Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung. Seinen im August 2007 gestellten Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid
vom 19.12.2007 und Widerspruchsbescheid vom 25.7.2008 ab. Das SG hat nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und mehrerer Sachverständigengutachten die Beklagte zur Gewährung
einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.8.2007 verurteilt. Im Berufungsverfahren hat das LSG weitere medizinische
Ermittlungen angestellt. Für die Zeit vom 1.7.2015 bis zum 30.9.2021 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben, das
der Kläger angenommen hat. Hinsichtlich des Zeitraums vom 1.8.2007 bis zum 30.6.2015 und ab dem 1.10.2021 hat das LSG mit
dem angefochtenen Urteil die Entscheidung des SG geändert und die Klage abgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er macht die grundsätzliche
Bedeutung der Sache geltend und rügt zudem eine Rechtsprechungsabweichung sowie Verfahrensmängel.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung
legt einen Revisionszulassungsgrund iS des §
160 Abs
2 SGG nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
1. Der Kläger bezeichnet eine grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht hinreichend.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss zur ordnungsgemäßen Darlegung
dieses Revisionszulassungsgrundes daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre
(konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm
angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufzeigen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 27.5.2020 - B 1 KR 8/19 B - SozR 4-1500 §
160a Nr 40 RdNr 4 mwN; Fichte in Fichte/Jüttner,
SGG, 3. Aufl 2020, §
160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger formuliert schon keine konkrete Frage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bezeichneten
Vorschrift des revisiblen Rechts (§
162 SGG) mit höherrangigem Recht iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG. Zwar macht er geltend, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung bei der Klärung des unbestimmten Rechtsbegriffs der
"üblichen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt" nach §
43 Abs
2 Satz 2
SGB VI zu. Bisher gebe es durch die Rechtsprechung keine klare Definition des Begriffes "üblichen Bedingungen" sowie tatsächliche
"Umstände" in Bezug auf vorherrschende Umweltbedingungen, "hier jetzt alltagsübliche elektromagnetische Felder zuvorderst
der Handys, schnurlosen Telefone oder aber andere ähnlich wirkende elektromagnetischen Belastungen für die Rechtsbelange des
Klägers". Insoweit fehlt es jedoch an jeder Auseinandersetzung mit der hierzu einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung
(vgl zB BSG Urteil vom 9.5.2012 - B 5 R 68/11 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 18 RdNr 17 ff; BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22, RdNr 14 ff, 22 ff mwN). Der Kläger selbst stellt auch keine konkrete Frage dazu, in welcher Weise das Tatbestandsmerkmal der "üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes" - ggf anders als bisher - auszulegen sei. Er trägt vielmehr lediglich vor, er sehe sich durch
die Ausführungen im LSG-Urteil "in seiner Rechtssache verletzt". Dass ihm nach seiner Auffassung wegen der bei ihm bestehenden
Elektrosensibilität und der im Arbeitsleben allfällig vorhandenen elektromagnetischen Felder Tätigkeiten jeglicher Art nicht
mehr möglich seien, betrifft die Rechtsanwendung (Subsumtion) in seinem Einzelfall und vermag eine darüber hinausgehende grundsätzliche
Bedeutung nicht aufzuzeigen. Dementsprechend sind auch seine Ausführungen zu der von ihm nicht zu bewältigenden Exposition
von Mitarbeitern von Poststellen, Pförtnern in Verwaltungsgebäuden und Verpackern von Kleinteilen mit "elektromagnetischer
Leckstrahlungsbelastung" oÄ nicht geeignet, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen.
2. Der Kläger zeigt auch eine Rechtsprechungsabweichung nicht in der erforderlichen Weise auf.
Eine Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn dem angefochtenen Urteil ein abstrakter Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem zu derselben Rechtsfrage
entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen
darzulegen (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen. Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht
miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen
Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung
im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz
(stRspr; zB BSG Beschluss vom 20.4.2021 - B 5 R 18/21 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 19.5.2021 - B 10 ÜG 13/20 B - juris RdNr 8 ff, 11).
Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Es fehlt bereits an einer Gegenüberstellung
divergierender Rechtssätze. Indem der Kläger wiederum umfänglich zu der aus seiner Sicht eingeschränkten Mobilität wegen der
etwa auch bei Taxifahrten oder beim Erwerb eines Kfz zu erwartenden elektromagnetischen Belastungen vorträgt und daraus herleitet,
dass das LSG "in der Anwendung der Ausnahmeregel der BSG Entscheidung vom 12.12.2011" den dort formulierten Anforderungen nicht gerecht werde, rügt er lediglich eine unzutreffende
Subsumtion in seinem Einzelfall.
3. Ebenso legt der Kläger einen Verfahrensmangel nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nicht hinreichend dar. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die
angefochtene Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die Tatsachen substantiiert dargetan werden, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll. Darüber hinaus sind
Ausführungen erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Der Kläger bezeichnet keine konkrete Verfahrensvorschrift als verletzt. Er beanstandet vielmehr einen "Verfahrensmangel bei
der Beurteilung der Wegefähigkeit des Klägers sowie der Frage der Befristung der Erwerbsminderungsrente durch die Berücksichtigung
in sich widersprüchlicher und damit untauglicher Gutachten". Hierzu führt er aus, einzelne Aussagen im Gutachten des Sachverständigen
M passten "in sich hier nicht zusammen" und seien "unlogisch". Ebenso seien einzelne Angaben des Gutachters S widersprüchlich
und nicht plausibel. Auch das Gutachten des E sei "zu verwerfen und als Beweismittel nicht zuzulassen", da seine Aussagen
zur Wegefähigkeit falsch und unrichtig seien. Die Beweiswürdigung des LSG, das sich auf diese Gutachten stütze, müsse "in
Frage gestellt werden". Damit wendet sich der Kläger ersichtlich allein gegen die Beweiswürdigung durch das LSG. Auf eine
Verletzung von §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) kann im sozialgerichtlichen Verfahren nach der ausdrücklichen Anordnung
in §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde aber von vornherein nicht gestützt werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.2.2020 - B 9 V 41/19 B - juris RdNr 6, 8; BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 13 R 260/18 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 13.1.2022 - B 5 R 292/21 B - RdNr 6).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG.