Vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
Anrechnung von Vermögen
Privates Kraftfahrzeug
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Der 1961 geborene Antragsteller bezog in der Vergangenheit vom Antragsgegner laufende SGB II-Leistungen. Er betreibt als freischaffender Künstler das Atelier für Auftragskunst "F." und bezieht nach seinen Angaben eine
Opferrente iHv 300,00 Euro monatlich (lt. Kontoauszügen nach § 17a StrRehaG; im "Ergänzungsbogen E 3 - Einkommen" vom 5. November 2018 sowie auf Seite 2 der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe wurde diese Rente dagegen nicht angegeben).
Im Juni 2014 kaufte der Antragsteller einen Pick Up Truck der Marke Ford (USA) Modell F 150 Basic. Das Kfz weist einen Hubraum
von 4.605 cm³ und eine Leistung von 218 kW auf (Modelljahr 2010; damaliger km-Stand: 49.500 km). Es handelt sich um ein zunächst
in den USA zugelassenes Fahrzeug, welches anschließend von dem Kfz-Handelsunternehmen "G. Motors" nach Deutschland importiert
und für die Zulassung in Deutschland umgebaut worden war. Der Kaufpreis betrug laut Kaufvertrag 21.000,00 Euro. In diesem
Zusammenhang legte der Antragsteller zudem eine von ihm unter dem 26. Juni 2014 erstellte schriftliche Erklärung vor, wonach
er von seinen Eltern einen Bargeldbetrag iHv 20.000,00 Euro zum Kauf des Kfz erhalten habe, um "weiterhin mobil meiner beruflichen
Tätigkeit nachgehen" zu können. Für die Dauer von 10 Jahren bleibe der Fahrzeugbrief im Besitz der Eltern.
In der Folgezeit wertete der Antragsgegner den Pick Up Truck als verwertbares Vermögen iSd SGB II und lehnte für die Zeit vom 1. Februar 2017 bis zum 31. Juli 2018 die Gewährung von SGB II-Leistungen ab. Diesbezüglich führen die Beteiligten vor dem SG Osnabrück erstinstanzliche Klageverfahren (ua unter dem Aktenzeichen
S 22 AS 348/18; vgl. zu dem vom Antragsteller im Jahre 2017 gestellten und erfolglos gebliebenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung:
Beschlüsse des Sozialgerichts (SG) Osnabrück vom 21. April 2017 - S 22 AS 89/17 ER - und des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 26. Juni 2017 - L 9 AS 407/17 B ER -).
Am 26. Oktober 2018 beantragte der Antragsteller erneut beim Antragsgegner die Gewährung von SGB II-Leistungen. In seinem Antrag gab er an, im März 2018 bei Herrn H. ein Darlehen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgenommen
und als Sicherheit den Kfz-Brief des Pick Up Trucks an den Darlehensgeber übergeben zu haben (ursprünglicher Darlehensbetrag:
2.000,00 Euro; derzeitiger Schuldenstand: 800,00 Euro; vgl. im Einzelnen: Darlehensvertrag vom 4. März 2018). Sein Barvermögen
betrage lediglich noch 64,25 Euro. Über weiteres Bargeld oder weitere Bankkonten verfüge er nicht. Das Eigentum an dem Kfz
stehe einer Leistungsgewährung nicht entgegen, weil das Kfz bereits im September 2017 nur noch 12.500,00 Euro wert gewesen
sei (vgl. hierzu das vom Antragsteller in Auftrag gegebene Gutachten der Kfz-Prüfstelle I. vom 12. September 2017).
Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag erneut wegen fehlender Hilfebedürftigkeit ab. Das vorhandene Vermögen übersteige den
Vermögensfreibetrag. Das Kfz des Antragstellers sei von einem örtlich ansässigen Kfz-Händler bei einem Km-Stand von ca. 89.106
km mit einem Wert bei Inzahlungnahme iHv 20.000,00 Euro bewertet worden. Bei einem Privatverkauf sei von einem noch höheren
Verkehrswert auszugehen. Die Wertermittlung der Kfz-Prüfstelle sei als viel zu gering anzusehen. Aktuelle Angebote auf der
Internet-Plattform www.mobile.de würden für Fahrzeuge desselben Modells, Baujahrs und ungefähr gleicher Laufleistung einen
Verkehrswert von durchschnittlich 22.790,00 Euro ausweisen. Der Wert des Kfz übersteige somit den dem Antragsteller zustehenden
Freibetrag (angemessener Kfz-Wert von 7.500,00 Euro zzgl. der für den Antragsteller geltenden Vermögensfreibeträge von 9.300,00
Euro = 16.800,00 Euro) um 5.990,00 Euro. Aus diesem Vermögen könne der monatliche Bedarf für die Zeit vom 1. Oktober 2018
bis zum 31. März 2019 gedeckt werden (Bescheid vom 15. November 2018).
Im Widerspruchsverfahren machte der Antragsteller geltend, das Kfz mittlerweile an Herrn J. sicherungsübereignet zu haben,
nachdem dieser die vom Antragsteller bereits zurückgezahlten 1.300,00 Euro erneut an den Antragsteller ausgezahlt habe (vgl.
"Sicherungsübereignungsvertrag" vom 10. Dezember 2018). Der Antragsteller könne das Kfz zwar weiterhin nutzen, nicht jedoch
veräußern. Die vom Antragsgegner vorgenommenen Preisvergleiche bezögen sich auf anders ausgestattete Fahrzeuge. Das Kfz-Modell
des Antragstellers (K.) sei auch nicht zB in der sog. Schwacke-Liste gelistet. Der Wert des Fahrzeugs ergebe sich vielmehr
aus dem bereits vorgelegten Gutachten der Kfz-Prüfstelle.
Am 19. Dezember 2018 hat der Antragsteller beim SG Osnabrück um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er hat geltend gemacht,
dass der Antragsgegner den Wert des Kfz entgegen den Weisungen der Bundesagentur für Arbeit nicht mittels eines Wertermittlungsprogramms
ermittelt habe. Im Jahr 2010 seien bei Ford USA insgesamt 10 verschiedene Modelle des Pick Up Trucks auf den Markt gekommen.
Sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im vorangegangenen Eilverfahren sei offensichtlich "in Unkenntnis der verschiedenen
Modelle im Internet nach irgendwelchen Modellen gesucht" worden. Der Antragsteller habe sich bei verschiedenen Ford-Händlern
um einen Verkauf des Kfz bemüht. Es sei jedoch kein Händler zum Ankauf bereit gewesen. Er sei dringend auf die Gewährung von
SGB II-Leistungen angewiesen. Seit Oktober 2018 erziele er keine Einnahmen mehr aus seiner selbständigen Tätigkeit. Das noch offene
Darlehen gegenüber Herrn J. betrage nach Abschluss des "Sicherungsübereignungsvertrages" nunmehr wieder 2.000,00 Euro (1.300,00
Euro Auszahlungsbetrag zzgl. der noch offenen Restschuld iHv 700,00 Euro). Mit dem Darlehensbetrag habe der Antragsteller
zwei offene Mieten nachgezahlt; der Rest des Darlehensbetrags sei mittlerweile (d.h. Anfang Februar 2019) für den Lebensunterhalt
verbraucht worden.
Das SG hat die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit der Begründung abgelehnt, dass der Antragsteller nicht hilfebedürftig
sei. Er habe nicht plausibel dargelegt, wovon er die letzten zwei Jahre gelebt habe, obwohl er für diesen Zeitraum Klageverfahren
mit der Begründung führe, dass sein Einkommen nicht bedarfsdeckend sei. Gleichwohl habe er bislang weder sein Kfz verwertet
noch in der Zeit von April 2017 bis Ende 2018 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Für die Zeit von Mai bis Oktober
2018 habe er einerseits angegeben, nicht hilfebedürftig gewesen zu sein. Im nachgereichten EKS-Bogen habe dies dann "schon
wieder anders" ausgesehen. Die Darlehensverträge seien sehr kritisch zu würdigen, da sie mit der angeblichen Sicherungsübereignung
an die Eltern nicht zu vereinbaren seien und zudem die Darlehensforderung völlig übersichert sei. Der Ursprung einzelner Bareinzahlungen
auf dem Bankkonto des Antragstellers sei ebenfalls unklar (vgl. hierzu: Seite 5 des angefochtenen Beschlusses). Beim Antragsteller
sei ein Barbestand in unbekannter Höhe zu vermuten (Beschluss vom 18. Februar 2019).
Gegen den dem Antragsteller am 21. Februar 2019 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 7. März 2019 eingelegte Beschwerde.
Das SG habe die Darlehensabwicklung missverstanden. Der Antragsteller habe auf den ursprünglichen Darlehensvertrag zunächst 1.100,00
Euro (am 11. Juni 2018) sowie 100,00 Euro (am 6. August 2018) an Herrn J. zurückgezahlt, dann aber aufgrund des "Sicherungsübereignungsvertrages"
vom 10. Dezember 2018 erneut 1.300,00 Euro ausgezahlt bekommen. Den Kfz-Preisrecherchen des Antragsgegners könne nicht gefolgt
werden. Stattdessen sei entweder auf das vom Antragsteller eingeholte Wertgutachten oder aber auf eine Wertermittlung über
US-amerikanische Kfz-Bewertungsportale abzustellen, woraus sich ein Händlereinkaufspreis von 10.611,00 USD = 9.339,00 Euro
bzw. ein Privatverkaufspreis von 13.106,00 USD = 11.534,00 Euro ergebe. Seit Oktober 2018 habe der Antragsteller seinen Lebensunterhalt
aus den Einnahmen aus der Rechnung vom 1. Oktober 2018 (Nettobetrag: 1.000,00 Euro), dem "Darlehensausgleich" vom 10. Dezember
2018 (1.300,00 Euro) sowie der laufenden Opferrente bestritten. Wegen der noch andauernden Leistungsversagung sei die Darlehenssumme
zwischenzeitlich um weitere 2.000,00 Euro auf 4.000,00 Euro erhöht worden (vgl. Änderungsvertrag mit Herrn J. vom 25. Februar
2019).
Der Antragsgegner hält die Kfz-Sicherungsübereignung wegen Übersicherung für nichtig. Der ortsansässige Ford-Händler (Autohaus
L. GmbH) bestätige aktuell einen Inzahlungnahmepreis von 18.000,00 Euro inkl. Mwst. (vorbehaltlich der technischen sowie optischen
Prüfung). Da Pick Up Trucks momentan sehr gefragt seien, sei von einem Verkehrswert von über 20.000,00 Euro auszugehen. Der
Antragsteller habe auch seine Einkommensverhältnisse bislang nicht plausibel dargelegt. Es würden lediglich Rechnungen mit
geschwärzten Rechnungsempfängern vorgelegt. Trotz Aufforderung sei kein ordentlich geführtes Kassenbuch vorgelegt worden.
Auf Nachfrage des Senats hat der Antragsteller mitgeteilt, die Kfz-Unterlagen im September 2017 von seiner damals schwer kranken
Mutter ausgehändigt bekommen zu haben. Dies sei erfolgt, um spätere Komplikationen mit dem Vater, der der Finanzierung nur
widerwillig zugestimmt habe, zu vermeiden. Eine schriftliche Erklärung zur Aufhebung des Verfügungsverbotes sei nicht gefertigt
worden.
Am 19. Februar 2019 hat der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers gegen den Ablehnungsbescheid vom 15. November
2018 zurückgewiesen. Hiergegen führt der Antragsteller vor dem SG Osnabrück das Klageverfahren S 22 AS 167/19. Einen erneuten Leistungsantrag vom 28. Februar 2019 hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. April 2019 abgelehnt (wiederum
unter Hinweis auf das Kfz als verwertbares Vermögen). Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom 22. April 2019 Widerspruch
eingelegt, über den - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschieden worden ist.
Der Senat hat am 13. Mai 2019 einen Erörterungstermin durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift
verwiesen. Auf Hinweis des Senats hat der Antragsteller mehrere eidesstattliche Versicherungen zur Gerichtsakte gereicht.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im
Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
Nach §
86b Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung
setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist, insbesondere auch ein Eilbedürfnis vorliegt (Anordnungsgrund). Sowohl
der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs
2 Satz 4
SGG iVm §
920 Abs
2 Zivilprozessordnung -
ZPO -).
1.
Ein Anordnungsanspruch liegt vor, da die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers glaubhaft gemacht worden ist.
Die Gewährung von SGB II-Leistungen setzt Hilfebedürftigkeit voraus, d.h. die Unmöglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden
Einkommen oder Vermögen bestreiten zu können (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners steht das Kfz nach derzeitigem Sach- und Streitstand der Annahme von Hilfebedürftigkeit
nicht entgegen.
Zwar sind nach § 12 Abs 1 SGB II alle verwertbaren Gegenstände als Vermögen zu berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen ist jedoch ein angemessenes Kraftfahrzeug
für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Person (§ 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein von Arbeitsuchenden genutztes Kfz nicht als Vermögen zu berücksichtigen, wenn dessen Verkehrswert bei realitätsnaher
Betrachtung zumindest die Summe aus dem Wert für ein angemessenes Kraftfahrzeug (7.500,00 Euro) und den Grundfreibeträgen
nach § 12 Abs 2 Nr 1 SGB II (hier: 9.300,00 Euro) nicht überschreitet (vgl. BSG, Urteil vom 20. August 2009 - B 14 AS 41/08 R -).
Nach der im sozialgerichtlichen Eilverfahren gebotenen lediglich summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage kann nicht
festgestellt werden, dass das Kfz des Antragstellers im maßgeblichen Zeitraum (d.h. ab 19. Dezember 2018) einen Wert von mehr
als 16.800,00 Euro hatte (= Vermögensfreibeträge iHv 9.300,00 Euro zzgl. 7.500,00 Euro).
Obwohl der Antragsgegner bereits seit Februar 2017 die Gewährung von SGB II-Leistungen unter Hinweis auf das aus seiner Sicht unangemessene Kfz abgelehnt hat bzw. ablehnt, hat er bislang kein Wertgutachten
über das Kfz eingeholt. Dies wertet der erkennende Senat als Verletzung der dem Antragsgegner obliegenden Amtsermittlungspflicht
(§ 20 SGB X), da die erfolgten Internet-Recherchen sowie die vom Antragsgegner bislang eingeholten relativ pauschalen Auskünfte für eine
tragfähige Wertbestimmung nicht ausreichen.
Der Antragsteller hat das Kfz im Juni 2014 - d.h. vor ca. fünf Jahren - für 21.000,00 Euro bei einem km-Stand von ca. 49.500
km gekauft. Dass der Antragsteller keine weiteren Zahlungen geleistet und der Verkäufer (oder ein Dritter) im Zusammenhang
mit diesem Kfz-Kauf auch keine weiteren wirtschaftlichen Vorteile erhalten hat, hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren
eidesstattlich versichert (vgl. eidesstattliche Versicherung vom 2. Mai 2019). Zudem ist der damalige Kaufvertrag, der diesen
Kaufpreis ausweist, aktenkundig.
Da es sich bei einem Kfz um einen Gebrauchsgegenstand handelt, der sowohl durch Zeitablauf als auch durch Nutzung erhebliche
Wertverluste erleidet, ist in besonderem Maße begründungsbedürftig, wenn ein Kraftfahrzeug nach Ablauf von ca. 5 Jahren und
einer weiteren Laufleistung von mehr als 70.000 km nicht nur keinen Wert verloren haben soll, sondern sogar wertvoller geworden
sein soll (22.790,00 Euro, vgl. Ablehnungsbescheid vom 15. November 2018). Die vom Antragsgegner vorgenommenen diversen Wertbestimmungen
werden durch das vom Antragsteller in Auftrag gegebene Wertgutachten des Kfz-Sachverständigen von M. (Kfz-Prüfstelle N.) erheblich
in Frage gestellt. Schließlich wies dieses Gutachten bereits im Jahr 2017 einen deutlich niedrigeren Wert aus. Unabhängig
davon, ob dieses Wertgutachten tatsächlich insgesamt überzeugt, stellt es einen substantiierten Vortrag des Antragstellers
zum tatsächlichen Wert des Kfz dar. Die vom Antragsgegner eingeholten relativ pauschalen Auskünfte sowie die bislang durchgeführten
Internetrecherchen sind nicht geeignet, das von einem Kfz-Sachverständigen erstellte Wertgutachten vollständig zu entkräften.
So lässt die Recherche von Angebotspreisen anderer Ford Pick Up-Modelle nur begrenzte Rückschlüsse auf das sehr spezielle
Fahrzeug des Antragstellers zu (Gebrauchtwagen-Einzelimport aus den USA; Basis-Ausstattung ohne Vierradantrieb oder Ledersitze;
kleine Fahrgastkabine bei entsprechend größerer Ladefläche). Ebenso wenig ist das Fahrzeug in gängigen Gebrauchtwagen-Datenbanken
gelistet. Eine hinreichend valide Wertbestimmung dürfte im vorliegenden Einzelfall somit wohl nur mittels eines Wertgutachtens
möglich sein. Dies gilt auch deshalb, weil die Autohaus L. GmbH auf Nachfrage des Antragsgegners zwar immer wieder deutlich
höhere Wertangaben gemacht hat, nach dem Vorbringen des Antragstellers im Erörterungstermin jedoch nicht bereit gewesen sei,
das Kfz des Antragstellers auch tatsächlich anzukaufen.
Es besteht kein Anlass, die bereits mehrjährigen Defizite in der Amtsermittlung des Antragsgegners im lediglich summarischen
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nachzuholen. Das sozialgerichtliche Eilverfahren dient weder der Ausermittlung
bislang nicht hinreichend ermittelter Tatsachen noch lässt sich die Einholung von Gutachten mit dem das Eilverfahren beherrschenden
Beschleunigungsgebot vereinbaren.
Dem Senat bleibt für das vorliegende Eilverfahren daher lediglich die Möglichkeit des Versuchs einer Wertbestimmung anhand
von Erfahrungswerten (vgl. zur Schätzungsbefugnis des Gerichts: §
202 SGG iVm §
287 ZPO).
Ausgangspunkt für die Schätzung ist die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers, wonach das Kfz im Juni 2014 für 21.000,00
Euro gekauft worden ist. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte geht der Senat davon aus, dass der damalige Kaufpreis in etwa
dem damaligen Verkaufswert entsprach, welcher somit im Juni 2014 ebenfalls bei ungefähr 21.000,00 Euro gelegen haben dürfte.
Auch der Antragsgegner hat keine Tatsachen ermittelt, aus denen geschlossen werden könnte, dass das Kfz im Juni 2014 erheblich
unter Wert verkauft worden sein könnte.
Bei einem Verkehrswert von 21.000,00 Euro im Juni 2014 (damalige Laufleistung: ca. 49.500 km) hält es der erkennende Senat
für ausgeschlossen, dass das Kfz nach Ablauf von fast 5 Jahren und bei einem derzeitigen km-Stand von 122.478 km (Stichtag:
2. Mai 2019) noch immer einen Verkehrswert von "über 20.000,00 Euro" oder sogar 22.790,00 Euro aufweisen soll (so aber: Schriftsatz
des Antragsgegners vom 8. April 2019 bzw Ablehnungsbescheid vom 15. November 2018). Schließlich beträgt der Wertverlust von
Kraftfahrzeugen im ersten Jahr nach Zulassung bis zu 25 % und in den Folgejahren idR 5 bis 6 % pro Jahr (vgl. hierzu etwa:
https://www.allianz.de/auto/kfz-versicherung/wertverlust-auto/). Selbst bei einem durchschnittlichen Wertverlust von lediglich
5 % pro Jahr (= 1.050,00 Euro) dürfte der Verkehrswert des Kfz somit im Dezember 2018 einen Betrag von 16.800,00 Euro (als
Gesamtbetrag der dem Antragsteller zustehenden Vermögensfreibeträge zzgl. 7.500,00 Euro) nicht mehr überstiegen haben.
Es ist auch nicht erkennbar, dass der Antragsteller über weiteres einzusetzendes Vermögen oder über bedarfsdeckendes Einkommen
aus selbständiger Tätigkeit verfügt. Auf die Aufforderung des Senats, sämtliche im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit seit September
2018 (bis laufend) erstellten Rechnungen vorzulegen, hat der Antragsteller Rechnungen aus der Zeit vom 19. September 2018
bis 24. Januar 2019 vorgelegt. Die Vollständigkeit dieser Rechnungen wird auch vom Antragsgegner nicht bezweifelt (vgl. Erklärung
des Antragsgegners im Erörterungstermin vom13. Mai 2019). Somit ist für die Zeit von Oktober 2018 (Antragsmonat) bis Ende
April 2019 von Einnahmen iHv lediglich insgesamt 1.469,58 Euro auszugehen. Bei Verteilung dieses Erwerbseinkommens auf den
Bewilligungszeitraum (vgl. hierzu: § 3 Abs 4 Alg II-V) kann nicht davon ausgegangen werden, dass der grundsicherungsrechtliche Bedarf des Antragstellers gedeckt war bzw ist. Insoweit
hat der Antragsteller auch hinreichend glaubhaft gemacht, auf welche Weise er trotz Leistungsablehnung seinen Lebensunterhalt
bestritten hat (laufende Opferrente sowie die ihm von seinem Schwager im Dezember 2018 und Februar 2019 gewährten Darlehen).
2.
Der Anordnungsgrund (Eilbedürfnis) ergibt sich aus der schwierigen finanziellen Situation des Antragstellers, der trotz seiner
nur geringen Einnahmen aus selbständiger Erwerbstätigkeit (zzgl. Opferrente) auf seinen bereits im Oktober 2018 gestellten
Antrag bislang keinerlei SGB II-Leistungen erhalten hat. Trotz der dem Antragsteller von seinem Schwager gewährten Darlehen sind bereits Zahlungsrückstände
iHv derzeit 792,68 Euro entstanden (vgl. eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 2. Mai 2019).
3.
Die Verpflichtung zur vorläufigen Zahlung von SGB II-Leistungen erfolgt für die Zeit ab dem 19. Dezember 2018 als dem Tag der Beantragung von einstweiligem Rechtsschutz beim
SG. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann grundsätzlich erst für die Zeit ab Eingang des Eilantrages beim SG einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden, nicht dagegen für die Vergangenheit (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats u.a.
vom 26. Juli 2010 - L 11 AY 128/09 B ER, vom 9. Februar 2011 - L 11 AS 1105/10 B ER; vom 19. September 2011 - L 11 AL 105/11 B ER - m.w.N.). Eine besondere, sich auch derzeit noch auswirkende Notlage, aufgrund derer ausnahmsweise auch für die Zeit
vor der Antragstellung einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden könnte, ist weder ersichtlich noch vom Antragsteller glaubhaft
gemacht worden.
4.
Bei der Höhe der dem Antragsteller vorläufig zu zahlenden Leistungen berücksichtigt der Senat einerseits den Bedarf des Antragstellers
(Regelbedarf nach § 20 SGB II zzgl. Bedarfe für Kosten der Unterkunft und Heizung) und andererseits sein schwankendes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit.
Insoweit stimmt der Senat dem Antragsgegner zu, dass die Angaben des Antragstellers zu seinem Erwerbseinkommen nicht widerspruchsfrei
sind. So befinden sich in der Verwaltungsakten zB zwei vom Antragsteller gefertigte Gewinn- und Verlustrechnungen, die - obwohl
sie einen identischen Zeitraum betreffen (1. Januar bis 5. November 2018) - unterschiedliche Gewinne ausweisen (einerseits:
6.105,09 Euro - Gewinn- und Verlustrechnung vom 5. November 2018, Bl. 70 der Verwaltungsakte; andererseits: 4.191,79 Euro
- Gewinn- und Verlustrechnung vom 9. November 2018, Bl. 175 der Verwaltungsakte). Auch hat der Antragsteller noch mit Schriftsatz
vom 6. Februar 2019 vortragen lassen, dass er seit Oktober keine Einnahmen mehr erzielt habe, obwohl er am 1. Oktober 2018
einen Betrag von 1.000,00 Euro, am 8. November 2018 einen Betrag von 439,58 Euro und am 24. Januar 2019 einen Betrag von 30,00
Euro vereinnahmt hat. Insgesamt hält der Senat daher im Wege einer Schätzung (vgl. hierzu erneut: §
202 SGG iVm §
287 ZPO) einen vorläufigen monatlichen Betrag von 650,00 Euro für geboten, aber auch für ausreichend (dh für den 19. bis 31. Dezember
2019 zeitanteilig 273,00 Euro). Die dem Antragsteller laufend gezahlte Opferrente nach § 17a StrRehaG bleibt von der Einkommensanrechnung ausgenommen (§ 16 Abs 4 StrRehaG).
Die vom Senat ausgesprochene Befristung (bis Juli 2019) gibt dem Antragsgegner Gelegenheit, die erforderlichen weiteren Ermittlungen
durchzuführen (insbesondere: Einholung eines Kfz-Wertgutachtens). Je nach Ausgang der Ermittlungen wird der Antragsgegner
sorgfältig zu prüfen haben, ob dem Antragsteller auch über den 31. Juli 2019 hinaus SGB II-Leistungen zu gewähren sind (ggf. nach § 41a SGB II).
5. Die Verpflichtung zur Leistungsgewährung erfolgt lediglich vorläufig, d.h. vorbehaltlich des Ausgangs des Rechtsstreits
in der Hauptsache (Klageverfahren S 22 AS 167/19 - SG Osnabrück sowie des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 16. April 2019). Bestätigt sich der im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren vorläufig zugesprochene Zahlungsanspruch im Hauptsacheverfahren nicht, resultiert hieraus ein entsprechender
Erstattungsanspruch des Antragsgegners (in entsprechender Anwendung des § 50 Abs 2 SGB X bzw iS eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs).
Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass die vorliegende Entscheidung maßgeblich auf den Angaben des Antragstellers zu
dem von ihm für das Kfz gezahlten Kaufpreis, zur Höhe seines seit September 2018 erzielten Erwerbseinkommens und zu den von
seinem Schwager gewährten Darlehen beruht. Sollten sich diese vom Senat als wahr zugrunde gelegten Angaben als unwahr erweisen,
hätte dies für den Antragsteller uU auch strafrechtliche Konsequenzen (§
263 Strafgesetzbuch (
StGB) - Prozessbetrug -; §
156 StGB - Falsche Versicherung an Eides statt -).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).