Gründe:
I
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer ihres vor dem SG Berlin unter dem Aktenzeichen S 102 AS 17926/07 geführten Klageverfahrens.
Am 17.4.2007 beantragte die Klägerin beim später beklagten Jobcenter die Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung für
Arbeitsuchende nach dem SGB II. Das Jobcenter lehnte den Antrag ab, weil die Klägerin mit einem Erwachsenen in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe und
keine aktuellen Einkommensnachweise ihres Mitbewohners vorgelegt habe (Bescheid vom 25.5.2007; Widerspruchsbescheid vom 17.7.2007).
Am 3.8.2007 erhob die Klägerin Klage vor dem SG Berlin. Am 22.10.2007 teilte der Beklagte mit, er habe bereits mit Bescheid
vom 9.8.2007 den angefochtenen Bescheid aufgehoben und dem Begehren der Klägerin damit entsprochen. Deren Bevollmächtigte
erwiderte, die Klägerin erhalte weiterhin keine Leistungen. Vielmehr habe der Beklagte am 28.8.2007 einen erneuten Versagungsbescheid
erlassen, gegen den Widerspruch eingelegt werde. Der Beklagte teilte dem Gericht mit, nach seiner Auffassung sei der Versagungsbescheid
Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Auf die Bitte der Bevollmächtigten der Klägerin von Anfang 2008, die Sache zu terminieren,
wies das Gericht auf eine Vielzahl vorrangiger Verfahren hin und legte die Sache für drei Monate auf Wiedervorlage. Nach einem
weiteren Austausch von Schriftsätzen über das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft verfügte der Kammervorsitzende
die Sache im August 2008 in das so genannte Entscheidungsfach. Mitte August 2009 wurde für den 10.9.2009 ein Erörterungstermin
anberaumt. Dabei wurde der streitbefangene Leistungszeitraum auf die Zeit vom 7.7.2007 bis Ende Februar 2008 eingegrenzt.
Mit Schreiben vom 16.9.2009 forderte das Gericht umfangreiche Belege zur Prüfung der Hilfsbedürftigkeit an, die die Klägerin
auf Nachfragen des Gerichts bis Dezember 2009 ergänzte. Eine dazu vom Gericht angeforderte Stellungnahme des Beklagten erfolgte
trotz mehrerer auch telefonischer Erinnerungen des Gerichts erst im April 2010. Im Juni 2010 sah das Gericht den Rechtsstreit
nach einer erneuten Erwiderung der Klägerin als entscheidungsreif an.
Unter dem 9.9.2010 sowie dem 28.1.2011 bat die Klägerin um eine alsbaldige Entscheidung. Unter dem 20.9.2011 ersuchte der
Kammervorsitzende sie um die Angabe von Anschriften verschiedener als Zeugen in Betracht kommender Personen. Ende Dezember
2011 wurde der Rechtsstreit auf den 26.1.2012 terminiert. Am 4.1.2012 wurde der Termin wegen Verhinderung der Klägerin aufgehoben.
Unter demselben Datum erhob die Klägerin Verzögerungsrüge. Ein weiterer auf den 22.3.2012 anberaumter Termin wurde wegen Verhinderung
der Bevollmächtigten der Klägerin aufgehoben.
Am 25.9.2012 fand ein Erörterungstermin statt. Der neue Kammervorsitzende wies darin darauf hin, der Versagungsbescheid vom
28.8.2007 sei nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Er sei jedoch rechtswidrig und aufzuheben, weshalb das Jobcenter den
Antrag der Klägerin vom 17.4.2007 auf Gewährung von Leistungen noch zu bescheiden haben dürfe. Der Beklagte sagte eine möglichst
rasche Bescheidung zu und die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt.
Am 4.12.2012 hat die Klägerin Entschädigungsklage erhoben und geltend gemacht, das SG hätte noch im Jahr 2007 über die Klage entscheiden müssen, da sie mittellos und auf staatliche Unterstützung angewiesen gewesen
sei. Die erforderlichen Angaben habe sie alle gemacht, das SG habe lediglich über eine Rechtsfrage entscheiden müssen. Der zeitnahen Entscheidung sei erhebliche Bedeutung zugekommen.
Sie sei gezwungen gewesen, sich existenzielle Mittel auf andere Art zu besorgen. Die lange Verfahrensdauer habe nicht nur
sie, sondern auch ihre Familie belastet, von der sie sich Geld geborgt habe. Nicht zuletzt habe der jahrelange Rechtsstreit
auch ihr Untermietverhältnis als Einnahmequelle gefährdet.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 2.8.2013 hat das LSG festgestellt, dass die Dauer des Klageverfahrens unangemessen gewesen
sei und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zwar sei das Verfahren mit fünf Jahren und einem Monat unangemessen lang gewesen.
Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richte sich nicht nach starren Fristen, sondern gemäß §
198 Abs
1 S 2
GVG nach den Umständen des Einzelfalls, die in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen seien. Diese Umstände könnten die
objektiv lange Dauer des streitgegenständlichen Verfahrens nicht in vollem Umfang erklären. Das Ausgangsverfahren sei wegen
der vom Gericht zu treffenden Tatsachenfeststellungen und der ungewöhnlichen Bescheidlage von durchschnittlicher Schwierigkeit
gewesen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Sache sei für die Klägerin aufgrund des zuletzt begrenzten Zeitraums nur beschränkt
gewesen. Sie müsse sich zudem entgegenhalten lassen, nicht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht zu haben.
Mit Blick auf den Verfahrenslauf sei festzustellen, dass das Gericht zwischen August 2008 und August 2009 untätig geblieben
sei und es zwischen Mitte Juni 2010 und Mitte September 2011 zu einer weiteren 15-monatigen Verzögerung gekommen sei. Jedenfalls
im Hinblick auf diese zweite Verzögerung sei das Verfahren als unangemessen lang anzusehen, weil es in diesem Zeitpunkt wegen
der bereits abgelaufenen drei Jahre einer beschleunigten Bearbeitung bedurft hätte.
Einen Anspruch auf Entschädigung habe die Klägerin gleichwohl nicht, weil in Verfahren, die bei Inkrafttreten des Gesetzes
über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) bereits verzögert gewesen
seien, die Rüge unverzüglich und damit innerhalb eines Monats hätte erhoben werden müssen. Dies habe die Klägerin versäumt.
Danach sei es nicht mehr zu Verzögerungen gekommen, die dem Beklagten anzulasten seien.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision begehrt die Klägerin eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer angemessenen
Entschädigung für den Zeitraum ab 2008. Das Verfahren hätte bereits im Jahr 2007 entschieden werden können und müssen. Das
SG habe seine Verfahrensführung darauf ausgerichtet, die angebliche nichteheliche Lebensgemeinschaft der Klägerin doch noch
festzustellen und dabei verkannt, dass bereits am 9.8.2007 ein Aufhebungsbescheid ergangen sei. Damit sei dem Verfahren der
Boden entzogen worden. Das SG habe fünf Jahre gebraucht, um den Beteiligten mitzuteilen, dass der Versagungsbescheid vom 28.8.2007 nicht Verfahrensgegenstand
geworden und rechtswidrig gewesen sei. Über den Leistungsantrag der Klägerin vom 17.4.2007 sei letztlich erst mit Bescheid
vom 27.6.2013 in einem weiteren Klageverfahren entschieden worden. Das erstinstanzliche Gericht sei nicht nur lange untätig
gewesen, sondern habe mit seinen Verfügungen die Klägerin weiter belastet. Diese Verzögerungsrüge sei entgegen der Ansicht
des SG unverzüglich erhoben worden, nämlich 14 Tage nach der Wiedervorlage der Handakte bei der Prozessbevollmächtigten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 2.8.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, wegen der unangemessenen Dauer
ihres unter dem Aktenzeichen S 102 AS 17926/07 vor dem Sozialgericht Berlin geführten Verfahrens eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens 1200 Euro für jedes
Jahr der Verzögerung ab 2008 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Verzögerungsrüge sei nicht unverzüglich erhoben worden. Im Übrigen hätte es der Klägerin freigestanden, die Klage zurückzunehmen,
wenn sie der Auffassung gewesen sei, dass der ursprünglichen Klage bereits mit Aufhebung des angefochtenen Bescheids im Jahr
2007 der Boden entzogen gewesen sei. Zu der Rechtsauffassung des ursprünglichen Kammervorsitzenden, der Aufhebungsbescheid
sei nach §
96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, habe sie sich zu keiner Zeit ablehnend geäußert.
II
Die vom LSG zugelassene und von der Klägerin zulässig erhobene Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.
1. Die Entschädigungsklage ist zulässig.
a) Der Senat hat das Begehren der Klägerin sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an §§
198 ff
GVG zu messen, weil das ÜGG in ihrem Fall anwendbar war. Art 23 S 1 1. Alternative ÜGG eröffnet Entschädigungsansprüche auch für solche Verfahren, die wie das Ausgangsverfahren vor dem
SG bei Inkrafttreten des ÜGG bereits anhängig waren.
b) Das LSG war für die Entscheidung funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten
(vgl §
51 SGG) ist gemäß §
201 Abs
1 S 1
GVG iVm §
202 S 2
SGG für Klagen auf Entschädigung nach §
198 GVG gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige Landessozialgericht zuständig.
c) Die Klagefrist des §
198 Abs
5 S 2
GVG hat die Klägerin eingehalten, weil sie ihre Klage weniger als sechs Monate nach der Rechtskraft des Ausgangsverfahrens erhoben
hat.
2. Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die Klägerin hat den richtigen
Beklagten verklagt (dazu a) und entgegen der Ansicht des LSG die Verzögerungsrüge rechtzeitig erhoben (dazu b). Die Ausführungen
des LSG zur Angemessenheit der Verfahrensdauer halten revisionsgerichtlicher Überprüfung nur zum Teil Stand (dazu c).
a) Das beklagte Land Berlin ist für die Entschädigungsklagen nach §
200 S 1
GVG passiv legitimiert, weil es danach für Nachteile haftet, die aufgrund von Verzögerungen bei seinen Gerichten entstehen; solche
Nachteile macht die Klägerin aufgrund ihres bei dem SG Berlin geführten Verfahrens geltend.
b) Die Verzögerungsrüge wurde rechtzeitig erhoben. Anders als vom LSG angenommen steht dem Anspruch der Klägerin nicht Art
23 ÜGG iVm §
198 Abs 3
GVG entgegen.
Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß §
198 Abs
3 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge, zur Eigenschaft
als materiell-rechtliche Voraussetzung BSG Beschluss vom 27.6.2013 - B 10 ÜG 9/13 B - SozR 4-1710 Art 23 Nr 1 RdNr 27; BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, Juris RdNr 24; BGH Urteil vom 17.7.2014 - III ZR 228/13 - Juris RdNr 14 mwN). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren
nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten
möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist (§
198 Abs
3 S 1 und 2
GVG). Für anhängige Verfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ÜGG am 3.12.2011 schon verzögert waren, gilt dies mit
der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss (Art 23 S 2 ÜGG).
Der erkennende Senat hat zur Frage der Unverzüglichkeit einer Verzögerungsrüge bislang nur darauf hingewiesen, "unverzüglich"
bedeute nach der im bürgerlichen Recht geltenden Legaldefinition des §
121 Abs
1 S 1
BGB "ohne schuldhaftes Zögern". Die Gesetzesbegründung zum ÜGG lege es nahe, diese allgemeine Bestimmung auch im vorliegenden
Zusammenhang heranzuziehen (vgl BT-Drucks 17/3802 S 31). Damit gehöre zum Begriff der Unverzüglichkeit ein nach den Umständen
des Falles beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung
Rechnung trage. Demnach sei "unverzüglich" nicht gleichbedeutend mit "sofort". Vielmehr sei dem Verfahrensbeteiligten eine
angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren müsse (BSG Beschluss vom 27.6.2013 - B 10 ÜG 9/13 B - SozR 4-1710 Art 23 Nr 1 RdNr 29). Der Senat konkretisiert diesen Ansatz auch für
den Fall anwaltlicher Vertretung im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 10.4.2014 - III ZR 335/13 - NJW 2014, 1967, Juris RdNr 25; Urteil vom 17.7.2014 - III ZR 228/13 - Juris RdNr 22) und des BFH (Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, Juris RdNr 39 ff) nunmehr dahin, dass eine Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" erhoben ist, wenn sie spätestens drei Monate
nach Inkrafttreten des ÜGG beim Ausgangsgericht einging. Hierbei ist insbesondere der Zweck des Gesetzes ausschlaggebend,
durch die Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu
schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des
Grundgesetzes (Art
19 Abs
4, Art
20 Abs
3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art 6 Abs 1, Art 13 EMRK) nach effektivem Rechtsschutz gerecht wird (BGH Urteil vom 10.4.2014 - III ZR 335/13 - NJW 2014, 1967 mwN, Juris RdNr 25). Da die neue Entschädigungsregelung am 3.12.2011 in Kraft getreten ist, lag die im Januar 2012 erhobene
Verzögerungsrüge noch innerhalb der der Klägerin eingeräumten Zeitspanne.
c) Die Ausführungen des LSG zur unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens halten revisionsrichterlicher Überprüfung nur
teilweise Stand.
aa) Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in §
198 Abs
6 Nr
1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich
des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Monat.
Das Ausgangsverfahren hat eine erhebliche Gesamtdauer erreicht, bevor es am 25.9.2012 in einem Erörterungstermin unstreitig
beendet wurde. Bis dahin lief das Verfahren nach den Feststellungen des LSG seit August 2007 und hatte damit etwas mehr als
5 Jahre gedauert.
In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von §
198 Abs
1 S 2
GVG genannten Kriterien zu messen, die auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG auszulegen und zu vervollständigen sind (bb bis ff).
Bei der Feststellung der Tatsachen, die zur Ausfüllung der von §
198 Abs
1 S 2
GVG genannten unbestimmten Rechtsbegriffe erforderlich sind, kommt dem Entschädigungsgericht ein erheblicher tatrichterlicher
Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob das Entschädigungsgericht den Bedeutungsgehalt
der unbestimmten Rechtsbegriffe aus §
198 Abs
1 S 2
GVG und damit den rechtlichen Rahmen zutreffend erkannt und ihn ausfüllend alle erforderlichen Tatsachen festgestellt und angemessen
berücksichtigt hat, ohne Denkgesetze bzw allgemeine Erfahrungssätze zu verletzen (vgl BGH Urteil vom 5.12.2013 - III ZR 73/13 - BGHZ 199, 190 RdNr 47 mwN) oder gegen seine Amtsermittlungspflicht zu verstoßen. Maßgeblich ist, wie das Gericht die Lage aus seiner ex
ante Sicht einschätzen durfte (BGH Urteil vom 13.2.2014 - III ZR 311/13 - NJW 2014, 1183, Juris RdNr 47; BVerwG Urteil vom 11.7.2013 - 5 C 23/12 D - BVerwGE 147, 146 RdNr 41).
Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt,
ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz
in angemessener Zeit verletzt hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 26; BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - NJW 2014, 1816, Juris RdNr 31). Dabei geht der Senat davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer
jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt,
auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (gg).
bb) Die Ausführungen des LSG zur Bedeutung des Ausgangsverfahrens werden den gesetzlichen Vorgaben nicht vollständig gerecht.
Die von §
198 GVG genannte Bedeutung eines Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen
und ideellen Interessen der Beteiligten. Der EGMR hat deshalb eine besondere Bedeutung von Verfahren ua dann angenommen, wenn es um die finanzielle Versorgung in Renten- oder
Arbeitssachen sowie um andere Verfahren wegen sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche ging (vgl EGMR Urteil vom 8.6.2006 - Individualbeschwerde Nr 75529/01 Sürmeli/Deutschland, RdNr 133, NJW 2006, 2389; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl 2009, Art 6, RdNr 262; BVerwGE 147, 146). Zur Bedeutung der Sache iS von §
198 Abs
1 S 2
GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer
raschen Entscheidung bei (Priebe in: Festschrift für Werner von Simson [1983] S 301 f). Entscheidend ist deshalb auch, ob
und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie
möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (vgl Magnus, ZZP 2012, S 75, 76).
Diesbezüglich tragen die Feststellungen des LSG nicht seinen Schluss, das Ausgangsverfahren und dessen zügige Erledigung seien
für die Klägerin nur von beschränkter Bedeutung gewesen. Mit ihrer Klage vor dem SG hatte die Klägerin einen Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II geltend gemacht. Allein dieser Umstand spricht schon gegen eine untergeordnete Bedeutung. Denn nach der Rechtsprechung des
BVerfG bezweckt die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, ein menschenwürdiges Existenzminimum und damit letztlich das Grundrecht aus Art
1 Abs
1 GG zu gewährleisten (vgl BVerfGE 125, 175, 222 ff). Eine solche im Ausgangsverfahren geltend gemachte, besonders schützenswerte Grundrechtsposition schließt es regelmäßig
aus, den Rechtsstreit als weniger bedeutsam anzusehen. Dies gilt im Fall der Klägerin jedenfalls deshalb, weil ein Zeitraum
von immerhin acht Monaten im Streit stand und das LSG keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob während dieser Zeit das
Recht der Klägerin auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ohne weiteres auf andere Weise gesichert war.
Entgegen der Ansicht des LSG war das Ausgangsverfahren auch nicht deshalb als weniger bedeutsam und dringlich anzusehen, weil
die Klägerin sich beim SG nicht um einstweiligen Rechtsschutz bemüht hat. Zwar hat es der EGMR in seiner Rechtsprechung zu Art 6 Abs 1 EMRK grundsätzlich für denkbar gehalten, jedenfalls die tatsächliche Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes bei der Bemessung
der zulässigen Verfahrensdauer zu berücksichtigen (vgl EGMR, Individualbeschwerde Nr 6232/73, König/Deutschland, Urteil vom 28.6.1978 - EGMR-E 1, 278 RdNr 111). Über die Rechtsfolgen eines Verzichts auf einstweiligen Rechtsschutz sagt dies indes noch nichts aus.
Er kann viele Gründe haben, darunter ein aus Erfahrung geringes Vertrauen in einen zügigen Gang der Justiz; ein solcher Verzicht
erlaubt jedenfalls nicht zwingend den Schluss, das Begehren des Klägers sei weniger dringend. Ohnehin hatten die Beteiligten
den Streitgegenstand des Verfahrens bereits im Erörterungstermin im September 2009 auf einen in der Vergangenheit liegenden
Zeitraum begrenzt. Ihr Rechtsschutzbegehren mit einem Eilantrag zu verfolgen, versprach für die Klägerin daher spätestens
in diesem Zeitpunkt mangels Rechtsschutzbedürfnis keinen Erfolg mehr (vgl LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 27.5.2013
- L 19 AS 638/13 B ER - Juris). Die vom LSG in den Raum gestellte Gefahr eines "Dulde und liquidiere" bestand in dem von der Klägerin geführten
Ausgangsverfahren schon deshalb nicht, weil es sich zum überwiegenden Teil vor Inkrafttreten des ÜGG abgespielt hat und in
diesem Zeitraum eine Aussicht auf Entschädigung noch nicht konkret absehbar war. Seit Inkrafttreten des Gesetzes beugt der
vom LSG bezeichneten Gefahr ohnehin das Erfordernis der Verzögerungsrüge nach §
198 Abs
3 S 1
GVG vor.
cc) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist dagegen die Annahme des LSG, wegen der ungewöhnlichen Bescheidlage und der
vom Ausgangsgericht für erforderlich gehaltenen Ermittlungen zum Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft habe es
sich - unter Zugrundelegung der anfänglichen Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts (dazu unter ff) - um ein Verfahren von
durchschnittlicher Schwierigkeit gehandelt.
dd) Ein Verhalten der Klägerin, mit dem sie das Verfahren insgesamt wesentlich verzögert hätte, hat das LSG - für den Senat
ebenfalls bindend - nicht festgestellt. Soweit einzelne Termine wegen einer Verhinderung der Klägerin oder ihrer Prozessbevollmächtigten
aufgehoben werden mussten, hat das LSG die dadurch verursachte Verlängerung des Verfahrens zutreffend nicht dem beklagten
Land zugerechnet.
ee) Das Entschädigungsgericht (LSG) hat schließlich im Ausgangspunkt zutreffend die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in
seine Erwägungen einbezogen.
§
198 GVG nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die Prozessakteure das Verhalten der Verfahrensbeteiligten
und Dritter nur beispielhaft. Darüber hinaus hängt eine Verletzung von Art 6 EMRK durch den Staat wesentlich davon ab, ob ihm zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt
haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, vgl §
200 GVG, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens (vgl Bub, Deutsche Richterzeitung 2014, S 94), insbesondere aufgrund
von Untätigkeit des Gerichts (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 13.8.2012 - 1 BvR 1098/11 - Juris). Keinen sachlichen Grund stellt von vornherein eine unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung der Justiz
generell oder speziell des Ausgangsgerichts dar. Beruht die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit
auf einer strukturellen Überlastung der Justiz und drückt sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art
6 EMRK, Art
19 Abs
4 GG aus, wiegt der resultierende Grundrechtsverstoß besonders schwer (vgl BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom 5.8.2013 -
1 BvR 2965/10 - Juris).
ff) Bei seiner Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts ist das Entschädigungsgericht (LSG) im Grundsatz von einem
zutreffenden Überprüfungsmaßstab ausgegangen und hat insbesondere zu Recht die materielle Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts
zugrunde gelegt.
Das Entschädigungsverfahren eröffnet keine weitere Instanz, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle
zu unterziehen. Daher hat das Entschädigungsgericht die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung
und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die
Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet
und leitet (vgl Roller, Deutsche Richterzeitung 2012, Beilage zum Heft 6, S 1, 4; BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom
17.11.2011 - 1 BvR 3155/09 - Juris RdNr 7; Beschluss vom 16.12.1980 - 2 BvR 419/80 - BVerfGE 55, 349, 369; vgl BVerwG Urteil vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D - Juris RdNr 18 mwN [Gestaltungsspielraum]; BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Juris RdNr 69 ff [erheblicher Gestaltungsspielraum]; vgl BGH Urteil vom 5.12.2013 - III ZR 73/13 - BGHZ 199, 190, Juris RdNr 44 [Ermessen]). Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt
zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art 6 Abs 1 EMRK bzw des Grundrechtes Art
19 Abs
4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung
abgewogen hat. Denn dieses Ziel ist ebenfalls vom Anspruch auf effektiven Rechtsschutz umfasst (vgl BFH Zwischenurteil vom
7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Juris RdNr 70; Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, §
198 GVG RdNr 22).
Wann und wie das Verfahren - insbesondere in der Zusammenschau mit den sonstigen bei Gericht anhängigen Fällen - am besten
zu fördern ist, entscheidet das Ausgangsgericht in der konkreten Situation aus seiner Kenntnis der Akten, der Beteiligten
und des bisherigen Verfahrensablaufs. Beim Denken und Erarbeiten darf es dabei auch eigene Vorstellungen zum "Wann" miterwägen
(vgl Baumbach/Lauterbach,
ZPO, 72. Aufl 2014, §
198 GVG RdNr 13 unter "Arbeitsgewohnheit"). Allerdings müssen die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des
Verfahrens im Blick behalten. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem Justizgewährleistungsanspruch
resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen
(vgl BVerfG Beschlüsse vom 14.12.2010 - 1 BvR 404/10 - SozR 4-1100 Art 19 Nr 10, Juris RdNr 11 und vom 1.10.2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789, 790 mwN). Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung (vgl Priebe in: Festschrift für Werner von Simson, S 287,
302) verbietet sich ab einem gewissen Zeitpunkt (weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung (vgl Stattgebende
Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214, Juris RdNr 11 und vom 22.8.2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630, Juris RdNr 32). Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens grundrechtlich gesehen noch unbedenklich,
wenn auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt
mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit geraten. Das gilt etwa für die Setzung großzügiger Fristen zur Stellungnahme,
den mehrfachen Austausch von Schriftsätzen ohne richtungweisende Einflussnahme des Gerichts und ohnehin für sog Schiebeverfügungen.
gg) Das LSG hat insoweit eine einjährige Untätigkeit des Ausgangsgerichts zwischen August 2008 und August 2009 sowie eine
weitere 15-monatige Verzögerung zwischen Mitte Juni 2010 und Mitte September 2011 festgestellt. Sachliche Gründe für diese
Untätigkeit hat das LSG nicht benannt. Da dagegen keine zulässigen Revisionsrügen erhoben sind, binden diese Feststellungen
des LSG den Senat nach §
163 SGG.
Soweit das LSG dagegen eine viermonatige Verlängerung des Verfahrens wegen einer zunächst ausbleibenden Stellungnahme des
im Ausgangsverfahren beklagten Jobcenters allein deshalb nicht als Zeitraum der Verzögerung dem beklagten Land zugerechnet
hat, weil das Ausgangsgericht alles Mögliche getan habe, um das Verfahren zu beschleunigen, tragen seine Feststellungen diesen
Schluss nicht. Angesichts der bereits verstrichenen Zeit von mehr als zwei Jahren und der damit verbundenen besonderen Prozessförderungspflicht
des Ausgangsgerichts (vgl Stattgebende Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214, Juris RdNr 11 und vom 22.8.2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630, Juris RdNr 32; EGMR, Individualbeschwerde Nr 11118/84, Bock/Deutschland, Urteil vom 29.3.1989 - EGMR-E 4, 249 RdNr 46) durfte das LSG form- und folgenlose schriftliche sowie telefonische Erinnerungen des Ausgangsgerichts an
das beklagte Jobcenter nicht mehr ohne weiteres als ausreichend ansehen. Die Verantwortung des Ausgangsgerichts und damit
des beklagten Landes für die genannte Verlängerung des Verfahrens lässt sich vielmehr nur dann verneinen, wenn das Ausgangsgericht
alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Prozessordnung ausgeschöpft hat, um das beklagte Jobcenter zur zügigen Stellungnahme
anzuhalten. Dazu kann es gehören, unverzüglich einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts oder zur mündlichen Verhandlung
anzuberaumen und dazu nach §
111 Abs
3 SGG der beklagten Behörde die Entsendung eines ausreichend informierten Vertreters aufzugeben. Je nach Lage der Dinge hätte das
Ausgangsgericht zudem eine Fristsetzung nach §
106a Abs
2 SGG in Erwägung ziehen können. Ob das SG im Ausgangsverfahren alle von der Prozessordnung eröffneten Beschleunigungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, wird das LSG daher
im wieder eröffneten Klageverfahren über die Entschädigung noch festzustellen haben. Von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent
hat das LSG darüber hinaus davon abgesehen festzulegen, wie viele Monate das Ausgangsverfahren insgesamt zu lange gedauert
hat. Auch dies wird es im wieder eröffneten Klageverfahren nachzuholen haben.
hh) Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Entschädigungsgericht wird dieses dabei schließlich noch Folgendes
berücksichtigen müssen: Die Bestimmung der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund
einer abschließenden Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf
die von §
198 Abs
1 S 2
GVG benannten Kriterien erfolgen (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 28; BVerwG Urteil vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D - Juris RdNr 28). Die Feststellung längerer Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten
führt noch nicht zwangsläufig zu einer unangemessenen Verfahrensdauer. Handelt es sich bei den genannten Zeiten bereits um
Verzögerungen im Sinne des
GVG, weil sie in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallen, so können sie in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten
ausgeglichen werden (vgl BGH Urteil vom 13.3.2014, aaO, Juris RdNr 33 mwN; BGH Urteil vom 13.2.2014, aaO, Juris RdNr 28 mwN;
BVerwG, aaO, Juris RdNr 12; EGMR, Individualbeschwerde Nr 36853/05 - Metzele/Deutschland, amtlicher Umdruck S 7).
Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des §
198 Abs
1 S 2
GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer
unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (vgl BT-Drucks 17/3802 S 18; Senatsurteile vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL
- BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1 und B 10 ÜG 2/12 KL - jeweils zu RdNr 25 ff mwN), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher
Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen
zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Dies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener
Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte
vertretbar sind (vgl dazu BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, Juris RdNr 64). Der Senat geht zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren derzeit von folgenden
Grundsätzen aus: Die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne
Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc) so geregelt sein, dass ein Richter
oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf älterer
oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. Die systematische Verfehlung
dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land
mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten.
Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht
durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Diese Zeitspanne muss und wird in der
Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage bzw die Einlegung der Berufung liegen, in der das Gericht
normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorgt und Entscheidungsunterlagen beizieht. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann
vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte
unterteilt sein. Für diese Zwölfmonatsregel spricht ua die Regelung des §
198 Abs
5 S 1
GVG; danach kann eine Klage zur Durchsetzung des Anspruchs aus Abs 1 der Vorschrift frühestens sechs Monate nach Erhebung der
Verzögerungsrüge erhoben werden. Eine gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeit der Gerichte akzeptiert auch der EGMR, dessen Rechtsprechung maßgeblich dem ÜGG zugrunde liegt. Wie die Analyse seiner Urteile zeigt, beanstandet der Gerichtshof
regelmäßig nicht die Dauer solcher Verfahren, die nicht besonders eilbedürftig sind und die je Instanz nicht länger als 2
Jahre und insgesamt nicht länger als 5 Jahre dauern (vgl F. Calvez, Length of court proceedings in the member States of the
Council of Europe based on the case law of the European Court of Human Rights, 2. Aufl 2012, S 66 mwN; vgl Frowein/Peukert,
EMRK-Kommentar, 3. Aufl 2009, Art 6 RdNr 249 mwN; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl 2011, Art 6 RdNr 199). Nicht jede Periode gerichtlicher Untätigkeit führt nach der Rechtsprechung des EGMR zwingend zu einem Entschädigungsanspruch; vielmehr ist sie in einem gewissen Verfahrensstadium vertretbar, solange die Gesamtverfahrensdauer
nicht als überlang erachtet werden kann (vgl ua EGMR, Individualbeschwerde Nr 32842/96 Nuutinen/Finnland, RdNr 110; Individualbeschwerde Nr 7759/77 Buchholz/Deutschland, RdNr
63).
Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung
(zB Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich
durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht selbst dies die Verfahrensdauer
in der Regel ebenfalls noch nicht unangemessen. Anderes gilt für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am
Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich
inhaltlich betrieben wird, oder sich auf sog Schiebeverfügungen beschränkt.
Die genannten Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere
Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien von §
198 Abs
1 S 2
GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen. Damit ändert die Zwölfmonatsregel nichts am Vorrang der Einzelfallbetrachtung,
sondern verschiebt lediglich die sachlichen Anforderungen an die Verfahrensförderung entlang zeitlicher Grenzen.
Bei der noch ausstehenden genauen Feststellung der Zeiträume der Überlänge des Ausgangsverfahrens darf das LSG dem Ausgangsgericht
daher grundsätzlich eine ausreichende Vorbereitungs- und Bedenkzeit einräumen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte
begründet und gerechtfertigt werden muss. Das LSG wird allerdings zu erwägen haben, ob insoweit die vom Senat regelmäßig akzeptierte
Zeitspanne von zwölf Monaten noch angemessen ist, oder ob nach den besonderen Umständen dieses Einzelfalls, insbesondere wegen
des in Streit stehenden Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen, nicht ausnahmsweise eine kürzere Vorbereitungs- und Bedenkzeit
anzusetzen ist.
Sollte sich aufgrund der nachgeholten Feststellungen des LSG weiterhin eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens ergeben,
so wird es darüber hinaus festzustellen haben, ob die Klägerin deswegen einen Nachteil iS von §
198 Abs
1 S 1
GVG erlitten hat und dafür eine angemessene Entschädigung verlangen kann. Nachteil iS des Abs 1 sind dabei ua sämtliche immateriellen
Folgen eines überlangen Verfahrens; dazu gehört nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere die seelische Unbill
durch die lange Verfahrensdauer (Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 19). Ein solcher Nachteil, der nicht Vermögensnachteil
ist, wird nach §
198 Abs
2 S 1
GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hier wird das LSG gegebenenfalls prüfen müssen, ob
Umstände vorliegen, die geeignet erscheinen, die gesetzliche Vermutung des §
198 Abs
2 S 1
GVG (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, SozR 4-1500 § 202 Nr 1) zu widerlegen.
Weitere Voraussetzung für den von der Klägerin verfolgten Entschädigungsanspruch ist es nach §
198 Abs
2 S 2
GVG, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs
4 dieser Vorschrift nicht ausreichend ist, insbesondere nicht gemäß §
198 Abs
4 S 1
GVG durch Feststellung des Entschädigungsgerichts, die Verfahrensdauer sei unangemessen lang gewesen. Wie der Senat bereits entschieden
hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, SozR 4-1500 § 202 Nr 1 mwN), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens eine derartige
Kompensation eines Nichtvermögensschadens aber nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger
keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat.
Die bisherigen Feststellungen des LSG bieten dafür aus Sicht des Senats keine Anhaltspunkte.
Ebenso wird das Entschädigungsgericht gegebenenfalls zu entscheiden haben, ob der von §
198 Abs
2 S 3
GVG vorgesehene Regelbetrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung eines Verfahrens aufgrund der vom LSG festzustellenden
und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls gemäß §
198 Abs
2 S 4
GVG ausnahmsweise unbillig ist, weil ein atypischer Sonderfall vorliegt (vgl Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 20; vgl Marx/Roderfeld,
aaO, §
198 GVG RdNr 82).
Für den Fall einer Entschädigung in Geld wird das Entschädigungsgericht schließlich in entsprechender Anwendung der §§
288 Abs
1,
291 S 1
BGB über die beantragten Prozesszinsen (5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz) ab Rechtshängigkeit (Klageerhebung, vgl §
94 SGG) zu entscheiden haben. Auch wenn es sich der Art nach um einen pauschalierten Verzugsschadensersatz handelt und deshalb ein
konkreter Zusammenhang mit dem begehrten immateriellen Schadensersatz fraglich sein könnte (vgl Thüringer LSG Urteil vom 26.11.2013
- L 3 SF 913/12 EK - Juris RdNr 79, Revision anhängig unter B 10 ÜG 4/14 R), ändert dies nichts an der Anwendbarkeit der genannten Vorschriften
im Rahmen von Entschädigungsklagen in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, weil Spezialregelungen, die den allgemeinen
Anspruch auf Prozesszinsen verdrängen könnten, nicht bestehen (vgl BFH Urteil vom 19.3.2014 - X K 8/13 - BFHE 244, 521, Juris RdNr 40). Entschädigungsansprüche nach §
198 GVG stehen außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche, für die Prozesszinsen nach Maßgabe des §
44 SGB I grundsätzlich nicht beansprucht werden können (hierzu BSGE 99, 102 = SozR 4-2500 §
19 Nr
4, RdNr
27 ff). §
201 Abs
2 S 1
GVG iVm §
202 SGG verweisen zwar auf das
SGG, nicht hingegen auf das SGB. Die Annäherung des sozialgerichtlichen Kostenrechts an dasjenige der
VwGO hat die Rechtsprechung des BSG bereits in der Vergangenheit veranlasst, auch hinsichtlich der Prozesszinsen in besonderen Teilbereichen auf die Rechtsprechung
des BVerwG Bezug zu nehmen (für den Bereich des Vertragsarztrechts ausdrücklich BSGE 95, 141 RdNr 30 ff = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 38 ff). Für den Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer ist insoweit entsprechend
zu verfahren (vgl zu den Prozesszinsen BVerwG Urteil vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D - DVBl 2014, 861, Juris RdNr 46).
3. Die abschließende Kostenentscheidung bleibt ebenfalls dem LSG vorbehalten.
4. Den Streitwert für das Revisionsverfahren hat das BSG dagegen auch im Fall der Zurückverweisung festzusetzen (vgl BSG Urteil vom 10.5.2007 - B 10 KR 1/05 R - BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 §
111 Nr
4). Die deshalb zu treffende Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 47 Abs 1 und 2, § 52 Abs 1 und 2 GKG. Der Senat geht von 5000 Euro aus, weil der Sach- und Streitstand für eine genauere Bestimmung des Streitwerts keine genügenden
Anhaltspunkte bietet.