Zusätzliche Berücksichtigung von Lohnzuschlägen nach den §§ 6, 8 AAÜG
Synallagmatischer und mittelbarer Zusammenhang von Arbeitsentgelt und Beschäftigung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die zusätzliche Berücksichtigung von Lohnzuschlägen in den Jahren 1962 bis 1967 nach den §§
6 und 8 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG).
Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der am 1919 geborenen und am 1992 verstorbenen W, im Folgenden als Versicherte bezeichnet.
Die Versicherte war in der Zeit vom 5. Februar 1962 bis zum 31. Juli 1977 als Telefonistin bei dem Zentralkomitee der SED
beschäftigt und gehörte dem dortigen Zusatzversorgungssystem an.
Am 7. April 1999 erteilte der Parteivorstand der PDS in seiner Eigenschaft als damaliger Zusatzversorgungsträger gegenüber
dem damaligen Rechtsnachfolger der Versicherten einen Bescheid und legte darin unter anderem auch für die Zeit von 1962 bis
1977 die jeweiligen Jahresbruttoverdienste fest. Zuschläge nach der Lohnzuschlagsverordnung vom 28. Mai 1958 waren hierin
nicht aufgeführt. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 27. Dezember 2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überprüfung der Bescheide, die gegenüber der Versichterten
oder deren früherem Rechtsnachfolger ergangen waren. Unter anderem legte sie dabei ein Schreiben vor, aus dem sich jedenfalls
aus Sicht der Klägerin ergab, dass die Versicherte für das Jahr 1962 Zuschläge nach der vorgenannten Lohnzuschlagsverordnung
in Höhe von 174,00 Mark und für die Jahre 1963 bis 1967 pro Jahr jeweils Zuschläge in Höhe von 193,00 Mark erhalten hatte.
Mit Bescheid vom 7. März 2012 und Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2012 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin im Ergebnis
mit der Begründung ab, es handele sich bei diesen Lohnzuschlägen nicht um berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt.
Mit ihrer Klage zum Sozialgericht Berlin hat die Klägerin ihr Ziel weiter verfolgt. Durch Urteil vom 15. Dezember 2014 hat
das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte im Ergebnis verpflichtet, für das Jahr 1962 weitere 174,00 Mark
und für die Jahre 1963 bis 1977 jeweils pro Jahr weitere 193,00 Mark als Entgelte nach den §§ 6, 8 AAÜG festzustellen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Lohnzuschläge seien als Arbeitsentgelt einzustufen. Dabei
sei es nicht ausschlaggebend, dass sie nach damaligem Recht der DDR steuerfrei gewesen seien, denn maßgeblich seien die steuerrechtlichen
Sichtweisen der Bundesrepublik Deutschland. Hiernach hätten diese Zuschläge der Einkommenssteuerpflicht unterliegen müssen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie bezieht sich dabei insbesondere auf das Urteil des Bundessozialgerichts
vom 29. Januar 2004, B 4 RA 19/03 R, wonach der so genannte Sperrzonenzuschlag nicht als weiteres Arbeitsentgelt nach §§ 6, 8 AAÜG berücksichtigungsfähig ist. Die Beklagte meint, die dortige Argumentation betreffe auch den Lohnzuschlag im vorliegenden
Rechtsstreit.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klägerin betreffend, die im Termin zur mündlichen Verhandlung
vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), sie ist in der Sache auch begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Allerdings ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - die Klage zulässig und vom Sozialgericht zu Recht auch als zulässig
beurteilt worden. Die Klagebefugnis der Klägerin entfällt auch nicht dadurch, dass es sich hierbei um ein Überprüfungsverfahren
nach § 44 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) im Hinblick auf einen Feststellungsbescheid zur Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung handelt. Denn vorliegend
ergibt sich die Besonderheit des Falles dadurch, dass trotz des bereits lange zurückliegenden Todes der Versicherten immer
noch offene Streitverfahren im Hinblick auf die Rentenhöhe bestehen. Eine durchgreifende Überprüfung der Rentenhöhe kann die
Klägerin indessen wegen der Bindungswirkung des hier streitbefangenen Überführungsbescheides nur erreichen, indem sie den
Überführungsbescheid selbst einer Überprüfung unterzieht. Insoweit konnten weder die Klagebefugnis noch das Rechtsschutzbedürfnis
verneint werden. Der Senat lässt allerdings ausdrücklich offen, ob dies in Verfahren, in denen keine offenen Rentenstreitigkeiten
mehr bestehen, in gleicher Weise zu beurteilen ist, denn dies bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
Die Klage ist jedoch unbegründet, denn der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf entgeltmäßige Berücksichtigung
der Zuschläge zum Lohn der Arbeiter und Angestellten bei Abschaffung der Lebensmittelkarten nicht zu. Diese Zuschläge, die
auf dem Gesetz über die Abschaffung der Lebensmittelkarten vom 28. Mai 1958, Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik
1958, Seite 413, sowie der Verordnung über die Zahlung eines Zuschlages zum Lohn der Arbeiter und Angestellten bei Abschaffung
der Lebensmittelkarten (Lohnzuschlagsverordnung) vom 28. Mai 1958, Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1958,
Seite 417, beruhten, stellen sich nicht als Entgeltleistungen nach den §§ 6, 8 AAÜG dar. Arbeitsentgelt in diesem Sinne kann nur dann bejaht werden, wenn es in einem unmittelbaren (synallagmatischen) oder
in einem mittelbaren (inneren, sachlichen) Zusammenhang mit der Beschäftigung steht (siehe hierzu im Einzelnen Bundessozialgericht,
Urteil vom 29. Januar 2004, B 4 RA 19/03 R). Diese Voraussetzungen liegen indessen nicht vor. Ein synallagmatischer Zusammenhang ist schon deshalb zu verneinen, weil
nach § 3 Abs. 1 letzter Satz des Gesetzes über die Abschaffung der Lebensmittelkarten die Arbeiter und Angestellten mit niedrigem
Verdienst den höchsten Zuschlag erhalten, also nahezu eine umgekehrt synallagmatische Beziehung besteht.
Es fehlt aber auch an einem mittelbaren Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis. Dies zeigt sich zunächst daran, dass die Lohnzuschläge
gemäß § 5 des vorgenannten Gesetzes auch an Rentner und gemäß § 6 des Gesetzes auch für Kinder zu zahlen waren. Soweit die
Auszahlung der Zuschläge an die Arbeiter und Angestellten durch die jeweiligen Arbeitgeber erfolgte, hatte dies rein technische
Gründe und diente der praktischen Durchführung der Auszahlung. Tatsächlich indessen war die Leistung nicht an den Arbeitsleistungen
orientiert, sondern am tatsächlichen Bedarf ausgerichtet, weil insoweit ein Ersatz für die Lebensmittelkarten, die zuvor abgeschafft
waren, geschaffen wurde. Damit ähnelt diese Leistung strukturell eher einer bedürftigkeitsorientierten Grundsicherungsleistung,
die auch nach dem Rechtsverständnis der Bundesrepublik Deutschland steuerfrei ist und nicht als Entgeltbestandteil gewertet
werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG in Verbindung mit §
154 Verwaltungsgerichtsordnung, denn die Klägerin ist nicht privilegierte Sonderrechtsnachfolgerin der Versicherten.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.