Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Zugunstenverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) die rückwirkende Bewilligung von Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für den Zeitraum vom 22. November 2001 bis zum 31. Dezember 2004.
Den am 3. Juli 2006 gestellten Antrag des Klägers bei der Beklagten, sämtliche ihn nicht begünstigenden Verwaltungsakte zurückzunehmen
und Sozialleistungen für den Zeitraum ab dem 22. November 2001 nach den gesetzlichen Regelungen zu gewähren, lehnte die Beklagte
mit dem Bescheid vom 1. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2007 ab. Das Sozialgericht Halle
wies die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 21. November 2012 ab (S 25 SO 43/07). Die vom Kläger eingelegte Berufung
wies das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 14. Januar 2016 zurück (L 8 SO 38/12). Das Bundessozialgericht
(BSG) verwarf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig (B 8 SO 106/16 BH).
Am 29. Juli 2016 stellte der Kläger einen neuerlichen "Antrag nach § 44 SGB X" und beantragte, sämtliche ihn nicht begünstigenden Verwaltungsakte zurückzunehmen und Sozialleistungen für den Zeitraum
ab dem 22. November 2001 nach den gesetzlichen Regelungen zu gewähren. Es lägen inzwischen neue Beweismittel vor, die seine
Einkommensverhältnisse für den streitgegenständlichen Zeitraum erklären könnten. Mit Bescheid vom 19. August 2016 lehnte die
Beklagte den Antrag ab. Gemäß § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) würden Sozialleistungen nach dem SGB XII längstens für einen Zeitraum bis zu einem Jahr vor der Rücknahme/der Antragstellung erbracht. Dabei werde nach § 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X der Zeitpunkt von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen bzw. der Antrag gestellt werde.
Innerhalb des hier zu überprüfenden Zeitraums - seit dem 1. Januar 2015 - seien gegenüber dem Kläger keine nicht begünstigenden
Verwaltungsakte ergangen, die auf ihre Rechtswidrigkeit hin überprüft werden könnten. Hiergegen legte der Kläger am 26. August
2016 Widerspruch ein und stellte klar, "im hiesigen Verfahren Leistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum vom 22.11.2001 bis 31.12.2004" zu verfolgen. Ihm seien wegen fehlender Mitwirkung Leistungen überwiegend
versagt worden. Nunmehr seien die Einkommenssteuerbescheide für die Veranlagungsjahre 2002 bis 2004 unter dem Datum vom 10.
August 2016 ergangen. Diese lege er jetzt vor, beseitige damit seine fehlende Mitwirkung und belege seine damaligen Einkommensverhältnisse.
Er sei seit dem 22. November 2001 bis heute ununterbrochen auf Sozialleistungen angewiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Zeitraum von
2001 bis 2004 seien Bescheide erlassen worden, welche die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG geregelt hätten. Ab 2005 werde Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) und des SGB XII geleistet. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII seien alle ergangenen Bescheide ab 1. Januar 2015 zu prüfen. Dementsprechende Bescheide lägen nicht vor.
Hiergegen hat der Kläger am 4. Oktober 2016 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und seinen Anspruch weiterverfolgt. Die
Beklagte beschränke sich auf formelle Betrachtungen nach § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII und setze sich nicht mit der Widerspruchsbegründung und den vorgelegten Steuerbescheiden für 2002 bis 2004 vom 10. August
2016 auseinander. Versehentlich habe er seinen "gegenständlichen Überprüfungsantrag" mit "Antrag nach § 44 SGB X überschrieben". Tatsächlich sei er jetzt seiner ihm von der Beklagten auferlegten Mitwirkungspflicht nachgekommen. In den
bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom 2. Dezember 2002, 10. Februar 2003 und 15. April 2004 seien ihm Leistungen jeweils
bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt und es sei ihm der Hinweis erteilt worden, bei Nachholung der Mitwirkung könnten
die Sozialleistungen nachträglich ganz oder teilweise noch erbracht werden.
Die Beklagte hat auf den Grundsatz der Gegenwärtigkeit der Sozialhilfe verwiesen. Dementsprechend fehle es an einer Rechtsgrundlage,
die es ermögliche, einen Sachverhalt, der über zehn Jahre zurück liege und zuletzt höchstrichterlich überprüft worden sei,
erneut zu prüfen.
Mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2017 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen. Für die Rücknahme eines rechtswidrigen
nicht begünstigenden Verwaltungsaktes gelte § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr trete. Dies ergebe sich aus § 116a SGB XII. Danach könnten nur Sozialleistungen ablehnende Bescheide ab dem 1. Januar 2015 zurückgenommen und in der Folge Sozialleistungen
erbracht werden. Die vom Kläger begehrten Leistungen für den Zeitraum vom 22. November 2001 bis zum 31. Dezember 2004 seien
damit gesetzlich ausgeschlossen. Der Gesetzgeber habe aus dem Gegenwärtigkeitsprinzip (Aktualitätsgrundsatz) abgeleitet, dass
selbst rechtswidrig verweigerte Leistungen nicht mehr im Zugunstenverfahren beansprucht werden könnten, wenn die Bedarfslage
mittlerweile wegen Zeitablaufs entfallen sei. Eine Frist von einem Jahr sei nach Auffassung des Gesetzgebers "sach- und interessengerecht".
Dem Gerichtsbescheid ist die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, dieser könne mit der Berufung angefochten werden. Der Gerichtsbescheid
ist dem Kläger am 10. Mai 2017 zugestellt worden.
Am 17. Mai 2017 hat der Kläger beim SG Halle mündliche Verhandlung beantragt, hilfsweise Berufung eingelegt. Das SG hat den Vorgang an das LSG Sachsen-Anhalt weitergeleitet. Der Kläger hält daran fest, dass die Beklagte ihm in der Vergangenheit
rechtswidrig Sozialleistungen verweigert hat.
Mit Beschluss vom 19. Juni 2017 hat der Senat die Berufung der Berichterstatterin übertragen.
Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt, den Rechtsstreit zu vertagen, da er sich nicht verhandlungsfähig
fühle und einen Rechtsbeistand benötige. Er hat um sachgerechte Auslegung seiner Anträge ersucht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Mit Beschluss vom 16. August 2017 hat das Gericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung
eines Prozessbevollmächtigten wegen fehlender Erfolgsaussicht abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte in der Sache verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger die Vertagung des Termins beantragt hat. Die
vom Kläger als Grund für seinen Vertagungsantrag angegebene Verhandlungsunfähigkeit bestand zur Überzeugung des Gerichts nicht.
Der Kläger hat keine Unterlagen vorgelegt, die seine Verhandlungsunfähigkeit belegen. Soweit er sich u.a. auf das Gutachten
von Dr. K. vom 28. April 2014 beruft, ist dieses veraltet. Ob und ggfs. mit welchem Ergebnis die vom Gutachter für erforderlich
erachtete Nachbegutachtung nach einem Jahr erfolgt ist, ist nicht offen gelegt worden. Zudem hat der Kläger seitdem in einer
Vielzahl von Verfahren beim Sozialgericht, Landessozialgericht, Verwaltungsgericht und beim Amtsgericht Termine wahrgenommen.
Zuletzt hat er - wie sich aus der in dem beim 8. Senat des LSG anhängigen Verfahren L 8 SO 73/15 beigezogenen Verfahrensakte
L 2 AS 487/11 ergibt - am 27. April 2017 an einem Verhandlungstermin zu diesem und fünf weiteren Verfahren einschließlich Zeugenvernehmung
ohne anwaltliche Hilfe in der Zeit von 9.22 Uhr bis 16.28 Uhr teilgenommen. Eine auch nur eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit
oder das Erfordernis von Pausen ist dort nicht protokolliert. Für eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung der
Verhandlungsfähigkeit des Klägers sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Eine ärztliche Bescheinigung hat der Kläger nicht
vorgelegt. Schließlich hat der persönliche Eindruck vom Kläger für das Gericht keinen Zweifel an seiner Verhandlungsfähigkeit
begründet. Er hat dem Verlauf der Verhandlung uneingeschränkt folgen sowie die aus seiner Sicht sachgerechten Anträge stellen
können, die Fragen der Vorsitzenden in seinem Sinne zielgerichtet beantwortet und ausdrücklich um die sachgerechte Auslegung
seiner Anträge ersucht. Zur Überzeugung des Gerichts hat er sich auf eine bestehende Verhandlungsunfähigkeit allein mit dem
Ziel berufen, eine Entscheidung des Gerichts zu verhindern. Mit Übersendung des Beschlusses vom 19. Juni 2017, in dem die
Berufung der Berichterstatterin übertragen worden ist, ist für den Kläger die fehlende Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels
erkennbar geworden. Dem daraufhin gestellten Antrag, das Verfahren zum Ruhen zu bringen, hat die Beklagte nicht zugestimmt
und es ist der Verhandlungstermin anberaumt worden. Auch in dem beim Senat anhängigen Verfahren L 8 SO 38/12 machte der Kläger
in dem Stadium der mündlichen Verhandlung, in dem erkennbar war, dass er mit einer Berufungszurückweisung rechnen musste,
seine Verhandlungsunfähigkeit - erfolglos - geltend.
Der vom Kläger als Hauptantrag gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung ist unzulässig, da - worauf das SG in seiner Rechtsmittelbelehrung zutreffend hingewiesen hat - die Berufung das zulässige Rechtsmittel ist.
Die vom Kläger hilfsweise eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Gericht geht, da der Kläger keinen Antrag
zu Protokoll gegeben hat, nach Auswertung seines schriftlichen Vorbringens davon aus, dass der Kläger die Aufhebung des Gerichtsbescheides
des SG Halle vom 5. Mai 2017 und des Bescheides der Beklagten vom 19. August 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 19. September 2016 sowie die Verurteilung der Beklagten, ihm für den Zeitraum vom 22. November 2001 bis zum 31. Dezember
2004 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren, verfolgt hat.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtenen Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten
(§§
153 abs. 1, 54 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG)). Zur Begründung nimmt das Gericht Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, die er sich nach
eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Eigen macht (§
153 Abs.
2 SGG).
Auch aus §
67 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil -
SGB I) ergibt sich nichts anderes. Danach kann der Leistungsträger, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird, und die Leistungsvoraussetzungen
vorliegen, Sozialleistungen, die er nach §
66 SGB I versagt hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen. Hier ist der vom Kläger erneut geltend gemachte Anspruch auf Leistungen
der Sozialhilfe für den Zeitraum vom 22. November 2001 bis zum 31. Dezember 2004 bereits Gegenstand des Bescheides vom 1.
November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2007 gewesen. Darin ist dieser Anspruch bestandskräftig
abgelehnt worden. Sämtliche Rechtsmittel sind erfolglos geblieben. Die nicht erfolgte Mitwirkung des Klägers war nur einer
von vielen Gründen für die Ablehnung der wiederholt beantragten Leistungen.
Die Kostentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht.