Prozeßkostenforderung, Aufrechnung gegen einen Zahlungsanspruch, Nationalität, Wohnsitz
Gründe:
Der Kläger, der in Spanien wohnt, begehrt die Aufhebung des Bescheides der Beklagten, mit dem sie gegen Rentenansprüche des
Klägers einen eigenen Anspruch aufrechnet.
Der Kläger erhält seit 1. Dezember 1975 von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Die Beklagte führte gegen ihn
einen Zivilrechtsstreit, der durch Anerkenntnisurteil endete (Landgericht Düsseldorf - 11 O 604/86 -). Das Landgericht setzte die vom Kläger der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 1.488,43 DM nebst 4% Zinsen seit dem 29.
Juni 1987 fest.
Mit Schreiben vom 25. März 1988 kündigte die Beklagte dem Kläger ihre Aufrechnung dieser Forderung an und gab ihm Gelegenheit
zur Stellungnahme. Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 3. Mai 1988 gegen die Aufrechnung. Mit Bescheid vom 31. Mai 1988
rechnete die Beklagte gegen die EU-Rente des Klägers auf. Die Hälfte der Rente des Klägers betrage 126,50 DM. Ab 1. Juni 1988
werde sie dem Kläger nur noch diesen Betrag zukommen lassen. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 26. März 1992 setzte sie die
monatliche Aufrechnung in Anwendung ihres Ermessens auf 50,00 DM herab.
Nach Klageerhebung hat auf entsprechende Anfrage des Sozialgerichts (SG) das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Bilbao mitgeteilt, der Regelsatz der Sozialhilfe für einen Deutschen,
der in Bilbao lebe, habe 1990 und 1991 430,00 DM betragen, ab 1. Januar 1992 450,00 DM monatlich. Ab Vollendung des 60. Lebensjahres
sei ein Mehrbedarf von 20% zu gewähren. Zur Ermittlung des Bedarfs der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt sei die tatsächlich
zu zahlende, angemessene Miete zu berücksichtigen; Sozialhilfe wäre zu zahlen gewesen, wenn die Miete 1990 bis Anfang September
1991 443,95 DM, danach bis Ende 1991 405,27 DM, seit Anfang 1992 401,15 DM überstiegen hätte.
Das SG hat den Bescheid vom 31. Mai 1988 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 26. März 1992 für die Zeit vom 1. Juni 1988 bis 31.
August 1990 und ab 1. Juli 1992 aufgehoben, im übrigen die Klage abgewiesen sowie die Revision zugelassen (Urteil vom 5. November
1993). Es hat ausgeführt: Im Zeitraum bis 31. August 1990 habe das monatliche Nettoeinkommen des Klägers aus der spanischen
und deutschen Rente maximal 911,00 DM betragen. Der Kläger habe seine Frau bis zu deren Tod am 27. August 1990 unterhalten.
Für diesen Fall habe die Pfändungsfreigrenze nach §
850c Zivilprozeßordnung (
ZPO) bei 1.099,99 DM gelegen. Ab 1. Juli 1992 habe das Renteneinkommen des Klägers 995,31 DM, ab 1. Januar 1993 940,82 DM, ab
1. Juli 1993 953,83 DM betragen. Nach dem am 1. Juli 1992 in Kraft getretenen Sechsten Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen
vom 1. April 1992 (BGBl. I S. 745 ff.) unterliege auch bei Personen, die keine Unterhaltsberechtigten zu unterhalten hätten,
ein Einkommen bis zu 1.219,99 DM nicht der Pfändung. Im Zeitraum vom 1. September 1990 bis 30. Juni 1992 seien dagegen die
Pfändungsfreigrenzen beachtet worden. Bei fehlender Unterhaltspflicht hätten die Freigrenzen nach §
850c
ZPO bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 759,99 DM gelegen. Der Kläger habe in diesem Zeitraum aber über folgende Beträge
verfügt: Ab 1. September 1990 über 910,95 DM monatlich, ab 1. Januar 1991 über 958,14 DM, ab 1. Juli 1991 über 971,14 DM und
ab 1. Januar 1992 über 986,99 DM. Das bedeute, daß selbst bei dem niedrigsten monatlichen Betrag innerhalb dieses Zeitraumes
monatlich noch 102,20 DM pfändbar gewesen seien. Der Kläger sei durch die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung auch
nicht hilfebedürftig i.S. des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) geworden. Er habe immer über mehr Geld verfügt, als einem Sozialhilfeempfänger zugestanden habe, zumal er keine Miete zu
zahlen brauche, da seine Wohnung ihm gehöre.
Die Beklagte hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt und rügt eine Verletzung des § 51 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB l) i.V.m. § 54 Abs. 3
SGB I. Die Sozialhilfebedürftigkeit sei nicht zu prüfen, weil der Schutz des BSHG nicht für die im Ausland wohnenden Ausländer gelte. Die inländischen Pfändungsfreigrenzen könnten auch nicht für im Ausland
lebende Ausländer gelten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 5. November 1993 abzuändern und
die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich gemäß §
124 Abs.
2 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.Die Revision der Beklagten ist zurückzuweisen. Zu Recht hat das SG angenommen, daß das Einkommen des Klägers in der vom SG genannten Höhe und in der bezeichneten Zeit nicht pfändbar war und damit auch nicht der Aufrechnung unterlag.
Nach § 51 Abs. 1
SGB I in der zur Zeit der Aufrechnung (Mai 1988) geltenden Fassung (aF) konnte der Leistungsträger gegen Ansprüche
des Leistungsberechtigten auf Geldleistungen mit eigenen Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche
auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 3
SGB I aF. pfändbar waren. Ansprüche auf laufende Geldleistungen konnten nach § 54 Abs. 3
SGB I aF. wegen Ansprüchen, die nicht gesetzliche Unterhaltsansprüche waren, unter drei Einschränkungen gepfändet
werden: 1. wie Arbeitseinkommen, 2. unter den Voraussetzungen des § 54 Abs. 2
SGB I aF., d.h. soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen
des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung,
die Pfändung der Billigkeit entsprach, 3. wenn der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig i.S. der Vorschriften
des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wurde.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, daß sich die Voraussetzungen der Aufrechnung nach deutschem Recht bestimmten, auch dort, wo die Regelung
der Aufrechnung in §§ 51, 54
SGB I aF. auf Vollstreckungsvorschriften oder auf das Recht der Sozialhilfe verwies. Mit der Einschränkung,
daß die Aufrechnung nur möglich war, soweit die Geldforderung des Berechtigten "wie Arbeitseinkommen" gepfändet werden konnte,
waren die §§
850 ff.
ZPO in Bezug genommen. Für den Begriff der Hilfebedürftigkeit war ausdrücklich auf den Abschnitt 2 des BSHG, d.h. §§ 11 ff. BSHG, verwiesen. Eine Unterscheidung danach, welcher Nationalität der Berechtigte - zugleich Schuldner der Gegenforderung - war
und wo er seinen Wohnsitz hatte, sah keine der genannten Vorschriften vor. Fehlte insoweit aber eine spezielle sozialrechtliche
- vorrangige - Regelung, so beantwortete sich die Frage, welches materielle Recht auf die Aufrechnung anzuwenden war, mit
Rücksicht darauf, daß die Grundregelung der Aufrechnung in §§
387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) getroffen ist, in entsprechender Anwendung des deutschen internationalen Privatrechts nach Art. 32 Abs. 1 Nr. 4
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (
EGBGB). Gemäß dieser Vorschrift war das nach Art. 27 bis 30 und nach Art. 33 Abs. 1 und 2
EGBGB auf einen Vertrag anzuwendende Recht insbesondere maßgebend für die verschiedenen Arten des Erlöschens der Verpflichtungen
sowie die Verjährung und die Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer Frist ergaben. In Ermangelung einer Vereinbarung
des anzuwendenden Rechts war dies laut Art. 28 Abs. 1 Satz 1
EGBGB das Recht des Staates, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufwies. Zu den Arten des Erlöschens der Verpflichtungen
gehörte auch die Aufrechnung. Deren Wirksamkeit bestimmte sich demzufolge nach dem Schuldstatut der Hauptforderung, gegen
die aufgerechnet wurde (sog Aufrechnungsstatut; BGH in BGHZ 38, 254, 256 und NJW 1994, 1413, 1416; Palandt/Heldrich, Komm. z
BGB, 54. Aufl. 1995, Art. 32
EGBGB RdNr. 6 mwN; Gruber in MDR 1992, 121). Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen Zahlungsanspruch des Klägers aus deutschem Sozial(Rentenversicherungs-)recht,
gegen den die Beklagte eine aus deutschem Recht begründete Prozeßkostenforderung aufrechnete. Die Beziehung dieser Aufrechnungslage
zu Deutschland war im Verhältnis zu der - für den Vergleich allein in Betracht kommenden - Beziehung zu Spanien i.S. des Art.
28 Abs. 1 Satz 1
EGBGB die engste und damit für die Beurteilung der Wirksamkeit der Aufrechnung maßgebend.
Aus der Verweisung in § 54 Abs. 3 Nr. 2
SGB I aF. auf die Vorschriften der §§ 11 ff. BSHG folgte kein anderes Ergebnis. Zwar war Zweck dieser Vorschrift, die staatliche Gemeinschaft davor zu bewahren, einen Bedarf
beim Vollstreckungsschuldner durch Sozialhilfe auszugleichen, den der Vollstreckungsgläubiger erst durch seine Vollstreckung
geschaffen hatte oder schaffen würde. Denn bei unbeschränkter Vollstreckungsmöglichkeit wäre der Vollstreckungsgläubiger im
wirtschaftlichen Ergebnis nicht zu Lasten des Sozialhilfeempfängers als Schuldners, sondern auf Kosten der Solidargemeinschaft
befriedigt worden, der die Finanzierung der Träger der Sozialhilfe oblag. Parallel dazu hätte sich im Fall der Aufrechnung
nach § 51
SGB I aF. ergeben, daß der aufrechnende Sozialleistungsträger die Erfüllung seiner Gegenforderung materiell
letztlich durch die Belastung des zuständigen Sozialhilfeträgers mit Leistungen nach §§ 11 ff. BSHG, nicht jedoch durch eine Einkommensreduzierung beim Leistungsberechtigten herbeigeführt hätte. Aus dieser Zielrichtung der
Bezugnahme auf §§ 11 ff. BSHG zu schließen, die Regelung hätte für Ausländer, die in ihrem Heimatland wohnten, nicht gegolten, war aber nicht möglich.
Der Vollstreckungsschutz des § 54 Abs. 3 Nr. 2
SGB I aF. wurde den Sozialleistungsberechtigten, soweit es um ihre Rechte aus der deutschen Sozialversicherung
ging, bei Aufenthalt im Inland unabhängig davon gewährt, ob sie Deutsche oder Nichtdeutsche waren. Durch den Wegzug eines
Berechtigten in das Ausland wurde der verfahrensrechtliche Weg zur Durchsetzung seines Rechts gegen den Sozialleistungsträger
nicht beeinflußt, galten dementsprechend auch die inländischen prozessualen Regeln zum Schutz seines Rechts vor unberechtigter
Pfändung weiter. Zu Recht hat daher das SG die Vorschrift des § 51 Abs. 1
SGB I aF. dahin verstanden, daß der Kläger, was den dort in Bezug genommenen Vollstreckungsschutz des § 54
Abs. 3
SGB I aF. anging, genauso zu behandeln war wie ein Deutscher, und folgerichtig für die Aufrechnung der Beklagten
geprüft, ob der Kläger dadurch sozialhilfebedürftig geworden wäre. Den hierfür maßgebenden Rahmen hat es zutreffend danach
bestimmt, was ein Deutscher in Spanien, wäre er dort in derselben wirtschaftlichen Lage wie der Kläger gewesen, als Sozialhilfe
bezogen hätte.
Ob der Kläger durch die Anwendung der deutschen Vorschriften des Pfändungsschutzes günstiger gestellt war, als wenn sich die
Vollstreckung und damit auch die Aufrechnungslage nach spanischem Recht gerichtet hätte, dem der Kläger durch seinen Wohnsitz
in Spanien allgemein unterlag, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Denn dies allein konnte mit Rücksicht auf die Regelung
des Art. 32 Abs. 1 Nr. 4
EGBGB nicht dazu führen, daß das nach den Regeln des internationalen deutschen Rechts geltende Aufrechnungsstatut außer Kraft gesetzt
wurde, die Aufrechnung der Beklagten also nach anderen Bestimmungen als den oben angewandten zu beurteilen war.
Soweit das SG die Einkommensbeträge ausgerechnet hat, die von einer Vollstreckung und damit von einer Aufrechnung zugunsten des Klägers
freizubleiben haben, wird seine Rechtsanwendung von der Beklagten nicht beanstandet.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 Abs.
1
SGG.