Gründe
I.
Die 1950 geborene Antragstellerin steht im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Sie ist seit 1978 Mieterin einer 1-Zimmer-Wohnung in der R in M, für die sie im Jahr 2013 monatlich EUR 260 und ab 2014
monatlich EUR 278 (Kaltmiete EUR 170, Betriebskostenvorauszahlung EUR 50 und Gasabschlag EUR 58) aufwendet. Laut Jahresrechnung
der R sind für den Zeitraum vom 18.1.2013 bis zum 20.1.2014 Stromkosten von EUR 131,07 angefallen (Verbrauch: 116 kWh). Über
einen Festnetz-Telefonanschluss verfügt die Antragstellerin nicht (mehr). Der Antragsgegner zahlte der Antragstellerin im
Bewilligungsabschnitt vom 1.9.2013 bis zum 28.2.2014 u. a. Kosten der Unterkunft in tatsächlich anfallender Höhe.
Am 9.7.2013 erhielt der Antragsgegner einen anonymen Anruf, in dem mitgeteilt wurde, die Antragstellerin halte sich nicht
unter der Adresse in der R auf, sondern wohne ständig bei ihrer Tochter in der K in M. Am 23.1.2014 führte der Antragsgegner
daraufhin einen Außendiensttermin durch, bei dem die Antragstellerin in der Wohnung in der R nicht angetroffen wurde. Anzeichen
für einen Umzug oder einen verwaisten Briefkasten fanden sich aber nicht: Briefkasten und Türklingel waren ordnungsgemäß beschriftet
und im Briefkasten befanden sich ein Prospekt und ein Brief. Laut einem vom Antragsgegner beigezogenen Vermerk der Stadtverwaltung
M vom 28.5.2014 hatte der Vermieter des Hauses in der K (in dem die Tochter der Antragstellerin wohnt) mitgeteilt, nach Angaben
seiner Mieter wohne die Antragstellerin mit in der Wohnung der Tochter, ohne sich dort angemeldet zu haben und ohne dass sie
an den Nebenkosten beteiligt werde. Die Tochter der Antragstellerin habe auf daraufhin gestellte Nachfrage mitgeteilt, ihre
Mutter halte sich dort lediglich besuchsweise auf.
Mit Schreiben vom 23.1.2014 - der Antragstellerin per PZU am 27.1.2014 zugestellt - bat der Antragsteller die Antragstellerin,
"zwecks Klärung leistungsrechtlicher Fragen" am 12.2.2014 um 10 Uhr persönlich im Jobcenter vorzusprechen. Er machte die Antragstellerin
in diesem Schreiben "ausdrücklich darauf aufmerksam, dass die Vorsprache zum oben genannten Termin zu Ihren Mitwirkungspflichten
gemäß §§
61,
66 SGB I gehört und dass ich ohne weitere Ermittlungen die Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende ganz entziehen werde [§ 66
SGB I], wenn Sie Ihrer Mitwirkungspflicht nicht zum vereinbarten Termin nachkommen".
Am 4.2.2014 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II, erschien zu dem Termin am 12.2.2014 aber nicht. Der Antragsgegner "versagte" daraufhin die Leistungen mit Bescheid vom 13.2.2014
ganz ab dem 1.3.2014, da die Antragstellerin den Termin am 12.2.2014 trotz Belehrung über die Rechtsfolgen ohne Angabe von
Gründen nicht wahrgenommen habe. Hierauf meldete sich die Antragstellerin "gemeinsam mit ihrer Tochter" telefonisch beim Antragsgegner.
Auf den Vorhalt, sie sei "zur leistungsrechtlichen Einladung" nicht erschienen, erklärte sie, die Einladung nicht erhalten
zu haben. Es wurde ein neuer Termin für den 6.3.2014 vereinbart, zu dem die Antragstellerin dann auch erschien. Sie erklärte,
"jetzt keine Wohnungsbesichtigung des Jobcenters durchführen lassen" zu wollen. Sie sei dagegen, dass ein fremder Mensch durch
einen anonymen Anruf die Macht ausüben könne, eine Ermittlung des Jobcenters auszulösen. Sie sehe sich als Opfer eines bösen
Willens, dem sie sich nicht unterwerfen möchte. Zur Klärung der Angelegenheit bat sie um ein Gespräch mit dem Vorgesetzten
des Mitarbeiters des Antragsgegners. Sie erklärte weiter schriftlich durch eine Aktennotiz, über ihre Mitwirkungspflichten
nach §§
60 ff.
SGB I und u. a. die Verpflichtung, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erforderlich seien, belehrt worden zu sein. Das
Gespräch mit dem Vorgesetzten fand am 13.3.2014 statt. Ihr wurde dort erneut die Notwendigkeit eines Außendiensttermins mitgeteilt,
worauf sie dies erneut ablehnte.
Mit Bescheid vom 19.3.2014 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.3.2014 bis zum 31.8.2014 in Höhe von monatlich EUR 391 (d. h. in Höhe der Regelleistung, ohne Kosten
der Unterkunft). Über den hiergegen erhobenen Widerspruch der Antragstellerin wurde bislang nicht entschieden.
Am 16.4.2014 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Koblenz den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und vorgetragen,
sie wohne bereits seit fast 40 Jahren in der Wohnung in der R und schlafe dort auf einer Bettcouch. Über einen Kleiderschrank
verfüge sie nicht, die Kleidung bewahre sie auf einer Kleiderstange auf. Einen Elektroherd in der Küche benutze sie nur sehr
selten und ihre (defekte) Waschmaschine gar nicht. Einen Fernseher habe sie nicht. Die einzigen ganzjährigen Stromquellen
seien ihr Kühlschrank und die vorhandenen Lampen. Zu ihrer Tochter, die etwa einen Kilometer entfernt wohne, habe sie ein
sehr gutes Verhältnis. Sie treffe sich sehr häufig mit ihr und halte sich dann auch oft in deren Wohnung auf, schlafe dort
aber so gut wie nie. Der niedrige Stromverbrauch erkläre sich durch ihren sehr sparsamen Umgang mit Strom.
Zur Untermauerung ihres Vortrags hat die Antragstellerin mehrere Fotos aus ihrer Wohnung und eine eidesstattliche Versicherung
vorgelegt. In einem Erörterungstermin am 11.6.2014 hat das Sozialgericht Koblenz die Antragstellerin persönlich angehört und
deren Tochter, Frau V L als Zeugin vernommen.
Durch Beschluss vom 12.6.2014 (S 6 AS 311/14 ER) hat das Sozialgericht Koblenz hat den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin in Abänderung des Bescheids vom
19.3.2014 ab dem 16.4.2014 bis zum 31.8.2014 die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe des bisherigen Umfangs zu gewähren.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, auch wenn der Antragsgegner mit Verweis auf die anonyme Anzeige, den Vermerk
von Frau W von der Stadtverwaltung M und insbesondere den sehr geringen Stromverbrauch von zuletzt 116 kWh im Jahr 2013 erhebliche
Zweifel an der tatsächlichen Nutzung der Wohnung vorbringe, gehe das Gericht unter Berücksichtigung des von der Antragstellerin
vorgelegten Fotomaterials sowie der Erklärungen im Erörterungstermin am 11.6.2014 davon aus, dass die Wohnung in der R von
der Antragstellerin tatsächlich genutzt werde. Die Wohnung sei ausweislich des Fotomaterials zwar sehr spartanisch eingerichtet
und es sei auch kein normales Bett vorhanden. Der sehr geringe Stromverbrauch von jährlich 116 kWh (monatliche Kosten von
EUR 10,92) sei angesichts des Durchschnittswerts von 1.798 kWh (Hinweis auf www.musterhaushalt.de/Durchschnitt/Storm-verbrauch.de)
zwar ungewöhnlich, erweise sich aber angesichts des für den Regelsatz relevanten Verbrauchs eines Ein-Personen-Haushalts für
Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung von monatlich EUR 32,68 bei sparsamer Verhaltensweise als vertretbar. Letztendlich
hätten auch der persönliche Eindruck der Antragstellerin und die schlüssigen und nachvollziehbaren Darlegungen der Antragstellerin
und deren Tochter die tatsächliche Nutzung im erforderlichen Maß bestätigt. Der Antragsgegner sei daher ab Antragstellung
bei Gericht zur Leistung zu verpflichten. Für die Vergangenheit sei der Antrag indes abzulehnen, da insoweit keine auch noch
nach Antragstellung fortwirkende Notlage glaubhaft gemacht sei.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 13.6.2014 bei Gericht eingegangenen Beschwerde, mit der er vorträgt,
es bestünden erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Nutzung der Wohnung in der R durch die Antragstellerin im Sinne der Begründung
eines persönlichen Aufenthalts, die im gerichtlichen Eilverfahren zulasten der Antragstellerin gehen müssten (Hinweis auf
Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 22, Rn. 44 mwN). Auf den am 19.5.2014 eingereichten Fotos seien keinerlei persönliche Gegenstände oder Bilder, Bücher, Lampen,
Bett, Fernseher und Schränke erkennbar. Auch die von der Antragstellerin benannte Kleiderstange sei nicht zu erkennen. Dass
sich die Antragstellerin weiterhin beharrlich weigere, eine Inaugenscheinnahme der Wohnung zuzulassen, müsse zu ihren Lasten
gehen. Auch der stark unterdurchschnittliche Strombezug spreche gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt der Antragstellerin in
der Wohnung im Sinne eines Schwerpunktes der Lebensverhältnisse. Ihren vormals bestehenden Festnetzanschluss habe die Antragstellerin
gekündigt. Unabhängig von den Wohnverhältnissen in der R hätten sich auch die Mieter des Hauses in der K, in dem die Tochter
der Antragstellerin wohne, bei ihrem Vermieter darüber beschwert, dass die Antragstellerin dort dauerhaft wohne, ohne an den
Hausnebenkosten beteiligt zu werden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Koblenz aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt vor, auf die Zweifel des Antragsgegners an der tatsächlichen Nutzung der Wohnung komme es nicht an. Das Sozialgericht
habe die Interessenabwägung korrekt durchgeführt und die erhobenen Beweise zutreffend gewürdigt. Auf den vorgelegten Bildern
seien entgegen der Ansicht des Antragsgegners sehr wohl persönliche Gegenstände zu erkennen. Wie das Sozialgericht zutreffend
erkannt habe, spreche nicht gegen die Nutzung der Wohnung, dass sie nur auf einer Bettcouch schlafe. Die Inaugenscheinnahme
der Wohnung stelle nicht das einzige Beweismittel dar. Darüber hinaus sei fraglich, ob die auf den minimalen Stromverbrauch
gegründeten Zweifel durch eine Inaugenscheinnahme überhaupt zerstreut werden könnten. Dem Antragsgegner sei angeboten worden,
die Wohnung der Tochter in Augenschein zu nehmen, was der Antragsgegner aber abgelehnt habe. Schließlich bestünden erhebliche
Bedenken an der gerichtlichen Verwertbarkeit der Angaben aus dem Vermerk der Stadtverwaltung M vom 28.5.2014, da sich diese
auf Oktober 2013 bezögen.
Zur Ergänzung wird auf die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegte Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung
zur Erbringung von Kosten der Unterkunft verpflichtet. Denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
sind nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
Nach §
86b Abs
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der
Erlass der einstweiligen Anordnung setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus, deren Voraussetzungen
vom Antragsteller glaubhaft zu machen und vom Gericht summarisch zu prüfen sind. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das
geltend gemachte materielle Recht des Antragstellers, für das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn 27 ff.; BVerwG NVwZ 94, 370; Schoch/Schneider/Bier,
VwGO, 25. EGL 2013, §
123 Rn. 70). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen
Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller aaO; Wündrich SGb 2009, 267, 268): Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anforderungsgrund
und umgekehrt. Wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt
werden muss, nicht vorhanden. Der Antrag auf eine einstweilige Anordnung ist in diesem Fall, auch wenn ein Anordnungsgrund
gegeben ist, abzulehnen (allgM, zB Keller, aaO; Thür. LSG, Breith. 2002, 684). Ist die Klage offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund (LSG Nds-Bremen
v. 20.10.2003 - L 15 AL 23/03 ER, SGb 2004, 44; LSG RP v. 12.2.2010 - L 1 SO 84/09 B ER; Thür. LSG aaO; Kopp/Schenke,
VwGO, 20. Aufl. 2014, §
123 Rn. 25); auch in diesem Fall kann aber auf einen Anordnungsgrund nicht verzichtet werden (LSG RP v. 11.11.2004 - L 5 ER 75/04
KA, NZS 2005, 671; Hess. LSG v. 29.6.2005, L 7 AS 1/05 ER, Breith. 2006, 56).
Anordnungsgrund ist die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Vermieden werden soll sowohl bei Sicherungs- als
auch bei Regelungsanordnungen, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksamen Rechtsschutz
erlangen kann (Keller, aaO). Für das Vorliegen eines wesentlichen Nachteils im Sinne des §
86b Abs
2 Satz 2
SGG ist entscheidend, ob es bei einer Interessenabwägung nach den Umständen des Einzelfalls für den Betroffenen zumutbar ist,
die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Bei offenem Ausgang des Hauptsachverfahrens ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich (Thür. LSG, Breith. 2002,
684). Die einstweilige Anordnung wird erlassen, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten
nicht zuzumuten ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (LSG NW, NZS 2002, 498; LSG RP v. 11.11.2004 - L 5 ER 75/04 KA, NZS 2005, 671; Hess. LSG v. 29.6.2005 - L 7 AS 1/05 ER, Breith. 2006, 56). Abzuwägen sind die Folgen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht
erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, und auf der anderen Seite entstünden,
wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht
besteht (LSG Berlin v. 28.1.2003 - L 9 B 20/02 KR ER, HVBG-INFO 2003, 2985). Dabei sind je nach Fallgestaltung neben allgemeinen Billigkeitserwägungen die Intensität einer drohenden Verletzung von
Grundrechten, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten, sowie die Mitverantwortung des Antragstellers für eine entstandene
nachteilige Situation in die Interessenabwägung mit einzubeziehen (LSG Nds. v. 12.10.2005 - L 3 KA 128/05 ER).
Im vorliegenden Fall sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache offen, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt bislang nicht
erschöpfend aufgeklärt ist und daher die Prüfung der Voraussetzungen des geltend gemachten Anordnungsanspruchs nicht abschließend
möglich ist. Der geltend gemachte Anordnungsanspruch richtet sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen
sind. Erfasst sind hiervon alle Kosten, die für eine zu Wohnzwecken tatsächlich genutzte Unterkunft anfallen (BSG v. 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R, juris, Rn. 15; Bay. LSG v. 19.4.2011 - L 7 AS 264/11, juris Rn. 18; Luik, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 22, Rn. 44). Ob die Antragstellerin die Wohnung in der R in M tatsächlich zu Wohnzwecken nutzt, kann auf der Grundlage des bislang
aufgeklärten Sachverhalts nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Denn aufgrund der bisherigen Amtsermittlungen des Antragsgegners
und des Sozialgerichts spricht einiges dafür, dass die Antragstellerin die Wohnung in der R nicht (mehr) zu Wohnzwecken nutzt.
Ob der Antragsgegner im Wege der Amtsermittlung nach § 20 SGB X allen zugänglichen Beweismitteln nachgegangen ist und daher zu einer Entscheidung nach der objektiven Beweislastverteilung
berechtigt war, kann im vorliegenden Verfahren aber letztlich offen bleiben. Denn die bei offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache
anzustellende Interessenabwägung ergibt jedenfalls, dass eine einstweilige Anordnung im vorliegenden Fall nicht zur Abwendung
wesentlicher Nachteile der Antragstellerin notwendig ist. Zwar sind die Folgen einer zu Unrecht erfolgten Verweigerung zur
Existenzsicherung notwendiger Leistungen für den Betroffenen regelmäßig schwerwiegender als die fiskalischen Folgen einer
vorübergehend zu Unrecht erfolgten Leistungsgewährung für die Behörde. Von besonderem Gewicht ist im vorliegenden Fall aber
die Mitverantwortung der Antragstellerin für die entstandene für sie nachteilige Situation. Denn die Aufklärbarkeit des entscheidungserheblichen
Sachverhalts scheiterte wesentlich an der Weigerung der Antragstellerin, die Inaugenscheinnahme der Wohnung, für die sie die
Erbringung von Kosten der Unterkunft und Heizung begehrt, zu dulden.
Die Duldung der Inaugenscheinnahme der Wohnung nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X durch den Außendienst des Antragsgegners (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II) ist der Antragstellerin auch zumutbar. Die Duldung des Hausbesuchs durch den Hilfebedürftigen findet ihre Grundlage in der
allgemeinen Mitwirkungspflicht der Verfahrensbeteiligten nach § 21 Abs. 2 Satz 1 SGB X (SG Karlsruhe v. 17.06.2010 - S 13 AS 4100/08; Hess. LSG v. 30.1.2006 - L 7 AS 1/06 ER, L 7 AS 13/06 ER; Meyerhoff in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 6 Rn. 32; Luthe in: Hauck/Noftz, SGB II, § 6 Rn. 14a; ders., in: jurisPK-SGB X, § 21 Rn. 37; Klaus in: GK-SGB II, § 6 Rn. 16; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen v. 29.06.2006 - L 9 AS 239/06 ER - juris). Zwar sehen weder das SGB II noch das SGB X Hausbesuche ausdrücklich vor. Gleichwohl kann die Verpflichtung zur Duldung von Hausbesuchen unmittelbar auf § 21 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X gestützt werden. Die Mitwirkungspflicht des § 21 Abs. 2 Satz 1 SGB X bezieht sich auf die in Absatz 1 aufgeführten Beweismittel, zu denen die Inaugenscheinnahme nach Nr. 4 gehört. Kommt die
Behörde mit eigenen Ermittlungen nicht weiter, so kann im Rahmen der Augenscheinseinnahme deshalb auch der Hausbesuch erforderlich
sein (Luthe, in: jurisPK-SGB X, § 21 Rn. 37 mwN). Dies gilt insbesondere dann, wenn Beweisgegenstand die tatsächliche Nutzung einer Wohnung ist. Denn hier ist
die Inaugenscheinnahme dieser Wohnung das am nächsten liegende Beweismittel.
Bedenken gegen die Zumutbarkeit der Duldung der Inaugenscheinnahme der Wohnung bestehen entgegen der Ansicht der Antragstellerin
auch nicht im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner durch eine anonyme Anzeige zur Inaugenscheinnahme der Wohnung veranlasst
worden wäre. Es kann hierbei offen bleiben, ob bereits eine anonyme Anzeigen den Leistungsträger berechtigt, einen Hausbesuch
beim Leistungsempfänger durchzuführen. Denn der Antragsgegner stützt seine Zweifel an der tatsächlichen Nutzung der Wohnung
durch die Antragstellerin nicht nur auf die anonyme Anzeige. Vielmehr hat er diese Anzeige zum Anlass genommen, weitere Amtsermittlungen
durchzuführen. Der dabei festgestellte sehr niedrige Stromverbrauch der Antragstellerin spricht gegen eine durchgehende Nutzung
der Wohnung zu Wohnzwecken. Auch die Tatsache, dass die Antragstellerin nicht (mehr) über einen Festnetz-Telefonanschluss
verfügt, spricht dagegen. Außerdem hatte sich bereits im Jahr 2013 der Vermieter des Hauses, in dem die Tochter der Antragstellerin
wohnt, an die Stadtverwaltung M gewandt und nach dort mitgeteilt, dass die Antragstellerin nach Angaben seiner Mieter in der
Wohnung ihrer Tochter wohne, ohne sich dort angemeldet zu haben. Letztendlich geben auch die unterschiedlichen Angaben der
Antragstellerin und ihrer Tochter im Erörterungstermin des Sozialgerichts am 11.6.2014 Anlass zu weiteren Amtsermittlungen:
So hatte die Antragstellerin angegeben, während der Krankheit ihrer Tochter eine Woche in deren Wohnung geschlafen zu haben,
während die Tochter angegeben hatte, ihre Mutter habe während der Erkrankung nicht bei ihr geschlafen. Es war daher naheliegend,
den durch das bisherige Ergebnis der Amtsermittlungen begründeten Zweifeln an der tatsächlichen Nutzung der Wohnung durch
die Antragstellerin weiter nachzugehen.
Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art.
13 GG bestehen nicht: Da die Inaugenscheinnahme nicht erzwungen werden kann, liegt angesichts der verbleibenden Entscheidungsfreiheit
auf Seiten des Betroffenen kein unmittelbarer oder mittelbarer Grundrechtseingriff vor (Luthe, in: jurisPK-SGB X, § 21 Rn. 37; kritisch im Hinblick auf die Eingriffsintensität der Verweigerung existenzsichernder Leistungen insoweit aber Blüggel,
in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, Vor §§ 56-62, Rn. 28).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).