Erstattung von Aufwandspauschalen
Unzulässige Rechtsausübung
Rechtliche Umqualifizierung eines Prüfauftrages
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der klagenden Krankenkasse auf Erstattung von zwei im Jahr 2012 gezahlten Aufwandspauschalen.
Die Beklagte betreibt ein zur Behandlung gesetzlich Krankenversicherter zugelassenes Krankenhaus, in dem vom 10.07.2011 bis
19.07.2011 die bei der Klägerin versicherte Patientin O. und vom 21.11.2011 bis 24.11.2011 der bei der Klägerin versicherte
Patient W. behandelt wurde.
Nach Rechnungsstellung beauftragte die Klägerin in beiden Behandlungsfällen den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens
(MD BEV) mit einer Prüfung. Im Fall der Versicherten O. sollte geprüft werden, ob die Kodierung von Diagnostik und Therapie
(OPS) medizinisch plausibel sei, insbesondere ob 8-837.k2 neben 8-837.m0 begründet sei. Im Fall des Versicherten W. sollte
geprüft werden, ob die Diagnosen/Nebendiagnosen - insbesondere die Nebendiagnose I21.4 - angesichts der Kürze der Verweildauer
plausibel seien.
Der MD BEV zeigte der Beklagten den jeweiligen Prüfauftrag an und forderte die Beklagte auf, jeweils den Krankenhausentlassungsbericht,
die Pflegedokumentation und die Patientenkurve zu übersenden. Die Prüfung durch den MD BEV (gutachterliche Stellungnahmen
vom 07.06.2012 und vom 18.07.2012) führte in beiden Fällen nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages. Die Klägerin
zahlte an die Beklagte im Verlauf des Jahres 2012 in jedem der beiden Fälle gemäß §
275 Abs.
1c Satz 3
SGB V die in Rechnung gestellten Aufwandspauschale jeweils 300,00 Euro, insgesamt 600,00 Euro.
Mit Schreiben vom 30.11.2016 wandte sich die Klägerin an die Beklagte. Sie habe die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) vom 25.10.2016 zum Thema "sachlich-rechnerische Prüfung" zum Anlass genommen, die Rechnungen der Beklagten aus dem Jahr
2012 zu prüfen. Dabei habe sie festgestellt, dass sie auch für Prüfungen mit sachlich-rechnerischem Hintergrund Aufwandspauschalen
an die Beklagte gezahlt habe. Diese Zahlungen in Höhe von insgesamt 600,- Euro fordere sie jetzt zurück. Die Beklagte kam
der Zahlungsaufforderung nicht nach.
Daraufhin hat die Klägerin am 27.12.2016 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben, mit der sie die Zahlung eines Betrags von 600,- Euro nebst Zinsen geltend gemacht hat.
Die Klägerin hat ausgeführt, sie habe Anspruch auf Rückzahlung der Aufwandspauschalen gemäß §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V in Verbindung mit §
812 Abs.
1 BGB, da die Zahlungen rechtsgrundlos erfolgt seien. Das BSG habe in seinen Urteilen vom 25.10.2016 noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass Kodierprüfungen sachlich-rechnerische
Tatbestände darstellten, die nicht der Vorschrift des §
275 Abs.
1c SGB V unterfielen. Aufwandspauschalen seien in solchen Fällen auch dann nicht zu zahlen, wenn sich der Rechnungsbetrag nicht gemindert
habe. Es komme auch nicht darauf an, ob die Kasse im Prüfauftrag an den MDK oder der MDK in der Anforderung von Unterlagen
beim Krankenhaus Bezug auf die Vorschrift §
275 Abs.
1 oder Abs.
1c SGB V genommen habe. Bei §
275 Abs.
1c Satz 4
SGB V handele es sich um eine ab 01.01.2016 geltende gesetzliche Neuregelung, die keine Rückwirkung entfalte.
Die Beklagte hat erwidert, die sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung stelle eine Kreation des 1. Senats des BSG dar, für die sich keine Grundlage im Gesetz finde. Die den Behandlungsfällen zu Grunde liegenden Prüfanzeigen des MD BEV
sprächen nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont für eine Auffälligkeitsprüfung, da für die Beklagte mangels alternativer
gesetzlicher Grundlage zur Anforderung von Patientenakten nur die Anzeige und Abforderung auf Grundlage der §§
275 Abs.
1 Nr.
1, Abs.
1c,
276 Abs.
2 SGB V durch den MD BEV anzunehmen gewesen sei. Die Klägerin habe mangels Existenz eines alternativen Prüfregimes eine Auffälligkeitsprüfung
eingeleitet. So habe sie sich bei Erteilung der Prüfaufträge Einsparungen erhofft und diese Aufträge mithin bewusst mit dem
Ziel der Abrechnungsminderung aufgrund einer abrechnungsrelevanten Änderung der Kodierung erteilt. Dies sei mit Blick auf
die zeitlich erst nachfolgende BSG-Rechtsprechung, die Prüfauftragserteilung und veranlasste Anzeige durch den MD BEV sowie durch die vorbehaltlose Begleichung
der Aufwandspauschale als maßgeblicher evidenter Wille der Klägerin anzusehen.
Wegen der Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlautes sowie der entsprechenden Gesetzesmotive durch das BSG habe sich der Gesetzgeber mit der zum 01.01.2016 in § 275 Abs. 1c SGB vorgenommenen Ergänzung um einen Satz 4 dazu gezwungen gesehen, seine ursprüngliche Intention klarzustellen.
Die Klage könne auch unter dem Aspekt der Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben, welchem nach der mehrfach bestätigten
Rechtsprechung des BSG gerade im Verhältnis Krankenhausträger/Krankenkasse eine herausragende Bedeutung zukomme, keinen Erfolg haben. Im Bewusstsein
eingeleiteter Auffälligkeitsprüfungen nach §
275 Abs.
1 Nr.
1 SGB V habe die Klägerin im vorliegenden Fall die Aufwandspauschalen zunächst vollständig beglichen und schreite jetzt Jahre später
zur Klage. Unter Bezugnahme auf den Grundsatz von Treu und Glauben werde zudem vorsorglich die Einrede der Verwirkung erhoben.
Die Klägerin habe einen Vertrauenstatbestand dadurch geschaffen, dass sie die erhobenen Aufwandspauschalen vorbehaltlos bezahlt
habe. Die Beklagte habe selbstverständlich darauf vertrauen können, dass eine Rückforderung nach 4 Jahren nicht mehr erfolge.
Aufgrund dessen habe die Beklagte auch Abstand davon genommen, die gezahlten Aufwandspauschalen als streitig zu behandeln
und haushaltsrelevante Vorkehrungen in Form von Rückstellungen zu treffen.
Die Klägerin hat noch ausgeführt, die Aufwandspauschalen seien nach Rechnungen vom 20.06.2012 und 01.08.2012 am 10.07.2012
und 20.09.2012 bezahlt worden. Die streitgegenständlichen Ansprüche seien weder verjährt noch verwirkt. Die Rückwirkung geänderter
Rechtsprechung solle nach ständiger und gefestigter Rechtsprechung der Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts auf
eigentlich abgeschlossene Sachverhalte nur in den Fällen ausgeschlossen sein, in denen die Parteien in Ansehung der neuen
Rechtsprechung oder umgekehrt im Vertrauen auf die alte Rechtsprechung bestimmte Dispositionen getroffen oder ein bestimmtes
Verhalten bzw. Unterlassen an den Tag gelegt hätten. Diese Voraussetzungen seien indes vorliegend nicht erfüllt, weil die
Beklagte im Falle der Kenntnis der Rechtsprechung des BSG keine anderen Dispositionen getroffen hätte. Auch die Tatsache, dass die Klägerin die zunächst in Rechnung gestellten Aufwandspauschalen
im Jahr 2012 zunächst vorbehaltlos gezahlt habe, dürfe unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG einem Erstattungs- oder Rückzahlungsanspruch nicht entgegenstehen.
Mit Urteil vom 30.11.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe die streitgegenständlichen Aufwandspauschalen ohne Rechtsgrund gezahlt. Die von der
Beklagten veranlassten Prüfungen seien unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 23.05.2017, B 1 KR 28/16 R), der sich die Kammer anschließe, keine Auffälligkeitsprüfungen gemäß §
275 Abs.
1 Nr.
1 SGB V gewesen. Der Erstattungsanspruch der Klägerin sei auch nicht verjährt. Die Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs
auf Rückzahlung der vorbehaltlos bezahlten Aufwandspauschale sei vorliegend jedoch nach dem Rechtsgedanken des §
242 BGB (Treu und Glauben), der mangels ausdrücklicher Regelung über §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkassen einwirke (BSG, Urteil vom 05.07.2016, B 1 KR 40/15 R, Rn. 20), ausgeschlossen.
Das SG hat die Berufung zugelassen.
Gegen das am 06.12.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.01.2018 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Die Beteiligten haben ihre Ausführungen aus dem Klageverfahren im Wesentlichen wiederholt. Die Klägerin hat sich auf die Rechtsprechung
des BSG berufen; die Beklagte hat auf eine große Zahl erstinstanzlicher Entscheidungen verwiesen. Zuletzt hat die Beklagte noch dargelegt,
der vorliegende Sachverhalt unterscheide sich wesentlich von denjenigen, die dem Beschluss des BVerfG vom 26.11.2018 (1 BvR 318/17, 1 BvR 1474/17, 1 BvR 2207/17) zu Grunde gelegen hätten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.11.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 600,- Euro
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogene Akte
der Klägerin verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit
der Entscheidung auch im Fall des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§
110,
126,
132 SGG). Die Klägerin hat außerdem mit Schreiben vom 22.03.2019 mitgeteilt, dass sie mit einer Entscheidung in ihrer Abwesenheit
einverstanden ist.
Die Berufung ist zulässig; sie ist unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft, weil das SG sie ausdrücklich zugelassen hat (§
144 Abs.
3 SGG), und wurde form- und fristgerecht eingelegt (§
151 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zutreffend abgewiesen; der klagenden Krankenkasse steht ein Anspruch auf Erstattung der 2012 gezahlten Aufwandspauschale
nicht zu.
Als Anspruchsgrundlage kommt ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (vgl. dazu allgemein BSG, Urteil vom 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, Rn. 9 ff. m.w.N.) in Betracht. Dessen Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Zwar hat die Klägerin den streitgegenständlichen
Betrag 2012 ohne Rechtsgrund an die Beklagte gezahlt (dazu 1.). Die Geltendmachung des Anspruchs ist jedoch treuwidrig, verstößt
also gegen §
242 BGB analog (dazu 2.).
1. Die Klägerin hat die streitgegenständliche Aufwandspauschale 2012 ohne Rechtsgrund an die Beklagte gezahlt. Der Senat folgt
insoweit der ständigen Rechtsprechung des BSG, die sich im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung befindet (BVerfG,
Beschluss vom 26.11.2018, 1 BvR 318/17, 1 BvR 1474/17, 1 BvR 2207/17). Im Einzelnen gilt Folgendes:
a) Der dem MD BEV erteilten Prüfaufträge (im Fall O.: "Kodierung von Diagnostik und Therapie (OPS) medizinisch plausibel?
8-837.k2 neben 8-837.m0 begründet?" und im Fall W.: "Sind folgende Diagnosen/Nebendiagnosen im Sinne der Kodierrichtlinien
plausibel? Insbesondere Nebendiagnose I21.4 - zu kurze VWD") bezogen sich jeweils auf die richtige Kodierung und damit auf
die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung (vgl. etwa BSG, Urteil vom 23.05.2017, B 1 KR 28/16 R, Rn. 37).
aa) Das Gesetz unterschied bis 31.12.2015 nach der Gesamtrechtssystematik die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit
von Prüfungen bei Auffälligkeit. Es überantwortet den Krankenkassen die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der
Abrechnung, wenn Krankenhäuser GKV-Versicherte pflichtgemäß behandeln. Das Überprüfungsrecht der Krankenkassen auf sachlich-rechnerische
Richtigkeit besteht unabhängig von den engeren Anforderungen einer Auffälligkeitsprüfung. Es unterliegt einem eigenen Prüfregime.
Dieses dient dazu, die Einhaltung der Abrechnungs- und Informationspflichten der Krankenhäuser zu überwachen. Es beruht auf
§
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V in Verbindung mit den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen der Rechnungslegung in Einklang mit der historischen
Gesetzesentwicklung. Das Gesetz lässt die erforderliche Übermittlung der Sozialdaten an die Krankenkasse für die Prüfung der
sachlich-rechnerischen Richtigkeit zweckgerecht zu. Weder die Regelungen der Stichprobenprüfung noch die Gesetzesänderungen
zum 01.01.2016 schließen die Anwendung der Grundsätze der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung bis zum 31.12.2015 aus
(ausführlich BSG, a.a.O., Rn. 16 ff.).
Der Senat hat hierzu auch in der Vergangenheit keine abweichende Auffassung vertreten. Zwar trifft es zu, dass der Senat in
seinem Beschluss vom 11.05.2017 (L 4 KR 80/17 NZB, Seite 7 des Urteilsumdrucks) §
275 Abs.
1c Satz 4
SGB V als Klarstellung bezeichnet hat. Damit war jedoch keine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG verbunden, denn im selben Absatz hat der Senat ausgeführt: "Für Fälle bis zum 31. Dezember 2015 hat das BSG mit Urteilen vom 25. Oktober 2016 (a.a.O.) die Reichweite und die Abgrenzung verschiedener Prüfungsregime definiert ...".
bb) Ob eine Krankenkasse einen Prüfauftrag mit dem Ziel der Abrechnungsminderung i.S. des §
275 Abs.
1c Satz 3
SGB V (=Auffälligkeitsprüfung) oder der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung erteilt, bestimmt sich nach den Grundsätzen
über die Auslegung von Willenserklärungen (§
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V). Es spielt keine Rolle, falls der Medizinische Dienst in seinen Prüfmitteilungen die im Ergebnis nicht zutreffende Rechtsansicht
äußert, Rechtsgrundlage sei §
275 Abs.
1c SGB V, wenn die konkrete Zielrichtung des Prüfauftrags klar ist (vgl. ausführlich BSG, a.a.O. 37 und 39).
b) Daraus folgt, dass der Beklagten kein Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale nach §
275 Abs.
1c Satz 3
SGB V zustand, auch wenn die Prüfung nicht zu einer Minderung des Rechnungsbetrages geführt hatte (BSG, a.a.O., Rn. 8 f.).
c) Der Anwendung der zitierten Rechtsprechung des BSG auf den vorliegenden Fall steht schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand älterer Rechtsprechung des BSG nicht entgegen.
Das BSG hat erstmals mit Urteil vom 01.07.2014 (B 1 KR 29/13 R) entschieden, dass das Überprüfungsrecht der Krankenkassen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit einem eigenen Prüfregime
unterliegt, das sich von demjenigen bei der Überprüfung von Auffälligkeiten unterscheidet. Diese Rechtsprechung kann gleichwohl
auf den vorliegenden, am 01.07.2014 auch hinsichtlich der Aufwandspauschale bereits abgeschlossenen Fall angewendet werden,
ohne dass sich die Beklagte auf Vertrauensschutz berufen könnte. Zu den Voraussetzungen schutzwürdigen Vertrauens auf die
Kontinuität höchstrichterlicher Rechtsprechung hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 05.11.2015, 1 BvR 1667/15, Rn. 12 ausgeführt:
"Es gehört zu den anerkannten Aufgaben der Rechtsprechung, im Rahmen der Gesetze von ihr als rechtsgrundsätzlich aufgestellte
Rechtssätze zu überprüfen und sie, wenn erforderlich, weiter zu entwickeln. Im Einzelfall kann dies auch dazu führen, dass
ein früher als richtig angesehenes Normverständnis aufgegeben und abweichend entschieden wird. Der Umstand, dass ein im Wege
richterlicher Rechtsfindung gewonnener Rechtssatz über einen langen Zeitraum Beachtung fand, mag in die Entscheidung einfließen,
ob es gerechtfertigt ist, einen abweichenden Rechtssatz aufzustellen; er verleiht indes dem bisherigen Rechtssatz keine höhere
Wertigkeit oder gar eine verfassungsrechtlich erhebliche Bestandsgarantie. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, an denen Rechtsprechungsänderungen
zu messen sind, unterscheiden sich, abgesehen von dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, nicht von denjenigen, die gegenüber
dem erstmaligen Aufstellen eines Rechtssatzes durch ein Gericht angezeigt sind (vgl. BVerfGE 122, 248 (267)). Höchstrichterliche Rechtsprechung schafft kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung.
Eine in der Rechtsprechung bislang vertretene Gesetzesauslegung aufzugeben, verstößt nicht als solches gegen Art.
20 Abs.
3 GG. Die über den Einzelfall hinausreichende Geltung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht allein auf der Überzeugungskraft
ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Es bedarf deswegen nicht des Nachweises wesentlicher Änderungen
der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen, damit ein Gericht ohne Verstoß gegen Art.
20 Abs.
3 GG von seiner früheren Rechtsprechung abweichen kann (vgl. BVerfGE 84, 212 (227 f.); 122, 248 (277)). Kein Prozessbeteiligter kann daher darauf vertrauen, der Richter werde stets an einer bestimmten
Rechtsauffassung aus der bisherigen Judikatur festhalten (vgl. BVerfGE 78, 123 (126); 131, 20 (42)). Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch unter dem Gesichtspunkt des
Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren
Entwicklung hält. Soweit durch gefestigte Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand begründet wurde, kann diesem erforderlichenfalls
durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGE
84, 212 (227 f.); 122, 248 (277 f.); 126, 369 (395); 131, 20 (42)). Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund
höchstrichterlicher Entscheidungen kann daher in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten
und langjährigen Rechtsprechung entstehen (vgl. BVerfGE 72, 302 (326); 122, 248 (277 f.); 126, 369 (395); 131, 20 (42))."
Eine solche gefestigte und langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung lag bezüglich der Aufwandspauschale nicht vor. Denn
das BSG hatte in seiner Rechtsprechung vor dem 01.07.2014 einer Differenzierung zwischen Auffälligkeitsprüfung und Prüfung der sachlich-rechnerischen
Richtigkeit nicht ausdrücklich eine Absage erteilt. Es hat vielmehr keinen Anlass gesehen, zu dieser Frage einen Rechtssatz
aufzustellen. Allein der Umstand, dass dadurch eine bestimmte praktische Handhabung "als selbstverständlich vorausgesetzt"
wird (so SG Aachen, Urteil vom 04.09.2018, S 14 KR 94/18, Rn. 46), reicht zur Begründung einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung nicht aus. Unter diesen Umständen kann
nach den zitierten Vorgaben des BVerfG offen bleiben, ob sich die Rechtsprechung des BSG seit 01.07.2014 im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält.
2. Die Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs auf Rückzahlung der vorbehaltlos bezahlten Aufwandspauschalen
ist vorliegend jedoch nach dem Rechtsgedanken des §
242 BGB (Treu und Glauben), der mangels ausdrücklicher Regelung über §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkassen einwirkt (BSG, Urteil vom 05.07.2016, B 1 KR 40/15 R, Rn. 20), ausgeschlossen. Der Senat teilt insoweit die Rechtsauffassung des SG, soweit dessen Entscheidungsgründe nachfolgend wiedergegeben werden.
Indem die Klägerin den MD BEV mit einer Prüfung der Krankenhausabrechnung "nach §
275 Abs.
1 SGB V" beauftragt, der MD BEV den Prüfauftrag der Beklagten mit Hinweis auf seine Benachrichtigungspflicht gemäß §
275 Abs.
1c SGB V angezeigt und die Klägerin infolge des Prüfergebnisses, das zu keiner Minderung des Abrechnungsbetrages geführt hatte, die
Aufwandspauschale in Höhe von jeweils 300,00 Euro gezahlt hat, ist bei der Beklagten ein schützenswertes Vertrauen auf die
Rechtmäßigkeit und das Behaltendürfen der Aufwandspauschalen geschaffen worden.
Zwar hat die Klägerin - unter Zugrundelegung der o.g. Rechtsprechung des BSG - nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont zunächst des MD BEV und dann der Beklagten eine sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung
eingeleitet. Denn Ziel der Abrechnungsprüfung war - für die Beklagte erkennbar - jeweils allein die sachlich-rechnerische
Richtigkeit der Kodierung und nicht die Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung. Zum Zeitpunkt der Zahlung der Aufwandspauschale
im Jahr 2012 bestand jedoch in der Rechtsprechung und auch zwischen den Beteiligten einhelliger Konsens darüber, dass für
den Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale zwischen einer Auffälligkeitsprüfung und einer sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung
nicht zu differenzieren war, der Zahlungsanspruch vielmehr durch beide Prüfungsarten ausgelöst wurde. Nach dem maßgeblichen
Empfängerhorizont der Beklagten bei Zahlung der Aufwandspauschale hat die Klägerin damit den bezahlten Betrag nach endgültigem
Abschluss des (sachlich-rechnerischen) Prüfverfahrens der Kodierung vorbehaltlos und endgültig - unabhängig von der rechtlichen
Qualifizierung der Prüfung - bezahlt und damit einen Vertrauenstatbestand geschaffen.
Aufwandspauschalen stellen - anders als Krankenhausvergütungen, die von den Krankenkassen trotz vorbehaltloser Zahlung regelmäßig
auf Grund von Rechnungsprüfungen zurückgefordert werden können - Sondereinnahmen dar, die gerade nicht unter dem (unausgesprochenen)
Vorbehalt der Rückforderung stehen (vgl. SG Osnabrück, Urteil vom 04.09.2017, S 34 KR 720/16, Rn. 14). Die Beklagte musste im vorliegenden Fall daher unter keinem denkbaren Aspekt damit rechnen, dass die Klägerin die
Aufwandspauschale - etwa wegen einer neuerlichen Prüfung oder gar einer im Jahr 2012 bereits im Raum stehenden Änderung der
Rechtsprechung - zurückfordern würde.
Unabhängig von dem mit der Erteilung des Prüfauftrages an den MD BEV von der Klägerin tatsächlich verfolgten Ziel (Wirtschaftlichkeits-
oder sachlich-rechnerische Prüfung) waren sich die Beteiligten nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont der Beklagten bei Zahlungseingang
darüber einig, dass die Klägerin jedenfalls eine die Aufwandspauschale auslösende Rechnungsprüfung in Auftrag gegeben hat
und der jeweilige Behandlungsfall mit Abschluss des Prüfverfahrens und Zahlung der Aufwandspauschale einvernehmlich endgültig
beendet sein sollte. An diesem von der Klägerin selbst bestimmten Charakter der Prüfung und ihren Rechtsfolgen muss sich die
Klägerin aus Vertrauensschutzgesichtspunkten festhalten lassen. Dies umso mehr, als die Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern
und Krankenkassen diese in partnerschaftlicher Weise zu gegenseitiger Rücksichtnahme nach dem Grundsatz von Treu und Glauben
(§
242 BGB) verpflichten. Die Beteiligten arbeiten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammen. Ihnen
sind die gegenseitigen Interessenstrukturen geläufig, weshalb in diesem Rahmen von ihnen eine gegenseitige Rücksichtnahme
zu erwarten ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2015, B 1 KR 13/14 R, Rn. 21). Diese Sonderrechtbeziehung kann auch wechselseitig bestehende Ansprüche begrenzen (BSG, Urteil vom 22.06.2010, B 1 KR 1/10 R, Rn. 20).
Die Klägerin, die sich unter Hinweis auf die zeitlich nach der Zahlung der Aufwandspauschale ergangene Rechtsprechung des
BSG darauf beruft, keine Prüfung in Auftrag gegeben zu haben, welche eine Aufwandspauschale auslöste, setzt sich mit diesem Verhalten
in Widerspruch zu ihrem eigenen Vorverhalten, was sich unter Vertrauensschutzgesichtspunkten als im Ergebnis treuwidrig erweist.
Die Beklagte konnte und musste - wie dargelegt - nach der vorbehaltlosen Zahlung der Aufwandspauschale unter keinem denkbaren
Aspekt mehr damit rechnen, dass der Behandlungsfall erneut geprüft werden und sie in der Zukunft ggf. noch einem Rückforderungsanspruch
ausgesetzt sein könnte.
Die nachträgliche Rückforderung der vorbehaltlos gezahlten Aufwandspauschale in Fällen wie dem hier vorliegenden, in denen
sich die Krankenkasse durch nachträgliche rechtliche Umqualifizierung ihrer zuvor im Hinblick auf die Auslösung der Aufwandspauschale
unmissverständlich erteilten Prüfaufträge mit ihrem Vorverhalten vollständig in Widerspruch setzt und damit auch (erst) im
Nachhinein Anlass zu Rückstellungen gäbe, ist treuwidrig. Die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs durch die Klägerin
stellt einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung dar. Dem Anspruch steht das schützenswerte Vertrauen der Krankenhäuser in
die Rechtmäßigkeit und Ordnungsgemäßheit des Verwaltungshandelns der Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts
entgegen.
Ergänzend weist der Senat auf die Entscheidungsgründe des - nach Verkündung des vorliegenden Urteils ergangenen - Urteils
des LSG Baden-Württemberg vom 09.04.2019 (L 11 KR 1359/18) hin, denen er sich in vollem Umfang anschließt.
Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 GKG.