Vertragsärztliche Versorgung, Vergütung ärztlicher Leistungen einer Delegationspsychotherapeutin, Bestandskraft von Honorarbescheiden
Gründe:
I. Umstritten ist der Anspruch einer Psychotherapeutin auf Korrektur von Honorarbescheiden.
Die klagende Psychotherapeutin hatte in den Jahren 1994 bis 1998 gegenüber Versicherten der Krankenkassen Leistungen im sog
Delegationsverfahren erbracht. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) hatte die Bescheide über die Vergütung solcher
Leistungen nicht an die Psychotherapeuten, die im Delegationsverfahren tätig geworden waren, sondern an die delegierenden
Ärzte gerichtet. Dementsprechend hatte die Klägerin nur jeweils Abdrucke, denen keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war,
von den Bescheiden erhalten, die gegenüber den zu 1. bis 3. beigeladenen Ärzten ergangen waren. Diese Praxis war auf die frühere
Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen zurückzuführen (s zB Urteil vom 19.11.1997), der das Bundessozialgericht
(BSG) mit Urteil vom 3.3.1999 (SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1) entgegengetreten ist.
Gegen die Bescheide für die Quartale I/1994 und I bis IV/1995 hatte die Klägerin jeweils selbst Widerspruch eingelegt. Hinsichtlich
der Quartale II bis IV/1994 und I/1996 bis II/1998 waren dagegen damals keine Rechtsbehelfe eingelegt worden. Mit Hinweis
auf die Rechtsprechung des BSG zur angemessenen Vergütung psychotherapeutischer Leistungen (Urteil vom 20.1.1999, BSGE 83,
205 = SozR 3-2500 § 85 Nr 29, und Folgeentscheidungen) beantragte die Klägerin schließlich mit Schreiben vom 28.12.1999, ihr
für diese Quartale (II bis IV/1994 und I/1996 bis II/1998) Nachvergütungen zu gewähren.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab und wies den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie führte zur Begründung aus, die Honorarbescheide
seien bestandskräftig und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht möglich. Sie lehne eine erneute inhaltliche
Überprüfung auf der Grundlage des § 44 Abs 2 SGB X in Ausübung des Ermessens ab, das ihr in Satz 2 dieser Regelung bei Anträgen auf Leistungen für die Vergangenheit eingeräumt
sei. Beträchtliche nachträgliche Auszahlungen für vergangene Quartale würden sich bei der Vielzahl ähnlich liegender Fälle
anderer Psychotherapeuten erheblich auf die aus den aktuellen Gesamtvergütungen zu gewährenden Honorare auswirken. Dies zu
vermeiden, habe Vorrang vor dem finanziellen Interesse der Klägerin.
Das Sozialgericht (SG) hat ihre Klage insoweit abgewiesen, als die Ersatzkassen-Fälle des zu 2. beigeladenen delegierenden Arztes im Quartal II/1994
und diejenigen des zu 1.
Beigeladenen im Quartal IV/1994 betroffen waren, weil insoweit die Leistungen bereits mit Punktwerten von 10 Pf und 10,5 Pf
vergütet worden waren. Im Übrigen hat das SG die Beklagte verurteilt, über das Verlangen der Klägerin nach höherem Honorar für die Quartale II bis IV/1994 und I/1996
bis II/1998 - wegen Reduzierung des durch § 44 Abs 2 SGB X eingeräumten Ermessens auf Null - auf der Grundlage eines Punktwerts von mindestens 8,5 Pf erneut zu entscheiden (Urteil
vom 14.5.2003).
Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Soweit das SG die Klage abgewiesen hat, hat das LSG auch die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen.
Im Übrigen hat es auf ihre Anschlussberufung hin über die Neubescheidungsverpflichtung des SG hinausgehend die Beklagte zur Neufestsetzung der Honorare für die Quartale II bis IV/1994 und I/1996 bis II/1998 auf der
Basis eines Punktwerts von 10 Pf verpflichtet (Urteil vom 8.11.2006).
Es hat zur Begründung ausgeführt, eine unmittelbare Überprüfung der früheren Honorarbescheide sei wegen deren Bestandskraft
nicht möglich. Auch wenn diese nur an die delegierenden Ärzte gerichtet worden seien, so habe die Klägerin Ausdrucke zugesandt
erhalten, womit die Bescheide auch ihr gegenüber ergangen und ihr bekannt gegeben worden seien. Diese (zuletzt Bescheid vom
22.10.1998 für das Quartal II/1998) habe sie jedoch erst nach mehr als einem Jahr - Ende Dezember 1999 - angefochten. Ein
Ausnahmetatbestand gemäß §
66 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 2
SGG - Hinderung durch höhere Gewalt oder Belehrung dahin, dass kein Rechtsbehelf gegeben sei - liege nicht vor. Eine Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand scheitere daran, dass die Klägerin diese nicht binnen Monatsfrist nach Wegfall des Hindernisses beantragt
habe. Sie habe indessen Anspruch auf eine Bescheidkorrektur und Nachvergütung gemäß § 44 Abs 2 SGB X. Das in Satz 2 dieser Bestimmung eingeräumte Ermessen sei auf Null reduziert, weil die Beklagte - im Sinne des Urteils des
BSG vom 22.6.2005 (B 6 KA 21/04 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 14) - Einfluss darauf genommen habe, dass sie - die Klägerin - keine Widersprüche einlege. Die
Beklagte habe die Widersprüche anderer Psychotherapeuten ausdrücklich als unzulässig zurückgewiesen, wovon die Klägerin Kenntnis
erlangt und dementsprechend nicht auch ihrerseits Widersprüche eingelegt habe. Die hieraus folgende Verpflichtung der Beklagten
zur Bescheidkorrektur und Nachvergütung erfasse auch die Quartale II bis IV/1994, obgleich dieser Honorarzeitraum - gerechnet
bis zum Nachvergütungsantrag der Klägerin vom 28.12.1999 - bereits mehr als vier Jahre zurückliege. Die Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X sei jedenfalls in Fällen einer Leistungsverpflichtung aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null ausgeschlossen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte, das SG und das LSG hätten der Klägerin die Nachvergütung nicht zusprechen dürfen, sondern beide Gerichte hätten die Klage insgesamt
abweisen müssen. Der von ihr - der Beklagten - erlassene Bescheid, mit dem sie Nachvergütungen abgelehnt habe, sei rechtmäßig.
Die Honorarbescheide für die Quartale II bis IV/1994 und I/1996 bis II/1998 seien mangels rechtzeitiger Widersprüche bestandskräftig
geworden. Es habe sich um Verwaltungsakte auch im Verhältnis zur Klägerin gehandelt. Diese habe die Jahresfrist des §
66 Abs
2 SGG nicht gewahrt, und eine Wiedereinsetzung gemäß §
67 SGG scheide aus. Davon, dass es ihr unzumutbar gewesen wäre, Widersprüche einzulegen, könne keine Rede sein. Denn hinsichtlich
anderer Quartale hätten sie oder der an sie delegierende Arzt ordnungsgemäß Widerspruch erhoben.
Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Bescheidkorrektur und Nachvergütung aufgrund des § 44 Abs 2 SGB X. Dies gelte für die Ersatzkassen-Fälle des Beigeladenen zu 2. im Quartal II/1994 und diejenigen des Beigeladenen zu 1. im
Quartal IV/1994 schon deshalb, weil insoweit ohnehin bereits Punktwerte von 10 bzw 10,5 Pf gewährt worden seien, sei aber
auch für die übrigen Fälle der Quartale II bis IV/1994 und I/1996 bis IV/1998 nicht anders zu beurteilen. Deren Honorierung
sei zwar bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG zur Vergütung psychotherapeutischer Leistungen zu gering gewesen. Eine
Aufhebung gemäß § 44 Abs 2 SGB X komme dennoch nicht in Betracht. Die Auffassung, sie - die Beklagte - müsse das in Satz 2 dieser Bestimmung eingeräumte Ermessen
nach Art einer Ermessensreduzierung auf Null im Sinne einer Bescheidkorrektur und Nachvergütung ausüben, treffe nicht zu.
Der vom BSG (SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 14) genannte Fall einer Einflussnahme der KÄV auf ihre Mitglieder, keine Rechtsbehelfe
einzulegen, liege hier nicht vor. Eine Korrekturverpflichtung gemäß § 44 Abs 2 SGB X könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass sie - die Beklagte - die unzutreffende Rechtsansicht vertreten habe, zwischen
ihr und den Delegationspsychotherapeuten bestünden keine Rechtsbeziehungen. Die Annahme einer Verpflichtung, einen bestimmten
Verwaltungsakt zu erlassen, bedürfe auch nach der Wertung des § 34 SGB X zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Die Klägerin habe indessen von ihr - der Beklagten - gerade keine schriftliche Erklärung
erhalten. Mithin liege der Fall einer Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, vielmehr habe sie - die Beklagte - das ihr
durch § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Nachvergütungen an alle Betroffenen hätten ein Finanzvolumen von bis zu 18 Mio
Euro ergeben.
Schließlich gehe auch die Auffassung fehl, die Vier-Jahres-Begrenzung des § 44 Abs 4 SGB X sei nur auf Sozialleistungen im engeren Sinne des Abs 1, nicht aber im vorliegenden Fall anwendbar.
Dieser Regelung sei der allgemeine Rechtsgedanke der Beschränkung nachträglicher Leistungserbringung auf vier Jahre zu entnehmen;
sie sei jedenfalls analog auch auf Nicht-Sozialleistungen anzuwenden. Zumindest sei es nicht ermessenswidrig, die gemäß §
44 Abs 2 Satz 2 SGB X mögliche Rückwirkung auf vier Jahre zu begrenzen, zumal auch sonst im vertragsärztlichen Leistungserbringerrecht eine Ausschlussfrist
von vier Jahren gelte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 8.11.2006 insoweit aufzuheben, als sie - die Beklagte - zur Aufhebung
der Honorarbescheide der Quartale II bis IV/1994 und I/1996 bis II/1998 und zur Nachvergütung von Honorar verpflichtet worden
ist, und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das Urteil des LSG für zutreffend. Ihr Anspruch auf Bescheidkorrektur und Nachvergütung ergebe sich - über
die Ausführungen von SG und LSG hinausgehend - schon daraus, dass im Verhältnis zu ihr keine Honorarbescheide ergangen seien bzw diese jedenfalls
nicht unanfechtbar geworden seien. Die Übersendung bloßer Kopien der Honorarbescheide an sie zeige, dass die Beklagte sie
nur über den anderweitigen Erlass von Bescheiden und über die Vornahme entsprechender Honorarüberweisungen habe unterrichten,
nicht aber auch ihr gegenüber habe Bescheide erlassen wollen.
Selbst wenn man darin aber die Bekanntgabe von Verwaltungsakten an sie sähe, so enthalte dieses Vorgehen - gerade auch in
Verbindung mit dem Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung - jedenfalls die Aussage, dass für sie ein Rechtsbehelf nicht gegeben
sei. Dementsprechend sei der Fall einer schriftlichen Falschbelehrung gemäß §
66 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 2
SGG gegeben, sodass sie ohne Fristbegrenzung Widerspruch habe einlegen können, wie sie es mit ihrem Schreiben vom 28.12.1999
getan habe. Im Übrigen sei auch der weitere Ausnahmetatbestand des §
66 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 2
SGG erfüllt, denn höhere Gewalt könne auch infolge einer unrichtigen behördlichen Mitteilung gegeben sein. Mehrfach habe die
Beklagte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Delegationspsychotherapeuten nicht zum Widerspruch gegen die Honorarbescheide
berechtigt seien. Sie habe diese - nunmehr als fehlerhaft erkannte - Haltung auch schriftlich zum Ausdruck gebracht. Ihr -
der Klägerin - habe nicht zugemutet werden können, sich gegen diese Ansicht zur Wehr zu setzen.
Keine andere Beurteilung ergebe sich daraus, dass sie in einzelnen Quartalen mit Beteiligung eines der Beigeladenen zu 1.
bis 3. Rechtsbehelfe eingelegt habe.
Zumindest hätte das LSG die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anerkennen müssen. Insoweit könne
ihr nicht entgegengehalten werden, sie habe die Monatsfrist des §
67 Abs
2 Satz 1
SGG versäumt. Hierfür könne nicht darauf abgestellt werden, dass sie bereits Mitte 1999 von ihrem Berufsverband im Hinblick auf
das Urteil des BSG vom 3.3.1999 (SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1) aufgefordert worden sei, selbst Widerspruch einzulegen.
Problematisch sei schon, für den Wegfall eines Hindernisses auf die individuell unterschiedlich gegebene oder nicht gegebene
Mitgliedschaft in einem solchen Berufsverband und das Lesen von dessen Rundschreiben abzustellen. Ein Wegfall des Hindernisses
könne in einem Fall der vorliegenden Art jedenfalls erst ab dem Zeitpunkt angenommen werden, in dem die Beklagte selbst ihre
Rechtsansicht gegenüber ihren Mitgliedern revidiert habe, was sie frühestens mit dem Rundschreiben vom 5.6.2000 getan habe.
Unabhängig davon, dass sie - die Klägerin - mit ihrem Schreiben vom 28.12.1999 noch rechtzeitig die Honorarbescheide für die
Quartale II bis IV/1994 und I/1996 bis IV/1998 angefochten habe, habe das LSG ihrem Verlangen nach Bescheidkorrektur und Nachvergütung
jedenfalls zu Recht aufgrund des § 44 Abs 2 SGB X stattgegeben. Das LSG habe zutreffend erkannt, dass das der Beklagten durch § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X eingeräumte Ermessen auf Null reduziert gewesen sei. Das LSG habe vorliegend einen atypischen Fall im Sinne des BSG-Urteils
vom 22.6.2005 (SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 12 ff, insbes RdNr 13 f) angenommen, sodass eine Ermessensvorprägung im Sinne einer
Bescheidkorrektur und Nachvergütung gegeben sei. Eine wesentliche Bedingung dafür, dass sie - die Klägerin - keine Widersprüche
mehr eingelegt habe, habe sich daraus ergeben, dass die Beklagte die Ansicht vertreten habe, zwischen ihr und den Delegationspsychotherapeuten
bestünden keine Rechtsbeziehungen und dass sie auch Widersprüche anderer Psychotherapeuten als unzulässig zurückgewiesen habe.
Sie - die Klägerin - darauf zu verweisen, sie hätte die an sie delegierenden Ärzte zur Widerspruchseinlegung veranlassen müssen,
ohne dass die Delegationsabreden Derartiges umfasst hätten, bürde ihr Unzumutbares auf.
Schließlich treffe auch die Auffassung des LSG zu, dass die Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs 4 SGB X auf Konstellationen der vorliegenden Art nicht anwendbar sei. Die Beklagte verkenne das differenzierte und abschließende
Regelungssystem des § 44 SGB X, dessen Abs 4 gerade nur auf Abs 1 und nicht auch auf Abs 2 Bezug nehme. Dem Abs 4 einen allgemeinen Rechtsgedanken zu entnehmen, lasse sich im Übrigen nicht
damit vereinbaren, dass die Amtshaftungsansprüche aus Art
34 GG iVm §
839 BGB keiner Beschränkung auf rückwirkend vier Jahre unterlägen.
Die Beigeladenen haben sich im gesamten Gerichtsverfahren nicht geäußert.
II. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Urteile des LSG und des SG sind zu ändern, und die Klagen sind in vollem Umfang abzuweisen. Die Honorarbescheide, die im Revisionsverfahren noch streitbefangen
sind (1.), können wegen ihrer Bestandskraft nicht unmittelbar überprüft werden (2.). Ein Anspruch auf Korrektur dieser Bescheide
und auf Nachvergütung nach § 44 SGB X steht der Klägerin nicht zu; Ermessensfehler der Beklagten liegen nicht vor (3.).
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Bescheidkorrektur und Nachvergütung
für die Quartale II bis IV/1994 und I/1996 bis II/1998, soweit nicht Ersatzkassen-Fälle des zu 2. beigeladenen delegierenden
Arztes im Quartal II/1994 und diejenigen des zu 1. beigeladenen im Quartal IV/1994 betroffen sind.
Hinsichtlich dieser Ersatzkassen-Fälle ist der Rechtsstreit rechtskräftig abgeschlossen. Insoweit hat das LSG, da die Beklagte
für diese Quartale Honorar bereits auf der Grundlage von Punktwerten von 10 Pf und 10,5 Pf gewährt hatte, die Anschlussberufung
der Klägerin zurückgewiesen und die Klage abgewiesen (s LSG-Urteil S 16 oben), und die Klägerin hat ihrerseits keine Revision
eingelegt.
2. Raum für eine unmittelbare Überprüfung der hier streitigen Honorargewährung besteht nicht.
Es liegen (a) Verwaltungsakte - auch im Verhältnis zur Klägerin - vor, die bestandskräftig sind, weil (b) die Anfechtungsfrist
abgelaufen war und (c) die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind.
a) Die Honorarbescheide, die an die delegierenden Ärzte gerichtet worden waren, erfüllen die Voraussetzungen eines Verwaltungsakts
gemäß § 31 SGB X auch im Verhältnis zu der Klägerin, der Delegationspsychotherapeutin.
Eine behördliche Regelung mit Außenwirkung iS des § 31 Satz 1 SGB X kann gegenüber mehreren Personen gleichzeitig erfolgen. Hierfür reicht es aus, wenn ein Bescheid ausdrücklich nur an den
eigentlichen Adressaten gerichtet, sein Regelungsinhalt aber zugleich einem davon Betroffenen (vgl § 37 Abs 1 Satz 1, § 39 Abs 1 SGB X) in der Absicht zugeleitet wird, dass auch dieser davon Kenntnis nimmt; die Übermittlung einer Kopie an diesen genügt, die
Übergabe einer förmlichen Ausfertigung des Bescheides ist nicht erforderlich (s zB BSGE 64, 17, 22 f = SozR 1200 § 54 Nr 13 S 38 f; BVerwG NVwZ 1992, 565, 566 aE). Unerheblich ist, ob bei der Übermittlung auch eine Rechtsbehelfsbelehrung erfolgt; Rechtsfolgen des Unterbleibens
oder der Fehlerhaftigkeit von Rechtsbehelfsbelehrungen sind gesondert in §
66 SGG geregelt (vgl BSGE 36, 120, 122 = SozR Nr 61 zu § 182
RVO S Aa 60; BSG USK 73 198 S 768; - zu §
66 SGG s u 2.b = RdNr 28 ff).
Nach diesen Maßstäben stellen die Honorarbescheide, mit denen die Vergütungen für die psychotherapeutischen Leistungen in
den streitbefangenen Quartalen festgesetzt worden waren, auch im Verhältnis zur Klägerin Verwaltungsakte gemäß § 31 Satz 1 SGB X dar. Denn sie waren ihr, wie das LSG in seinem Urteil festgestellt hat (§
163 SGG), in Kopie zur Kenntnis gebracht und somit auch ihr gegenüber wirksam geworden (§ 37 Abs 1 Satz 1, § 39 Abs 1 SGB X).
Diese Bescheide sind bestandskräftig, weil im Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsschreibens der Klägerin vom 28.12.1999
die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen war und die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt
sind.
b) Der Ablauf der Anfechtungsfrist ergibt sich im Verhältnis zur Klägerin daraus, dass für sie die Frist zur Anfechtung ein
Jahr betrug, diese Frist aber von ihr nicht gewahrt wurde.
Für eine Anfechtung der Honorarbescheide durch die Klägerin galt jeweils die Jahresfrist des §
66 Abs
2 Satz 1
SGG, weil in den Mitteilungen an sie keine Belehrungen über einen ihr gegebenen Rechtsbehelf enthalten waren. Diese Jahresfrist
wahrte sie mit ihrem Schreiben vom 28.12.1999 nicht, denn zum Zeitpunkt des Zugangs dieses Schreibens bei der Beklagten war
mehr als ein Jahr nach der Bekanntgabe des letzten Honorarbescheides (Quartal II/1998) vergangen.
Diese erfolgte im Oktober 1998, wie im Urteil des LSG festgestellt ist.
Eine längere Anfechtungsfrist als ein Jahr stand der Klägerin nicht zur Verfügung. Denn keiner der Ausnahmetatbestände, die
in §
66 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 2
SGG geregelt sind (hier anzuwenden in der Fassung, die seit dem 1.1.1975 galt bis zur Einfügung des Passus "oder elektronische"
durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005, BGBl I 837), war vorliegend einschlägig. Weder war der Klägerin die Einlegung
des Widerspruchs vor Ablauf der Jahresfrist durch höhere Gewalt unmöglich (aaO Variante 1), noch war eine schriftliche Belehrung
des Inhalts erfolgt, ein Rechtsbehelf sei nicht gegeben (aaO Variante 2).
Nach den Feststellungen im Urteil des LSG hatte die Beklagte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck erwecken wollen und auch nicht
erweckt, gegen ihre Honorarbescheide sei überhaupt kein Rechtsbehelf gegeben. Vielmehr war sie in den verschiedenen Zeitphasen
nur unterschiedlicher Ansicht darüber, ob im Fall der Abrechnung von Honorar für Delegationspsychotherapeuten der Honorarbescheid
an den delegierenden Arzt oder an den Psychotherapeuten zu richten sei, und dementsprechend auch darüber, ob der Arzt oder
der Psychotherapeut anfechtungsberechtigt sei. Zu dieser Frage hatte sie im Zeitraum bis zum Frühjahr 1999 - im Einklang mit
der damaligen Rechtsprechung des für sie zuständigen LSG (s LSG Niedersachsen, Urteil vom 19.11.1997 - L 5 Ka 35/95 - juris)
- die Ansicht vertreten, dass nur der Arzt und nicht der Psychotherapeut anfechtungsberechtigt sei. Dementsprechend hatte
sie eine Anfechtung nur durch den Arzt - oder nach Abtretung der Honoraransprüche vom Arzt an den Psychotherapeuten eine Anfechtung
durch diesen - für zulässig gehalten und behandelte Widersprüche der Psychotherapeuten ohne erfolgte Abtretung als unzulässig.
Die Folgen dieser Rechtsauffassung, die später vom BSG dahin korrigiert worden ist, dass der Delegationspsychotherapeut eigenständig
anfechtungsberechtigt ist (BSG, Urteil vom 3.3.1999 - SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1), bedürfen einer differenzierenden Lösung:
Unsicherheiten über die Person des Anfechtungsberechtigten in der Zeit bis Ende 1998 müssen zu Lasten der Beklagten gehen;
haben dagegen die betroffenen Psychotherapeuten und die an sie delegierenden Ärzte es unterlassen, überhaupt einen Rechtsbehelf
gegen Honorarbescheide einzulegen, so ist dies dem Verantwortungsbereich der Psychotherapeuten selbst zuzurechnen.
Vor diesem Hintergrund ist keiner der genannten Ausnahmetatbestände des §
66 Abs
2 Satz 1
SGG erfüllt. Dies ist für das Erfordernis höherer Gewalt (aaO Variante 1) ohne Weiteres ersichtlich.
Dieser Begriff erfordert ein von außen kommendes Ereignis, wofür als Beispiel vor allem zB Naturkatastrophen und andere die
Rechtsverfolgung generell hindernde unabwendbare Zufälle angeführt werden (zum Begriff vgl BSG SozR 4-1500 § 67 Nr 1 RdNr
11 f; s auch BVerwG NJW 1980, 1480, insoweit in BVerwGE 58, 100, 103 nicht abgedruckt; BVerwG NJW 1986, 207, 208). Es wird zwar auch angenommen, dass die Verbreitung einer unzutreffenden Rechtsansicht oder eine irreführende Rechtsbehelfsbelehrung
höhere Gewalt bedeuten könne, dies aber nur dann, wenn das sich daraus ergebende Hindernis vergleichbare allgemeinwirkende
Kraft wie Naturereignisse uä hat. Dies war hier indessen nicht der Fall, denn die Beklagte hatte nur zur Frage, ob der Arzt
oder der Delegationspsychotherapeut den Widerspruch zu erheben habe, Stellung bezogen; sie hatte nicht den Eindruck erwecken
wollen und auch nicht erweckt, generell sei kein Rechtsbehelf gegeben. Auch der - in der Rechtsprechung der höheren Gewalt
gleichgestellte - Fall, dass eine Behörde den Betroffenen arglistig oder jedenfalls treuwidrig um seinen Rechtsbehelf brachte
(vgl dazu insbes BVerwG NJW 1980, 1480/1481; s auch BSG aaO RdNr 12; vgl ferner BVerfGE 71, 305, 347 f mit Heranziehung des Kriteriums der "Unzumutbarkeit" rechtzeitigen Handelns; ebenso BVerfG [Kammer], NJW 2008, 429), lag nicht vor. Arglist und Treuwidrigkeit sind schon deshalb zu verneinen, weil die Rechtsansicht der Beklagten auch von
Kollegialgerichten vertreten worden ist (s Urteil des LSG Niedersachsen vom 19.11.1997, das später durch das BSG-Urteil vom
3.3.1999 - SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1 - aufgehoben worden ist). Daraus folgt, dass das Vertreten einer solchen Ansicht keinen
Schuldvorwurf begründen kann (zur Verschuldensverneinung im Amtshaftungsrecht nach Rechtmäßigkeitsbeurteilung durch ein Kollegialgericht
s zB BSGE 34, 248, 251 f; BSGE 79, 33, 34 = SozR 3-2500 § 126 Nr 2 S 15; ebenso zB Clemens in Schulin [Hrsg], Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 1: Krankenversicherungsrecht,
1994, § 36 RdNr 52; vgl ferner BVerwG NVwZ 2004, 104, 105; BVerwG, Beschluss vom 11.9.2008 - 2 B 69/07 - Juris RdNr 20).
Auch der in §
66 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 2
SGG geregelte Fall der schriftlichen Belehrung, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei (aaO Variante 2), lag nicht vor. Denn
eine in diesem Sinne schriftliche Belehrung unmittelbar gegenüber der Klägerin war nicht erfolgt. Dafür reicht nicht aus,
dass sie aus der Rechtsbehelfsbelehrung gegenüber dem Arzt den Umkehrschluss hatte ziehen können, sie selbst sei nicht anfechtungsberechtigt.
Ebenfalls nicht ausreichend ist, dass die Beklagte in Rundschreiben oä an Bezirksstellen die Ansicht vertreten hatte, Rechtsbeziehungen
bestünden allein zwischen ihr und den delegierenden Ärzten, und Widersprüche anderer Delegationspsychotherapeuten als unzulässig
verworfen hatte. Solche Vorgänge stehen einer schriftlichen Erklärung an die Klägerin selbst, wie sie in §
66 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 2
SGG vorausgesetzt wird, nicht gleich. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift scheidet aus; denn es fehlt - abgesehen von der
Frage, ob sie als nicht-analogiefähige Ausnahmeregelung angesehen und ob überhaupt eine Regelungslücke angenommen werden kann
- an einer gewichts- und interessenmäßig vergleichbaren Situation (zu diesen Voraussetzungen für eine Analogie s BSGE 96,
257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, jeweils RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 73 Nr 1 RdNr 16; BVerfGE 82, 6, 11 ff; 116, 69, 83 f).
c) Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte einjährige Widerspruchsfrist gegen die Honorarbescheide für
die Quartale II bis IV/1994 und I/1996 bis II/1998 zu gewähren, denn sie war nicht iS des §
67 Abs
1 SGG "ohne Verschulden verhindert", die Frist einzuhalten.
Eine solche Wiedereinsetzung setzt voraus, dass derjenige, der eine Frist wahren muss, diejenige Sorgfalt angewendet hat,
die einem gewissenhaft Handelnden nach den gesamten Umständen vernünftigerweise zuzumuten ist (stRspr, vgl zB BSGE 72, 158, 159 f = SozR 3-1500 § 67 Nr 7 S 18; BVerwG NJW 1991, 2096, 2097; BVerfG [Kammer], NJW 2008, 429). Dabei dürfen die Anforderungen allerdings nicht überspannt werden (vgl BVerfGE 110, 339, 342 mwN).
Nach diesen Maßstäben unternahm die Klägerin nicht das Erforderliche, um die Bestandskraft der Honorarbescheide zu verhindern.
Zu fordern war, dass wenigstens entweder sie selbst Widerspruch einlegte oder sie den delegierenden Arzt zur Widerspruchseinlegung
veranlasste oder sie nach Erlangung der Abtretung der Honoraransprüche auf dieser Grundlage Widerspruch einlegte; denn klar
war - wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zog -, dass in jedem Fall eine dieser Möglichkeiten des Rechtsschutzes eröffnet
sein musste. Indessen legte weder die Klägerin selbst noch der delegierende Arzt Widerspruch ein, und sie beschritt auch nicht
den Weg eines Widerspruchs ihrerseits auf der Grundlage einer Abtretung. Mithin ermangelte es an der erforderlichen Sorgfalt,
sodass ihr ein Verschulden an dem Fristversäumnis anzulasten ist und Wiedereinsetzung nicht gewährt werden kann.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitert im Übrigen zusätzlich daran, dass die Klägerin diese nicht binnen eines
Monats nach Wegfall des Hindernisses beantragte (§
67 Abs
2 Satz 1
SGG). Das in ihrem Fall maßgebliche Hindernis, nämlich die von ihr geltend gemachten Unklarheiten darüber, ob der delegierende
Arzt oder sie selbst zur Anfechtung von Honorarbescheiden berechtigt war, entfiel mit Bekanntwerden des Urteils des BSG vom
3.3.1999 (SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1), das die Rechtslage klargestellt hat. Als Zeitpunkt für dessen Bekanntwerden ist im
Falle der Klägerin die Mitte des Jahres 1999 anzusetzen, denn nunmehr konnte die Klägerin von dem Urteil Kenntnis erlangen
(zum Ausreichen der Möglichkeit der Kenntniserlangung vgl zB BGH NJW 1993, 1332; 1994, 2831, 2832). Das BSGUrteil wurde dem damaligen Klägervertreter - demselben Rechtsanwalt, der auch im vorliegenden Verfahren tätig
sowie Geschäftsführer und Justitiar der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie
e.V. (DGPT) ist - Mitte Juli 1999 förmlich zugestellt. Alsbald danach - Mitte 1999, wie im Berufungsurteil festgestellt ist
- richtete die DGPT ein Schreiben an ihre Mitglieder, also auch an die Klägerin, in dem sie sie auf das BSG-Urteil vom 3.3.1999
hinwies und aufforderte, Widersprüche gegen Honorarbescheide einzulegen. Auf dieses Bekanntwerden des BSG-Urteils vom 3.3.1999
bezogen, hat die Klägerin erst mit ihrem Schreiben vom 28.12.1999 reagiert, das insgesamt auf eine Nachvergütung für die Quartale
seit 1993 gerichtet war und damit implizit auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung enthielt. Damit ist aber die Monatsfrist
des §
67 Abs
2 Satz 1
SGG nicht gewahrt.
3. Die Klägerin kann auch nicht beanspruchen, dass die Beklagte die Honorarbescheide, ungeachtet der nach den Darlegungen
oben zu 1. und 2. eingetretenen Bestandskraft, zu ihren Gunsten korrigiert. Als Rechtsgrundlage für eine solche Korrektur,
die auch die von der Klägerin begehrte Nachvergütung unter Zugrundelegung höherer Punktwerte erbringen würde, kommt allein
§ 44 SGB X in Betracht. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen sind indessen nicht erfüllt.
Für die von der Klägerin begehrte Bescheidkorrektur und Nachvergütung kann von vornherein nur § 44 Abs 2 SGB X herangezogen werden. Denn Abs 1 der Vorschrift betrifft nur Sozialleistungen, dazu gehört die Gewährung vertragsärztlichen Honorars aber nicht (BSGE 82,
50, 51 = SozR 3-1300 § 44 Nr 23 S 49; BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 8). Gemäß § 44 Abs 2 Satz 1 iVm Satz 2 SGB X kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch für die Vergangenheit
zurückgenommen werden.
Bei den streitigen Honorarbescheiden handelt es sich in diesem Sinne um (a) rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte
- auch im Verhältnis zur Klägerin -, (b) deren Rücknahme die Beklagte aber ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.
a) Die von der Klägerin beanstandeten Honorarbescheide für die Quartale II bis IV/1994 und I/1996 bis II/1998 stellen, soweit
sie die Leistungen der Klägerin nur mit Punktwerten von unter 10 Pf vergütet hatten, rechtswidrige, nicht begünstigende Verwaltungsakte
dar, wie es Voraussetzung gemäß § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X ist:
Deren Klassifizierung als Verwaltungsakte - auch im Verhältnis zur Klägerin - ist bereits oben (s o 2.a = RdNr 23-25) dargelegt
worden. Bei ihnen handelt es sich auch, ausgehend von der Beanstandung der Klägerin, die höheres Honorar begehrt, um "nicht
begünstigende" Verwaltungsakte, weil mit der Bewilligung des festgesetzten Honorars zugleich höheres Honorar versagt worden
war (ebenso BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 7). Die Verwaltungsakte waren und sind ferner - wie es die weitere Voraussetzung
des § 44 Abs 2 SGB X ist - rechtswidrig. Denn die Honorierung der zeitgebundenen und genehmigungsbedürftigen psychotherapeutischen Leistungen
nach Abschnitt G IV des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä in der bis zum 31.3.2005
geltenden Fassung) muss(te) im Zeitraum bis Ende 1998 grundsätzlich auf der Grundlage eines Punktwerts von 10 Pf erfolgen.
Dies trägt dem Erfordernis Rechnung, dass die psychotherapeutisch tätigen Leistungserbringer aus Gründen der Chancengleichheit
(Art
3 Abs
1 GG) die Möglichkeit haben müssen, mit einer Vollzeittätigkeit ein Einkommen zu erzielen, das ungefähr dem Durchschnittseinkommen
einer vergleichbaren großen Arztgruppe in dem KÄV-Bezirk entspricht (grundlegend BSGE 83, 205 = SozR 3-2500 § 85 Nr 29; zusammenfassend BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 36 RdNr 12 und BSG, Urteil vom 28.5.2008 - B 6 KA 9/07 R - RdNr 12, 16).
b) Die Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakts steht aber, wenn sie für die Vergangenheit erfolgen
soll - wie hier: für vergangene Quartale -, gemäß § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X ("kann") im Ermessen der Behörde. Die Beklagte hat dieses Ermessen in ihrem Bescheid vom 21.8.2000 - in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 9.3.2001 - fehlerfrei im ablehnenden Sinne ausgeübt.
Eine Ermessensausübung kann nur daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von
dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§
54 Abs
2 Satz 2
SGG), also nur darauf, ob ein Ermessensnichtgebrauch, -fehlgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung vorliegt (BSG SozR 4-1300
§ 44 Nr 6 RdNr 10). Dabei ist auch zu prüfen, ob die Behörde in der Begründung ihrer Entscheidung die Gesichtspunkte erkennen
lässt, von denen sie bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB X; vgl dazu BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 11; s auch BSGE 82, 50, 53 = SozR 3-1300 § 44 Nr 23 S 52).
Bei der Ausübung von Ermessen und bei dessen Überprüfung ist die Struktur der zu treffenden Ermessensentscheidung zu beachten.
Dabei ist davon auszugehen, dass eine allgemeine Verpflichtung der Behörden, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet
des Eintritts der Bestandskraft zu korrigieren, nicht besteht (vgl zB BVerfGE 117, 302, 315 mwN; BVerfG [Kammer], NVwZ 2008, 550, 551; BVerwG NVwZ 2007, 709, 710 [13]: "Allein die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründet keinen Anspruch auf Rücknahme"). Dies gilt in besonderem
Maße im Vertragsarztrecht. Hier ist zu berücksichtigen, dass die Korrektur früherer Honorarbescheide gemäß § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X - mit der Folge von Nachvergütungen für vergangene Quartale - zur Abweichung von dem aus §
85 Abs
1 Satz 1 iVm Abs
4 Satz 1 Halbsatz 1
SGB V abzuleitenden Gebot führt, dass die von den Krankenkassen für ein Quartal geleisteten Gesamtvergütungen an diejenigen Ärzte
und Psychotherapeuten zu verteilen sind, die in diesem Quartal an der vertragsärztlichen bzw -psychotherapeutischen Versorgung
teilgenommen haben (zum sog Quartalsprinzip s zB BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 13; BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, jeweils RdNr 12; BSGE 97, 170 = SozR 4-2500 § 87 Nr 13, jeweils RdNr 43). Ausgehend von dem Ausnahmecharakter der Möglichkeit, gegenwärtige Gesamtvergütungsanteile
für vergangene Honoraransprüche zu verwenden, ist die Ausübung des Ermessens des § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X dahingehend, dass eine Bescheidkorrektur - und also auch die Gewährung von Nachvergütungen - abgelehnt wird, im Regelfall
nicht zu beanstanden. Dies gilt zumal dann, wenn viele gleichgelagerte Nachvergütungsanträge im Raum stehen, wie es in den
Verfahren BSGE 82, 50 (= SozR 3-1300 § 44 Nr 23) und BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 6 der Fall war und auch vorliegend der Fall ist, und keine Rückstellungen
zur Begleichung der Nachforderungen gebildet worden waren (vgl hierzu BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 19).
Aus dieser Struktur der gemäß § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X zu treffenden Ermessensentscheidung folgt, dass diese im Falle von Anträgen auf vertragsärztliche Nachvergütungen für Leistungen
in früheren Quartalen nur in atypischen Fällen im Sinne einer Bescheidkorrektur und Nachvergütung vorgeprägt sein kann (BSG
SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 14). Ein solcher atypischer Fall kann etwa dann in Betracht kommen, wenn die KÄV "direkten oder
indirekten Einfluss" (BSG aaO RdNr 14) auf ihre Mitglieder genommen hätte, von der Einlegung von Rechtsbehelfen abzusehen.
Ein direkter Einfluss kann zB in gezielten Äußerungen der KÄV an ihre Mitglieder liegen, insbesondere wenn sie in Rundschreiben
mitgeteilt hätte, alle Mitglieder würden unabhängig von einer individuellen Widerspruchseinlegung gleichgestellt, oder wenn
sie jedenfalls sinngemäß hätte erkennen lassen, sie wäre froh über nicht zu viele Widerspruchsverfahren und werde die Leistungserbringer,
die keine Rechtsbehelfe ergreifen, letztlich gleichstellen (BSG aaO RdNr 15). Gleiches gilt, wenn sich die KÄV in solcher
Weise individuell gegenüber einem einzelnen Arzt geäußert hätte. Ein indirekter Einfluss kann zB dann angenommen werden, wenn
die KÄV gegenüber Berufsverbänden angekündigt hätte, die Rechtmäßigkeit der Honorierung unabhängig von der individuellen Widerspruchseinlegung
zu überprüfen.
Eine direkte oder indirekte Einflussnahme war im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Im Urteil des LSG, an dessen Feststellungen
das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden ist (§
163 SGG), sind Äußerungen der Beklagten - sei es direkt gegenüber der Klägerin oder gegenüber allen ihren Mitgliedern oder gegenüber
Berufsverbänden - in dem Sinne, dass eine Widerspruchseinlegung nicht erforderlich sei, nicht festgestellt worden. Auch die
Klägerin hat nicht geltend gemacht, dass solche Äußerungen gefallen seien. Das LSG und die Klägerin berufen sich für ihre
Annahme indirekter Einflussnahme vielmehr darauf, dass die Beklagte die Widersprüche einiger Psychotherapeuten als unzulässig
zurückgewiesen und andere nicht bearbeitet habe; davon habe die Klägerin Kenntnis erlangt. Damit habe die Beklagte indirekt
Einfluss auf die Klägerin genommen, die daher nicht noch ihrerseits habe - offenbar aussichtslose - Widersprüche einlegen
müssen. Diese Umstände reichen indessen nicht aus, um eine indirekte Einflussnahme im Sinne obiger Ausführungen annehmen zu
können.
Die Darlegungen des LSG und der Klägerin laufen darauf hinaus, diese habe aus den genannten Umständen die Schlussfolgerung
gezogen, Widersprüche von ihr seien unzulässig und deshalb habe sie diese gar nicht erst eingelegt. Die Rechtsfolgen der fehlerhaften
Annahme, ein Rechtsbehelf sei nicht gegeben, sind indessen strukturell in §
66 Abs
2 Satz 1
SGG geregelt. Dort ist für den Fall einer schriftlichen Belehrung, ein Rechtsbehelf sei nicht gegeben, als Rechtsfolge normiert,
dass der Rechtsbehelf dann ohne Fristbindung zulässig ist (hierzu s o 2.b = RdNr 29 und 32). Wenn also nach dem Gesetz die
Fehlannahme, ein Rechtsbehelf sei nicht gegeben, nur zum Wegfall der Rechtsbehelfsfrist führt - und dies auch nur für den
Fall dementsprechender schriftlicher Belehrung -, so kann nicht im Wege der Interpretation aus einer anderen Rechtsnorm -
hier § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X - hergeleitet werden, dass dem Betroffenen im Falle einer solchen Fehlannahme die von ihm begehrte Leistung zugesprochen
werden müsse. Hierauf aber liefe die vom LSG vertretene Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X hinaus. Eine solche Annahme widerspräche indessen dem dargestellten Normgefüge, wie es sich aus der Zusammenschau des § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X mit §
66 Abs
2 SGG ergibt.
Dieses Ergebnis entspricht auch der sonstigen Rechtsprechung. Allein die Äußerung einer unzutreffenden Rechtsansicht - zumal
nicht schriftlich und nur gegenüber Dritten - wird nicht als ausreichend angesehen für eine Reduzierung des Ermessens auf
Null bei der Entscheidung über eine erneute Sachprüfung (vgl zB BVerwG DVBl 1992, 917, das bei Fehlinformation hinsichtlich der Möglichkeit zur Wahl zwischen Teilzeit- und voller Beschäftigung, aber bestandskräftigem
Bescheid, keine Reduzierung des Ermessens auf Null bei der Wiederaufgreifens-Entscheidung angenommen hat). Eine Reduzierung
des Ermessens der Behörde auf Null bei der Frage erneuter Sachprüfung wird nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen, so etwa
dann, wenn die Aufrechterhaltung der bestandskräftigen Entscheidung gegen Treu und Glauben verstieße oder sie sonstwie schlechthin
unerträglich wäre (so im Rahmen der §§ 48 Abs 1 Satz 1, 49 Abs 1, 51 Abs 1 Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG] zB BVerwGE 95, 86, 92; BVerwG NVwZ-RR 2002, 548, 550 unter 2.b; BVerwGE 113, 322, 328; BVerwG NVwZ 2007, 709, 710 f [13-16]; - vgl ferner zB Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs [Hrsg], VwVfG, 7. Aufl 2008, § 51 RdNr 19, s auch § 48 RdNr 85, 89 f).
In einem Fall der vorliegenden Art ist nicht nur eine Ermessensreduzierung auf Null zu verneinen.
Vielmehr hat die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens im Rahmen der Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsaktes
für die Vergangenheit gemäß § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X grundsätzlich einen weiten Spielraum, dessen Rahmen die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens hier einhielt.
Eine Behörde handelt bei der Ausübung ihres Ermessens im Rahmen einer Entscheidung nach § 44 Abs 2 SGB X grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie nach bestandskräftiger Ablehnung eine erneute inhaltliche Befassung mit
derselben Angelegenheit ablehnt (vgl BVerwG NVwZ 2007, 709, 710 [13] betr § 48 Abs 1 Satz 1 VwVfG: "Allein die Rechtswidrigkeit ... begründet keinen Anspruch auf Rücknahme"; ebenso zB BVerwGE 95, 86, 92 betr § 51 Abs 1 VwVfG). Dies gilt umso mehr dann, wenn eine Fallkonstellation vorliegt, in der im Regelfall das Ermessen beanstandungsfrei dahingehend
ausgeübt werden kann, dass eine Bescheidkorrektur und dementsprechend auch die Nachvergütung abgelehnt wird (s o RdNr 43), und wenn die dafür maßgeblichen Ermessensgründe gemäß § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X dargelegt wurden. Für diese Darlegung reicht es aus, im Bescheid den Grundsatz deutlich zu machen, dass die von den Krankenkassen
für ein Quartal geleisteten Gesamtvergütungen an diejenigen Ärzte und Psychotherapeuten verteilt werden sollen, die in diesem
Quartal an der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung teilgenommen haben, und dass im Falle der davon abweichenden
Gewährung von Nachzahlungen für vergangene Quartale angesichts der Vielzahl ähnlich liegender Fälle erhebliche Einbußen für
die aktuellen Honoraransprüche zu befürchten wären (zu solchen Fällen s BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 11 f und BSGE 82, 50, 53 ff = SozR 3-1300 § 44 Nr 23 S 51 ff). Diesen Anforderungen trägt die Ermessensausübung im vorliegenden Fall Rechnung,
wie sich aus dem Bescheid der Beklagten vom 21.8.2000 ergibt, auf den sie in ihrem Widerspruchsbescheid vom 9.3.2001 inhaltlich
Bezug nimmt.
Es war nicht erforderlich, dass die Beklagte in ihren Ermessenserwägungen auf individuelle Umstände bei der Klägerin eingeht.
Aus dem Urteil des Senats vom 22.6.2005 ergibt sich, dass auch eine intensive individuelle Betroffenheit nicht im Bescheid
gewürdigt werden muss (s BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 6 RdNr 12 aE, zu einem Honorardefizit um 30-40 %). Dementsprechend musste
sich die Beklagte auch im vorliegenden Fall in ihrem Bescheid nicht mit der besonderen Betroffenheit der Klägerin befassen.
So ist es unschädlich, dass sie in ihrem Bescheid insbesondere nicht dazu Stellung nahm, in welchem finanziellen Ausmaß die
Klägerin betroffen war. Ebenso wenig musste die Beklagte im Bescheid darauf eingehen, dass die Klägerin sich in einer besonderen
"Zwickmühle" gesehen hatte, weil sie zum einen glaubte, eigene Widersprüche seien unzulässig, und zum anderen eine Inanspruchnahme
der delegierenden Ärzte für unzumutbar hielt, weil die Delegationsabrede Derartiges nicht umfasst hatte und überdies einer
der delegierenden Ärzte schon sehr betagt war.
Nach alledem hat die Beklagte das ihr durch § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X eingeräumte Ermessen beanstandungsfrei ausgeübt. Der ablehnende Bescheid der Beklagten ist also rechtmäßig, sodass die von
der Klägerin erhobene Klage auf Bescheidkorrektur und Nachvergütung hat abgewiesen werden müssen.
4. Im Übrigen könnten der Klägerin Nachvergütungen für die länger als vier Jahre zurückliegenden Quartale - II bis IV/1994
- aus einem zusätzlichen Grund nicht zugesprochen werden:
Im Rahmen der Entscheidung über Nachvergütungen für die Vergangenheit (§ 44 Abs 2 Satz 2 SGB X) darf das Ermessen im Regelfall dahin ausgeübt werden, dass jedenfalls für Zeiträume, die länger als vier Jahre zurückliegen,
keine Nachvergütungen gewährt werden. Die Regelung des § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X, wonach Sozialleistungen längstens für einen bis zu vier Jahre zurückliegenden Zeitraum erbracht werden, ist zwar nicht unmittelbar
anwendbar, weil Honorargewährungen an Leistungserbringer im Sinne des
SGB V keine Sozialleistungen sind (s o RdNr 38 mwN). Dies hindert aber nicht, im Rahmen der Ermessensausübung gemäß § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X sich an der in Abs 4 Satz 1 zum Ausdruck kommenden Wertung zu orientieren (vgl BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 9 RdNr 20 ff mwN zur analogen Anwendung
im Zusammenhang mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 und 4
SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier - im Hinblick auf die vor 2002 erfolgte Klageerhebung - noch anzuwendenden
Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff). Eine Erstattung von Kosten der beigeladenen delegierenden Ärzte ist nicht
veranlasst, weil sie sich in keiner der Gerichtsinstanzen beteiligt und auch keine Anträge gestellt haben (§
162 Abs
3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 §
63 Nr
3, jeweils RdNr 16).