhe daher nicht auf falschen Angaben zum Herkunftsland.
Auch nach dem Bescheid vom 31.10.2012 hätten sie wiederum Aufenthaltstitel erhalten und es sei weiterhin Alg II bewilligt
worden. Die Rücknahme der bisher erteilten Aufenthaltsgenehmigungen habe ausschließlich ausländerrechtliche Wirkung. Eine
Verfestigung des Aufenthalts habe damit aber nicht rückwirkend entfallen können. Die Aufenthaltstitel für ihre Familie beruhten
aber auf der Zubilligung einer großartigen Integrationsleistung. Dies wäre auch der Fall gewesen, wären die Angaben bereits
vor Januar 2005 zutreffend gemacht worden. Der zurückgenommene Verwaltungsakt beruhe daher nicht auf unrichtigen oder unvollständigen
Angaben. Eine rückwirkende Anwendung von § 32a SGB II verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip, da nicht nur an ein Verhalten vor der Norm angeknüpft werde, sondern Ersatzansprüche
aus Leistungen an Dritte ausgeweitet würden.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 09.06.2016, Az: S 15 AS 242/13 aufzuheben.
den Bescheid der Beklagten und Berufungsbeklagten vom 31.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2013
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließe sich der Entscheidung des SG inhaltlich an.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten der Ausländerbehörde der Stadt A-Stadt
und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), aber nur teilweise begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht vollständig abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 31.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 25.03.2013 ist in Bezug auf die Rücknahme der Januar 2008 und Oktober 2010 bewilligten Leistungen und deren Erstattung
rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 31.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2013 mit dem die Beklagte
die Bewilligung von Alg II an die Kläger für die Zeit von Januar 2005 bis Dezember 2011 zurückgenommen sowie die Erstattung
von Alg II und der Sozialversicherungsbeiträge sowie den Ersatz der an die Kinder der Kläger gewährten Leistungen gefordert
hat. Dagegen haben die Kläger zulässigerweise eine Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG) erhoben. Soweit der Bescheid so zu verstehen sein sollte, dass damit auch die Leistungsaufhebung gegenüber den Kindern der
Kläger erfolgen soll - dafür spricht einerseits deren Nennung in den Verfügungssätzen Nrn 1 bis 7 und der Hinweis auf die
vollständige Rücknahme der Bewilligungsbescheide; dagegen spricht der Hinweis in den Gründen des Bescheides, wonach eine Rücknahme
gegenüber den Kindern wegen deren Vertrauensschutz ausscheide -, ist dieser Teil nicht streitgegenständlich, da die Kläger
davon nicht betroffen sind und für die Kinder bzw von diesen auch nicht Klage erhoben worden ist. Wie bei der Leistungsgewährung
(siehe dazu bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R) handelt es sich bei den Rücknahmeverfügungen jeweils um einzelne Verwaltungsakte gegenüber jedem individuellen Mitglied
der Bedarfsgemeinschaft. Gleiches gilt für die Verfügung in Ziffer 8. des Bescheides vom 31.10.2012, mit der die Bewilligung
von einmaligen Leistungen für August 2010, August 2011 und September 2011 - wie sich aus der Aufstellung zur Überzahlung ergibt,
handelte es sich um solche an die Kinder Me. und I. - zurück genommen wurde.
Zu Recht hat die Beklagte die innerhalb des Zeitraums von Januar 2005 bis November 2011 mit den im Aufhebungsbescheid benannten
Bescheiden vom 22.12.2004, 28.01.2008, 28.01.2008, 28.01.2008, 28.01.2008, 27.02.2009, 13.01.2010, 30.08.2010, 01.09.2010,
31.08.2010, 02.09.2010, 03.09.2010, 06.09.2010, 07.09.2010, 08.09.2010, 27.10.2010, 01.10.2010, 18.02.2011, 21.02.2011, 13.04.2011,
13.04.2011, 13.04.2011, 28.06.2011, 30.08.2011, 22.11.2011 und 23.11.2011 bewilligten laufenden Leistungen gegenüber den Klägern
zurückgenommen. Die Rücknahme des Bescheides vom 28.01.2008, die Zeit ab Januar 2008 betreffend (Nr. 2d der Rücknahmeverfügung
vom 31.10.2012), geht zwar ins Leere, da der Bescheid vom 28.01.2008 mit dem Bescheid vom 23.09.2008 bereits aufgehoben worden
ist, die Kläger werden dadurch aber nicht beschwert. Gleiches gilt für die Rücknahme eines angeblichen Bescheides vom 01.10.2010,
die Zeit ab Oktober 2010 betreffend (Nr. 5d der Rücknahmeverfügung vom 31.10.2012). Dieser ist den Akten nicht zu entnehmen
und wurde auch nicht von der Beklagten übersandt. Zudem ergingen nach dem 01.10.2010 weitere Änderungsbescheide, die die Zeit
ab Oktober 2010 betrafen, so dass auch die Aufhebung des Bescheides vom "01.10.2010" ins Leere geht. Anhaltspunkte für ein
bloßes Schreibversehen (vgl dazu BSG, Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 196/11 R - SozR 4-1300 § 33 Nr. 2) liegen nicht vor. Somit sind die Leistungsbewilligungen für Januar 2008 und Oktober 2010 nicht
aufgehoben worden.
Nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II iVm §
330 Abs.
2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) und § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt
auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat oder
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grob fahrlässig in diesem
Sinne handelt, wer in besonders schwerem Maße die erforderliche Sorgfaltspflicht verletzt, wer einfachste, ganz nahe liegende
Überlegungen nicht anstellt, also nicht beachtet, was jedem hätte einleuchten müssen. Es ist dabei auf die persönliche Urteils-
und Kritikfähigkeit sowie die besonderen Umstände des Einzelfalls abzustellen. Es ist also nicht ein objektiver, sondern ein
subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen; es gilt der subjektive Fahrlässigkeitsbegriff (vgl BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45 - juris).
Die jeweiligen Leistungsbewilligungen stellten begünstigende Verwaltungsakte dar. Diese waren von Anfang an rechtswidrig,
da die Kläger vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen waren.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) hatten Ausländer ihren
gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und erhielten Leistungen nach dem SGB II, wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 SGB II (aF) vorlagen; dies galt nicht für Leistungsberechtigte nach §
1 AsylbLG. Auch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II idF Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.03.2006 (BGBl I 558) waren ab 01.04.2006 Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich
allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, ihre Familienangehörigen sowie Leistungsberechtigte nach §
1 AsylbLG von einer Leistungsberechtigung nach dem SGB II ausgenommen. Seit der Änderung des § 7 Abs. 1 SGB II ab 28.08.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007
findet sich der Leistungsausschluss vom Alg II für Leistungsberechtigte nach §
1 AsylbLG in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II. Die Kläger waren folglich während des streitgegenständlichen Zeitraums von Januar 2005 bis November 2011 durchgehend als
Leistungsberechtigte nach §
1 AsylbLG von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Nach §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG sind nach dem
AsylbLG Ausländer leistungsberechtigt, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die vollziehbar ausreisepflichtig sind,
auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Diese Voraussetzungen haben die Kläger erfüllt.
Sie sind türkische Staatsangehörige und damit Ausländer. Sie haben sich im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich in
Deutschland aufgehalten. Schließlich waren sie vollziehbar ausreisepflichtig. Ausreisepflichtig ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ein Ausländer, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach
dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Ursprünglich verfügten die Kläger infolge ihrer falschen
Angaben zu ihrer Identität und Staatsangehörigkeit ab 01.01.2005 während der Zeiten ihres Bezuges von Alg II über Aufenthaltserlaubnisse
nach § 101 Abs. 2 AufenthG iVm § 25 Abs. 5 AufenthG. Diese sind aber durch die - nach Rücknahme der Klage vor dem VG im Verfahren W 7 K 12.262 - bestandskräftig erloschen (§
51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG), da sie mit Bescheid der Stadt A-Stadt vom 22.02.2012 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden sind. Damit
waren die Kläger ab 01.01.2005 nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels. Dieser hat aber statusbegründende Wirkung für die
Zuordnung zum Existenzsicherungssystem des
AsylbLG und damit für den Leistungsausschluss nach dem SGB II. Sozialleistungsträgern ist damit eine eigenständige Prüfung der materiellen aufenthaltsrechtlichen Lage verwehrt. Dem Besitz
der jeweiligen Erlaubnis oder einer Entscheidung darüber ist Tatbestandswirkung für den betreffenden Sozialleistungsanspruch
derart beizumessen, dass er für Behörden und auch Gerichte ohne Rücksicht auf ihre materielle Richtigkeit bindende Wirkung
entfaltet (vgl eingehend: BSG, Urteil vom 02.12.2014 - B 14 AS 8/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 41). Auch ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Kläger im Besitz eines Aufenthaltsrechts
nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei waren. Da die Kläger auch keine Aufenthaltsgenehmigung bei Einreise in das Bundesgebiet
hatten, erfolgte die Einreise unerlaubt (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG idF bis 31.12.2004). Da keine Ausreisefrist gewährt worden ist, ist die Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kraft Gesetzes (siehe dazu auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.08.2014 - L 8 AY 4 B ER) vollziehbar. Unerheblich
für die Leistungsberechtigung nach §
1 AsylbLG ist, ob eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG vollziehbar ist oder nicht (vgl Adolph in Adolph, SGB II, SGB XII,
AsylbLG, Stand 03/2017, §
1 AsylbLG Rn 62). Damit spielt es keine Rolle, dass die Stadt A-Stadt im Bescheid vom 22.02.2012 in den Gründen ausführt, ein Aufenthalt
solle nicht beendet werden und es erfolge weder eine Aufforderung zur Ausreise und noch eine Abschiebungsandrohung.
Auch aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 15.05.1956 (BGBl II 563) können die Kläger keinen Anspruch auf
Leistungen nach dem SGB II ableiten (vgl dazu generell: BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 21), da Tatbestandsvoraussetzung für die dort vorgesehenen Fürsorgeansprüche ein erlaubter Aufenthalt
im Bundesgebiet ist. Im Hinblick auf die rückwirkende Aufhebung aller Aufenthaltstitel durch die Ausländerbehörde (Bescheid
vom 22.02.2012) haben sich die Kläger aber bis November 2011 nie erlaubt iSv Art. 11 (a) EFA in Deutschland aufgehalten.
Dass die Kläger - trotz des eben beschriebenen Leistungsausschlusses - Alg II von der Beklagten erhielten, beruhte auf den
von ihnen zumindest grob fahrlässig gemachten falschen Angaben zur Identität und Staatsangehörigkeit. Im Rahmen ihrer Antragstellung
bei der Beklagten gaben sie an, libanesische Staatsangehörige zu sein und einen anderen Nachnamen zu haben. Hätten die Kläger
hier zutreffende Angaben gemacht, hätte die Beklagte ohne weiteres die Rechtswidrigkeit der Aufenthaltstitel bzw Arbeitserlaubnisse,
die auf die falschen Identitäten ausgestellt gewesen waren, erkennen können. Zu einer Leistungsgewährung wäre es folglich
nicht gekommen. Die Kläger haben - unter Zugrundelegung des subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffs - ohne weiteres erkennen können,
dass ihre diesbezüglichen Angaben falsch gewesen sind.
Da die Rücknahmefrist der § 45 Abs. 3 und 4 SGB X eingehalten und Ermessen nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II iVm § 330 Abs. 2 SGB II nicht auszuüben gewesen ist, war die Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit rechtmäßig.
Die Kläger haben damit ihnen in der Zeit von Januar 2005 bis November 2011 - mit Ausnahme der Leistungen für Januar 2008 und
Oktober 2010 sowie eines Teil im Dezember 2008 - zu erstatten. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die Beklagte hat die Bewilligungsbeschiede,
mit denen sie den Klägern Alg II in der Zeit von Januar 2005 bis November 2001 zurückgenommen. Lediglich die Bescheide, mit
denen zuletzt für die Monate Januar 2008 und Oktober 2010 Leistungen bewilligt worden sind, wurden nicht aufgehoben. So hat
die Beklagte zwar die Bescheide vom 28.01.2008, mit denen ua auch Alg II für Januar 2008 bewilligt worden war, zurückgenommen.
Mit dem Bescheid vom 23.09.2008 (Ziffer 1 des Verfügungssatzes) hatte sie jedoch bereits den Bescheid vom 28.01.2008 bezüglich
einer Leistungsbewilligung ab 01.01.2008 aufgehoben. In Ziffer 2 des Bescheides vom 23.09.2008 wurden den Kläger und den Kindern
A. und Me. dann niedrigere Leistungen für Januar 2008 iHv insgesamt 88 € bewilligt. Im Hinblick auf Ziffer 1 des Bescheides,
mit dem zunächst die Leistungsbewilligung ua für Januar 2008 vollständig aufgehoben worden ist, konnte Ziffer 2 nicht anders
als eine neue Leistungsbewilligung für diesen Monat verstanden werden (vgl zu Änderungsbescheiden: BSG, Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 196/11 R - SozR 4-1300 § 33 Nr. 2). Damit stellt der Bescheid vom 23.09.2008 eine Rechtsgrundlage für die Kläger zum Behaltendürfen
der für Januar 2008 gewährten Leistungen dar. Dies sind beim Kläger zu 1. ausweislich der Aufstellung der Beklagten 40,33
€ und bei der Klägerin zu 2. ein Betrag von 35,48 €. Dass dieser Betrag von den im Bescheid vom 22.09.2008 individuell den
Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft bewilligten Leistungen geringfügig abweicht, liegt an der von der Beklagten im Rahmen
der Leistungsauszahlung vorgenommenen Rundung. Insofern wurden statt der Summe der Einzelbewilligungen von 87,73 € ein Betrag
von 88 € ausgezahlt. Dass die Differenz von der Beklagten entsprechend den Anteilen der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
am Gesamtbedarf verteilt worden ist, ist dabei nicht zu beanstanden, da tatsächlich 88 € an die Bedarfsgemeinschaft geleistet
worden ist. Die Leistungen für Oktober 2010, die zuletzt mit dem nicht zurückgenommenen Bescheid vom 17.02.2011 bewilligt
worden sind, können ebenfalls nicht zurückgefordert werden. Auch dieser Bescheid wurde im Rücknahmebescheid der Beklagten
vom 31.10.2012 nicht erwähnt. Dies betrifft bei den Klägern einen Betrag von jeweils 170,94 €. Nachdem § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB II, wonach abweichend von § 50 SGB X 56% der bei der Berechnung des Alg II berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten sind, nicht anwendbar ist,
da die Rücknahme der Bewilligungsbescheide zu Recht nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfolgte, ist die Erstattungsforderung gegenüber dem Kläger zu 1. iHv 5.013,40 € (5.224,67 € - 40,33 € - 170,94 €) und der
Klägerin zu 2. iHv 5.038,07 € (5.244,49 € - 35,48 € - 170,94 €) rechtmäßig. Die von der Beklagten in der Aufstellung zur Überzahlung
angegebenen Beträge sind - unter Berücksichtigung der Rundungen bei der Auszahlung des Alg II - zutreffend und entsprechen
den in den Bewilligungsbescheiden für die Kläger bewilligten bzw ausgezahlten Leistungen. Die Kläger haben den ursprünglichen
Erhalt der angegebenen Leistungen auch nicht bestritten. Für die Monate Januar und Februar 2005 hat die Beklagte zumindest
die Zahlungsnachweise vorlegen können.
Die Pflicht zur Erstattung der im oben genannten Zeitraum geleisteten Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung
folgt aus § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II iVm §
335 Abs.
1,
2 und 5
SGB III. Auch hierbei ist zu beachten, dass diese nicht für Januar 2008 und Oktober 2010 verlangt werden können. Insofern verringert
sich der Erstattungsbetrag bei der Klägerin zu 2. um 133,60 € (Kranken- und Pflegeversicherung Januar 2008) sowie jeweils
40,80 € bezüglich der Rentenversicherungsbeiträge für Januar 2008 und Oktober 2010. Die Beklagte kann daher von der Klägerin
zu 2. nur für geleistete Sozialversicherungsbeiträge einen Betrag von 644,19 € (859,39 € - 133,60 € - 81,60 €) fordern. Beim
Kläger zu 1. ist der Erstattungsbetrag für die Rentenversicherung im Dezember 2008 zu reduzieren. Die Beklagte fordert hier
nach ihrer Aufstellung einen Betrag von 40,75 € zurück. Tatsächlich sind aber ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 27.02.2009
lediglich 12,24 € an die Rentenversicherung gezahlt worden. Es ergibt sich eine Differenz von 28,51 €. Es kann insofern vom
Kläger zu 1. nur eine Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge iHv 927,81 € (956,32 € - 28,51 €) verlangt werden.
Die Beklagte konnte von den Klägern auch den Ersatz des an die Kinder geleisteten Alg II fordern.
Nach dem mit Wirkung vom 01.04.2011 in Kraft getretenen § 34a Abs. 1 Satz 1 SGB II idF der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl I 850) ist zum Ersatz rechtswidrig erbrachter Leistungen nach diesem Buch verpflichtet,
wer diese durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten an Dritte herbeigeführt hat. Einen Ersatz der an Me. geleisteten
Rentenversicherungsbeiträge nach § 34a Abs. 1 Satz 2 SGB II hat die Beklagte nicht gefordert.
Unerheblich für die Anwendung des § 34a SGB II ist, dass die Leistungen, für die Ersatz gefordert worden ist, (weitestgehend) bereits vor dessen Inkrafttreten geleistet
worden sind. Die Norm ist zum 01.04.2011 ohne Übergangsregelung in Kraft getreten. Weder im Rahmen des § 34a SGB II selbst noch in § 77 SGB II wurden hierzu Regelungen getroffen. Die Kläger können sich insofern nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand
der vorherigen Rechtslage dahingehend berufen, dass § 34a SGB II vorliegend nicht anwendbar wäre (vgl zur Neuregelung des § 34 SGB II ab 01.04.2011: BSG, Urteil vom 08.02.2017 - B 14 AS 3/16 R - SozR 4-4200 § 34 Nr. 3). Zumal auch vor dem 01.04.2011 nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II aF Erwachsene zum Ersatz von Leistungen verpflichtet waren, wenn sie die Zahlung dieser an Personen, die mit ihnen in einer
Bedarfsgemeinschaft lebten, vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne wichtigen Grund herbeigeführt hatten. Der Beispielsfall
der Anwendung der alten Regelung, wenn die Eltern minderjähriger, unverheirateter Hilfeempfänger falsche Angaben zu ihren
Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht haben, sofern ihr Verhalten vorsätzlich oder grob fahrlässig war (so Link in
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, 34 Rn 11), entspricht vorliegend dem nunmehr unter § 34a SGB II zu subsumierenden Sachverhalt, mit den vergleichbaren Tatbestandsvoraussetzungen.
Entsprechend obiger Ausführungen zu den Klägern bestanden auch für die Kinder keine Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II. Diese Leistungen im Zeitraum von Januar 2005 bis November 2011 sind den Kindern damit rechtswidrig erbracht worden. Auf
eine Aufhebung der Bewilligungsbescheide kommt es dabei nicht an. Der Ersatzanspruch nach § 34a SGB II kommt sowohl nach Aufhebung der entsprechenden Bescheide in Betracht als auch bei bestehenden Bewilligungsbescheiden, da
er in der rechtswidrigen Erbringung der Leistungen begründet ist (vgl auch Link, Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 34a Rn 24). Eines gesonderten Bescheides zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung bedarf es dabei nicht,
da die Ersatzpflicht kraft Gesetzes und unabhängig von einer zuvor erfolgten Feststellung der Rechtswidrigkeit entsteht (vgl
auch Link aaO Rn 25).
Die Kläger haben die Leistungsgewährung auch zumindest durch grob fahrlässiges Verhalten kausal herbeigeführt. Durch die falschen
Angaben zu den Identitäten und der Nationalität haben die Kläger die Leistungserbringung erwirkt. Es war auch unter Berücksichtigung
des subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffs für die Kläger ohne weitere erkennbar, dass die Angaben falsch waren und zu einer
Leistungserbringung führen können.
Ein Ermessen sieht § 34a SGB II nicht vor, vielmehr handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Der Anspruch ist auch nicht verjährt, da die Beklagte
ihn innerhalb von vier Jahren nach dem Bekanntwerden von der Rechtswidrigkeit der Leistungserbringung mit Leistungsbescheid
geltend gemacht hat (§ 34a Abs. 2 Satz 2 SGB II).
Unter Berücksichtigung der aufgeteilten Rundungsbeträge bei den ausgezahlten Leistungen entsprechend des individuellen Anteils
am Gesamtbedarf (siehe dazu bereits obige Ausführungen) hat der Beklagte die zu erstattenden Beträge zutreffend ermittelt.
Sie ergeben sich aus den jeweils zur Auszahlung gebrachten Leistungen. Anders als bei dem Erstattungsverlangen gegenüber den
Klägern ist es bei dem Ersatzanspruch nach § 34a SGB II unerheblich, dass die Leistungsbewilligung für die Monate Januar 2008 und Dezember 2010 nicht aufgehoben wurden und sich
die Aufhebung der Bewilligung der einmaligen Leistungen für August 2010, August 2011 und September 2011 als zu unbestimmt
- und damit als rechtswidrig - darstellen könnte. Die Kläger haben daher als Gesamtschuldner Beträge iHv 909,60 € für A.,
iHv 2.138,11 € für Me. iHv 847,39 € für Y., iHv 575,06 € für Mi. und iHv 645,06 € für I. zu ersetzen.
Demzufolge war die Berufung der Kläger dahingehend erfolgreich, als die Erstattungsforderungen über 5.013,40 € für das Alg
II des Klägers zu 1., über 5.038,07 € für das Alg II der Klägerin zu 2., über 927,81 € für die Sozialversicherungsbeiträge
des Klägers zu 1. und über 644,19 € für die Sozialversicherungsbeiträge der Klägerin zu 2. hinausgehen. Im Übrigen war die
Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG. Da die Kläger gegen den Bescheid vom 31.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2013 auch als Versicherte
geklagt haben, ist das gesamte Verfahren nicht als gerichtskostenpflichtig iSv §
197a SGG anzusehen, wenngleich ein isoliertes Verfahren gegen einen Ersatzanspruch nach § 34a SGB II für an Dritte erbrachte Leistungen uU gerichtskostenpflichtig sein könnte (vgl dazu Link aaO § 34a Rn 66).
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.