Tatbestand
Gestritten wird um Leistungen nach dem
OEG i.V.m. dem BVG wegen mutmaßlicher körperlicher und sexueller Übergriffe in einem Kinderheim.
Der am 00.00.1954 geborene Kläger wuchs in mehreren Kinderheimen auf. Ab dem 26.02.1957 lebte er im G-Stift / Evangelische
Kinderheimstätte in I. Da er aus Sicht des Heimes wegen seines Verhaltens dort nicht mehr tragbar war, kam er am 26.09.1967
in das K-Stift in O / Psychiatrisches Landeskrankenhaus für Kinder und Jugendliche. Am 10.10.1972 wurde er in das Landeskrankenhaus
C verlegt. Der dort tätige Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L diagnostizierte 1975 in einem Gutachten für das Amtsgericht
M eine geistige Unterentwicklung, die in N noch die Stellung einer Debilität gehabt habe. Trotz einer zwischenzeitlichen mäßigen
Nachreife befinde der Kläger sich an der unteren Grenze der Norm, was die geistige Leistungsfähigkeit betreffe. Außerdem seien
Milieuschäden vorhanden. Er habe keinen Kontakt zu seiner geisteskranken Mutter und auch nicht zu seinen Pflegeeltern. 1976
wurden wegen "Geistesschwäche" ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen
der Merkzeichen "G" und "H" festgestellt. Ab 1978 lebte der Kläger in einem nahe des Landeskrankenhauses gelegenen Übergangswohnheim.
Ausweislich eines Berichts der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie M vom 16.04.1997 kam es während der stationären Aufenthalte
und in der Folgezeit zu kriminellen Handlungen. Bis April 1986 habe der Kläger sich im Maßregelvollzug befunden. Zum Zeitpunkt
des Berichts der Klinik sei er dort bereits zum 19. Mal in stationärer Behandlung. Diagnostiziert wurde eine dissoziale Persönlichkeitsstörung
bei grenzwertiger Intelligenzminderung sowie der V.a. ein hirnorganisches Anfallsleiden mit ausgeprägter psychogener Anfallstätigkeit.
1995 und 1998 wurden auch die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "B" und "RF" festgestellt. Der Kläger kann
nicht lesen und schreiben.
Am 22.12.2014 beantragte der Kläger mithilfe seiner Lebensgefährtin beim Beklagten wegen "Gewalt- und Missbrauchserfahrungen"
in "diversen Heimen/Psychiatrien" Leistungen nach dem
OEG. Nähere Angaben könne die Mitarbeiterin des Beklagten Frau T machen. Seine Integrationshelferin Frau U teilte mit, nähere
Informationen zu den Gewalttaten könnten Mitarbeiter der regionalen Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene der Heimerziehung
in den Jahren 1945-1975 machen. Weitergehende Angaben seien nicht möglich. Die Behindertenstelle des Beklagten teilte mit,
sie habe keine Informationen über Gewalttaten zum Nachteil des Klägers. Der Beklagte zog die Schwerbehindertenakte des Klägers
bei und holte Befundberichte des Nervenarztes Dr. T1 sowie der Allgemeinmediziner Dres. I1 ein. Dres. I1 teilten mit, laut
der Lebensgefährtin des Klägers sei "eventuell als Kleinkind in einem Kinderheim irgendetwas vorgefallen". Laut Dr. T1 gab
der Kläger ihm gegenüber an, er sei im Heim geschlagen und lange missbraucht worden. Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers
mit Bescheid vom 06.08.2015 ab, da weder Beweismittel vorlägen, noch eine detaillierte Schilderung der mutmaßlichen Taten.
Der Kläger legte am 18.08.2015 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.01.2016 zurückwies.
Auf Nachfrage eines neuen Bevollmächtigten im Juni 2016 übersandte der Beklagte diesem nochmals den Widerspruchsbescheid.
Der Kläger hat am 04.07.2016 Klage beim Sozialgericht Detmold erhoben. Er hat geltend gemacht, er habe den Widerspruchsbescheid
im Januar 2016 nicht erhalten. Er habe erstmals im Juni 2016 davon Kenntnis erlangt. Ca. im Alter von 12 Jahren sei er wegen
vermeintlich fehlerhafter Gartenarbeiten ca. drei Wochen lang eingesperrt, mit einem Gartenschlauch blutig geschlagen und
zweimal wöchentlich von einem Pfleger namens B vergewaltigt worden. Im K-Stift sei er durchgehend vier- bis fünfmal wöchentlich
von Nonnen und Pflegern mit einem Rohrstock geschlagen worden, wenn er etwas falsch gemacht oder Widerworte gegeben habe.
Man habe ihm in den Krankenanstalten Medikamente verabreicht, die bis heute zu Schlafstörungen führten. Er sei aus psychischen
Gründen nicht in der Lage, an weiteren persönlichen Anhörungen oder Untersuchungen mitzuwirken. Für die Umstände im K-Stift
könnten Zeitzeugen benannt werden, die allerdings keine Übergriffe zu seinem Nachteil wahrgenommen hätten. Der Kläger hat
eidesstattliche Versicherungen, ärztliche Bescheinigungen und diverse Dokumente vorgelegt, insbesondere das Ergebnis eines
Forschungsprojekts des Beklagten "Psychiatrie- und Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen im K-Stift N (1945-1980)",
einen Bericht der Kontaktstelle Kinder- und Jugendpsychiatrie des Beklagten über den Kläger, ein Gesprächsprotokoll der Kontaktstelle
über ein Gespräch mit dem Kläger am 27.01.2016 und eine handschriftliche Notiz vom 14.12.2015, die der Vorsitzende eines Selbsthilfevereins
über ein Gespräch mit dem Kläger erstellt haben soll. Der Kläger hat hierzu ergänzend ausgeführt, die Unterlagen belegten
die Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Im Protokoll vom 22.02.2016 würden seine Angaben ausdrücklich als glaubhaft bezeichnet.
Hieran sei der Beklagte gebunden.
Der Beklagte hat vorgetragen, er könne den tatsächlichen Zugang des Widerspruchsbescheides im Januar 2016 nicht beweisen.
Die abgesenkten Beweisanforderungen des § 15 KOVVfG kämen nicht zur Anwendung, da der Kläger erst 2014 den Antrag gestellt habe. Der Projektbericht über das K-Stift könne nicht
den Nachweis konkreter Gewalttaten zum Nachteil des Klägers ersetzen. Wenn von Seiten der Kontaktstelle Kinder- und Jugendpsychiatrie
die Angaben des Klägers als glaubhaft angesehen würden, sei dies bei der Prüfung von Leistungen nach dem
OEG nicht maßgeblich. Recherchen hätten ergeben, dass zur fraglichen Zeit im K-Stift ein Mitarbeiter mit Nachnamen B tätig gewesen
sei, der allerdings 2009 verstorben sei. Die Personalakten seien vernichtet. Der Beklagte hat außerdem eine versorgungsärztliche
Stellungnahme der Psychologischen Psychotherapeutin Dipl.-Psych. T2 vorgelegt. Diese hat ausgeführt, es bestünden bereits
Zweifel an der speziellen Aussagetüchtigkeit, da die streitigen Ereignisse lange zurücklägen und zum Teil aus der frühen Kindheit
stammten. Angesichts der beim Kläger diagnostizierten schweren psychischen Erkrankungen bestünden Zweifel an einer durchgehenden
Realitätskontrolle. Da es zudem an Befunden zur Aussageentstehung, insbesondere an dokumentierten früheren Angaben fehle,
sei eine Falsifizierung von Falschaussage- und Suggestionshypothese nicht möglich.
Das Sozialgericht hat den Kläger wiederholt zum Betreiben des Verfahrens aufgefordert, den Kläger persönlich in einem Erörterungstermin
am 05.12.2018 angehört, der wegen eines mutmaßlich psychogene Anfalls abgebrochen werden musste, die Beteiligten zu einer
Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27.01.2020 abgewiesen. Die Klage sei zulässig.
Als Anspruchsgrundlage komme §
10a OEG in Betracht. Die Angaben des Klägers seien aber nicht zumindest glaubhaft im Sinne von § 15 KOVVfG. Der Kläger sei nicht aussagetüchtig. Eine weitere Befragung sei nach dem Zusammenbruch des Klägers im Erörterungstermin
und den von ihm vorgelegten ärztlichen Attesten nicht möglich. Soweit er Angaben zu Schlägen gemacht habe, könne ohne weitere
Konkretisierung nicht geprüft werden, ob diese vom damaligen Züchtigungsrecht gedeckt gewesen seien. Selbst Schläge mit Gegenständen
seien seinerzeit unter bestimmten Umständen rechtmäßig gewesen. Ließen sich rechtswidrige Gewalttaten nicht nachweisen, gehe
dies zu Lasten des Klägers. Eine Glaubhaftigkeitsbegutachtung, die angesichts der in Betracht kommenden Beeinflussung durch
die Erkrankungen des Klägers unumgänglich sei, könne laut Kläger und seinem behandelnden Arzt nicht durchgeführt werden. Selbst
wenn die Angaben des Klägers als wahr unterstellt würden, wäre noch eine Zusammenhangsbegutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung
nötig, die ebenfalls nicht möglich sei. Soweit der behandelnde Arzt Dr. T1 in einem Attest einen Ursachenzusammenhang bejaht
habe, sei dies nicht begründet worden. Zudem sei ein Rückschluss von Diagnosen auf konkrete Gewalttaten nicht statthaft. Die
Gabe von Medikamenten könne nach der Rechtsprechung des BSG nur unter engen Voraussetzungen als Gewalttat im Sinne des
OEG anerkannt werden. Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt seien, gebe es nicht.
Der Kläger hat am 17.03.2020 Berufung gegen den seinem Bevollmächtigten am 17.02.2020 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegt.
Er trägt vor, es sei unerheblich, ob die mutmaßlichen Taten vom seinerzeitigen Züchtigungsrecht gedeckt gewesen seien, da
diese nach der entscheidenden heutigen Sicht gegen die Menschenwürde verstoßen hätten. Er könne keine weiteren Angaben machen.
Dies sei jedoch auch nicht erforderlich. Die bereits getätigten Angaben, die vorgelegten Protokolle und seine eidesstattlichen
Versicherungen seien ausreichend. Der Beklagte dürfe nicht die Glaubhaftigkeit seiner Angaben verneinen, nachdem seine Mitarbeiter
diese bereits bejaht hätten. Seine Angaben deckten sich mit dem Projektbericht "Psychiatrie- und Gewalterfahrungen von Kindern
und Jugendlichen im K-Stift N (1945-1980)". Es seien bereits Zeitzeugen benannt worden, die ebenfalls die damaligen Zustände
bestätigen könnten. Aufgrund des Gesetzeszwecks des
OEG und der Verfassung seien die Beweisregeln zu modifizieren.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 03.07.2020 hat der Bevollmächtigte des Klägers klargestellt, dass es
um Rentenleistungen wegen körperlicher Züchtigungen und sexuellen Missbrauchs im K-Stift N gehe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 27.01.2020 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides
vom 06.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.2016 zu verurteilen, ihm ab Dezember 2014 Rentenleistungen
nach dem
OEG i.V.m. dem BVG wegen körperlicher Züchtigungen und sexuellem Missbrauch im K-Stift N nach einem GdS von wenigstens 50 zu gewähren.
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Der Senat hat die Berufung nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 05.06.2020 nach §
153 Abs.
5 SGG auf den Berichterstatter übertragen und mit Beschluss des Berichterstatters vom 18.06.2020 einen Antrag des Klägers auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die beigezogene
Verwaltungsakte des Beklagten, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet nach Übertragung der Berufung auf den Berichterstatter durch Beschluss der Berufsrichter vom 05.06.2020
gemäß §
153 Abs.
5 SGG durch den Berichterstatter mit den ehrenamtlichen Richtern.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Senat sieht wie das Sozialgericht die Klage als zulässig an. Mangels Zugangsnachweis kann nicht von einer Bekanntgabe
des Widerspruchsbescheides im Januar 2016 ausgegangen werden (vgl. hierzu Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 37 Rn. 13 f.). Der Senat sieht es als vertretbar an, von einem Bekanntgabewillen des Beklagten bei Übersendung des Widerspruchsbescheides
im Juni 2016 auszugehen (vgl. zur Erforderlichkeit eines Bekanntgabewillens Engelmann, a.a.O., Rn. 3a). Der Senat sieht es
ebenfalls als vertretbar an, trotz der am 08.05.2019 zugestellten Betreibensaufforderung des Sozialgerichts nach Ablauf der
Dreimonatsfrist im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2017 - B 4 AS 2/16 R, juris Rn. 28) nicht von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses auszugehen, obwohl der Kläger bis dahin lediglich auf
eine Erkrankung und anschließende Arbeitsüberlastung seines Bevollmächtigten hingewiesen und die mit der Betreibensaufforderung
verbundene Anfrage erst am 09.10.2019 beantwortet hat.
Die Klage ist jedenfalls unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Er hat keinen Anspruch auf Rentenleistungen nach dem
OEG i.V.m. dem BVG.
Streitgegenstand sind nach entsprechender Klarstellung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 03.07.2020 Rentenleistungen
(vgl. zur Notwendigkeit der Konkretisierung des Leistungsbegehrens BSG, Urteil vom 27.09.2018 - B 9 V 2/17 R, juris Rn. 15) wegen mutmaßlicher körperlicher Züchtigungen und sexuellen Missbrauchs im K-Stift N, wo der Kläger sich zwischen
1967 und 1972 aufhielt (vgl. zur Teilbarkeit des Streitgegenstandes nach Schädigungskomplexen BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, juris Rn. 20 und Urteil vom 18.05.2006 - B 9a V 2/05 R, juris Rn. 17 f.).
Anspruchsgrundlage sind damit §§
1,
10a OEG. Vorsätzlich, rechtswidrige Gewalttaten im Sinne von §
1 OEG sind aber weder bewiesen, noch glaubhaft gemacht.
Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat nach §
153 Abs.
2 SGG zunächst Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides des Sozialgerichts vom 27.01.2020, denen
er sich nach eigener Prüfung anschließt.
Ergänzend und zur Berufungsbegründung weist der Senat auf Folgendes hin:
Beweismittel für Gewalttaten zum Nachteil des Klägers wie Zeugen oder Urkunden liegen nicht vor. Der Kläger behauptet selbst
nicht, dass die von ihm benannten Zeitzeugen Übergriffe zu seinem Nachteil wahrgenommen hätten. Ob der Projektbericht "Psychiatrie-
und Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen im K-Stift N (1945-1980)" einen Beweis für vorsätzlich, rechtswidrige Gewalttaten
zum Nachteil des Klägers darstellen könnte, wenn sich aus ihm flächendeckende bzw. allgegenwärtige Gewalt ergäbe, kann dahinstehen.
Denn abgesehen davon, dass der in diesem Bericht verwandte Gewaltbegriff (vgl. Seite 24 des Berichts) von dem des
OEG abweicht (vgl. zum Gewaltbegriff des
OEG ausführlich BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R, juris Rn. 17 ff.), behauptet der Bericht gerade nicht allgegenwärtige Gewalt. Zwar wird in der Zusammenfassung (S. 66) von
"systemisch bedingten Gewaltverhältnissen" und einer "Subkultur der Gewalt" gesprochen. Es heißt dort aber auch: "... zeichnet
sich ab, dass längst nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter... gewalttätiges Verhalten an den Tag legten", "... eine
systematische Gewaltanwendung... lässt sich nicht nachweisen" und "Gewalt war... nicht allgegenwärtig".
Die Angaben des Klägers, die selbst kein Beweismittel darstellen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, § 118 Rn. 8), können auch nicht nach § 15 Satz 1 KOVVfG zugrunde gelegt werden.
Zum einen ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht eröffnet, da keine unverschuldete Beweisnot vorliegt. Es ist weder
vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich, dass der Kläger an einer früheren Antragstellung mit dann besseren Beweismöglichkeiten
- etwa in Gestalt der zeugenschaftlichen Vernehmung des Pflegers B - gehindert gewesen wäre (vgl. zur Verneinung eines Falles
von § 15 KOVVfG wegen der bis zur Antragstellung verstrichenen Zeit BSG, Urteil vom 13.12.1994 - 9/9a RV 9/92, juris Rn. 14).
Zum anderen sind die vorliegenden Angaben nicht glaubhaft. Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers
liegen schon zu wenige eigene Angaben des Klägers vor. Weitere eigene Angaben des Klägers sind nach den von ihm vorgelegten
Attesten weder durch eine Anhörung durch das Gericht, noch durch eine Begutachtung zu erlangen.
Zu dem mutmaßlichen sexuellen Übergriff liegen lediglich das handschriftliche Schreiben vom 14.12.2015 und die eidesstattliche
Versicherung vom 15.11.2017 vor. Hinsichtlich des Schreibens vom 14.12.2015 heißt es in der Klagebegründung, es sei vom Vorsitzenden
des Selbsthilfevereins X erstellt worden. In der späteren eidesstattlichen Versicherung des Klägers heißt es, das Schreiben
sei von der Lebensgefährtin des Klägers gefertigt worden. Bei der Besprechung mit Mitarbeitern der Kontaktstelle Kinder- und
Jugendpsychiatrie des Beklagten am 27.01.2016 wurde der mutmaßliche sexuelle Missbrauch nur angedeutet und das auch nicht
vom Kläger, sondern von Herrn X. Soweit Herr X Angaben des Klägers wiedergegeben hat, besteht die Gefahr, dass dieser seine
eigenen Erlebnisse auf den Kläger projiziert. Ausweislich des Protokolls über den Termin am 27.01.2016 hat Herr X dort immerhin
zunächst ausführlich über sein eigenes Schicksal berichtet, obwohl es in dem Termin um den Kläger ging.
Im Hinblick auf die Angaben des Klägers vor dem Sozialgericht fällt zunächst auf, dass er dort von Schlägen mit einem Rohrstock
gesprochen hat, während im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Schlägen mit einem Gartenschlauch die Rede gewesen ist. Als
problematisch stellt sich weiter dar, dass der Kläger eine über Jahre immer gleichbleibende Häufigkeit der mutmaßlichen Schläge
behauptet hat.
Abgesehen von diesen Aspekten spricht gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers sein Eigeninteresse an Rentenleistungen
nach dem
OEG, zumal solchen nach §
10a OEG und das Fehlen jeglicher Angaben des Klägers oder von Dritten zu den mutmaßlichen Schädigungshandlungen aus der Zeit vor
der Antragstellung. Schließlich führt die aussagepsychologisch erfahrene Dipl.-Psych. T2 überzeugend aus, dass ein Einfluss
der erheblichen psychiatrischen Erkrankungen des Klägers - laut Bericht des Medizinischen Zentrums für Seelische Gesundheit
M1 vom 11.03.2015 maßgeblich ein dissoziatives Anfallsleiden - auf dessen Erinnerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden
kann.
Soweit bei dieser Sachlage überhaupt eine aussagepsychologische Exploration sinnvoll wäre, was Dipl.-Psych. T2 offenbar bezweifelt,
ist sie jedenfalls nicht durchführbar.
Soweit der Mitarbeiter des Beklagten X1 im Rahmen des Termins bei der Kontaktstelle Kinder- und Jugendpsychiatrie des Beklagten
am 27.01.2016 die Angaben des Klägers als glaubhaft bezeichnete, ist dies nicht maßgeblich und bei der dargestellten Sachlage
nicht überzeugend. Herr X1 begründete seine Einschätzung nicht und es ist nicht ersichtlich, dass er über eine besondere aussagepsychologische
Kompetenz verfügte.
Im Übrigen hat das Sozialgericht zutreffend auf das seinerzeitige Züchtigungsrecht (vgl. dazu auch Urteil des erkennenden
Senats vom 09.03.2018 - L 13 VG 80/14, juris Rn. 33 m.w.N.; BGH, Urteil vom 12.08.1976 - 4 StR 270/76, juris Rn. 14), die fehlende Aussagekraft des Attestes von Dr. T1 vom 08.10.2019 (vgl. zur Aussagekraft von Attesten behandelnder
Ärzte LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2015 - L 6 VG 4685/14, juris Rn. 52) und darauf hingewiesen, dass selbst bei Bejahung von vorsätzlich, rechtswidrigen Gewalttaten ohne eine - hier
ebenfalls nicht mögliche - psychiatrische Begutachtung ein Ursachenzusammenhang nicht als wahrscheinlich angesehen werden
kann. Dies gilt umso mehr angesichts des frühen Hinweises des Gutachters Dr. L auf einen Milieuschaden, der Möglichkeit einer
erblichen Komponente bei psychisch kranker Mutter, des möglichen Zusammenhangs der Krampf- bzw. psychogenen Anfälle mit einem
Wegeunfall Anfang 1995 und zahlreicher Belastungsreaktionen im Rahmen sozialer Anpassungsprobleme (vgl. zu den beiden letztgenannten
Punkten den Bericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie M vom 16.04.1997).
Prozessordnungsgemäße Beweisanträge (vgl. hierzu etwa BSG, Beschluss vom 21.01.2020 - B 5 R 201/19 B, juris Rn. 6; Beschluss vom 13.08.2015 - B 9 V 13/15 B, juris Rn. 10) sind nicht gestellt und erst recht nicht aufrechterhalten worden (vgl. zu letzterem Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
160 Rn. 18c).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Anlass, die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, besteht nicht.