PKH-Verfahren
Verfahrensbeendigung nach Anerkenntnis
Unbedingter Bindungswille des Anerkennenden
Klaglosstellung
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung eines im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) in einem
sozialgerichtlichen Verfahren beigeordneten Rechtsanwaltes.
Der Kläger führte - anwaltlich durch die Beschwerdeführerin vertreten - vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) das Klageverfahren S 28 AL 1015/13. Für dieses Verfahren bewilligte das SG dem Kläger mit Beschluss vom 18.02.2014 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Beschwerdeführerin. Am 25.02.2014 setzte
die Urkundsbeamtin des SG den der Beschwerdeführerin zu zahlenden Vorschuss auf 339,15 EUR fest. Streitig war im Verfahren, ob im Zeitraum vom 01.10.2013
bis 23.12.2013 eine Sperrzeit eingetreten war und deswegen der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht. Mit Änderungsbescheid vom
17.03.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 01.10.2013 Arbeitslosengeld bis 30.03.2014. Mit Schriftsatz vom 16.04.2014
erklärte die Bevollmächtigte des Klägers die Annahme des aus ihrer Sicht konkludent abgegebenen Anerkenntnisses und den Rechtstreites
insgesamt für erledigt.
Mit Schriftsatz vom 07.05.2014 beantragte die Beschwerdeführerin, ihre aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen
nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) und dessen Vergütungsverzeichnisses (VV RVG) für das Klageverfahren S 28 AL 1015/13 wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG
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300,00 EUR
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Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG
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270,00 EUR
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Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG
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20,00 EUR
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Anrechnung Beratungshilfe
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-35,00 EUR
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Zwischensumme netto
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555,00 EUR
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19 % Umsatzsteuer
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105,45 EUR
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Summe brutto
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660,45 EUR
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Gesamtbetrag
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321,30 EUR
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Hiervon brachte sie den erhaltenen Vorschuss von 339,15 EUR in Abzug. Sie teilte ferner mit, am 30.01.2014 Beratungshilfe
in Höhe von 41,63 EUR erhalten zu haben.
Mit Beschluss vom 01.08.2014 setzte die Urkundsbeamtin des SG die der Beschwerdeführerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen für das Klageverfahren auf insgesamt 339,15
EUR wie folgt fest:
Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG
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300,00 EUR
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Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG
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20,00 EUR
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Anrechnung Beratungshilfe nach Nr. 2501 VV
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-35,00 EUR
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Zwischensumme netto
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285,00 EUR
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19 % Umsatzsteuer
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54,15 EUR
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Gesamtsumme
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339,15 EUR
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Die gegen die Festsetzung gerichtete Erinnerung der Beschwerdeführerin blieb erfolglos (Beschluss des Sozialgerichts vom 12.03.2015).
Gegen den am 17.03.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde vom 26.03.2015. Eine fiktive Terminsgebühr sei
angefallen. Die Beklagte habe mit Erlass des Bescheides vom 17.03.2014 ein konkludentes Anerkenntnis abgegeben, welches von
der Klägerin angenommen worden sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Vergütungsfestsetzungsverfahrens einschließlich des PKH-Beiheftes
sowie die Akten des Hauptsacheverfahrens Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde, über die - da die angefochtene Entscheidung vom Kammervorsitzenden des Sozialgericht erlassen wurde - der
Einzelrichter entscheidet (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG) ist unbegründet.
Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer höheren Vergütung.
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG richtet sich die Höhe der Vergütung nach den Bestimmungen des VV RVG, wobei in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und
der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse
des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Grundsätzlich ist für den Durchschnitts- oder Normalfall die Mittelgebühr billige
Gebühr im Sinne des RVG. Die Mittelgebühr ist in Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten
vom Durchschnitt abhebt; sie gilt damit in "Normalfällen" als billige Gebühr (BSG, Urteil vom 09.12.2010 - B 13 R 63/09 R - juris RdNr. 35 m.w.N.). Jedes in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG genannte Bemessungskriterium kann indes Anlass sein, vom Mittelwert nach oben oder unten abzuweichen, soweit ein Umstand
vom Durchschnitt abweicht (Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 14 RdNr. 10).
Unter Berücksichtigung dessen ist die Vergütungsfestsetzung nicht zu beanstanden.
Eine (fiktive) Terminsgebühr, die in Verfahren vor den Sozialgerichten nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG entstehen kann, wenn das Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis
endet (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 3 RdNr. 57 m.w.N.), ist nicht angefallen.
Ein die Gebühr auslösendes angenommenes Anerkenntnis liegt nicht vor.
Ein Anerkenntnis ist das im Wege einseitiger Erklärung abgegebene uneingeschränkte Zugeständnis, dass der mit der Klage geltend
gemachte prozessuale Anspruch besteht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
101 Rn. 20). Es muss als Prozesshandlung gegenüber dem Gericht abgegeben werden. Dies kann in einem Schriftsatz, zur Niederschrift
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll des Gerichts (§
122 SGG i.V.m. §
160 Abs.
3 Nr.
1 ZPO) erfolgen. Die Erklärung muss stets durch den unbedingten Bindungswillen des Anerkennenden gekennzeichnet sein, und zwar
auch für den Fall, dass das Anerkenntnis nicht angenommen wird. Erforderlich ist, dass sich ein darauf gerichteter Wille hinreichend
deutlich aus dem gesamten Inhalt der Äußerung und aus dem Zusammenhang, in dem sie steht, ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 06.05.2010 - B 13 R 16/09 R -, m.w.N., juris).
Eine solche ausdrückliche Prozesserklärung hat die Beklagte gegenüber dem SG nicht abgegeben. Sie hat lediglich mit Schriftsatz vom 24.03.2014 den bereits am 17.03.2014 erlassenen und direkt gegenüber
der Beschwerdeführerin bekanntgegebenen Änderungsbescheid übersandt.
Hierin ist auch kein konkludentes Anerkenntnis der Beklagten zu sehen. Weder der Erlass des Abhilfebescheides noch die Mitteilung
der Beklagten hierüber an das Gericht stellt ein solches dar (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 18.12.2015 - L 1 KR 54/15 -, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.11.2014 - L 32 AS 1145/14 B -, juris; Sächsisches LSG, Beschluss vom 18.10.2013 - L 8 AS 1254/12 B KO-, juris). Stellt die Beklagte den Kläger durch Erfüllung des streitbefangenen Klaganspruchs außerhalb des gerichtlichen Verfahrens
klaglos, hat dies noch keinen unmittelbaren Einfluss auf das gerichtliche Verfahren selbst. Die Klaglosstellung ist vielmehr
lediglich ein Ereignis, durch das die Hauptsache erledigt und damit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Weiterverfolgung des
Anspruchs entfallen ist (vgl. Hauck in Henning,
SGG, Stand Februar 2017, §
101 SGG RdNr. 46). Daher kann auch die durch einen Prozessbeteiligten erfolgte schlichte Information des Gerichts über eine außergerichtliche
Abhilfe oder Erfüllung keine Prozesserklärung im Sinne eines Anerkenntnisses sein (A. in Roos/Wahrendorf,
SGG, §
101 RdNr. 38). Hinzu kommt, dass der Abhilfebescheid unmittelbar nur gegenüber dem Kläger beziehungsweise der Beschwerdeführerin
als seine Bevollmächtigte erteilt worden ist und nicht - wie es Voraussetzung einer Prozesshandlung wäre - gegenüber dem Gericht.
Soweit die Beklagte den Kläger aufforderte zu erklären, ob damit der Rechtstreit in der Hauptsache erledigt ist, hat sie lediglich
in den Raum gestellt, dass aus ihrer Sicht der Kläger an einer weiteren gerichtlichen Geltendmachung seines Begehrens kein
Interesse mehr haben dürfte. Schließlich bezieht sich die Erklärung der Beklagten, die Kosten des Verfahrens dem Grunde nach
zu übernehmen, allein auf diese und kann somit nicht auch als Anerkenntnis in der Hauptsache ausgelegt werden. Gerade dieses
ist nicht erklärt worden. Ein weitergehender Erklärungsgehalt kann dem Schreiben vom 24.03.2017 nicht entnommen werden.
Gegen die von der Beschwerdeführerin bevorzugte großzügige Auslegung spricht auch, dass ein nicht angenommenes Anerkenntnis
eine wirksame Prozesserklärung bleibt, wenngleich es als solches den Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt. Dennoch
bindet dieses dem Gericht erklärte Anerkenntnis auch ohne seine Annahme den Erklärenden. Dementsprechend hat auch im sozialgerichtlichen
Verfahren auf ein nicht angenommenes Anerkenntnis ein Anerkenntnisurteil (§
202 S. 1
SGG i.V.m. §
307 ZPO) zu ergehen (vgl. BSG, Urteil vom 06.05. 2010 - B 13 R 16/09 R -, m.w.N., juris). Gerade vor diesem Hintergrund sind an das Vorliegen eines Anerkenntnisses im prozessualen Sinne strenge
Maßstäbe stellen. Denn es kann schwerlich unterstellt werden, dass eine Behörde, die gerade zur Vermeidung einer Verurteilung
dem klägerischen Begehr durch Erlass der begehrten Entscheidung nachkommt und damit der Klage die Grundlage entzieht, eine
Verurteilung im Wegen eines Anerkenntnisurteils in Kauf nehmen will, falls der Kläger gleichwohl an der Klage festhält. Vielmehr
bedient sie sich der prozessualen Möglichkeit, durch vorbehaltlose Erfüllung des Klageanspruchs ein Erledigungsereignis (Wegfall
des Rechtschutzbedürfnisses) zu schaffen. Letztlich gebietet auch der Umstand, dass das angenommene Anerkenntnis nach §
199 SGG einen vollstreckbaren Titel darstellt, strenge Maßstäbe an das Vorliegen eines konkludent erklärten Anerkenntnisses anzulegen.
Die anderslautende Auffassung, wonach ein Anerkenntnis bereits dann vorliegt, wenn dem Klagbegehren durch die Behörde vollständig
entsprochen wird, da lediglich darauf abzustellen sei, dass dem Klagebegehren im Ergebnis nachgekommen worden sei, und anderenfalls
gesetzlich vorgesehene Gebührentatbestände durch irreguläre Prozesserklärungen unterlaufen werden könnten (vgl. SG Hildesheim,
Beschluss vom 17.05.2006 - S 12 SF 18/06 -, juris), überzeugt nicht. Denn die Frage, ob einem prozessualen Verhalten der Erklärungswert einer Prozesshandlung eines
bestimmten Inhaltes zukommt (hier die bloße Übersendung eines Bescheides als prozessuales Anerkenntnis) beantwortet sich nicht
danach, ob und ggf. welche Gebühren für den vertretenden Rechtsanwalt bei dem einen oder anderen Verständnis anfallen. Vielmehr
entstehen die Gebühren nach dem VV RVG erst dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die Terminsgebühr setzt neben einer Annahmeerklärung voraus, dass ein ausdrückliches Anerkenntnis erklärt wird, oder ein prozessuales
Verhalten vorliegt, dem der Erklärungswert eines Anerkenntnisses zukommt. Dies ist hier gerade nicht der Fall. Dass sich die
Beklagte eines von der Prozessordnung vorgesehenen Verhaltens bedient, um der Klage die Grundlage zu entziehen, kann ihr dabei
nicht als irreguläres Verhalten vorgeworfen werden.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG). Sie ist nicht weiter anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).