Gründe:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Das Sozialgericht hat zutreffend
entschieden, dass der Antragsteller zumindest vorübergehend mit Cannabisblüten zu versorgen ist.
Auch der Senat kann den Anspruch des Antragstellers auf Versorgung mit Cannabisblüten - wie das Sozialgericht - derzeit nicht
abschließend prüfen; diese Prüfung ist komplex und ihr Ergebnis derzeit nicht absehbar, wenngleich es gute Anhaltspunkte für
einen Anspruch des Antragstellers gibt.
So kann bereits eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) selbst, jedenfalls aber im Fall des Antragstellers ihre Auswirkungen
seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen (KassKomm/Nolte, Rn. 75d,
SGB V §
31 Rn. 20 und 75d). Dies wird durch ärztliche Einschätzungen getragen und bewegt sich entgegen der Beschwerdebegründung nicht
im bloß spekulativen Bereich. Die laut der behandelnden Fachärztin Dr. M beim Antragsteller durch die PTBS Typ II (d.h. infolge
eines längeren oder mehrfachen traumatischen Ereignisses) verursachten Auswirkungen sind nachvollziehbar und schwer. Ausgeprägte
Ein- und Durchschlafstörungen sind nach dem Stand der Wissenschaft praktisch immer assoziiert mit anderen Störungen. Studien
zeigen klare Zusammenhänge zwischen Schlafmangel und Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Schlaganfall,
Depressionen, geschwächter Immunabwehr. Schließlich ist der Zusammenhang von psychischen Störungen und kognitiven Beeinträchtigungen
mit Schlafproblemen anerkannt (vgl. nur https://www.aerzteblatt.de/archiv/174912/Schlafstoerungen-Haeufig-und-deutlich-unterschaetzt,
recherchiert am 15. Mai 2020). Nicht überzeugend ist es demgegenüber, wenn die Antragsgegnerin mit dem MDK die schwerwiegende
Erkrankung i.S. des §
31 Abs.
6 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB V) davon abhängig macht, dass sich leitliniengerechte Therapien als insuffizient erwiesen haben (MDK-Gutachten vom 13. Juni
2019). Diese Auffassung ist fachlich nicht überzeugend, indem sie von den Therapieversuchen her auf die Schwere der Erkrankung
zu schließen versucht.
Eine Psychotherapie hat der Antragsteller bereits aufgenommen, diese kann aber eine begleitende Medikation derzeit nachvollziehbar
nicht ersetzen. Letztere soll dem Antragsteller nach der überzeugenden Einschätzung der behandelnden Ärztin Dr. M wie auch
der Psychotherapeutin Gr erst ermöglichen die Psychotherapie durchzuführen. Die Möglichkeit, dass durch die Psychotherapie
der PTBS die Beschwerden zunehmen, ist überzeugend ärztlich begründet. Außerdem soll Cannabis die Auswirkungen der PTBS auf
die private und berufliche Lebensführung des Antragstellers bis zu einer Besserung durch Psychotherapie so weit wie möglich
minimieren (vgl. ärztliche Stellungnahme Dr. M vom 13. Dezember 2019).
Der Antragsteller kann nicht darauf verwiesen werden, stattdessen weitere Behandlungsversuche mit Psychopharmaka zu unternehmen.
Im Unterschied zur Rechtslage unter §
2 Abs.
1a SGB V müssen Nebenwirkungen von alternativen Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen des §
31 Abs.
6 SGB V nicht durchlitten worden sein. Notwendig, aber auch ausreichend ist nach dem Wortlaut des Gesetzes (§
31 Abs.
6 Nr.
1 b)
SGB V) allein die ärztlich begründete und nachvollziehbare Abwägung der erwartbaren Nebenwirkungen und des Krankheitszustandes
(vgl. auch BT-Drs. 18/8965 S. 24). Die Auffassung seines vormals behandelnden Arztes Dr. B, wonach bei dem Antragsteller deutliche
Anzeichen einer bestehenden Psychopharmakaunverträglichkeit entgegenstehen, teilt Frau Dr ... Auch sie lehnt eine Steigerung
der Psychopharmaka-Dosierung in einen möglicherweise wirksamen Bereich wegen einer zumindest erhöhten allgemeinen Sensivität
ab (ärztliche Stellungnahme vom 13. Dezember 2019).
Ob eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder schwerwiegende
Symptome durch die Behandlung mit Medizinal-Cannabis besteht, ist im Rahmen des anhängigen Hauptsacheverfahrens zu klären.
Allein die eigenen Ausführungen des Antragstellers können hier in Anbetracht der noch fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnisse
hinsichtlich möglicher unerwünschter Langzeit-Nebenwirkungen von Cannabis, vor allem mit Blick auf das Abhängigkeitspotential
und möglicher Auswirkungen auf eine psychische Erkrankung nicht ausreichen. Auf die insoweit möglicherweise bestehenden Langzeitrisiken
weist das MDK-Gutachten vom 13. Juni 2019 nachvollziehbar hin.
Daher entscheidet der Senat auf der Grundlage einer Folgenabwägung. Nach den Stellungnahmen von Frau Dr. Mund der eidesstattlichen
Versicherung des Antragstellers auch zu seiner Lebenssituation spricht einiges dafür, dass er unter der Versorgung mit Medizinalcannabis
einerseits die begonnene Psychotherapie fortsetzen kann. Andererseits besteht die Gefahr, dass er bei Abbruch der Einnahme
nicht ausreichend in der Lage ist, seine beruflichen Anforderungen zu meistern und könnte sein soziales und familiäres Leben
nachhaltig Schaden nehmen. Es erscheint eher hinnehmbar, den Antragsteller auf dieser Grundlage bei offenen Erfolgsaussichten
in der Hauptsache vorläufig mit Medizinalcannabis zu versorgen als ihm diese Versorgung vorzuenthalten. Im Hinblick auf die
nicht unerheblichen monatlichen Kosten der begehrten Versorgung ist eine Begrenzung der vorläufigen Leistungspflicht der Antragsgegnerin
in deren Interesse geboten. Das Gericht der Hauptsache wird auf Antrag zu entscheiden haben, ob eine einstweilige Anordnung
über den 31. Oktober 2020 hinaus - nach seinem Ermittlungs- und Erkenntnisstand - in Betracht kommt.
Die vorläufige Verpflichtung beruht auf der ärztlichen Verordnung vom 12. Dezember 2019. Insoweit besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis,
denn die Antragsgegnerin lehnt es weiter ab, den Antragsteller mit den dort verordneten Cannabisprodukten zu versorgen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).