Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Eingriffen an Hüftgelenken
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Darlegungsvoraussetzungen für eine Sachaufklärungsrüge
Gründe
I
Die 1970 geborene Klägerin begehrt die Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, die die Beklagte ihr wegen
ihres damaligen Zustands nach Eingriffen an beiden Hüftgelenken (dreifache Beckenostetomie) zuletzt bis Mai 2016 bewilligt
hatte.
Der Weitergewährungsantrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 7.6.2016; Widerspruchsbescheid vom 29.9.2016). Das SG hat die dagegen gerichtete Klage nach Einholung von zwei Gutachten auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet abgewiesen (Urteil vom 9.7.2020). Im dagegen von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren hat das LSG ein Gutachten des Chirurgen R eingeholt. Die Klägerin
hat daraufhin ua einen Arztbrief der Neurologin L, Interdisziplinäres Schmerzzentrum der K Klinik S1, vom 19.4.2021 und einen
Befundbericht des Psychotherapeuten S2 vom 13.4.2021 vorgelegt. Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 14.9.2021 zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin seien leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Position bei Ausschluss
von Tätigkeiten unter hohem Zeitdruck, in Nachtschicht und mit umfänglichem Publikumsverkehr ohne zeitliche Einschränkung
zumutbar. Das ergebe sich aus den schlüssigen und überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen R. Die im Berufungsverfahren
vorgelegten Unterlagen würden keine weitergehenden Einschränkungen rechtfertigen. Darin sei insbesondere keine höhergradige
depressive Erkrankung nachgewiesen.
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 16.12.2021 begründet hat. Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 24.1.2022 geäußert.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG zu verwerfen. Die Klägerin bezeichnet den allein geltend gemachten Verfahrensmangel nicht anforderungsgerecht (§
160 Abs
2 Satz 3
SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung vom 16.12.2021 nicht gerecht.
Die Klägerin rügt darin eine Verletzung des §
103 Satz 1 Halbsatz 1
SGG. Wird eine solche Sachaufklärungsrüge erhoben, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1)
Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe
der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung
der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe
des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des
LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses
der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis
hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11). Die Beschwerdebegründung entspricht schon nicht den unter Punkt (1) genannten Anforderungen.
Die Klägerin bringt vor, sie habe, nachdem das Gutachten des Sachverständigen R vorgelegen habe, "in zwei Schriftsätzen" die
Einholung "eines neurologisch-psychologischen Gutachtens/Zusammenhangsgutachtens" sowie die Beiziehung "der Verfahrensakte
S 10 R 2012/10 des SG München" beantragt. Damit ist kein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer Beweisantrag bezeichnet. Falls
die Klägerin sich auf ihre Schriftsätze vom 3.6.2021 und vom 13.8.2021 beziehen will, legt sie jedenfalls nicht hinreichend
dar, darin seien ordnungsgemäße Beweisanträge enthalten gewesen (vgl zur nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässigen Bezugnahme auf vorinstanzlich eingereichte Schriftsätze zB BSG Beschluss vom 21.8.2009 - B 11 AL 21/09 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 15.3.1991 - 2 BU 20/91 - juris RdNr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 13a). Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte
(vgl §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
403 bzw §
373 ZPO) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte und dass es sich damit seinem Inhalt nach nicht nur um eine Beweisanregung
gehandelt habe (vgl zB BSG Beschluss vom 26.11.2019 - B 13 R 159/18 B - juris RdNr 8 mwN). Der Beweisantrag im Rentenverfahren muss sich möglichst präzise mit dem Einfluss dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen
auf das verbliebene Leistungsvermögen befassen. Im Rahmen eines Rentenverfahrens darf es dabei nicht nur auf eine Diagnosestellung
ankommen, es muss vielmehr der negative Einfluss von weiteren, dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene
Leistungsvermögen behauptet und möglichst genau dargetan werden (vgl zB BSG Beschluss vom 5.11.2019 - B 13 R 40/18 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6). Dass das Vorbringen in den Schriftsätzen vom 3.6.2021 und 13.8.2021 diesen Anforderungen genügt habe, wird in der Beschwerdebegründung
nicht aufgezeigt. Die Klägerin versäumt es darzutun, inwiefern sie gegenüber dem LSG weitergehende oder zusätzliche Leistungseinschränkungen
beschrieben habe, die sich aus einem weiteren Gutachten oder aus der Akte des SG München zum abgeschlossenen Rentenverfahren
ergeben könnten. Ihr pauschales Vorbringen, sie habe die Beweisanträge im Einzelnen begründet, reicht insoweit nicht aus.
Mit ihrer Behauptung, die Beweisanträge seien "ausdrücklich aufrechterhalten" worden, legt die Klägerin schließlich nicht
anforderungsgerecht dar, ihr Beweisbegehren bis zum Schluss, dh im Falle einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch
noch bei Erteilung des Einverständnisses mit dieser Verfahrensweise (vgl §
124 Abs
2 SGG) aufrechterhalten zu haben (vgl zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 25.11.2013 - B 13 R 339/13 B - juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 11.8.2021 - B 5 R 171/21 B - juris RdNr 8).
Ungeachtet all dessen wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend aufgezeigt, dass für das Berufungsgericht zwingend
Veranlassung zu einer weiteren Sachaufklärung bestanden hätte. Das LSG hat in seiner Entscheidung ausgeführt, auch nach Auswertung
der im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen spreche nichts dafür, dass bei der Klägerin im Zusammenhang mit einer Depression
ein höherer Leidensdruck bestehe. Die Klägerin habe gegenüber dem Interdisziplinären Schmerzzentrum insoweit ausdrücklich
keine Arzneimittelbehandlung gewünscht; sie habe sich von 2012 bis 2020 nicht in psychotherapeutischer Behandlung befunden,
sondern sich im Oktober 2020 erstmals bei Herrn S2 vorgestellt, der im April 2021 eine mittelgradige Depression diagnostiziert
habe. Damit setzt die Klägerin sich nicht auseinander. Ihr pauschales Vorbringen, das LSG hätte sich zur weiteren Aufklärung
des Sachverhalts gedrängt fühlen müssen, reicht insoweit nicht aus. Gleiches gilt für ihre allgemein gehaltenen Ausführungen
zum Nutzen verschiedener psychologischer Testverfahren.
Letztlich wendet die Klägerin sich gegen die Beweiswürdigung durch das LSG, indem sie vorbringt, sie erlebe die seit 2018
bestehenden neurologisch-psychologischen Beschwerden so stark, dass ihr Leistungsvermögen aufgehoben sei; selbst im Gutachten
des Sachverständigen R seien neurologische Auffälligkeiten angesprochen worden; ihre orthopädischen Beschwerden wögen schwerer
als im "Normalfall", weil sie auch psychosomatisch bedingt seien; zudem verfüge sie nicht mehr über die notwendige Umstellungs-
und Anpassungsfähigkeit, um eine für sie berufsfremde Tätigkeit aufzunehmen. Auf eine Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch von vornherein nicht gestützt werden (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 und 4
SGG.