Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Klärungsbedarf für eine Rechtsfrage bei Vorliegen höchstrichterlicher Rechtsprechung
Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichtes
Gründe:
I
Im Streit steht die Rechtmäßigkeit von zwei Überleitungsanzeigen des Beklagten.
Die Klägerin ist die Schwester der Beigeladenen, welche vom Beklagten Leistungen der stationären Eingliederungshilfe erhält.
Der Beklagte leitete nach § 93 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) den Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch der Beigeladenen aus dem Nachlass der verstorbenen Mutter (Bescheid
vom 19.3.2013; Widerspruchsbescheid vom 16.3.2015) sowie Ansprüche der Beigeladenen gegen die Klägerin auf den Zusatzpflichtteil
und den Pflichtteilsergänzungsanspruch aus dem Nachlass des Vaters auf sich über (weiterer Bescheid vom 19.3.2013; weiterer
Widerspruchsbescheid vom 16.3.2015). Klage und Berufung haben keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts [SG] Gelsenkirchen
vom 16.2.2017; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Nordrhein-Westfalen vom 20.8.2018).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde und macht die grundsätzliche
Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) der Sache geltend, wozu sie vier Fragen formuliert:
- Steht der Umstand, dass der Beklagte die Überleitungsanzeigen bislang ausschließlich gegenüber der Klägerin, nicht hingegen
gegenüber der Beigeladenen bekannt gegeben hat, der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide entgegen?
- Ist die Anhörung der Beigeladenen vor Erlass der angeforderten Überleitungsanzeigen zwingende Rechtmäßigkeitsvoraussetzung?
- Ist die fehlerhafte Angabe der Höhe der monatlich durch den Beklagten erbrachten Leistungen unbeachtlich?
- Kann die Prüfung der Einrede der Verjährung offenbleiben?
Daneben macht die Klägerin Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG) geltend. Es liege eine ihr rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung vor, da im Berufungsverfahren streitig
gewesen sei, ob der Beklagte vollständige Akteneinsicht in ihre Verwaltungsvorgänge gewährt habe, jedoch das LSG diesen Aspekt
in der mündlichen Verhandlung nicht thematisiert habe und anstelle eines in Aussicht gestellten Erörterungstermins dann doch
zur mündlichen Verhandlung geladen habe, in diese eingetreten sei und ein Urteil verkündet habe. Außerdem sei die Beigeladene
nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen und die Beiladung sei rechtsfehlerhaft erfolgt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) noch ein Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG) in der gebotenen Weise dargelegt worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen
Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist (vgl etwa Bundessozialgericht [BSG] Beschluss vom 5.9.2018 - B 8 SO 33/18 B mwN). Um der Darlegungspflicht zu genügen,
muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit)
sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt
werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung in allen vier von der Klägerin formulierten Fragen nicht
gerecht.
Soweit die Klägerin der Frage der fehlenden Bekanntgabe der Überleitungsanzeige an die Beigeladene grundsätzliche Bedeutung
beimisst, zeigt sie jedenfalls die konkrete Klärungsfähigkeit nicht auf und legt schon nicht dar, dass eine Bekanntgabe gegenüber
der Beigeladenen nicht mehr erfolgen kann, um den Übergang des Anspruchs zu bewirken. Dass die Überleitungsanzeige an Gläubiger
und Schuldner gleichzeitig erfolgen muss, behauptet sie nicht einmal.
Soweit die Klägerin der Frage der Anhörung der Beigeladenen vor Erlass der Überleitungsanzeigen grundsätzliche Bedeutung beimisst,
fehlt ebenfalls eine schlüssige Darstellung zur konkreten Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage. Die Klägerin legt schon nicht
dar, weshalb eine Anhörung der Beigeladenen drittschützende Wirkung haben sollte und sie daher selbst durch eine unterbliebene
Anhörung der Beigeladenen in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Zudem erläutert sie nicht, weshalb die Anhörung der Beigeladenen
schon vor Bekanntgabe der Überleitungsanzeige an sie selbst erfolgen muss und es nicht genügt, dass die Anhörung vor Bekanntgabe
der Überleitungsanzeige an die Beigeladene erfolgt, wie es § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) vorsieht. Es fehlt auch eine Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zur möglichen Heilung eines Anhörungsmangels (vgl etwa BSGE 89, 111 = SozR 3-1300 § 1 Nr 1 - juris RdNr 25 ff; BSG SozR 4-1300 § 41 Nr 1 = NZS 2009, 347; BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris RdNr 13).
Soweit die Klägerin danach fragt, ob "die fehlerhafte Angabe der Höhe der monatlich durch den Beklagten erbrachten Leistungen
unbeachtlich ist", fehlen hinreichende Ausführungen zum Klärungsbedarf. Allein der Hinweis, die Angabe der erbrachten Leistungen
sei zwingend um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen, ist nicht ausreichend. Vielmehr hätte sich die Klägerin mit der umfangreichen
Rechtsprechung zur Bestimmtheit von Verwaltungsakten (vgl zur Überleitungsanzeige BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris RdNr 13; zum Kostenersatz durch Erben BSG SozR 4-5910 § 92c Nr 1; zu einem Abzweigungsverwaltungsakt BSG SozR 4-1200 § 48 Nr 2) und der im Zusammenhang mit einer Überleitungsanzeige ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ([BVerwG];
vgl BVerwGE 42, 198 = FEVS 21, 321), wonach eine zahlenmäßige Bezifferung nicht zu fordern ist, auseinandersetzen müssen. Sind schon eine oder
mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, die Anhaltspunkte zur Beurteilung einer von der Beschwerde als grundsätzlich
herausgestellten Rechtsfrage geben, muss nämlich zur Darlegung eines dennoch bestehenden Klärungsbedarfs in der Begründung
einer Nichtzulassungsbeschwerde unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert
vorgetragen werden, dass höchstrichterlich zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt wurde oder durch die schon
vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 29.5.2018 - B 8 SO 5/18 B; BSG Beschluss vom 19.10.2017 - B 5 R 91/17 B; BSG Beschluss vom 23.3.2017 - B 10 EG 21/16 B). Dabei kann der Klärungsbedarf einer in einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG aufgeworfenen Rechtsfrage auch durch die Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichtes ausgeschlossen sein (BSG Beschluss vom 29.3.2017 - B 5 RE 12/16 B). An der erforderlichen Darlegung eines dennoch bestehenden Klärungsbedarfs fehlt
es aber gänzlich.
Soweit die Klägerin danach fragt, ob die Prüfung der Einrede der Verjährung offenbleiben kann, fehlt es an der ausreichenden
Formulierung einer abstrakten Rechtsfrage und damit an der Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit. Die Klägerin macht
hier nur geltend, die Verjährung hätte durch das LSG geprüft werden müssen, ohne einen klärungsbedürftigen Streitstand, über
den in grundsätzlicher Hinsicht zu entscheiden wäre, im Einzelnen nachvollziehbar zu machen. Auch die konkrete Klärungsfähigkeit
wird nicht dargelegt, da weder Anknüpfungspunkte der Verjährung noch der maßgebliche Zeitablauf mitgeteilt werden, noch, ob
ggf die Einrede der Verjährung erhoben worden ist und wie sich dies ausgewirkt haben sollte.
Die Frage nach der Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall, die die Klägerin im Kern mit sämtlichen der vier aufgeworfenen
Fragen angreift, vermag die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen. Denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob
das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Ein Verfahrensmangel wird ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Diesen Anforderungen genügt das Vorbingen der Klägerin wegen beider geltend gemachter Mängel nicht.
Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen das aus Art
103 Abs
1 Grundgesetz (
GG) fließende Verbot von "Überraschungsentscheidungen" rügt, also von solchen Entscheidungen, die sich ohne vorherigen richterlichen
Hinweis auf Gesichtspunkte stützen, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte
(vgl Bundesverfassungsgericht [BVerfG] Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 = NJW 2012, 2262), trägt sie nur vor, dass entgegen ihrer Erwartung im Termin vom 20.8.2018 in der Sache verhandelt und entschieden und nicht
nur ein Erörterungstermin zur Frage der Akteneinsicht durchgeführt worden sei. Damit wird aber eine Überraschungsentscheidung
nicht schlüssig dargetan, weil nach dem Vortrag der Klägerin nicht der Inhalt der Entscheidung und die vom LSG vertretene
Auffassung für die Klägerin überraschend war, sondern dass überhaupt entschieden wurde. Ihr Vortrag, sie sei dadurch überrascht
worden, dass statt eines Erörterungstermins (§
153 Abs
1 iVm §
106 Abs
3 Nr
7 SGG) ein Termin zur mündlichen Verhandlung mit anschließender Urteilsverkündung (§
153 Abs
1 iVm §
124 Abs
1, §
132 Abs
1 Satz 2
SGG) durchgeführt worden sei, ist im Übrigen angesichts ihres eigenen Vorbringens, sie habe eine Ladung zur mündlichen Verhandlung
erhalten, nicht nachvollziehbar.
Die Klägerin macht auch nicht schlüssig geltend, ihr sei vor der Entscheidung die erforderliche Akteneinsicht in die Verwaltungsvorgänge
(vgl §
120 Abs
1 SGG) nicht gewährt und damit das rechtliche Gehör verletzt worden. Denn nach ihren eigenen Angaben wurde ihr vom LSG die Möglichkeit
der Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle des LSG eröffnet, die sie nicht wahrgenommen hat. Sie legt auch nicht dar, weshalb
ihr dies ggf nicht zumutbar gewesen sein sollte. Dass sie in der mündlichen Verhandlung die noch nicht durchgeführte Akteneinsicht
eingefordert und ggf Vertagung beantragt hat, behauptet sie nicht einmal. Damit hat sie aber ohnehin nicht alles getan, um
sich rechtliches Gehör zu verschaffen, wie es die Rechtsprechung fordert (BVerfG Beschluss vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07 - BVerfGK 17, 479 - juris RdNr 28 f; BSGE 68, 205 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35). Soweit die Klägerin schließlich vorbringt, sie habe der Frage nach dem Akteneinsichtsrecht in die Verwaltungsakte
des Beklagten erhebliche Bedeutung beigemessen, und sinngemäß rügt, das LSG hätte diesen Punkt seiner Entscheidung zugrunde
legen müssen, verkennt sie den Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Art
103 Abs
1 GG gewährt keinen Anspruch auf eine "richtige" Entscheidung (BVerfG Beschluss vom 31.3.2016 - 2 BvR 1576/13 - juris RdNr 71). Eine Verletzung der Verpflichtung des LSG zur Sachaufklärung (§
103 SGG) hat die Klägerin im Übrigen nicht formgerecht bezeichnet.
Soweit die Klägerin vorbringt, die Beigeladene sei prozessunfähig und nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen und es hätte ein
besonderer Vertreter (§
72 SGG) bestellt werden müssen, hat sie nichts dazu vorgetragen, weshalb sie selbst (die Klägerin) dadurch beschwert sein soll und
dies mit Erfolg rügen könnte. Soweit das BSG in der Vergangenheit ausgeführt hat, auch Dritte könnten im Revisionsverfahren den Mangel fehlender Prozessfähigkeit eines
Beteiligten rügen (BSGE 86, 107 = SozR 3-1200 § 2 Nr 1 - juris RdNr 11), fehlt es an jeglichem Vortrag der Klägerin dazu, ob dies auch im Verfahren der Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Revision gilt. Die Klägerin hätte sich insbesondere mit der zu §
547 Nr 4
Zivilprozessordnung (
ZPO) ergangenen Rechtsprechung auseinandersetzen müssen, dass im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
der Mangel nicht von Dritten, sondern nur von der unzureichend vertretenen Partei, zu deren Schutz die Vorschrift besteht,
geltend gemacht werden kann (Bundesgerichtshof [BGH] Beschluss vom 22.12.2016 - IX ZR 259/15 = MDR 2017, 538 - juris RdNr 8 f; dem folgend Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO, 77. Aufl 2019, §
547 RdNr 11; Ball in Musielak/Voit,
ZPO, 16. Aufl 2019, §
547 RdNr 11; Koch in HK-
ZPO, 8. Aufl 2019, §
547 RdNr 13; Reichold in Thomas/Putzo,
ZPO, 39. Aufl 2018, §
547 RdNr 8; Müller in Kern/Diehm,
ZPO, 2017, §
547 RdNr 10; zur älteren Rechtsprechung siehe etwa BGHZ 63, 78 = NJW 1974, 2283 - juris RdNr 11 unter Hinweis auf BFHE 96, 385, 387 - juris RdNr 7; vgl auch BFH/NV 1993, 314 - juris RdNr 8).