Regress wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln
Beiverordnungen bei Opioid-Substitutionsbehandlung
Rechtswidrigkeit der Überdosierung
Tatbestand
Der Kläger, der Praktischer Arzt ist und im streitbefangenen Zeitraum in C zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen war,
wendet sich gegen einen Regress wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln in den Quartalen IV/2007 bis III/2008.
Am 19.08.2008 beantragte die zu 1) beigeladene AOK Rheinland/Hamburg bei der Gemeinsamen Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen
Nordrhein (Prüfungsstelle) die Verordnungstätigkeit des Klägers im Quartal IV/2007 einer Prüfung in besonderen Fällen gemäß
§
106 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (
SGB V) i.V.m. §
16 Prüfvereinbarung zu unterziehen und einen Regress in Höhe von 27.363,92 EUR festzusetzen. Der Kläger sei zur Substitution
Opiatabhängiger zugelassen, allerdings beschränkt auf 80 kassenübergreifende Fälle im Quartal. Im Quartal IV/2007 habe er
65 ihrer Versicherten als Patienten substituiert. Bei weiteren 156 Patienten habe er Methadon bzw. L-Polamidon oder Methaddict
verordnet, obwohl eine Abrechnung nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) nicht erfolgt sei und eine Substitutionsgenehmigung
nicht vorgelegen habe. Zusätzlich habe er Mittel mit hohem Suchtpotential wie Benzodiazepam verordnet.
Am 14.10.2008 beantragte die Beigeladene zu 1) auch für das Quartal I/2008 eine Prüfung in besonderen Fällen nach § 16 Prüfvereinbarung
und eine Regressierung i.H.v. 32.766,45 EUR. Der Kläger habe im Quartal I/2008 57 bei ihr versicherte Patienten substituiert.
Darüber hinaus habe er weiteren 165 Patienten Methadon bzw. L-Polamidon, Methaddict oder Subutex verordnet, obwohl er nicht
nach dem EBM abgerechnet und eine Substitutionsgenehmigung nicht vorgelegen habe. Zusätzlich habe der Kläger Mittel mit hohem
Suchtpotential wie Benzodiazepam verordnet.
Am 26.01.2009 beantragte die Beigeladene zu 1) für das Quartal II/2008 eine weitere Prüfung in besonderen Fällen nach § 16
Prüfvereinbarung und Regressierung i.H.v. 30.827,48 EUR. Der Kläger habe im Quartal II/2008 66 bei ihr versicherte Patienten
substituiert und bei weiteren 162 Patienten Methadon bzw. L-Polamidon oder Subutex verordnet, obwohl er nicht nach dem EBM
abgerechnet und eine Substitutionsgenehmigung nicht vorgelegen habe. Zusätzlich habe er Mittel mit hohem Suchtpotential, zum
Beispiel Benzodiazepam, verordnet.
Schließlich beantragte die Beigeladene zu 1) am 04.08.2009 für das Quartal III/2008 eine Prüfung in besonderen Fällen nach
§ 16 Prüfvereinbarung und Regressierung i.H.v. 33.213,89 EUR. Der Kläger habe im Quartal III/2008 66 bei ihr versicherte Patienten
substituiert und bei weiteren 177 Patienten Methadon bzw. L-Polamidon oder Methaddict verordnet, obwohl er nicht nach dem
EBM abgerechnet und eine Substitutionsgenehmigung nicht vorgelegen habe. Zusätzlich habe er Mittel mit hohem Suchtpotential
wie Benzodiazepam verordnet.
Die Prüfungsstelle gewährte dem Kläger Gelegenheit, zu den Anträgen Stellung zu nehmen und setzte sodann mit Bescheid vom
25.01.2010 nach Korrektur von Berechnungsfehlern Regresse für die Quartale IV/2007 bis III/2008 i.H.v. 27.068,22 EUR, 31.939,35
EUR, 30.688,75 EUR und 32.084,77 EUR, insgesamt 121.781,09 EUR fest. Zur Begründung führte sie aus: Gegenstand ihrer Prüfung
sei die Frage, ob die aufgelisteten Verordnungen zur Durchführung der Substitution Opiatabhängiger zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung hätten vorgenommen werden können bzw. ob Verstöße gegen die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses
zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung)
vorlägen. Nach § 7 Abs. 2 der Anlage I (Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden), Ziffer 2. (Substitutionsgestützte
Behandlung Opiatabhängiger), der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung müsse der Arzt den Beginn und die Beendigung
einer Substitution unverzüglich der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der leistungspflichtigen Krankenkasse
anzeigen. Nach Auskunft der zu 2) beigeladenen KV, die entsprechende Patientenlisten übermittelt habe, seien für die fraglichen
Quartale für acht Patienten Substitutionsgenehmigungen erteilt worden. Für weitere Patienten lägen keine Anzeigen des Beginns
und der Beendigung der Methadon-Substitution vor. Hinsichtlich der zur Methadonverordnung zusätzlichen Gabe von Mitteln mit
hohem Suchtpotential werde auf die Fachinformation zur Kontraindikation verwiesen. Danach dürften Diazepam, Rivotril und Tranxilium
(Benzodiazepine) unter keinen Umständen Patienten mit einer Abhängigkeitsanamnese verordnet werden. § 4 der Anlage I, Ziffer
2., der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung gebe vor, dass eine Substitution nicht durchgeführt werden dürfe,
wenn und solange der Substitution medizinisch allgemein anerkannte Ausschlussgründe entgegenstünden, wie z.B. eine primäre/hauptsächliche
Abhängigkeit von anderen psychotropen Substanzen (Alkohol, Kokain, Benzodiazepine). Nach § 8 der Anlage I, Ziffer 2., der
Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung sei die Substitution zu beenden, wenn eine Ausweitung und Verfestigung des
Gebrauchs von Suchtstoffen neben der Substitution vorliege. Die ersatzweise oder zusätzliche Verordnung von Benzodiazepinen
an drogenabhängige Patienten sei unzulässig, da sie nicht entwöhne, sondern die Gesundheit der Abhängigen zusätzlich gefährde.
Benzodiazepine dürften ausschließlich vom substituierenden bzw. behandelnden Arzt oder in Absprache mit diesem abgegeben werden,
sofern die Indikation dokumentiert und begründet werde. Der Kläger habe hierzu nichts vorgetragen.
Der Bescheid vom 25.01.2010 wurde als Einschreiben versandt und der Arzthelferin des Klägers am 26.01.2010 ausgehändigt.
Mit seiner Klage vom 24.11.2010 hat der Kläger vorgetragen, der Bescheid sei schon deshalb falsch, weil er von einer genehmigten
Zahl von 80 Behandlungsfällen ausgehe, obwohl seine Substitutionsgenehmigung 100 Patienten umfasst habe. Im Übrigen beantrage
er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da er auf den Regress erst durch den Abrechnungsbescheid für das Quartal II/2010
aufmerksam gemacht worden sei.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und im Übrigen dem Beklagten Gelegenheit gegeben,
über die als Widerspruch gewertete Klage zu entscheiden.
Der Beklagte hat den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 08.01.2013 zurückgewiesen. Die Regresse aufgrund der durch den
Kläger in den Quartalen IV/2007 bis III/2008 getätigten Verordnungen von Methadon, Methadicct, L-Polamidon und Subutex sowie
Diazepam, Rivotril und Tranxilium seien zu bestätigen. Die nach § 7 Abs. 2 der Anlage 1, Ziffer 2., der Richtlinie Methoden
vertragsärztliche Versorgung erforderliche Anzeige des Beginns und der Beendigung einer Substitution liege nur für acht Versicherte
vor. Im Zusammenhang mit der Verordnung von Mitteln mit hohem Suchtpotential neben der Gabe von Methadon komme deren aus den
entsprechenden Fachinformationen hervorgehende Kontraindikation zum Tragen. Diese schließe gemäß § 4 der Anlage 1, Ziffer
2., der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung die Substitution zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus.
Der Kläger, der sich trotz entsprechender Aufforderung nicht weiter geäußert hat, hat sinngemäß beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 08.01.2013 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15.01.2014 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei formell und materiell rechtmäßig. Gemäß
§ 7 Abs. 2 der Anlage I, Ziffer 2., der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung habe der Arzt Beginn und Beendigung
einer Substitution unverzüglich der zuständigen KV und der leistungspflichtigen Krankenkasse anzuzeigen. Gegen diese Melde-
und Anzeigepflichten habe der Kläger in den betreffenden Behandlungsfällen verstoßen. Die ihm erteilte Genehmigung beziehe
sich nur auf acht Patienten. Für sämtliche streitgegenständlichen Behandlungsfälle sei die nach § 7 Abs. 2 der Anlage I, Ziffer
2., der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung erforderliche Anzeige unterblieben. Damit entsprächen weder die Behandlung
noch die Verordnung mit Arzneimitteln den Vorgaben der Anlage I, Ziffer 2., der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung.
Die gesetzliche Krankenversicherung sei hierfür nicht leistungspflichtig. Überdies habe der Kläger gegen Richtlinien des Bundesausschusses
der Ärzte und Krankenkassen i.S.d. § 16 Nr. 1c der Prüfvereinbarung verstoßen, indem er Benzodiazepine in den Quartalen IV/2007
bis III/2008 verordnet habe. Nach § 4 der Anlage I, Ziffer 2., der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung dürfe
nicht substituiert werden, wenn und solange dem medizinisch allgemein anerkannte Ausschlussgründe entgegenstünden, wie z.B.
eine primäre/hauptsächliche Abhängigkeit von anderen psychotropen Substanzen (Alkohol, Kokain, Benzodiazepine etc.). Zutreffend
habe der Beklagte darauf abgestellt, dass nach den entsprechenden Fachinformationen Benzodiazepine bei Patienten mit Abhängigkeitserkrankung
kontraindiziert seien, da sie ein primäres Abhängigkeitspotenzial besäßen. Der Kläger habe zwar im Parallelverfahren S 14 KA 111/08 ausgeführt, die Verordnung von Benzodiazepinen neben der Methadon-Substitution sei indiziert gewesen, weil es sich um eine
supportive Verordnung bei der ambulanten Drogenentwöhnung gehandelt habe, um Angstsyndrome zu behandeln. Dieser pauschale
Vortrag lasse es jedoch nicht zu, die Indikation zu prüfen. Weitere Nachweise habe der Kläger nicht erbracht. Bei Verordnungsregressen
bestehe der zu ersetzende Schaden darin, dass die Krankenkasse Geldbeträge für Arzneien an Apotheken zahle, die diese dem
Versicherten gegen Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung aushändigten. Der auszugleichende Schaden entspreche damit
denjenigen, der durch eine unwirtschaftliche Verordnungsweise im Sinne des §
106 Abs.
2 Satz 1
SGB V verursacht werde.
Gegen das am 04.06.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.07.2014 beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen
Berufung eingelegt. Der Kläger, dem der Senat wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gewährt hat, hat folgende Anträge angekündigt: "1. In der Sache von Beiverordnungen bei Opioid-Substitutionsbehandlung wird
unter Bezugnahme auf die Abweisung der Klage vom 15.01.2014 mit Zustellungseingang am 04.06.2014 beim Kläger Berufung beantragt.
2. In der Sache von Verordnung von Substitutionsmitteln zur Behandlung der Opioidabhängigkeit außerhalb des Genehmigungsumfangs
nach BUB wird die Umgehung der Berufungsinstanz und Revision beim Bundessozialgericht beantragt." Zum Antrag zu 1) hat er
sinngemäß ausgeführt, dass die Beiverordnung von Benzodiazepinen bei Opioid-Substitutionsbehandlung nicht verboten sei, sondern
eine geeignete Behandlungsmethode einer psychischen Begleiterkrankung mit einer einhergehenden und vorbestehenden und damit
sekundären Benzodiazepinabhängigkeit darstelle. Die Behandlung mit Benzodiazepinen sei nicht kontraindiziert gewesen. Zum
Antrag zu 2) hat er den von dem Beklagten angeführten Genehmigungsumfang von 80 Patienten beanstandet und im Übrigen u.a.
den aus seiner Sicht angestrebten Zweck der Anzeigepflichten geschildert sowie den Eintritt eines materiellen Schadens bestritten.
Der im Termin zur mündlichen Verhandlung am 05.04.2017 nicht erschienene Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.01.2014 hinsichtlich des Regresses von Beiverordnungen bei Opioid-Substitutionsbehandlung
abzuändern und den Beschluss des Beklagten vom 08.01.2013 insoweit aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückweisen.
Er hat vorgetragen, der Hauptantrag zu 2) sei unzulässig. Sollte der Kläger mit diesem Antrag die Sprungrevision verfolgt
haben, so wäre nach §
161 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) das LSG der falsche Adressat. Ohnehin fehle es an der schriftlichen Zustimmung. Außerdem wäre der Antrag verspätet. Im Übrigen
habe das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 02.04.2014 - B 6 KA 49/13 B - auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen die Entscheidung des angerufenen Senates vom 17.04.2013 - L 11 KA 66/11 - eindeutig zu erkennen gegeben, was es von seiner Auffassung zur Behandlung der Opiadabhängigkeit außerhalb des vertraglich
vorgesehenen Genehmigungsverfahrens einschließlich seines Schadenverständnisses halte. Die mit dem Hauptantrag zu 1) begehrte
Entscheidung zur Beiverordnung von Benzodiazepinen bei Opioid-Substitutionsbehandlung habe das SG zutreffend kommentiert.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Der Senat hat den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision mangels Zuständigkeit als unzulässig verworfen (Beschluss vom 05.04.2017).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten L 11 KA 72/14, L 11 KA 71/14 und L 11 KA 21/16 sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten bzw. der Prüfungsstelle Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 05.04.2017 entscheiden, weil der
Kläger ordnungsgemäß zum Termin geladen und dabei darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Nichterscheinens
verhandelt und entschieden werden kann (§§
110 Abs.
1 Satz 2,
153 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Die Berufung des Klägers ist unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Beschluss vom 08.01.2013, mit dem der Beklagte den Widerspruch des Klägers
gegen den Regressbescheid der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen vom 25.01.2010 zurückgewiesen hat. Diesen Beschluss
hat der Kläger nur eingeschränkt und nur insoweit mit der Berufung angegriffen als "Beiverordnungen" von Benzodiazepinen bei
gleichzeitiger Opiatsubstitution regressiert wurden. Soweit es im Urteil des SG darüber hinaus um Regresse aufgrund von "Verordnungen von Substitutionsmitteln zur Behandlung von Opioidabhängigkeit" ging,
hat der Kläger sich zwar ebenfalls an den Senat gewandt, indessen ausdrücklich die Zulassung der Sprungrevision unter "Umgehung
der Berufungsinstanz" beantragt. Diesen Antrag hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 05.04.2017 durch Beschluss
als unzulässig verworfen, denn zuständig ist das SG (§
161 Abs.
1 und
3 SGG).
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit der Beklagte einen Regress aufgrund der Beiverordnungen bei Opioid-Substitutionsbehandlung
ausgesprochen hat. Der Beschluss des Beklagten vom 08.01.2013 ist insoweit rechtmäßig. Der Senat nimmt Bezug auf die zutreffenden
Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (§
153 Abs.
2 SGG) und führt ergänzend aus:
Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine abweichende Entscheidung. Mit Verfügung vom 23.03.2017 hat der Senat den Beklagten
zwecks sachgerechter Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zwar darauf hingewiesen, dass der angefochtene Beschluss rechtlich
in einzelnen Punkten zu hinterfragen sein könnte. Diese Bedenken hat der Beklagte indessen mit Schriftsatz vom 23.03.2017
ausgeräumt, indem er vorgetragen hat:
"Wie der o.g. Fachinformation zu entnehmen ist, wird unter Punkt '4.3 Gegenanzeigen' Folgendes ausgeführt:
'Diazepamratiopharm 10mg darf nicht eingenommen werden bei
- bekannter Überempfindlichkeit gegen Diazepam oder andere Benzodiazepine sowie einen der sonstigen Bestandteile,
- Abhängigkeitsanamnese (Alkohol, Medikamente, Drogen),
- schwerer Form der Myasthenia gravis'.
Die allgemein gehaltene Aussage des Klägers im Schriftsatz vom 08.07.2014 'eine Verordnung von Benzodiazepinen an Patienten
mit Suchterkrankungen [sei] nur dann kontraindiziert, wenn diese noch keine Abhängigkeit von Benzodiazepinen entwickelt haben',
erschließt sich nicht. Die Fachinformation schließt gerade eine Anwendung bei bestehender Abhängigkeitsanamnese aus, und nicht,
wie klägerseitig dargestellt, bei bestehender Benzodiazepinabhängigkeit. Die Fachinformation enthält auf Seite 2 'Empfehlungen
des Sachverständigenausschusses der Bundesregierung für den Arzt zur sachgerechten Anwendung von Benzodiazepinhaltigen Arzneimitteln',
wonach unter Nr. 2 bei Patienten mit einer Abhängigkeitsanamnese zur besonderen Vorsicht geraten wird mit dem Zusatz 'in der
Regel keine Verschreibung'. In den streitgegenständlichen Bescheiden vom 13.02.2012 (bzgl. der Quartale 4/2006 -3/2007) bzw.
vom 08.01.2013 (bzgl. der Quartale 4/2007 - 3/2008) wird tatsächlich darauf verwiesen, dass Benzodiazepine bei Patienten mit
einer Abhängigkeitsanamnese nicht verordnet werden 'sollten'. Weswegen in den Bescheiden des Beklagten - anders als noch in
dem jeweiligen Bescheid der Prüfungsstelle - nicht das Modalverb 'dürfen' verwandt wurde, kann leider nicht mehr vollständig
geklärt werden. Denkbar ist zum einen, dass mögliche Ausnahmekonstellationen außerhalb des Regelfalles entsprechend Seite
2 der Fachinformation - die hier explizit vom Kläger nicht vorgetragen worden sind -angedacht worden sind oder zum anderen
eine mögliche Unscharfe bei der Bescheiderstellung. Es wird darauf hingewiesen, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren bzgl.
der Quartale 4/2007 bis 3/2008 (Az. L 11 KA 72/14) keine Stellungnahme abgegeben hat. Der Beklagte hatte somit keinerlei Anhaltspunkte, den Sachverhalt im Hinblick auf evtl.
Behandlungsbesonderheiten bzw. bzgl. der vom Kläger vertretenden Ansicht, Benzodiazepine bei Suchtkranken im Rahmen einer
Substitutionsbehandlung anzuwenden, weiter zu ermitteln oder sich mit einem Vortrag auseinanderzusetzen. Im Hinblick auf die
Quartale 4/2006 (Az. L 11 KA 71/14) bzw. 1/2007 bis 3/2007 (Az. L 11 KA 21/16) hat sich der Kläger bereits im Verfahren vor dem Sozialgericht - vor Aussetzung des Verfahrens zwecks Nachholung des Vorverfahrens
- mit Schriftsatz vom 16.12.2008 erklärt, dass der Benzodiazepingebrauch differenziert zu beurteilen sei und sich auf die
Veröffentlichung von Eisner ('Beigebrauch' von Benzodiazepinen, Zeitschrift für Suchttherapie, 2006; 7: 8-12) berufen. In
diesem Zusammenhang hat die beigeladene AOK mit Schreiben vom 17.06.2009 (Seite 4) erklärt, dass bei den aufgeführten Patienten
keine Indikation vorlag, die eine Verordnung von Benzodiazepinen rechtfertige. Eine, idealerweise patientenbezogene, Reaktion
auf dieses Schreiben ist seitens des Klägers nicht erfolgt. Es wäre dem Kläger zumutbar gewesen, sich mit der Argumentation
auseinander zu setzen, um seine Verordnungsweise zu begründen. Soweit der Kläger weiterhin seine Vorordnungen auf die o.g.
Veröffentlichung stützt, ist dem entgegenzuhalten, dass laut Eisner 'manchmal Benzodiazepine als Antidepressiva der 2. Wahl
gegeben [werden], wenn Behandlungsversuche mit den 'üblichen' Antidepressiva gescheitert sind'. Ein solcher Behandlungsverlauf
ist aber vom Kläger nicht vorgetragen worden, obgleich er die Notwendigkeit bereits anhand der von ihm eingereichten Veröffentlichung
hätte erkennen können.
Ebenso weist die o.g. Veröffentlichung darauf hin, dass Schlafstörungen bei der Substitutionsbehandlung auch auf (missbräuchlichen)
Nebenkonsum von Alkohol, neurodegenerativen Veränderungen oder auf der stereochemischen Zusammensetzung bzw. der Verteilung
der enantiomeren Moleküle des verwendeten Methadons beruhen können. So habe sich laut Eisner nach Umstellung von Methadon-Razemat
(Enantiomerenverhältnis l(R)-Methadon zu d(S)-Methadon 1:1) auf Levo-Methadon (100% I(R)-Methadon) 'eine deutliche Verbesserung
des Schlafes und einer bekannten depressiven Symptomatik, sowie eine Verbesserung des Antriebs und der Stimmung' gezeigt (Eisner,
aaO, S. 12). Auch diesbezüglich enthält der Vortrag des Klägers weder im Verwaltungsverfahren noch im Klageverfahren Ausführungen,
sei es abstrakter Art oder patientenbezogen.
Die pauschalen Ausführungen des Klägers rechtfertigen daher die erfolgten Beiverordnungen, teilweise erheblich über die vorgesehene
Anwendungsdauer hinaus, nicht."
Diese Erwägungen finden sich im angefochtenen Bescheid (S. 35, 36) in stark verkürzter Form wieder. Das genügt den Anforderungen
des § 35 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist der Beklagte gehalten, die wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gründe mitzuteilen, die ihn zu seiner
Entscheidung bewogen haben (§ 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Das ist geschehen, wie der angefochtene Bescheid (S. 35, 36) hinlänglich belegt. Die dortigen Erwägungen decken sich mit
den Fachinformationen und verdeutlichen, dass die Regresse zu Recht festgesetzt worden sind. Eine Dosierung, die über die
Therapieempfehlungen der Roten Liste und der Fachinformation - wie hier - weit hinausgeht, ist grundsätzlich rechtswidrig
(Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 03.11.2010 - B 6 KA 35/10 B - m.w.N.).
Etwas anderes kann ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn es für die Abweichung eine medizinische Rechtfertigung gibt,
was etwa aufgrund von Besonderheiten im zugrunde liegenden Behandlungsfall denkbar wäre (BSG, a.a.O.). Ob und inwieweit ausnahmsweise an sich kontraindizierte Benzodiazepine in den jeweiligen Behandlungsfällen indiziert
waren, hat der Kläger allerdings nicht konkretisiert. Auf die das Verwaltungsverfahren einleitenden Anträge der Beigeladenen
zu 1) hat er keine Stellungnahme abgegeben. Auch im nachgeholten Widerspruchsverfahren hat er sein Vorbingen nicht präzisiert.
Zu weiteren Ermittlungen war der Beklagte nicht verpflichtet. Zwar ist er gehalten, alle Umstände zu berücksichtigten, die
ihm von Amts wegen bekannt sind (§ 20 Abs. 2 SGB X). Nötigenfalls muss er den Sachverhalt weiter aufklären (§ 20 Abs. 1 SGB X). Die Sachaufklärungspflicht korrespondiert mit der Obliegenheit des geprüften Arztes, alle ihm bekannten Umstände bereits
im Verwaltungsverfahren vorzutragen. Das ist nicht geschehen, obgleich die Prüfgremien ihm hierzu die Möglichkeit boten. Jedenfalls
vorliegend war der Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger von Amts wegen dezidiert darauf hinzuweisen, zu bestimmten von
ihm - dem Beklagten - als rechtserheblich erkannten Punkten vorzutragen. Fehlt - wie hier - schon jeder rechtserhebliche Vortrag
im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, kann sich der Beklagte damit begnügen, dem geprüften Vertragsarzt zunächst die
Möglichkeit einzuräumen, Stellung nehmen. Nutzt der Vertragsarzt dies und trägt er substantiiert vor, kann hieraus u.U. die
Verpflichtung für die Prüfgremien folgen, den aus ihrer Sicht entscheidungserheblichen Sachverhalt weiter aufzuklären und
den Vertragsarzt z.B. auf Unzulänglichkeiten oder Unstimmigkeiten hinzuweisen oder von ihm weitere beweiskräftige Unterlagen
anzufordern.
So liegt der Fall hier nicht. Die von den Beteiligten und vom SG als Widerspruch gewertete Klageschrift vom 24.11.2010 ist inhaltlich höchst rudimentär und enthält zur fraglichen Problematik
nichts. Wird zugunsten des Klägers angenommen, dass der Beklagte dessen Vorbringen aus den Parallelverfahren hätte berücksichtigen
müssen, ergibt sich nichts anderes. Zwar ist die dort ebenfalls als Widerspruch gewertete Klageschrift der seinerzeitigen
Bevollmächtigten inhaltlich deutlich verdichtet. So behauptet der Kläger dort immerhin, die Verordnung der Benzodiazepine
sei jeweils indiziert gewesen. Das indessen hat er nur in pauschaler Form vorgetragen. Nach Aktenlage hat der Beklagte ihn
nicht zu weiterer Präzisierung aufgefordert. Rechtlich ist das jedenfalls vorliegend nicht zu beanstanden. Die Beigeladene
zu 1) hat mit Schriftsatz vom 17.06.2009 ausführlich dazu Stellung genommen, warum die Verordnung von Benzodiazepinen aus
mehreren Gründen fehlerhaft war. Das SG hat dem Kläger diesen Schriftsatz zur Stellungnahme zugeleitet. Der Kläger hat nicht reagiert. Erst mit Beschluss vom 27.10.2011
hat das SG den Rechtsstreit nach §
114 Abs.
2 SGG ausgesetzt, um den Beteiligten die Gelegenheit zu geben, das ausstehende Widerspruchsverfahren nachzuholen. Mithin substituiert
das Vorbringen des Klägers im Gerichtsverfahren bis zum 27.10.2011 sein Vorbingen im nachgeholten Widerspruchsverfahren. Der
Beklagte hat das Vorbingen des Klägers und jenes der Beigeladenen zu 1) nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern im Bescheid
vom 22.11.2011 ausführlich referiert und im Ergebnis ausgeführt, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass die regressierte
Verordnung von Benzodiazepinen indiziert gewesen sei. Das trifft angesichts des pauschalen klägerischen Vortrags zu. Der Beklagte
war hier nicht verpflichtet, den Kläger im Vorfeld auf unzureichenden Vortrag hinzuweisen. Jedenfalls aus dem ihm vom SG zur Stellungnahme übersandten ausführlichen Schriftsatz der Beigeladenen zu 1) vom 17.06.2009 hätte er entnehmen können,
dass entweder weiterer Vortrag angezeigt war oder aber er hätte darlegen müssen, warum hierauf im konkreten Fall verzichtet
werden kann. Dieser Obliegenheit ist er nicht nachgekommen. Infolge der ihn treffenden objektiven Beweislast geht diese Säumnis
zu seinem Nachteil und nicht zu jenem des Beklagten.
Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 SGG).