Vergütung ambulanter Operationen durch die gesetzliche Krankenversicherung; Portimplantation zur Durchführung von Chemotherapien
keine vor- oder nachstationäre Behandlung
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch auf Vergütung einer ambulanten Operation in Höhe von 395,63 €.
Bei dem bei der Beklagten krankenversicherten R W war während eines stationären Aufenthalts vom 22.3.2010 bis zum 1.4.2010
in dem nach §
108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) zugelassenen K Klinikum M , dessen Trägerin die Klägerin ist, eine bösartige Neubildung am Magen diagnostiziert worden.
Am 7.4.2010 wurde ihm in der Klinik der Klägerin ambulant ein Portsystem implantiert. Danach erhielt der Versicherte anlässlich
einer stationären Behandlung vom 8.4.2010 bis zum 9.4.2010 im Krankenhaus der Klägerin die erste Chemotherapie.
Die Klägerin verlangte unter dem 19.4.2011 für die Implantation des Portsystems am 7.4.2010 eine Vergütung in Höhe von 395,63
€ auf der Grundlage des §
115b SGB V. Zur Begründung ihrer Ablehnung dieses Vergütungsbegehrens machte die Beklagte geltend: Die Behandlung am 7.4.2010 sei als
vorstationäre Behandlung im Sinne des §
115a Abs
1 Nr
1 SGB V Bestandteil der danach vom 8.4. bis 9.4.2010 durchgeführten stationären Behandlung gewesen. Die Klägerin habe daher über
die Fallpauschale für die stationäre Behandlung vom 8.4. bis 9.4.2010 hinaus keinen Vergütungsanspruch. Die Einordnung der
am 7.4.2010 erbrachten Behandlung als Leistung nach §
115b SGB V durch die Klägerin sei unzutreffend. Der Vertrag nach §
115b Abs
1 SGB V - Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus - (AOP-Vertrag) ziele nach seinen einleitenden Grundsätzen
darauf ab, auf der Basis des §
39 SGB V zur Vermeidung nicht notwendiger vollstationärer Krankenhausbehandlung eine patientengerechte und wirtschaftliche Versorgung
zu sichern. Durch die Behandlung am 7.4.2010 sei jedoch keine stationäre Krankenhausbehandlung vermieden, sondern die stationäre
Behandlung vom 8. bis 9.4.2010 vorbereitet worden.
Am 22.9.2011 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Die Portimplantation sei im Verhältnis zu den
stationären Aufenthalten vom 22.3.2010 bis zum 1.4.2010 und vom 8.4.2010 bis zum 9.4.2010 als eigenständiger Eingriff zu werten,
der weder mit der vorangegangenen noch mit der nachfolgenden stationären Behandlung in zwingender Verbindung stehe. Sie sei
ein Eingriff aus dem Katalog "Ambulantes Operieren" und zu jedem beliebigen Zeitpunkt unabhängig von einem stationären Aufenthalt
möglich gewesen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei keine vorstationäre Behandlung im Sinne des §
115a Abs
1 Nr
1 SGB V durchgeführt worden. Zudem fehle es an einer ärztlichen Verordnung von Krankenhausbehandlung vor der Behandlung am 7.4.2010,
die zwingende Voraussetzung einer vorstationären Behandlung im Sinne des §
115a Abs
1 Nr
1 SGB V sei.
Die Beklagte hat vorgetragen: Die am 7.4.2010 erbrachte Leistung sei nicht über die Vorbereitung der sich anschließenden stationären
Behandlung vom 8. bis 9.4.2010 hinausgegangen. Die Implantation des Ports habe den alleinigen Zweck gehabt, die nachfolgende
Chemotherapie am 8./9.4.2010 durchführen zu können. Aus §
4 Abs
2 des AOP-Vertrages gehe der Vorrang des §
115a SGB V gegenüber dem §
115b SGB V hervor. Dem Fehlen einer ärztlichen Verordnung für die Behandlung am 7.4.2010 komme im vorliegenden Zusammenhang keine entscheidende
Bedeutung zu. Vielmehr reiche insoweit die Verordnung für den vorausgegangenen stationären Krankenhausaufenthalt vom 22.3.
bis 1.4.2010 aus. In ihrer Rechtsauffassung sehe sie sich durch das Urteil des Sozialgerichts (SG) Stuttgart vom 20.12.2011 (S 10 KR 7524/10) bestätigt.
Durch Urteil vom 7.9.2012 hat das SG Mainz die Beklagte verurteilt, der Klägerin 395,63 € nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4.5.2011 zu zahlen, und zur Begründung ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin beruhe
auf §
115b Abs
2 Satz 4
SGB V in Verbindung mit dem AOP-Vertrag. Die vorliegend durchgeführte Krankenhausbehandlung sei als ambulante Operation iSd §
115b SGB V abzurechnen. Die Portimplantation sei nicht als vorstationäre Behandlung nach § 8 Abs 2 Satz 3 Nr 3 Halbsatz 2 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) mit der Fallpauschale für die vom 8.4. bis 9.4.2010 erfolgte stationäre Chemotherapie abgegolten. Das Vergütungssystem
nach §
115b Abs 1 SGB in Verbindung mit dem AOP-Vertrag gehe nämlich der Anwendung des §
115a SGB V vor. Zwar sei im
SGB V diesbezüglich kein ausdrücklicher Vorrang vorgesehen. Der Gesetzgeber habe jedoch den Vertragsparteien des AOP-Vertrages
in §
115b Abs
1 SGB V einen weiten Spielraum zur Gestaltung des Katalogs der ambulant durchführbaren Operationen einschließlich des Vergütungssystems
gegeben. Hiervon sei in § 4 Abs 2 AOP-Vertrag Gebrauch gemacht worden. Aus dieser Vorschrift ergebe sich im Umkehrschluss,
dass Maßnahmen zur Vorbereitung einer vollstationären Behandlung, welche nicht diagnostischen Zwecken dienten und im Katalog
zum AOP-Vertrag aufgeführt seien, nach §
115b SGB V abrechenbar seien. Bei der Portimplantation habe es sich nicht um eine diagnostische Maßnahme als Vorbereitung der Chemotherapie
vom 8.4. bis 9.4.2010 gehandelt, sondern um eine Vorbereitungsmaßnahme, die eine dauerhafte Infusionsbehandlung, also eine
therapeutische Maßnahme, habe ermöglichen sollen. Demnach sei der vorliegende Behandlungsfall als ambulante Operation nach
§
115b Abs
1 SGB V in Verbindung mit dem AOP-Vertrag abzurechnen. Der Zinsanspruch folge aus §
9 Abs 7 des rheinland-pfälzischen Krankenhausbehandlungsvertrages.
Gegen dieses ihr am 2.10.2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.10.2012 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
Der Senat hat die Berufung gegen das Urteil des SG durch Beschluss vom 25.7.2013 zugelassen.
Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und stützt sich auf das Urteil des SG Stuttgart vom 20.12.2011 (S 10 KR 7524/10).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Mainz vom 7.9.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Die Portimplantation sei nicht speziell für die erste
im Krankenhaus stationär durchgeführte Chemotherapie erfolgt, sondern auch für die nachfolgend ambulant durchgeführten Chemotherapien.
Bei dem ersten stationären Aufenthalt vom 22.03. bis 01.04.2010 sei nur die Diagnose gestellt worden, eine Behandlung habe
nicht stattgefunden.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen
Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die nach §§
143 f,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Senat verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils
(§
153 Abs
2 SGG), wobei er Folgendes ergänzt:
Die Klägerin hat Anspruch auf Vergütung der am 7.4.2010 durchgeführten ambulanten Operation gemäß §
115b SGB V i.V.m. dem AOP-Vertrag. Die an diesem Tag durchgeführte Portimplantation war im Verhältnis zu der nachfolgenden stationären
Behandlung vom 8.4. bis 9.4.2010 keine vorstationäre Behandlung im Sinne des §
115a Abs
1 Nr
1 SGB V. Nach dieser Vorschrift ist eine vorstationäre Behandlung eine Maßnahme zur Klärung der Erforderlichkeit einer vollstationären
Behandlung oder zur Vorbereitung einer vollstationären Behandlung. Eine Maßnahme zur Klärung der Erforderlichkeit einer vollstationären
Behandlung ist vorliegend, wie zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten ist, nicht erfolgt. Die Portimplantation
war aber auch keine Maßnahme zur Vorbereitung einer vollstationären Behandlung. Denn sie diente nicht speziell der Durchführung
der Chemotherapiebehandlung am 8.4. und 9.4.2010, sondern allgemein der Ermöglichung von Chemotherapien bei dem Versicherten,
die fortlaufend in regelmäßigen Abständen erfolgen sollten. Ist aber die Zielrichtung einer ambulanten Operation nicht spezifisch
gerade auf die nachfolgende stationäre Behandlung bezogen, ist §
115a SGB V nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht anwendbar. Nach seiner Zweckbestimmung ist §
115a SGB V auf Fälle der spezifischen Verknüpfung gerade der betreffenden Behandlung mit der nachfolgenden stationären Behandlung beschränkt.
Die Begründung zum Entwurf des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 (abgedruckt bei Hauck/Noftz,
SGB V, M 011, S 011, Seite 71 zu § 115a) spricht konkret von "Verlagerungen" von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen in
die vorstationäre Phase. Insoweit geht es zB um Blutdruckmessungen, Röntgen-, Thorax- oder Laboruntersuchungen oder die Abdrucknahme
einer provisorischen Prothese im Rahmen einer Zahnentfernungsoperation (Köhler-Hohmann in: jurisPK-
SGB V, §
115a Rn 19), also um Maßnahmen, die ihrem Zweck nach allein oder zumindest allein wesentlich der Vorbereitung einer bestimmten
stationären Behandlung dienen. Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben. Bei dieser Sachlage kann es offen
bleiben, ob die Auffassung des SG zutrifft, dass unter Berücksichtigung von §
4 Abs
2 AOP-Vertrag ein Anspruch nach §
115b SGB V auch dann in Betracht kommt, wenn in Bezug auf die in Rede stehende ambulante Operation das Tatbestandsmerkmal der Vorbereitung
einer stationären Behandlung iSd §
115a Abs
1 Nr
1 SGB V erfüllt ist (abweichend SG Stuttgart aaO).
Die Portimplantation am 7.4.2010 stellte auch keine nachstationäre Behandlung iSd §
115a Abs
1 Nr
2 SGB V dar. Nach dieser Vorschrift handelt es sich um eine nachstationäre Behandlung, wenn die Behandlung im Anschluss an eine vollstationäre
Behandlung erfolgt, um den Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen (zum erforderlichen engen Zusammenhang mit der vollstationär
durchgeführten Behandlung vgl Bundessozialgericht - BSG - 17.7.2013 - B 6 KA 14/12 R, [...] Rn 15); gemäß §
115a Abs
2 Satz 2
SGB V darf die nachstationäre Behandlung sieben Behandlungstage innerhalb von 14 Tagen nach Beendigung der stationären Krankenhausbehandlung
nicht überschreiten. Vorliegend wurde die Behandlung am 7.4.2010 nicht durchgeführt, um den Erfolg der Behandlung vom 22.3.
bis zum 1.4.2010 zu sichern oder zu festigen. Während dieses stationären Aufenthalts wurde nur die Diagnose einer bösartigen
Neubildung am Magen gesichert, aber keine Behandlung durchgeführt, wie der Vertreter der Klägerin im Termin zur mündlichen
Verhandlung des Senats angegeben hat.
Einer ärztlichen Verordnung von Krankenhausbehandlung für die ambulante Operation im Krankenhaus bedurfte es als Voraussetzung
eines Vergütungsanspruchs nach §
115b SGB V i.V.m. dem AOP-Vertrag nicht. §
115b SGB V enthält hierzu keine Vorgaben und §
2 Abs
1 AOP-Vertrag setzt nicht zwingend eine vorherige ärztliche Verordnung voraus (vgl demgegenüber zur Notwendigkeit einer vorherigen
ärztlichen Verordnung bei vorstationärer Behandlung BSG 17.9.2013 - B 1 KR 67/12 R, [...]). Die Forderung der Klägerin besteht auch in der geltend gemachten Höhe; die Beklagte hat im Übrigen insoweit keine
Einwendungen erhoben. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 9 Abs 7 des rheinland-pfälzischen Krankenhausbehandlungsvertrages.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).