Gründe:
I
Die Klägerin begehrt eine angemessene Entschädigung für die Dauer zweier Gerichtsverfahren vor dem SG Schwerin und nachfolgend
dem LSG Mecklenburg-Vorpommern.
Die 1942 geborene Klägerin wurde Ende Juli 2002 arbeitslos. Die Beklagte beider Ausgangsverfahren, die Bundesagentur für Arbeit
(BA), gewährte ihr nach vorangegangener Beratung ab dem 1.8.2002 nach §
428 Abs
3 SGB III antragsgemäß Arbeitslosengeld (Alg) unter erleichterten Voraussetzungen in Höhe von 176,61 Euro wöchentlich und setzte die
Anspruchsdauer auf 929 Tage fest. Unter dem 24.6.2003 forderte die BA die Klägerin auf, sich an den Rentenversicherungsträger
zu wenden und den für sie frühestmöglichen Zeitpunkt für die Inanspruchnahme einer abschlagsfreien Altersrente zu erfragen.
Sollte sich die Möglichkeit einer solchen Rente ergeben und die Klägerin gleichwohl keinen darauf gerichteten Rentenantrag
stellen, ruhe der Anspruch auf Alg Die Klägerin erhob gegen das Schreiben erfolglos Widerspruch. Der Widerspruchsbescheid
wurde bestandskräftig (Bescheid vom 21.7.2003).
Ab Juli 2003 gewährte der Rentenversicherungsträger der Klägerin (abschlagsfrei) die von ihr "vorsorglich" beantragte Altersrente
für schwerbehinderte Menschen (Bescheid vom 26.8.2003). Gegen den Rentenbescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, der auf
ihren Wunsch zunächst nicht beschieden wurde.
Die BA hob daraufhin die Bewilligung von Alg an die Klägerin ab Juli 2003 auf, weil der Anspruch wegen der gleichzeitigen
Gewährung von Altersrente ruhe (Bescheid vom 12.9.2003). Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchbescheid vom 16.10.2003)
erhob die Klägerin dagegen am 29.10.2003 Klage beim SG, die sie ua mit einer vermeintlichen Verfassungswidrigkeit der Ruhensvorschrift des §
142 SGB III aF begründete (nachfolgend als Gerichtsverfahren wegen Alg-Bewilligung bezeichnet). Das SG wies die Klage nach Anhörung der Beteiligten ab (Gerichtsbescheid vom 22.9.2004). Die Klägerin legte dagegen am 13.10.2004
Berufung ein (nachfolgend als Berufungsverfahren wegen Alg-Bewilligung bezeichnet). Mit Zustimmung der Beteiligten setzte
das LSG das Berufungsverfahren zunächst förmlich aus (Beschluss vom 10.5.2005), weil die Klägerin inzwischen ein Klageverfahren
wegen der Aufforderung zur Rentenantragstellung anhängig gemacht habe, das insoweit vorrangig sei.
Dieses Gerichtsverfahren (nachfolgend als Klageverfahren wegen Rentenantragstellung bezeichnet) hatte am 10.12.2004 mit einer
Klage der Klägerin gegen die Ablehnung ihres Antrags begonnen, die Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Rentenantragstellung
im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X erneut zu überprüfen (Bescheid vom 9.11.2004, Widerspruchsbescheid vom 23.11.2004). Das SG hob den ablehnenden Überprüfungsbescheid auf und verurteilte die BA nach einer Beweisaufnahme - ua durch Zeugenvernehmung
über die dem Alg-Antrag vorangegangene Beratung der Klägerin durch Bedienstete der BA -, den Überprüfungsantrag nach Maßgabe
des Gerichts erneut zu bescheiden (Urteil vom 18.10.2007). Am 10.12.2007 legte die BA Berufung ein (nachfolgend als Berufungsverfahren
wegen Rentenantragstellung bezeichnet). In diesem Zusammenhang nahm der für beide Verfahren zuständige Senat des LSG das ausgesetzte
Berufungsverfahren wegen Alg-Bewilligung mit Datum vom 5.12.2007 formlos wieder auf. Trotz mehrfacher Mahnungen des Prozessbevollmächtigten
der Klägerin bestimmte der Senatsvorsitzende für beide Verfahren erst Termin auf den 28.6.2011, in dem beide Verfahren vergleichsweise
erledigt wurden.
Am 25.1.2012 hat die Klägerin Entschädigungsklage erhoben. Das LSG hat für das Klageverfahren wegen Rentenantragstellung eine
unangemessene Dauer von 23 Monaten und für das nachfolgende Berufungsverfahren von 29 Monaten festgestellt. Es hat das beklagte
Land deshalb zur Zahlung von 2300 Euro für die Verzögerungen beim SG bzw 2900 Euro für die Verzögerungen beim LSG verurteilt. Der unbestimmte Rechtsbegriff der überlangen Verfahrensdauer sei
im Sinne einer mathematischen Formel auszufüllen: Die Gesamtdauer des Verfahrens in der jeweiligen Instanz abzüglich der Zeiten
aktiver Verfahrensförderung und solcher Zeiten der Inaktivität, die nicht dem Gericht zuzurechnen seien, ergebe die zu vermeidende
Verfahrensdauer. Dabei sei nur eine Dauer von einem Jahr für Hauptsachen pro Instanz unbedenklich und biete keinen Anlass,
die Gründe für die Dauer des Verfahrens konkret zu überprüfen. Das Klageverfahren über die Rentenantragstellung habe demnach
mit 23 Monaten Liegezeit zu lang gedauert. Das anschließende Berufungsverfahren sei nach Ablauf von einem Jahr im Oktober
2008 für entscheidungsreif erachtet worden, die Zeit danach bis zum tatsächlichen Abschluss stelle ebenfalls eine überlange
Verfahrensdauer von 29 Monaten dar. Es bestehe kein Anlass, aus Billigkeitsgründen von einer Entschädigung abzusehen, weil
der Fall für die Klägerin weder von ganz untergeordneter Bedeutung gewesen sei, noch sie durch ihr Verhalten zur Verfahrensdauer
maßgeblich beigetragen habe. Wegen der durchschnittlichen Bedeutung des Falles habe es andererseits beim Regelsatz der Entschädigung
zu verbleiben.
Soweit die Klägerin darüber hinaus eine höhere Entschädigung insbesondere für eine unangemessene Dauer des Klage- und des
Berufungsverfahrens wegen Alg-Bewilligung begehrt hat, hat das LSG die Klage abgewiesen. Das Klageverfahren vor dem SG sei mit einer Verfahrensdauer von einem Jahr ersichtlich nicht überlang gewesen. Das Berufungsverfahren habe zwar nahezu
sieben Jahre gedauert. Gleichwohl sei es im Rechtssinne - bei Berücksichtigung der Interessen der Klägerin - schnellstmöglich
entschieden worden. Denn die Aussetzung des Verfahrens sei im Interesse der Klägerin gewesen, weil ihre Klage sonst sofort
hätte abgewiesen werden müssen. Durch das Zuwarten auf das Verfahren wegen Rentenantragstellung habe der Senat offenkundig
im Interesse der Klägerin gehandelt. Daher komme es weder darauf an, ob die Aussetzung rechtmäßig gewesen sei noch darauf,
dass der Senat die Aussetzung im Jahr 2007 aufgehoben habe, obwohl die Gründe für das Zuwarten fortbestanden hätten (Urteil
vom 13.2.2013).
Mit ihrer Revision macht die Klägerin eine weitere Entschädigung in Höhe von 1700 Euro für das Gerichtsverfahren wegen Rentenantragstellung
sowie 4500 Euro für das Gerichtsverfahren wegen Alg-Bewilligung geltend. Das Verfahren sei weder rechtlich noch tatsächlich
schwierig, aber für sie von großer Bedeutung gewesen. Es hätte daher besonders zügig behandelt werden müssen. Sie habe sich
im Verfahren vorbildlich verhalten. Das LSG sei zu Unrecht von einer Freifrist von einem Jahr für die Verfahrensführung ausgegangen.
Wenn überhaupt, seien die 12 Monate auf die Monate zu beziehen, in denen das Verfahren gerichtlich betrieben worden sei. Die
erstinstanzliche Verzögerung im Verfahren S 2 AL 436/04 habe deshalb 30 Monate betragen. Die Verzögerung im Berufungsverfahren sei nochmal um 10 Monate zu erhöhen, in denen der
Beklagte das Verfahren faktisch nicht betrieben habe. Zudem habe das LSG übersehen, dass die Verzögerung im zweiten Verfahren
unmittelbar zu einer ebenso langen Verzögerung im ausgesetzten Verfahren geführt habe. Zudem habe der Beklagte alle Kosten
des Verfahrens zu tragen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 13.02.2013 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen,
1. ihr wegen der unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens wegen Rentenantragstellung (S 4 bzw 2 AL 436/04 und L 2 AL 41/07) weitere 1700 Euro Entschädigung sowie
2. ihr wegen der unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens wegen Arbeitslosengeldbewilligung (S 4 AL 366/03 und L 2 AL 81/04 bzw L 2 AL 37/07 WA) eine Entschädigung von 4500 Euro zu gewähren.
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das beklagte Land hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Klägerin betrifft zwei Entschädigungsklagen die beide zulässig sind (dazu unter 1.). Die Revision
ist nur teilweise im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache begründet, soweit das LSG im angefochtenen Urteil
einen Anspruch der Klägerin auf Entschädigung aufgrund unangemessener Dauer des Berufungsverfahrens wegen Alg-Bewilligung
verneint und die Klage abgewiesen hat (dazu nachfolgend unter 2.). Dagegen war die Revision zurückzuweisen, soweit das LSG
das beklagte Land verurteilt hat, der Klägerin aufgrund einer unangemessenen Dauer des Klage- und Berufungsverfahrens wegen
Rentenantragstellung eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 5200 Euro zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen hat
(dazu nachfolgend unter 3.).
1. Beide von der Klägerin erhobenen, auf §
198 GVG gestützten Entschädigungsklagen sind zulässig.
a) Der Senat hat das Begehren der Klägerin sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an §§
198 ff
GVG zu messen, obwohl diese Vorschriften erst nach Abschluss der hier von der Klägerin als überlang gerügten Verfahren in Kraft
getreten ist (zeitlicher Anwendungsbereich des §
198 GVG). Die Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
(ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl I 2302) und damit auch die §§
198 ff
GVG finden aufgrund der Übergangsregelung des Art 23 S 1 ÜGG auch auf Verfahren Anwendung, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 (vgl Art 24 ÜGG) zwar bereits abgeschlossen
waren, aber noch Gegenstand einer Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) werden konnten. Dies ist hier der Fall. Die sechsmonatige Beschwerdefrist nach Art 35 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) war am Tage des Inkrafttretens des ÜGG (3.12.2011) noch nicht abgelaufen, da die vorliegend streitbefangenen Verfahren am
28.6.2011 mit einem Vergleich abgeschlossen worden sind.
b) Die Klägerin hat ihre Entschädigungsklagen zulässigerweise im Wege der objektiven Klagehäufung nach §
56 SGG in einer Klage geltend gemacht. Beide Klagebegehren richteten sich gegen denselben Beklagten - das Land Mecklenburg-Vorpommern
- und standen in einem sachlichen Zusammenhang. Die Klägerin begehrt Entschädigung für die von ihr als unangemessen angesehene
Dauer zweier Gerichtsverfahren. Beiden Gerichtsverfahren liegen je eigene Streitgegenstände zu Grunde, die allerdings inhaltlich
zusammenhängen; in einem Verfahren ging es um die Aufhebung einer Alg-Bewilligung wegen des Bezuges von Altersrente für schwerbehinderte
Menschen, im anderen um die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung zur Rentenantragstellung. Beide Verfahren dauerten nach Ansicht
der Klägerin unangemessen lange und für beide begehrt sie Entschädigung nach §
198 GVG. Für die Klagen war auch dasselbe Gericht - das LSG - zuständig (dazu unter c).
c) Das LSG war für die Entscheidung funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten
(vgl §
51 SGG) ist gemäß §
201 Abs
1 S 1
GVG iVm §
202 S 2
SGG für Klagen auf Entschädigung nach §
198 GVG gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige Landessozialgericht zuständig.
d) Die Klägerin hat ihre Klagen am 25.1.2012 rechtzeitig innerhalb der für "Altfälle" geltenden Klagefrist des Art 23 S 5
ÜGG erhoben, die bis zum 3.6.2012 lief.
e) Das beklagte Land ist im Verfahren wirksam durch die Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern vertreten worden. Bei der
Übertragung der Vertretung des beklagten Landes Mecklenburg-Vorpommern auf die Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern
im Erlasswege (vgl Buchst A Abschnitt 1 Nr 1 Vertretungserlass Justizministerium vom 14.1.2003 - III 310/1200-66 SH -) handelt es sich nicht um eine wesentliche Organisationsentscheidung, die hätte zwingend durch Parlamentsgesetz getroffen
werden müssen (vgl im Einzelnen BFH, Urteil vom 17.4.2013 - X K 3/12 - BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547). Die Vertretungsregelung ist daher nicht zu beanstanden. Der Senat macht aber darauf aufmerksam, dass es der Intention des
ÜGG zuwiderläuft, wenn Angehörige eines Gerichts in der Revisionsinstanz nicht nur dessen Entschädigungsurteile sowie mittelbar
ggf auch die Entscheidungen in den Ausgangsverfahren und damit das Handeln der eigenen Kollegen, sondern darüber hinaus noch
Entscheidungen des Haushaltsgesetzgebers zu vertreten haben. Diese können sie in keiner Weise beeinflussen, obwohl diese Entscheidungen
möglicherweise die wesentliche strukturelle Ursache für die Überlastung der Gerichte und damit für überlange Verfahrensdauern
bilden.
2. Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet, soweit sie die Entschädigungsklage
wegen der Dauer des Berufungsverfahrens wegen Alg-Bewilligung (L 2 AL 81/04 bzw später L 2 AL 37/07 WA) betrifft. Zwar hat die Klägerin den richtigen Beklagten verklagt (dazu a) und die Entschädigungsklage ohne vorherige
Verzögerungsrüge erheben können (dazu b), jedoch hat das LSG eine unangemessene Verfahrensdauer rechtsfehlerhaft verneint
(dazu c).
a) Das beklagte Land Mecklenburg-Vorpommern ist für die Entschädigungsklagen nach §
200 S 1
GVG passiv legitimiert, weil es danach für Nachteile haftet, die aufgrund von Verzögerungen bei seinen Gerichten entstehen; solche
Nachteile macht die Klägerin aufgrund ihrer bei dem SG Schwerin und beim LSG selbst geführten Verfahren geltend.
b) Eine Verzögerungsrüge brauchte die Klägerin - ausnahmsweise - nicht zu erheben. Nach Art 23 S 5 ÜGG bedarf es einer solchen Rüge iS des §
198 Abs 3 und
5 GVG nicht, wenn das Ausgangsverfahren - wie das der Klägerin durch den Vergleich vom 28.6.2011 - bei Inkrafttreten des ÜGG am
3.12.2011 bereits abgeschlossen war, da die Beteiligten eines Verfahrens vor Inkrafttreten des ÜGG ihre Rügeobliegenheit nicht
kennen konnten (vgl BT-Drucks 17/3802 S 31 zu Art 22).
c) Die Ausführungen des LSG zur unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens wegen Alg-Bewilligung halten revisionsrichterlicher
Überprüfung dagegen nicht vollständig Stand. Zwar hat das LSG den Gesamtzeitraum des Verfahrens zutreffend ermittelt und den
für eine Prüfung der angemessenen Verfahrensdauer bedeutsamen Gesichtspunkten Beachtung geschenkt (dazu allgemein aa); es
hat zu Recht die Bedeutung (bb) und die Schwierigkeit (cc) des Verfahrens, das Verhalten der Verfahrensbeteiligten (dd) und
vor allem die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in seine Bewertung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen (ee).
Das LSG ist zudem, soweit es um die Würdigung dieser Prozessleitung geht, im Grundsatz von einem zutreffenden richterlichen
Überprüfungsmaßstab des Entschädigungsgerichts ausgegangen (ff). Es hat dann aber bei der Anwendung dieses Maßstabs die Grenzen
des Verfahrensermessens des Ausgangsgerichts zu weit gezogen. Spätestens im Zeitpunkt, in dem das beim Ausgangsgericht in
der Berufungsinstanz anhängige, mit der ursprünglichen Aussetzung in Bezug genommene Verfahren (wegen Rentenantragstellung)
als überlang anzusehen war, fehlte auch die sachliche Rechtfertigung für die daraus resultierenden Ruhezeiten des Verfahrens
wegen Alg-Bewilligung, das inzwischen wieder aufgenommenen war (gg). Im Übrigen jedoch ist das LSG zutreffend vom Erfordernis
einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ausgegangen und hat dabei dem Ausgangsgericht im Ergebnis zu Recht eine Vorbereitungs-
und Bearbeitungszeit von einem Jahr pro Instanz zugestanden (hh).
aa) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß §
198 Abs
1 S 2
GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten
der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Haftungsgrund für den gesetzlich begründeten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener
Verfahrensdauer bildet die Verletzung des in Art
19 Abs
4 und Art
20 Abs
3 GG sowie Art 6 Abs 1 EMRK verankerten Rechts der Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit. Der unbestimmte
Rechtsbegriff "unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens" ist daher insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze
auszulegen, die der EGMR zu Art 6 Abs 1 S 1 EMRK und das BVerfG zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art
19 Abs
4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art
2 Abs
1 iVm Art
20 Abs
3 GG) entwickelt haben (vgl Urteil des Senats vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 25). Denn das ÜGG geht maßgeblich auf die Forderung des EGMR zurück, die Mitgliedstaaten des Europarates sollten zur Entlastung des Gerichtshofs ein solches Rechtsinstitut schaffen (vgl
ua EGMR Individualbeschwerde Nr 75529/01 Sürmeli/Deutschland).
Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in §
198 Abs
6 Nr
1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich
des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Monat. Beide gerichtliche Ausgangsverfahren haben eine erhebliche Gesamtdauer
erreicht, bevor sie am 28.6.2011 durch einen gerichtlichen Vergleich beendet wurden. Bis dahin hatte das Verfahren über die
Rentenantragstellung nach den Feststellungen des LSG rund sechs Jahre und sechs Monate (seit dem 10.12.2004), dasjenige über
die Alg-Bewilligung - einschließlich der Zeit seiner förmlichen Aussetzung - rund sieben Jahre und acht Monate gedauert (seit
dem 29.10.2003).
In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von §
198 Abs
1 S 2
GVG genannten Kriterien zu messen, die auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG auszulegen und zu vervollständigen sind (bb bis ff).
Bei der Feststellung der Tatsachen, die zur Ausfüllung der von §
198 Abs
1 S 2
GVG genannten unbestimmten Rechtsbegriffe erforderlich sind, kommt dem Entschädigungsgericht ein erheblicher tatrichterlicher
Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob das Entschädigungsgericht den Bedeutungsgehalt
der unbestimmten Rechtsbegriffe aus §
198 Abs
1 S 2
GVG und damit den rechtlichen Rahmen zutreffend erkannt und ihn ausfüllend alle erforderlichen Tatsachen festgestellt und angemessen
berücksichtigt hat, ohne Denkgesetze bzw allgemeine Erfahrungssätze zu verletzen (vgl BGH Urteil vom 5.12.2013 - III ZR 73/13 - BGHZ 199, 190 RdNr 47 mwN) oder gegen seine Amtsermittlungspflicht zu verstoßen. Maßgeblich ist, wie das Gericht die Lage aus seiner ex-ante-Sicht
einschätzen durfte (BGH Urteil vom 13.2.2014 - III ZR 311/13 - NJW 2014, 1183, Juris RdNr 47; BVerwG Urteil vom 11.7.2013 - 5 C 23/12 D - BVerwGE 147, 146 RdNr 41).
Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt,
ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz
in angemessener Zeit verletzt hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 26; BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - NJW 2014, 1816, Juris RdNr 31). Dabei geht der Senat davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer
jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt,
auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (gg).
bb) Das LSG hat im Ausgangspunkt die Bedeutung der Ausgangsverfahren rechtsfehlerfrei in seine Bewertung der Angemessenheit
eingestellt.
Die von §
198 GVG genannte Bedeutung eines Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen
und ideellen Interessen der Beteiligten. Der EGMR hat deshalb eine besondere Bedeutung von Verfahren ua dann angenommen, wenn es um die finanzielle Versorgung in Renten- oder
Arbeitssachen sowie um andere Verfahren wegen sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche ging (vgl EGMR Urteil vom 8.6.2006 - Individualbeschwerde Nr 75529/01 Sürmeli/Deutschland, RdNr 133, NJW 2006, 2389; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar Art 6, RdNr 262; BVerwGE 147, 146). Zur Bedeutung der Sache iS von §
198 Abs
1 S 2
GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer
raschen Entscheidung bei (Priebe in: Festschrift für Werner von Simson, [1983] S 301 f). Entscheidend ist deshalb auch, ob
und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie
möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (vgl Magnus, ZZP 2012, S 75, 76).
Insofern hat das LSG für das Revisionsgericht nicht angreifbar das Interesse der Klägerin am Ausgang der beiden Verfahren
zusammen bewertet und ist von einer ungefähr durchschnittlichen Bedeutung ausgegangen, da die Klägerin zwar einerseits während
des laufenden Verfahrens bereits Altersrente bezog, andererseits eine Mehrgewährung von ca 250 Euro monatlich für mehrere
Jahre durch den längeren Bezug von Alg und eine - wenn auch nicht allzu hoch - zu erwartende Erhöhung der anschließenden Altersrente
angestrebt hat.
cc) Ebenso wenig sind Rechtsfehler zu erkennen, soweit das LSG einen im Ergebnis wegen der Verknüpfung mit dem Verfahren wegen
Rentenantragstellung noch durchschnittlichen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeitsgrad des Ausgangsverfahrens wegen
Alg-Bewilligung angenommen hat.
dd) Das LSG hat keine dem Verhalten der Klägerin zurechenbare Verlängerung der Ausgangsverfahren feststellen können.
ee) Das Entschädigungsgericht (LSG) hat schließlich im Ausgangspunkt zutreffend die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in
seine Erwägungen einbezogen.
§
198 GVG nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die Prozessakteure das Verhalten der Verfahrensbeteiligten
und Dritter nur beispielhaft. Darüber hinaus hängt eine Verletzung von Art 6 EMRK durch den Staat wesentlich davon ab, ob ihm zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt
haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, vgl §
200 GVG, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens (vgl Bub, Deutsche Richterzeitung 2014, S 94), insbesondere aufgrund
von Untätigkeit des Gerichts (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 13.8.2012 - 1 BvR 1098/11 - Juris). Keinen sachlichen Grund stellt von vornherein eine unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung der Justiz
generell oder speziell des Ausgangsgerichts dar. Beruht die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit
auf einer strukturellen Überlastung der Justiz und drückt sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art
6 EMRK, Art
19 Abs
4 GG aus, wiegt der resultierende Grundrechtsverstoß besonders schwer (vgl BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom 5.8.2013 -
1 BvR 2965/10 - Juris).
ff) Bei seiner Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts ist das Entschädigungsgericht (LSG) im Grundsatz von einem
zutreffenden Überprüfungsmaßstab ausgegangen, hätte allerdings - dazu unter gg) - bei der richtigen Anwendung dieses Maßstabs
die Dauer des Verfahrens wegen Alg-Bewilligung in der Berufungsinstanz nicht allein mit Verweis auf das gleichzeitig anhängige
Verfahren wegen Rentenantragstellung unbeanstandet lassen dürfen.
Das Entschädigungsverfahren eröffnet keine weitere Instanz, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle
zu unterziehen. Daher hat das Entschädigungsgericht die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung
und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die
Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet
und leitet (vgl Roller, Deutsche Richterzeitung 2012, Beilage zum Heft 6, S 1, 4; BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom
17.11.2011 - 1 BvR 3155/09 - Juris RdNr 7; Beschluss vom 16.12.1980 - 2 BvR 419/80 - BVerfGE 55, 349, 369; vgl BVerwG Urteil vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D - Juris RdNr 18 mwN [Gestaltungsspielraum]; BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Juris RdNr 69 ff [erheblicher Gestaltungsspielraum]; vgl BGH Urteil vom 5.12.2013 - III ZR 73/13 - BGHZ 199, 190, Juris RdNr 44 [Ermessen]). Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt
zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art 6 Abs 1 EMRK bzw des Grundrechtes Art
19 Abs
4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung
abgewogen hat. Denn dieses Ziel ist ebenfalls vom Anspruch auf effektiven Rechtsschutz umfasst (vgl BFH Zwischenurteil vom
7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Juris RdNr 70; Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, §
198 GVG RdNr 22).
Wann und wie das Verfahren - insbesondere in der Zusammenschau mit den sonstigen bei Gericht anhängigen Fällen - am besten
zu fördern ist, entscheidet das Ausgangsgericht in der konkreten Situation aus seiner Kenntnis der Akten, der Beteiligten
und des bisherigen Verfahrensablaufs. Beim Denken und Erarbeiten darf es dabei auch eigene Vorstellungen zum Wann miterwägen
(vgl Baumbach/Lauterbach,
ZPO, 72. Aufl 2014, §
198 GVG RdNr 13 unter "Arbeitsgewohnheit"). Allerdings müssen die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des
Verfahrens im Blick behalten. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem Justizgewährleistungsanspruch
resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen
(vgl BVerfG Beschlüsse vom 14.12.2010 - 1 BvR 404/10 - SozR 4-1100 Art 19 Nr 10, Juris RdNr 11 und vom 1.10.2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789, 790 mwN). Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung (vgl Priebe in: Festschrift für Werner von Simson, S 287,
302) verbietet sich ab einem gewissen Zeitpunkt (weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung (vgl Stattgebende
Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214, Juris RdNr 11 und vom 22.8.2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630, Juris RdNr 32). Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens grundrechtlich gesehen noch unbedenklich,
wenn auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt
mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit geraten. Das gilt etwa für die Setzung großzügiger Fristen zur Stellungnahme,
den mehrfachen Austausch von Schriftsätzen ohne richtungweisende Einflussnahme des Gerichts und ohnehin für sog Schiebeverfügungen.
gg) Ausgehend von diesen Grundsätzen tragen die Feststellungen des LSG nicht seinen Schluss, die gesamte Länge des Verfahrens
über die Alg-Bewilligung in der Berufungsinstanz sei sachlich gerechtfertigt gewesen. Vielmehr hat das LSG im konkret entschiedenen
Einzelfall die Grenzen des prozessualen Ermessensspielraums des Ausgangsgerichts zu weit gezogen.
Soweit das Entschädigungsgericht allerdings festgestellt hat, das Klageverfahren wegen Alg-Bewilligung habe bei einer Gesamtlänge
von weniger als einem Jahr überhaupt keine längeren Phasen der Untätigkeit des Gerichts aufgewiesen, bindet dies den Senat
nach §
163 SGG. Denn die Klägerin hat dagegen keine zulässigen Revisionsrügen erhoben. Damit kann ihr Entschädigungsbegehren wegen einer
unangemessenen Dauer dieses Klageverfahrens schon deshalb keinen Erfolg haben.
Hinsichtlich des Berufungsverfahrens ist die Annahme des LSG, die Aussetzung rechtfertige die dadurch entstandene Verlängerung
der Verfahrensdauer, nicht grundsätzlich zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Anspruch auf Rechtsschutz
in angemessener Zeit aus Art
19 Abs
4 GG muss eine Aussetzungsentscheidung die mögliche Verfahrensverlängerung mit den Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie sowie
gegebenenfalls der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen abwägen. Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer
des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen.
Eine Verzögerung des vorgreiflichen Rechtsstreites ist ebenfalls ein Gesichtspunkt, dem bei der Ausübung des Ermessens Rechnung
zu tragen ist. Im Fall einer ermessensfehlerhaften Entscheidung fällt die durch die Aussetzung verursachte Verfahrensverlängerung
in den Verantwortungsbereich des Gerichts (Stattgebender Kammerbeschluss des BVerfG vom 5.8.2013 - 1 BvR 2965/10 - Juris RdNr 20).
Angesichts des aufgezeigten weiten prozessualen Gestaltungsspielraums des Ausgangsgerichts sowie vor allem des Umstands, dass
die Klägerin der Aussetzung ausdrücklich zugestimmt hatte (vgl BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Juris RdNr 83), erscheint diese für sich genommen daher noch nicht als unverhältnismäßig, obgleich es an einer echten Vorgreiflichkeit
im engeren Sinne fehlte.
Das LSG hat allerdings nicht nur die Zeit der Aussetzung des Verfahrens wegen Alg-Bewilligung als solche vom 10.5.2005 bis
zum 5.12.2007 als sachlich gerechtfertigt angesehen. Vielmehr hat es darüber hinaus auch nach Wiederaufnahme dieses Verfahrens
einen sachlichen Grund für das weitere Zuwarten des Ausgangsgerichts darin gesehen, trotz der formalen Aufhebung der Aussetzung
hätten die Gründe für das Abwarten der Entscheidung im gleichzeitig anhängigen Verfahren über die Rentenantragstellung fortbestanden.
Das Gericht habe deshalb offenkundig im Interesse der Klägerin gehandelt. Damit verkennt das LSG, dass die rechtfertigende
Wirkung der Aussetzung des Verfahrens über die Alg-Bewilligung jedenfalls mit ihrer formellen Aufhebung im Jahr 2007 durch
das LSG endete, zudem die Klägerin auf Fortführung beider Verfahren gedrungen hatte. Das Ausgangsgericht konnte sich damit
für seine Untätigkeit nicht mehr auf die Zustimmung der Klägerin berufen. Eine weitere Verlängerung des bereits seit Oktober
2003 anhängigen Verfahrens über die Alg-Bewilligung ließ sich daher spätestens nach der Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses
im Jahr 2007 jedenfalls nicht mehr mit Blick auf das Verfahren wegen Rentenantrags rechtfertigen. Denn zu diesem Zeitpunkt
war jenes Verfahren ebenfalls in die Berufungsinstanz gelangt, nachdem es nach den Feststellungen des LSG bereits in der ersten
Instanz zu Verzögerungen gekommen war. Die bereits eingetretene Verzögerung und die während der Aussetzung verstrichene Zeit
von rund zweieinhalb Jahren bewirkten eine gesteigerte Prozessförderungspflicht des Ausgangsgerichts (vgl stattgebende Kammerbeschlüsse
des BVerfG vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214, Juris RdNr 11 und vom 22.8.2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630, Juris RdNr 32). Das LSG hat keine sachlichen Gründe dafür festgestellt, warum der zuständige Senat des Ausgangsgerichts
nicht schon früher beide Verfahren gemeinsam hätte betreiben und zum Abschluss bringen können, wie er es schließlich erst
im Jahr 2011 getan hat. Von vornherein keinen Rechtfertigungsgrund könnte eine etwaige Überlastung der Richter des Ausgangsgerichts
liefern, falls diese die beiden genannten Berufungsverfahren wegen vieler anderer, ebenfalls und vorrangig zu erledigender
Verfahren nicht vorantreiben konnten. Daraus resultiert kein Schuldvorwurf an die Richter, der im Zusammenhang mit §
198 GVG ohnehin ohne Relevanz wäre. Vielmehr ist das Land verpflichtet, die Gerichte ausreichend mit Personal und Sachmitteln auszustatten.
hh) Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Entschädigungsgericht wird dieses Folgendes berücksichtigen müssen:
Die Bestimmung der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund einer abschließenden
Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf die von §
198 Abs
1 S2
GVG benannten Kriterien erfolgen (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 28; BVerwG Urteil vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D - Juris RdNr 28). Die Feststellung längerer Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten
führt noch nicht zwangsläufig zu einer unangemessenen Verfahrensdauer. Handelt es sich bei den genannten Zeiten bereits um
Verzögerungen im Sinne des
GVG, weil sie in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallen, so können sie in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten
ausgeglichen werden (vgl BGH Urteil vom 13.3.2014, aaO, Juris RdNr 33 mwN; BGH Urteil vom 13.2.2014, aaO, Juris RdNr 28 mwN;
BVerwG, aaO, Juris RdNr 12; EGMR, Individualbeschwerde Nr 36853/05 - Metzele/Deutschland, amtlicher Umdruck S 7).
Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren
und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch
mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige
inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw Richter
zugewiesen sind, ist insoweit schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art
20 Abs
3 GG bzw Art 6 Abs 1 S1 EMRK nicht verlangt (vgl BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie
vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss dabei jedem Gericht eine
ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - NJW 2014, 1816, Juris RdNr 34). Ebenso sind Gerichte - unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes - berechtigt, einzelne (ältere
und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten
Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung
anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer
Verfahren führt.
Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des §
198 Abs
1 S 2
GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer
unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (vgl BT-Drucks 17/3802 S 18; Senatsurteile vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL
- BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1 und B 10 ÜG 2/12 KL - jeweils zu RdNr 25 ff mwN), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher
Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen
zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Dies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener
Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte
vertretbar sind (vgl dazu BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, Juris RdNr 64). Der Senat geht zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren derzeit von folgenden
Grundsätzen aus: Die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne
Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc) so geregelt sein, dass ein Richter
oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf älterer
oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. Die systematische Verfehlung
dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land
mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten.
Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht
durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Diese Zeitspanne muss und wird in der
Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage bzw die Einlegung der Berufung liegen, in der das Gericht
normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorgt und Entscheidungsunterlagen beizieht. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann
vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte
unterteilt sein. Für diese Zwölfmonatsregel spricht ua die Regelung des §
198 Abs
5 S 1
GVG; danach kann eine Klage zur Durchsetzung des Anspruchs aus Abs 1 der Vorschrift frühestens sechs Monate nach Erhebung der
Verzögerungsrüge erhoben werden. Eine gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeit der Gerichte akzeptiert auch der EGMR, dessen Rechtsprechung maßgeblich dem ÜGG zugrunde liegt. Wie die Analyse seiner Urteile zeigt, beanstandet der Gerichtshof
regelmäßig nicht die Dauer solcher Verfahren, die nicht besonders eilbedürftig sind und die je Instanz nicht länger als 2
Jahre und insgesamt nicht länger als 5 Jahre dauern (vgl F. Calvez, Length of court proceedings in the member States of the
Council of Europe based on the case law of the European Court of Human Rights, 2. Aufl 2012, S 66 mwN; vgl Frowein/Peukert,
EMRK-Kommentar, Art 6 RdNr 249 mwN; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl 2011, Art 6 RdNr 199). Nicht jede Periode gerichtlicher Untätigkeit führt nach der Rechtsprechung des EGMR zwingend zu einem Entschädigungsanspruch; vielmehr ist sie in einem gewissen Verfahrensstadium vertretbar, solange die Gesamtverfahrensdauer
nicht als überlang erachtet werden kann (vgl ua EGMR, Individualbeschwerde Nr 32842/96 Nuutinen/Finnland, RdNr 110; Individualbeschwerde Nr 7759/77 Buchholz/Deutschland, RdNr
63).
Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung
(zB Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich
durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht selbst dies die Verfahrensdauer
in der Regel ebenfalls noch nicht unangemessen. Anderes gilt für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am
Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich
inhaltlich betrieben wird, oder sich auf sog Schiebevefügungen beschränkt.
Die genannten Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere
Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien von §
198 Abs
1 S 2
GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen. Damit ändert die Zwölfmonatsregel nichts am Vorrang der Einzelfallbetrachtung,
sondern verschiebt lediglich die sachlichen Anforderungen an die Verfahrensförderung entlang zeitlicher Grenzen.
Nach diesen Vorgaben tragen die Feststellungen des LSG nicht seinen Schluss, das Verfahren über die Alg-Bewilligung habe auch
nach seiner Wiederaufnahme in der Berufungsinstanz mit Blick auf das gleichzeitig anhängige Verfahren keine Verzögerungen
aufgewiesen und deshalb nicht unangemessen lange gedauert.
Bei der noch ausstehenden abschließenden Gesamtabwägung hinsichtlich des Verfahrens wegen Alg-Bewilligung darf das LSG dem
Ausgangsgericht gleichwohl eine ausreichende Vorbereitungs- und Bedenkzeit einräumen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte
begründet und gerechtfertigt werden muss. Das LSG wird allerdings zu erwägen haben, ob insoweit die vom Senat regelmäßig akzeptierte
Zeitspanne von zwölf Monaten noch angemessen ist, oder ob nach den besonderen Umständen dieses Einzelfalls, insbesondere wegen
der bereits verstrichenen Dauer des Verfahrens, des Alters und der besonderen Lebenssituation der älteren Klägerin an der
Schwelle zwischen Arbeitsleben und Rentenbezug und der daraus resultierenden Bedeutung beider Verfahren für sie nicht ausnahmsweise
eine kürzere oder gar keine Vorbereitungs- und Bedenkzeit anzusetzen ist.
Sollte das LSG nach diesen Grundsätzen im wieder eröffneten Klageverfahren zu dem Schluss einer unangemessenen Dauer auch
des Verfahrens wegen Alg-Bewilligung kommen, so wird es zusätzlich die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben, ob
die Klägerin deswegen einen Nachteil iS von §
198 Abs
1 S 1
GVG erlitten hat und dafür eine angemessene Entschädigung verlangen kann. Nachteil iS des Abs 1 sind dabei ua sämtliche immateriellen
Folgen eines überlangen Verfahrens; dazu gehört nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere die seelische Unbill
durch die lange Verfahrensdauer (Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 19). Ein solcher Nachteil, der nicht Vermögensnachteil
ist, wird nach §
198 Abs
2 S 1
GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hier wird das LSG gegebenenfalls prüfen müssen, ob
Umstände vorliegen, die - anders als nach seinen Feststellungen im Fall des überlangen Verfahrens wegen Rentenantragstellung
- geeignet erscheinen, die gesetzliche Vermutung des §
198 Abs
2 S 1
GVG (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, SozR 4-1500 § 202 Nr 1) zu widerlegen.
Weitere Voraussetzung für den von der Klägerin verfolgten Entschädigungsanspruch ist es nach §
198 Abs
2 S 2
GVG, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs
4 dieser Vorschrift nicht ausreichend ist, insbesondere nicht gemäß §
198 Abs
4 S 1
GVG durch Feststellung des Entschädigungsgerichts, die Verfahrensdauer sei unangemessen lang gewesen. Wie der Senat bereits entschieden
hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, SozR 4-1500 § 202 Nr 1 mwN), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens eine derartige
Kompensation eines Nichtvermögensschadens aber nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger
keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat.
Insoweit weist der Senat angesichts des Beklagtenvortrags im Revisionsverfahren vorsorglich auf Folgendes hin: Die Bedeutung
des Verfahrensausgangs für den Entschädigungskläger lässt sich jedenfalls nicht mit Blick auf die fehlenden Erfolgsaussichten
verneinen. Der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit soll ua gerade eine lange Unsicherheit des Entschädigungsklägers
über seine Ansprüche und die damit verbundenen seelischen Folgen (vgl Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 19) vermeiden.
Schließlich wird das Entschädigungsgericht gegebenenfalls zu entscheiden haben, ob der von §
198 Abs
2 S 3
GVG vorgesehene Regelbetrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung eines Verfahrens nach den vom LSG festzustellenden und
zu würdigenden Umständen des Einzelfalls gemäß §
198 Abs
2 S 4
GVG unbillig ist, hier wegen der Existenz zweier inhaltlich eng verknüpfter, überwiegend gleichzeitig ablaufender Gerichtsverfahren.
Einerseits hat das LSG insoweit die Bedeutung des Verfahrens wegen Alg-Bewilligung bereits bei der Bemessung der Entschädigung
für die unangemessene Dauer des Verfahrens wegen Rentenantragstellung berücksichtigt. Andererseits eröffnet S 4 nur für Ausnahmefälle
die Möglichkeit, von der 1200 Euro-Pauschale nach oben oder nach unten abzuweichen (vgl Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S
20; vgl Marx/Roderfeld, aaO, §
198 GVG RdNr 82, der von atypischen Sonderfällen spricht).
3. Der Senat musste die Revision im Übrigen zurückweisen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des Teils, der sich auf das Klageverfahren
wegen der Alg-Bewilligung bezieht (dazu oben II.2. c, gg), sondern auch, soweit sich die Revision auf die Gewährung weiterer
Entschädigung aufgrund der Dauer des Verfahrens wegen Rentenantragstellung richtet. Wegen der Dauer dieses Gerichtsverfahrens
hat die Klägerin keinen Anspruch auf höhere Entschädigung. Vielmehr hat das LSG insoweit die Kriterien des §
198 Abs
1 S 2
GVG jedenfalls sinngemäß zutreffend berücksichtigt und die erforderliche Gesamtabwägung fehlerfrei getroffen.
Es hat insbesondere die Prozessleitung des Ausgangsgerichts rechtsfehlerfrei gewürdigt und Verzögerungen von 23 Monaten für
das erstinstanzliche und 29 Monaten für das Berufungsverfahren festgestellt. Die zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen
über die Zeiten gerichtlicher Untätigkeit ohne sachlichen Grund binden den Senat nach §
163 SGG. Das LSG hat auch keine besonderen Umstände des Einzelfalls aufgezeigt, die insoweit längere oder kürzere Vorbereitungs-
und Bearbeitungszeiten als ein Jahr je Instanz rechtfertigen würden. Indem es auf dieser Grundlage die maximale Verfahrenslaufzeit
je Instanz auf ein Jahr begrenzt und nicht nur Zeiten fehlender, sondern darüber hinaus solche aktiver Verfahrensförderung
eingerechnet hat, hat es zu Gunsten der Klägerin sogar einen noch strengeren als den vom Senat entwickelten Maßstab angelegt.
Dies begünstigt diese jedoch lediglich und verhilft ihrer Revision daher nicht zum Erfolg. Ihre Forderung, unterschiedslos
jede Zeit ohne sichtbaren Verfahrensfortgang als Verzögerung zu entschädigen und deshalb nicht einmal eine vom LSG berücksichtigte
einjährige Bearbeitungs- und Vorbereitungsfrist anzuerkennen, überspannt die aus Art 6 EMRK sowie Art
19 Abs
4 GG abzuleitenden Anforderungen an Rechtsschutz in angemessener Zeit.
Die ausdrückliche Feststellung der zeitlich konkretisierten unangemessenen Dauer der Ausgangsverfahren im Tenor des angefochtenen
Urteils hat allerdings weder eine Grundlage im
SGG noch im
GVG. Denn eine Feststellungsklage nach §
55 SGG und damit auch ein entsprechender Feststellungstenor sind neben der auf Entschädigung gerichteten Leistungsklage nach allgemeinen
Grundsätzen unzulässig. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das streitige Rechtsverhältnis als Teilelement oder Vorfrage eines
ohnehin anhängigen Rechtsstreits geltend gemacht wird (vgl BSG Urteil vom 20.4.2010 - B 1/3 KR 22/08 R - BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, SozR 4-6020 Art 6 Nr 4, SozR 4-1500 §
55 Nr 8, SozR 4-2500 §
18 Nr 6; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
55 RdNr 9 mwN).
Nichts anderes ergibt sich hier entgegen der Ansicht des LSG aus der Sonderregelung des §
198 Abs
4 GVG. Nach dieser Vorschrift ist eine Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, nur
in drei Fällen zulässig, die auf der Grundlage der Feststellungen des LSG allesamt nicht vorliegen: Bei Wiedergutmachung in
anderer Weise als durch Geldzahlungen, in besonders schwerwiegenden Fällen oder bei Fehlen einer oder mehrerer Voraussetzungen
des §
198 Abs
3 GVG. Für die vom LSG offenbar beabsichtigte analoge Rechtsanwendung der Regelung fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke
(vgl dazu allgemein BSG Urteil vom 4.5.1999 - B 4 RA 55/98 R - SozR 3-2600 § 34 Nr 1 unter Hinweis auf BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4 f). Denn den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit eines Feststellungsantrags
für den Normalfall der entschädigungspflichtigen Überlänge nur versehentlich nicht geregelt hätte (vgl Gesetzentwurf BT-Drucks
17/3802 S 22). Er betrachtet vielmehr die Feststellung der Überlänge als eine Art "kleinen Entschädigungsanspruch" und damit
als ein Weniger im Verhältnis zum Anspruch auf Entschädigung in Geld (vgl Marx/Roderfeld, aaO, §
198 GVG RdNr 90). Die von ihm geregelten Möglichkeiten des Feststellungstenors stehen somit in einem abgestuften System. In Konstellationen,
in denen Anspruch auf Entschädigung in Geld trotz festgestellter Überlänge nicht durchgreift, verschafft die Feststellung
"dass die Verfahrensdauer unangemessen war" ein Mindestmaß an Genugtuung und Sanktion für die Verletzung des Anspruchs auf
Rechtsschutz in angemessener Zeit. Für den Normalfall der entschädigungspflichtigen Überlänge erfüllt nach der Einschätzung
des Gesetzgebers die Verurteilung zur Entschädigung diese Zwecke ausreichend. In schwerwiegenden Fällen soll dagegen die Feststellung
der Überlänge dem Entscheidungsträger zusätzliche Genugtuung verschaffen (vgl Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 22). Da sich
alle drei Konstellationen maßgeblich unterscheiden und der Gesetzgeber durch das von ihm gewählte, abgestufte System einen
sachlichen Grund für die Verwendung des Feststellungstenors nur bei leichten und schwerwiegenden Fällen geregelt hat, vermag
die vom LSG gewählte Analogie den Senat nicht zu überzeugen.
Gleichwohl hat das Urteil des LSG hinsichtlich seiner Feststellungsaussprüche in der Revision Bestand, weil diese die Klägerin
lediglich begünstigen und der Beklagte keine Revision eingelegt hat.
4. Die abschließende Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
Das BSG hat den Streitwert auch im Fall der Zurückverweisung festzusetzen (vgl BSG Urteil vom 10.5.2007 - B 10 KR 1/05 R). Die deshalb zu treffende Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 47 Abs 1 und 2, § 52 Abs 1 und 3 GKG. Der Senat geht von einem Streitwert von 6200 Euro aus. Dies entspricht der Entschädigungssumme, welche die Klägerin im Revisionsverfahren
zusätzlich erstreiten wollte.