LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.04.2017 - 17 U 96/13
Anerkennung von Atemwegserkrankungen als Berufskrankheit
Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität
Anforderungen an den Beweismaßstab
Obstruktive Erkrankung der oberen Atemwege
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich,
dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen,
Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht
haben (haftungsbegründende Kausalität).
2. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises
- also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen; für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu
beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit.
3. Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK 4302 ist Voraussetzung, dass der Versicherte an einer obstruktiven Atemwegserkrankung
leidet, die durch die versicherten Einwirkungen verursacht worden ist und den Versicherten zum Unterlassen aller gefährdenden
Tätigkeiten gezwungen haben muss.
4. Eine obstruktive Erkrankung der oberen Atemwege erfüllt nicht den Tatbestand der BK 4302.
Vorinstanzen: SG Detmold 02.01.2013 S 14 U 244/12
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 02.01.2013 wird zurückgewiesen. Kosten
haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung von Atemwegserkrankungen als Berufskrankheit (BK) im Wege der Erteilung eines sog. Zugunstenbescheides
gemäß § 44 des 10. Buches Sozialgesetzbuch (SGB X).
Der am 00.00.1940 geborene Kläger war vom 14.02.1973 bis 28.05.1976 im H Furnierwerk K und vom 02.06.1976 bis zu seiner Berentung
am 31.01.2001 in der Türenherstellung bei der Firma Q KG, H, später X Bauelemente GmbH, sozialversichert beschäftigt. Er beantragte
im November 2007 die Anerkennung von Atemwegsbeschwerden als BK und machte geltend, unter einem Schlaf-Apnoe-Syndrom zu leiden.
Mit Bescheid vom 10.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2010 lehnte die seinerzeitige Rechtsvorgängerin
der Beklagten, die Holz-Berufsgenossenschaft (im Weiteren: Beklagte) dieses Begehren ab und führte zur Begründung aus, ein
der Liste der Berufskrankheiten zuzuordnendes Krankheitsbild liege nicht vor, insbesondere keine BK nach Nr. 1315 ("Erkrankungen
durch Isocyanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder
das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können"), 4301 ("durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive
Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung,
die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können"), 4302 ("durch chemisch-irritativ
oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen
haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können")
der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ( BKV). Dabei stützte sie sich auf einen Bericht von Dr. L vom 29.10.2008, wonach ein Test gegenüber drei typischen Isocyanaten
keine positive Reaktion ergeben hatte und die Lungenfunktion normal war. In seinem für die Verwaltung erstatteten arbeitsmedizinischen
und allergologischen Gutachten vom 17.04.2009 kam außerdem Dr. X nach Auswertung der vorliegenden fachärztlichen Befunde zu
dem Ergebnis, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht nachgewiesen sei. Auch eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität
habe der Lungenfacharzt am 14.04.2008 nicht nachweisen können. Die beim Kläger vorliegende Erkrankung chronische Polyposis
nasi und die weiteren HNO-ärztlichen Diagnosen seien keine Krankheitsbilder im Sinne einer BK 4301, 4302 oder 1315. HNO-Arzt
Dr. C1 hatte insoweit berichtet, er habe am 23.10.2006 den Kläger wegen komplett behinderter Nasenatmung behandelt und eine
massive Polyposis beidseits diagnostiziert. In einem dem Bericht beigefügten Gutachten vom 02.06.1999 hatte er zuvor bereits
ausgeführt, der Kläger leide seit etwa 1994 unter einer Erkrankung der Nase und der Nasennebenhöhlen. Diese äußere sich durch
eine Behinderung der Nasenatmung, eine Minderung des Geruchssinns, zeitweise Kopfschmerzen und durch eine vermehrte Mundatmung
sowie Beschwerden im Rachen- und Kehlkopfbereich. Ursache der Beschwerden sei eine krankhafte Verdickung der Nasenschleimhäute,
der Nasenscheidewand und insbesondere die Ausbildung von Polypen in der Nase und den Nasennebenhöhlen. Neben einer anlagebedingten
Bereitschaft würden als Ursache der Erkrankung häufig auch Allergien, aber auch Einwirkungen von Berufsstoffen angesehen.
Insbesondere bestimmte Holzstäube gälten als schädigend.
Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Detmold (Az. S 1 U 168/10) erstattete Dr. C, Institut für Arbeits- und Sozialmedizinische Allergiediagnostik in Bad T, am 19.11.2010 ein allergologisches
Fachgutachten, in welchem er zu dem Ergebnis gelangte, beim Kläger liege eine obstruktive Erkrankung (nur) der oberen Atemwege
und eine unspezifische bronchiale Reizbarkeitssteigerung vor. Provokationstests mit verschiedenen Holzstäuben sowie eine Untersuchung
auf Antikörper gegen Isocyanate seien ergebnislos geblieben, auch ansonsten hätten sich keine Hinweise auf ein allergisches
Geschehen als mögliche Ursache der Atemwegserkrankung gefunden. Die nasale Atemwegsobstruktion sei keiner beruflichen Ursache
zuzurechnen, vielmehr im Sinne eines durch ausgeprägte Polypenbildung sowie eine Verbiegung des Nasenseptums verursachten
chronisch infektiven Geschehens zu erklären. Der Kläger nahm daraufhin am 20.12.2010 die Klage zurück.
Im Dezember 2011 beantragte der Kläger, die ablehnenden Bescheide aufzuheben und machte geltend, sie seien objektiv falsch;
entgegen den Feststellungen des im gerichtlichen Verfahren gehörten Gutachters leide er an einer BK. Mit Bescheid vom 23.03.2012
lehnte es die Beklagte ab, den Bescheid vom 10.04.2008 zurückzunehmen und führte zur Begründung aus, Tatsachen, die eine andere
Beurteilung zuließen, seien nicht vorgetragen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 02.08.2012
zurück.
Hiergegen hat sich die am 10.08.2012 bei dem Sozialgericht Detmold (SG) erhobene Klage gerichtet. Der Kläger hat geltend gemacht, sein Krankheitsbild stehe in ursächlichem Zusammenhang mit beruflichen
Einwirkungen. Der regelmäßige berufliche Kontakt mit allergisierenden Stoffen im Sinne von Dämpfen, Farben und Bleichen sowie
verschiedenen Holzstäuben habe bei ihm eine obstruktive Atemwegserkrankung ausgelöst, welche ihn bereits 1996 gezwungen habe,
seine berufliche Tätigkeit aufzugeben.
Das SG ist von dem klägerischen Antrag ausgegangen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.08.2012 zu verurteilen,
den Bescheid vom 10.04.2008 zurückzunehmen und seine Atemwegserkrankung als BK festzustellen, hilfsweise, ein Gutachten gemäß
§ 109 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) einzuholen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs. 1 SGG) vom 02.01.2013 die Klage abgewiesen. Zu Recht habe es die Beklagte abgelehnt, den ablehnenden Bescheid zurückzunehmen. Maßgebend
für die Beurteilung der Rechtslage sei der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Überprüfung durch die Verwaltungsbehörde. Vorliegend
habe sich die Beklagte zu Recht auf die Bindungswirkung des Ursprungsbescheides berufen und dessen Rücknahme ablehnen dürfen.
Denn der Kläger habe weder im Verwaltungs- noch im Widerspruchsverfahren neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen oder
neue Beweismittel benannt, die Veranlassung zu einer erneuten Überprüfung hätten geben können. Vielmehr sei pauschal und unsubstantiiert
lediglich die Unrichtigkeit der früheren Entscheidung bzw. des diese bestätigenden Sachverständigengutachtens geltend gemacht
worden. Dem Antrag gemäß § 109 SGG habe nicht nachgekommen werden müssen, da für die Beurteilung der Rechtslage der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Überprüfung
durch die Verwaltungsbehörde maßgebend sei.
Gegen den ihm am 14.01.2013 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12.02.2013 eingegangene Berufung des Klägers.
Er vertritt die Auffassung, der Sachverständige Dr. C sei möglicherweise aufgrund von Sprachproblemen irrtümlich davon ausgegangen,
nur die Gefährdung durch Holzstäube beurteilen zu müssen. Auf eine mögliche chemisch-irritierende Wirkung durch Bestandteile
in Leimen, Lacken, Farben und Bleichen sei er nicht eingegangen. Von besonderer Bedeutung sei, dass das Gutachten eine Erkrankung
durch Isocyanate mit der Begründung ausschließe, aus dem Verwaltungsvorgang und dem Vortrag des Klägers gehe keine entsprechende
Belastung hervor. Hinsichtlich der BK 1315 gehe das Gutachten deshalb von unzureichenden Umständen aus. Der Kläger sei nämlich
sehr wohl Isocyanaten ausgesetzt gewesen. Diese seien beim Schleifen von lackierten Hölzern oder Furnieren und beim Arbeiten
mit Lacken und Leimen freigesetzt worden. Es lägen deshalb ursprünglich nicht beachtete Tatsachen und Erkenntnisse vor, weshalb
die Beklagte nicht auf die Bindungswirkung der Ausgangsbescheide habe verweisen dürfen. Die Möglichkeit, dass die oberen Atemwege
von Erkrankungen durch Isocyanate betroffen seien, sei nicht gänzlich ausgeschlossen.
Der Kläger beantragt
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 02.01.2013 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
23.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.08.2012 zu verurteilen, den Bescheid vom 10.04.2008 zurückzunehmen
und seine Atemwegserkrankung als BK festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass Dr. X im Verwaltungsverfahren nach Auswertung der Befunde eine obstruktive Atemwegserkrankung ausgeschlossen
habe. Darüber hinaus habe die Allergietestung keine Sensibilisierung gegenüber den verwendeten Holzarten sowie Isocyanat ergeben.
Der Senat hat Dr. C um ergänzende Stellungnahme gebeten, die dieser unter dem 28.11.2013 vorgelegt hat. Dr. C hat ausgeführt,
bei dem Kläger bestehe eine obstruktive Atemwegserkrankung nur bezüglich der oberen Atemwege. Bezüglich der tieferen Atemwege
liege nur eine unspezifische bronchiale Reizbarkeitssteigerung vor, wie sie bei Asthmatikern, aber auch bei völlig asymptomatischen
Personen vorkomme. Zur Anerkennung einer Berufskrankheit der 43er Ziffern bezüglich der oberen Atemwege müsse es sich um ein
primär allergisches Krankheitsbild handeln, da chemisch irritative Einwirkungen nur für die tieferen Atemwege anzuerkennen
seien. Ein allergisches Geschehen sei nicht nachgewiesen. Bei der BK 1315 genüge es hingegen, generell ein Krankheitsbild
darzustellen, das wahrscheinlich durch Isocyanate ausgelöst worden sei. Eine Isocyanatexposition sei aber nicht nachgewiesen.
Selbst wenn man davon ausgehe, dass die vom Kläger bearbeiteten Türen in der Beschichtung oder im Kleber Isocyanat enthielten,
sei das Schleifen kleiner auszubessernder Türteile kaum geeignet, Konzentrationen von Isocyanat freizusetzen, die zur Ausbildung
einer Erkrankung der oberen Atemwege führen könnten, die wiederum ausschließlich die oberen Atemwege beträfen. Isocyanat löse
bei entsprechend sensibilisierten Personen schon in geringsten Konzentrationen möglicherweise Krankheitsanzeichen aus, auch
in der Normalbevölkerung, z.B. beim Fahren in einem neuen Auto. Die Diskussion einer BK 1315 erfordere entsprechend hohe Isocyanat-Konzentrationen.
Lediglich bei starker Erhitzung der ausgewerteten Lacke und Kleber könne es zu entsprechenden thermischen Umbauprozessen kommen,
die dann auch wieder isocyanathaltige Emissionen entstehen ließen. Die beim Anschleifen entstehenden Stäube dürften diesbezüglich
ohne Relevanz sein. Verständigungsprobleme habe es mit dem Kläger nicht gegeben.
Der Präventionsdienst der Beklagten hat für den Zeitraum der Tätigkeit des Klägers bei der Firma X im relevanten Zeitraum
1976-1998 keine Aussagen zum Ausmaß einer eventuellen Belastung durch Isocyanat machen können, da keine Betriebsunterlagen
mehr vorlägen. Die Firma K existiere seit 30 Jahren nicht mehr. Unterlagen seien nicht ermittelbar.
Im Erörterungstermin am 04.02.2015 hat der Kläger eine Lohnsteuerbescheinigung der Nachfolgefirma der Firma X für 2013 vorgelegt.
Die Beklagte hat eingewandt, dass sich hieraus für die Beschäftigungszeit bis Ende 1998 keine Erkenntnisse ergäben. Der Kläger
hat sodann Zeugen dafür benannt, dass die von der Firma Q hergestellten Spanplatten mit isocyanathaltigen Klebern und Lacken
bearbeitet seien. Der Zeuge Q könne berichten, dass "sehr viel" mit solchen Lacken und Klebern gearbeitet worden sei. Der
Zeuge C könne als Meister für die Lackierstraße bei der Firma Q genauere Auskunft über die verwendeten Lacke geben. Der Kläger
hat Presseinformationen der Firma Q vorgelegt, die die Isocyanat-Haltigkeit der verwendeten Werkstoffplatten belegen sollen.
Der Senat hat den Beteiligten unter dem 30.01.2017 Kopien des Merkblatts zu BK 1315 (BArbBl. 3/2004, 32), Auszüge aus der
"Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nummern 1315, 4301 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung" des Spitzenverbandes der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung ("Reichenhaller Empfehlung", November 2012) sowie Kopien
aus der aktuellen Auflage des unfallversicherungsrechtlichen Standardwerks "Arbeitsunfall und Berufskrankheit" (Schönberger/Mehrtens/Valentin,
9. Auflage, Seite 1120 und 1121) übersandt und dazu mitgeteilt, dass die nach Durchführung eines Erörterungstermins von den
Beteiligten einzig noch in Betracht gezogene BK 1315 aus medizinischen Gründen nicht in Betracht komme. Zwar sei der BK-Tatbestand
offen formuliert, doch habe der Kläger bei Aufgabe der Tätigkeit an keiner Erkrankung gelitten, die nach dem Stand der medizinischen
Wissenschaft auf eine Isocyanat-Exposition zurückgeführt werden könne.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der
Beklagten verwiesen. Ihre Inhalte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 10.04.2008 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2010. Denn bei dessen Erlass ist das Recht nicht unrichtig angewandt und auch nicht von
einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich als unrichtig erweist. Es sind deshalb weder Sozialleistungen zu Unrecht nicht
erbracht noch Beiträge zu Unrecht erhoben worden (§ 44 SGB X).
BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet
und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch ( SGB VII)). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, zuletzt Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 11/14 R -, BSGE 120, 230-242, SozR 4-2700 § 9 Nr. 26, Rn. 10 mwN) ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass
die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen
oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende
Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne
des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen
Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße
Möglichkeit.
Als eine solche BK ist in der Nr. 4302 der Anlage zur BKV bezeichnet: "Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur
Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit
ursächlich waren oder sein können". Diese BK liegt beim Kläger mangels Nachweis einer chronisch-obstruktiven Erkrankung der
unteren Atemwege nicht vor (dazu nachstehend 1.). Als BK 4301 ist bezeichnet: "Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive
Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung,
die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Auch diese BK liegt nicht vor,
da der Kläger nicht gegen bekannte Berufsstoffe allergisch ist (dazu nachstehend 2.). Die BK 1315 erfasst "Erkrankungen durch
Isocyanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben
der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Erkrankungen, die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durch Exposition
auf Isocyanate verursacht werden, liegen bei dem Kläger ebenfalls nicht vor (dazu nachstehend 3.). Sonstige Listenerkrankungen
sind nicht ersichtlich (dazu nachstehend 4.).
1. Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK 4302 ist Voraussetzung, dass der Versicherte an einer obstruktiven Atemwegserkrankung
leidet, die durch die versicherten Einwirkungen verursacht worden ist und den Versicherten zum Unterlassen aller gefährdenden
Tätigkeiten gezwungen haben muss. Daran fehlt es hier. Eine obstruktive Erkrankung der oberen Atemwege, wie sie beim Kläger
vorliegt, erfüllt nicht den Tatbestand der BK 4302 (Ausschlusskriterium für BK 4302, vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 15/06 R -, SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4302 Nr 1, Rn. 14; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand 2/2017, M 4302 Rn 2 mwN; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 1115
mwN aus der Rechtsprechung). Eine demnach tatbestandlich erforderliche und nach der oben dargestellten Rechtsprechung des
BSG im Vollbeweis nachzuweisende chronisch obstruktive Erkrankung der unteren Atemwege liegt aber bei dem Kläger nicht vor, wie
sich aus den Gutachten von Dr. X und Dr. C übereinstimmend ergibt. Soweit der Kläger beanstandet, Dr. C habe in Form einer
unspezifischen bronchialen Reizbarkeitssteigerung ein Merkmal einer obstruktiven Atemwegserkrankung festgestellt, trifft dies
so nicht zu. Dr. C hat ausgeführt, dieser Befund könne "als Merkmal einer obstruktiven Atemwegserkrankung gedeutet werden"
und komme "bei Asthmatikern, aber auch bei völlig asymptomatischen Personen" vor. Die Formulierung lässt erkennen, dass er
den Nachweis einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung gerade nicht als erbracht ansieht. Zudem ist dem Gutachten von
Dr. X zu entnehmen, dass der Befund einer unspezifischen Hyperreagibilität 2008 noch nicht erhoben werden konnte. Da im Verfahren
nach § 44 SGB X die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides maßgebend ist (BSG, Urteil vom 16. Februar 2012 - B 9 SB 2/11 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr 14, Rn. 18), wäre eine erstmalige Erhebung dieses Befundes durch Dr. C - also nach der letzten Verwaltungsentscheidung
- zum Nachweis einer falschen Sachentscheidung durch die Behörde ohnehin ungeeignet.
2. Für die Anerkennung einer BK 4301, die nach ihrem Tatbestand die Berücksichtigung einer chronisch-obstruktiven Erkrankung
der oberen Atemwege als versicherte Erkrankung grundsätzlich ermöglicht, fehlt es beim Kläger am Nachweis der im Tatbestand
der BK aber zugleich vorausgesetzten Allergie gegen verwendete Arbeitsstoffe. Eine solche Allergie auf Berufsstoffe hat beim
Kläger keiner der ihn begutachtenden Ärzte festgestellt, weder im Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Verwaltungsentscheidung
noch bei der späteren Untersuchung durch Dr. C. Provokationstests mit verschiedenen Holzstäuben sowie eine Untersuchung auf
Antikörper gegen Isocyanate waren bei der Begutachtung durch Dr. C ergebnislos geblieben. Insbesondere auch eine Isozyanat-Allergie
scheidet im Hinblick auf die negativen Provokationstests durch Dr. L, die Dr. X ausgewertet hat, aus.
3. Die BK 1315 schließlich liegt ebenfalls nicht vor. Sie erfasst allgemein Erkrankungen durch Isocyanate (mit Aufgabezwang).
Allergien auf Isocyanate liegen beim Kläger nicht vor (vgl. oben 2.). Auch andere nach der BK 1315 versicherte Erkrankungen
sind nicht nachgewiesen. Hier hat zwar Dr. C in seiner ergänzenden Stellungnahme eine Erkrankung der oberen Atemwege als BK-Folge
im Hinblick auf den offen formulierten, also nicht auf bestimmte Erkrankungen festgelegten Tatbestand der BK diskutiert. Stand
der medizinischen Wissenschaft ist insoweit allerdings, dass als Erkrankung durch Isocyanate (nur) allergisches Asthma, allergische
Alveolitis oder chemisch-irritativ verursachtes Isocyanat-Asthma in Betracht zu ziehen sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin,
aaO, 17.13.7, S. 1120). Die Rhinitis gehört nicht zu diesen Erkrankungen. Auch in der Reichenhaller Empfehlung werden die
Voraussetzungen aller drei BKen aufgelistet und dabei nur bei der BK 4301, nicht jedoch bei der BK 1315 angeführt, dass der
Versicherungsfall auch durch die Rhinopathie ausgelöst werden kann (Seite 18). Ebenso verhält es sich mit dem Merkblatt zur
BK 1315, in dem als Krankheitsbilder der BK 1315 alveolitische Erkrankungen oder die (asthmatischen) Symptome Hustenreiz,
retrosternales Druckgefühl, Brennen in der Luftröhre und asthmaähnliche Atemnot beschrieben werden. Erkrankungen der oberen
Atemwege werden nicht beschrieben. Nach Dr. C wäre im Übrigen auch bei einer durch Isocyanat-Belastung entstandenen chronisch-obstruktiven
Atemwegserkrankung nicht zu erwarten, dass sie sich auf die oberen Atemwege beschränkt, was ebenfalls die Verursachung der
Erkrankung des Klägers durch Isocyanate unwahrscheinlich macht.
4. Für das Vorliegen anderer BKen nach der Anlage zur BKV bietet der Sachverhalt keine Anhaltspunkte. HNO-ärztlich wurde mit der bei ihm vorliegenden Polypenerkrankung und Nasenscheidewandverengung
das Beschwerdebild des Klägers hinreichend erklärt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Anlass für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestand nicht.
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