Feststellung eines höheren Grades der Schädigungsfolgen
Psychoreaktive Störungen als Schädigungsfolge
Grundsatzrüge
Verursachung von Gesundheitsstörungen
Neuester medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist.
2. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und
die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem
Gesetz ergibt.
3. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher u.a. mit Wortlaut, Kontext
und ggf. der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen.
4. Die Frage, ob medizinisch nicht nachgewiesene oder sogar der wissenschaftlichen Lehrmeinung und den Grundsätzen der VersMedV widersprechende Kausalitätsbeurteilungen berücksichtigt werden dürfen, lässt sich unschwer mit Hilfe der vorhandenen Rechtsprechung
des BSG beantworten; danach sind medizinische Fragen, insbesondere zur Verursachung von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des
im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten.
Gründe:
I. Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Schädigungsfolgen (GdS), einer besonderen beruflichen Betroffenheit
sowie die Gewährung von Berufsschadensausgleich nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1984 geborene Sohn der 1962 geborenen Klägerin wurde im Jahr 2007 Opfer einer schweren Körperverletzung. Seitdem ist er
schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie pflegebedürftig. Der Beklagte hat deshalb bei der Klägerin
psychoreaktive Störungen als Schädigungsfolge (im Sinne eines Schockschadens) anerkannt und ab dem 1.5.2007 einen GdS in Höhe
von 40 festgestellt, ihren weitergehenden Antrag auf Feststellung eines GdS von 70 dagegen abgelehnt (Bescheid vom 7.9.2010,
Widerspruchsbescheid vom 8.3.2011). Ebenso lehnte der Beklagte den im Jahr 2010 gestellten Antrag der Klägerin ab, ihr Berufsschadensausgleich
zu gewähren sowie ihren GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit höher zu bewerten (Bescheid vom 5.1.2011, Widerspruchsbescheid
vom 20.4.2011).
Das SG hat die gegen beide Ablehnungen erhobenen Klagen zu einem gemeinsamen Verfahren verbunden und sodann abgewiesen (Urteil vom
24.7.2013). Die dagegen erhobene Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Wie die medizinischen Ermittlungen ergeben hätten, sei
das schädigende Ereignis - die Benachrichtigung der Klägerin von der schweren Verletzung ihres Sohnes - grundsätzlich geeignet
gewesen, eine akute seelische Belastungsreaktion auszulösen. Für die im Laufe der Zeit aufgetretene Chronifizierung und Symptomausweitung
im Sinne einer somatoformen Störung hätten aber schädigungsunabhängige Faktoren die führende Rolle übernommen, insbesondere
die Belastung durch die lebenslange Behinderung des Sohnes (Urteil vom 30.11.2016).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG sei von der Rechtsprechung des BSG zur sogenannten bestärkten Wahrscheinlichkeit abgewichen und habe dabei auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
verkannt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen,
weil sie weder die behauptete Divergenz (1.) noch eine grundsätzliche Bedeutung (2.) ordnungsgemäß dargetan hat (vgl §
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Die Klägerin hat die für eine Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dargelegt. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend
den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts
einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein
sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG einen abweichenden fallübergreifenden Rechtssatz aufgestellt hat und
nicht etwa lediglich im Einzelfall fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).
Die Beschwerde macht geltend, das LSG sei von Rechtsgrundsätzen der Senatsurteile vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - sowie vom 12.6.2003 - B 9 VG 1/02 R - abgewichen. Indes arbeitet sie bereits keinen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz dieser BSG-Entscheidungen heraus, sondern zitiert nur selektiv aus den Urteilsgründen. Noch weniger stellt die Beschwerde einen fallübergreifenden
Rechtssatz des LSG heraus, der dieser Rechtsprechung entgegenstehen könnte. Allein die Behauptung, das LSG habe die maßgebenden
Grundsätze gutachterlicher Beurteilung missachtet und den vom BSG entwickelten Beweisgrundsätzen widersprochen, genügt nicht, um eine Divergenz darzulegen. Denn eine solche liegt nicht schon
dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Abweichung. Die erforderlichen Darlegungen sind der Beschwerde nicht zu entnehmen. Daher kann
dahinstehen, ob die in den genannten, älteren Senatsentscheidungen aufgestellten Grundsätze weiterhin unverändert Gültigkeit
haben, obwohl der entsprechende Teil der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht
und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008 nicht in die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) übernommen worden ist.
2. Ebenso wenig dargelegt ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche
Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert
ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar
aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit
Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen
(Karmanski in Roos/Wahrendorf,
SGG, 2014, §
160a RdNr 50 mwN).
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Soweit sie die Frage formuliert,
ob medizinisch nicht nachgewiesene oder sogar der wissenschaftlichen Lehrmeinung und den Grundsätzen der VersMedV widersprechende Kausalitätsbeurteilungen berücksichtigt werden dürfen,
legt sie nicht dar, warum sich diese Frage nicht unschwer mit Hilfe der vorhandenen Rechtsprechung des BSG beantworten lässt. Danach sind medizinische Fragen, insbesondere zur Verursachung von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage
des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VJ 1/10 R - SozR 4-3851 § 60 Nr 4 mwN).
Soweit die Beschwerde sich im Übrigen gegen die Kausalitätsbeurteilung des LSG im Einzelfall wendet, rügt sie der Sache nach
nur einen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblichen Rechtsanwendungsfehler (error in iudicando): Die inhaltliche
Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.