Budget-Erziehungsgeld für die ersten sechs Lebensmonate eines Kindes
Gründe:
I
Streitig ist die Gewährung von Bundeserziehungsgeld (Erzg) als Budgetleistung iS des § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für den Zeitraum vom 2. August 2001 bis 1. Februar 2002.
Nach der Geburt ihrer Tochter am 2. August 2001 beantragte die Klägerin am 11. Dezember 2001 für einen Zeitraum von zwölf
Monaten Erzg als Budgetleistung. Die Beklagte bewilligte nur die niedrigere Regelleistung in Höhe von 306,78 _ (= 600,00 DM)
monatlich (§ 5 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BErzGG) für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes (Bescheid vom 2. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
3. Juni 2002). Zur Begründung legte sie dar: Die Budgetleistung sei entfallen, da das anzurechnende Einkommen der Eheleute
ab dem siebten Lebensmonat des Kindes die maßgeblichen Einkommensgrenzen iS des § 5 Abs 2 BErzGG übersteige. Rechnerisch ergebe sich ab dem siebten Lebensmonat ein monatliches Erzg von 19,01 DM. Dieser Betrag liege unter
der Bagatellgrenze von 20,00 DM und gelange gemäß § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG nicht zur Auszahlung.
Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Bescheide geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 2. August 2001 bis 1. Februar 2002
weiteres Erzg in Höhe von insgesamt 920,28 _ zu zahlen (Urteil vom 30. September 2002). Es hat zur Begründung ausgeführt:
Die Klägerin könne Erzg als Budgetleistung für die ersten sechs Lebensmonate ihrer Tochter beanspruchen. Zwar seien die Einkommensgrenzen
von der Beklagten zutreffend ermittelt und die Anwendung der Kleinstbetragsregelung ab dem siebten Lebensmonat des Kindes
von der Klägerin nicht in Frage gestellt worden. Die Beklagte habe jedoch rechtsfehlerhaft Budget-Erzg auch für die ersten
sechs Lebensmonate des Kindes wegen der "Kleinstbetragsregelung" des § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG führe nur das Überschreiten der Einkommensgrenzen des § 5 Abs 2 BErzGG zu dem Entfallen des Budgets. Das Unterschreiten der Bagatellgrenze sei für das Bestehen eines Erzg-Anspruchs ab dem siebten
Lebensmonat nicht von Bedeutung, da die im Interesse der Verwaltungsvereinfachung geschaffene Kleinstbetragsregelung nicht
den materiell-rechtlichen, sondern nur den Zahlungsanspruch betreffe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. Januar 2003). Diese Entscheidung ist im Wesentlichen wie folgt begründet
worden: Die Klägerin habe die Budgetleistung nicht wählen können, da sie ab dem siebten Lebensmonat ihres Kindes keinen Anspruch
auf Erzg mehr gehabt habe. Zwar entfalle nach dem Wortlaut des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG die Budgetleistung nur dann, wenn die Einkommensgrenzen des § 5 Abs 2 BErzGG überschritten würden. Die Berechnung der Leistung und damit auch die Feststellung, ob ein Leistungsanspruch bestehe, könne
jedoch nicht ohne Rückgriff auf § 5 Abs 3 und § 6 BErzGG erfolgen. Der Wortlaut des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG sei demnach nicht eindeutig. Die Auslegung der Vorschrift unter Beachtung der Zwecksetzung des Budget-Erzg ergebe jedoch,
dass auch ein die Kleinstbetragsgrenze des § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG unterschreitender Erzg-Anspruch die Budgetleistung entfallen lasse. Die Budgetregelung sei eingeführt worden, um den unterschiedlichen
familiären Lebensverhältnissen gerecht werden zu können. Eine Erhöhung des Erzg sei damit nicht bezweckt worden; vielmehr
habe nach dem Willen des Gesetzgebers der Gesamtbetrag des Budgets den unbudgetierten Anspruch auf Erzg nicht überschreiten
sollen. Demzufolge dürfe die Klägerin nicht besser gestellt werden, denn auch ohne Budget habe sie nur Anspruch auf Erzg für
die ersten sechs Lebensmonate des Kindes gehabt.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG und macht dazu geltend: Die Auslegung des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG durch das Berufungsgericht sei nicht von dem Wortlaut der Vorschrift gedeckt. Der Anspruch auf Erzg sei nicht ab dem siebten
Lebensmonat ihres Kindes wegen des Überschreitens der Einkommensgrenzen entfallen; es habe lediglich kein Zahlungsanspruch
mehr bestanden. Die Vorschrift des § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG komme im Rahmen des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG nicht zum Tragen. Das LSG überschreite die Grenzen der Wortlautauslegung, wenn es nicht beachte, dass nach § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG nur dann die Wahl des Budget-Erzg entfalle, wenn wegen des Überschreitens der Einkommensgrenzen des § 5 Abs 2 BErzGG kein Anspruch ab dem siebten Lebensmonat mehr bestehe. Das Berufungsgericht trenne insoweit nicht klar zwischen den verschiedenen
Einkommensgrenzen, die sich aus § 5 Abs 2 BErzGG ergäben, und der Berechnung der Höhe der Leistung. Nur letztere bedürfe der Berücksichtigung der §§ 5 Abs 3 und 6 BErzGG. § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG solle zudem nur den Verwaltungsaufwand minimieren, nicht jedoch die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen des
Anspruchs beeinflussen. Die Kleinstbetragsregelung bewirke lediglich, dass der weiterhin bestehende materiell-rechtliche Anspruch
nicht zur Auszahlung gelange. Der Gesetzgeber habe in Einzelfällen ein Übersteigen des Gesamtbetrags der budgetierten Leistung
gegenüber der unbudgetierten in Kauf genommen. Die entgegenwirkenden Mechanismen in Gestalt von strikter Budgetgrenze und
Vergleichsberechnung seien im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens gestrichen worden. Die Anwendung des § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG im Rahmen des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG sei daher auch verfassungswidrig. § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG beziehe seine Rechtfertigung aus der Verwaltungsökonomie, die jedoch keine Bedeutung im Rahmen der hier zu klärenden Frage
habe; es fehle daher an einer Rechtfertigung für den Eingriff in den Leistungsanspruch durch die Vorgehensweise der Beklagten.
Im Übrigen verstoße die Auslegung der Beklagten auch gegen Art
3 Grundgesetz (
GG), da es an einem sachlichen Grund für die Differenzierung zwischen denjenigen fehle, die der Kleinstbetragsregelung unterfielen
und deswegen keine Budgetleistung erhielten, und denjenigen, die die Bagatellgrenze knapp überschritten und Anspruch auf die
Leistung hätten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 28. Januar 2003 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG
Stuttgart vom 30. September 2002 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend. Ergänzend führt sie aus: Der Wortlaut des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG sei nicht eindeutig, sondern unvollständig; daher sei durch Auslegung zu ermitteln, ob bei Unterschreiten der Bagatellgrenze
des § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG der Anspruch auf die Budgetleistung entfalle. Nach der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Budgetregelung
komme es auf den Zahlungsanspruch ab dem siebten Lebensmonat des Kindes an. Der Gesetzgeber sei trotz des Entfallens der Verpflichtung
zur Vergleichsberechnung davon ausgegangen, dass in den meisten Fällen - bezogen auf den Gesamtbezugszeitraum - das budgetierte
Erzg niedriger als das unbudgetierte sein werde. Aus diesem Grunde habe er für das budgetierte Erzg als Ausgleichsmechanismen
die höhere Minderungsquote und den kürzeren Bezugszeitraum vorgesehen. Es widerspreche der Intention des Gesetzgebers, wenn
trotz Fehlens eines Auszahlungsanspruchs die Ausgleichsmechanismen nicht griffen. Zudem ergäbe sich ein systematischer Bruch,
wenn § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG zwar nicht im Rahmen der Prüfung nach § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG herangezogen, gleichwohl aber Erzg ab dem siebten Lebensmonat des Kindes nicht gewährt werde. In verfassungsrechtlicher Hinsicht
sei zu bedenken, dass dem Gesetzgeber im Leistungsbereich und bei der Regelung von Massenverfahren durch Typisierung ein weiter
Gestaltungsspielraum zukomme.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt
(§
124 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz >SGG<).
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend einen Anspruch der Klägerin auf Budget-Erzg für
die ersten sechs Lebensmonate ihrer Tochter (2. August 2001 bis 1. Februar 2002) verneint.
Zwar liegen die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 BErzGG (idF der Bekanntmachung vom 1. Dezember 2000, BGBl I, 1645, mit Wirkung vom 1. August 2001 geändert durch Art 3 § 47 Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften, Lebenspartnerschaftsgesetz vom 16. Februar 2001, BGBl I, 266, hier anzuwendende Fassung, im Weiteren: aF) vor. Der Klägerin steht jedoch die begehrte
Budgetleistung nicht zu. Nach § 5 Abs 1 Satz 1 BErzGG aF beträgt das monatliche Erzg bei einer beantragten Zahlung für längstens bis zur Vollendung des
1. 12. Lebensmonats 900,00 DM (Budget),
2. 24. Lebensmonats 600,00 DM (Regelleistung).
Nach § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF entfällt das Budget, soweit Erzg wegen der Einkommensgrenzen nach Abs 2 nur für die ersten sechs Lebensmonate möglich
ist oder war. So liegt der Fall hier.
Das gemeinsame Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes lag in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes unter der Grenze
des § 5 Abs 2 Satz 1 iVm § 6 BErzGG aF. Ab dem siebten Lebensmonat des Kindes überschritt ihr Einkommen die Grenzen des § 5 Abs 2 Satz 2 BErzGG aF; es verblieb unter Berücksichtigung des § 5 Abs 3 BErzGG zwar ein Anspruch auf Erzg von 19,01 DM monatlich. Ein die Kleinstbetragsgrenze von 20,00 DM unterschreitender Betrag an
Erzg gelangt jedoch nach § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG aF nicht zur Auszahlung. Erzg war damit iS des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF nicht mehr "möglich". Dies hat zur Folge, dass die beantragte Budgetleistung (§ 5 Abs 1 Nr 1 BErzGG aF) auch für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes entfiel.
Der Senat hat keine Hinweise, dass die Berechnung der Beklagten unzutreffend sein könnte; auch die Klägerin hat insoweit keine
Rügen vorgebracht. Die Verwendung von DM-Beträgen als Berechnungsgrundlage ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach § 24 Abs 1 Satz 2 BErzGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Dezember 2001 (BGBl I, 3358) gelten die Euro- und Centbeträge erstmals für die ab
dem 1. Januar 2002 geborenen Kinder.
§ 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF macht im Kern einen Anspruch auf Budget-Erzg für die ersten sechs Lebensmonate eines Kindes davon abhängig, dass über
den siebten Lebensmonat hinaus Erzg möglich ist oder war. Was unter "möglichem" Erzg zu verstehen ist, bleibt nach dem Wortsinn
des Gesetzes offen. Das Wort "mögen" geht auf das mittelhochdeutsche "mügen" zurück, dessen Wurzeln sich in anderen indogermanischen
Sprachen aus "magh" >können, vermögen< ergeben. Die mittelhochdeutsche Weiterentwicklung hat zu dem Wort "müg(e)lich" geführt,
mit der Bedeutung "ausführbar, erreichbar, zu verwirklichen, in Frage kommend, durchführbar oder denkbar - unter bestimmten
Voraussetzungen" (vgl Duden, Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache, Band 7, 3. Aufl, S 535 f; Duden, Das große
Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Aufl, Band 6, S 2625; Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl, Band 10, S 631; Brockhaus,
Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982, S 711). Als Synonyme sind verwendbar sowohl die Wörter: ausführbar, realisierbar >hier:
ein auszahlbarer Anspruch< als auch denkbar, potentiell >ein materiell-rechtlicher Anspruch dem Grunde nach< (Fischer, Wörterbuch
der Synonyme und Antonyme, 2003, S 570). Das "mögliche Erziehungsgeld" iS des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF kann demnach sowohl der materiell-rechtliche Anspruch auf Erzg, als auch der Zahlungsanspruch sein. Der Wortlaut der Vorschrift
lässt beide Deutungen im Hinblick auf die vorliegende Fallgestaltung zu.
Soweit die Klägerin meint, das "mögliche Erziehungsgeld" könne nur den materiell-rechtlichen Anspruch betreffen, weil § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF einzig auf die Einkommensgrenzen des § 5 Abs 2 BErzGG aF, nicht jedoch die Kleinstbetragsregelung des § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG aF verweise, führt dieses Argument nicht weiter. Die Einkommensgrenzen des § 5 Abs 2 BErzGG aF, auch soweit sie den Zeitraum vom Beginn des siebten Lebensmonats an betreffen (§ 5 Abs 2 Satz 2 BErzGG aF), sind nicht allein entscheidend für die "Möglichkeit" des Erzg. Ob Erzg "möglich" ist, kann ohne die in § 5 Abs 3 BErzGG aF enthaltene Regelung zur prozentualen Verringerung des Erzg-Betrages bei Überschreiten der Einkommensgrenzen nach § 5 Abs 2 BErzGG aF nicht festgestellt werden; der Verweis auf die Einkommensgrenzen des § 5 Abs 2 BErzGG aF ist insoweit ungenau. Dieses hat der Gesetzgeber auch erkannt und mit der Neufassung des § 5 BErzGG durch Art 20 Nr 4 Haushaltsbegleitgesetz 2004 (HBeglG 2004) vom 29. Dezember 2003 (BGBl I, 3076) für Geburten ab dem 1. Januar 2004 geändert.
In der Begründung heißt es hierzu: Die nunmehr in Abs 3 des § 5 BErzGG (noch in der ursprünglich vom Gesetzgeber vorgeschlagenen Höhe >22.500,00 _ für Verheiratete und 19.500,00 _ für andere Berechtigte<,
Gesetzentwurf vom 8. September 2003, BT-Drucks 15/1502, S 13) festgelegten Einkommensgrenzen für die Budgetleistung (nunmehr:
22.086,00 _ für Verheiratete und 19.086,00 _ für andere Berechtigte nach der Fassung des § 5 durch Art 20 Nr 4 HBeglG 2004;
Begründung s BT-Drucks 15/1639, S 2, 3) entsprächen denen, bis zu denen Eltern rechnerisch ab dem siebten Lebensmonat einen
Anspruch auf Erzg hätten. Diese Einkommensgrenzen hätten auch im alten Recht bestanden; der bisherige Verweis in § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG ergäbe eine entsprechende Einkommensgrenze, die aber als Zahl nicht genannt worden sei (BT-Drucks 15/1502, S 35). Soweit
aber nicht nur Abs 2, sondern weitere Regelungen/Berechnungsmodalitäten des § 5 BErzGG aF im Rahmen des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF zur Feststellung, ob das Budget entfällt, heranzuziehen sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass auch § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG aF iS einer alle Tatbestände des § 5 BErzGG aF erfassenden Regelung zum Tragen kommt. Hieraus folgt: Nicht nur die Wahl des Begriffs "möglich", sondern auch der in §
5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF für die Entscheidung über die Möglichkeit niedergelegte Grund lassen es offen, ob das "mögliche" Erzg dasjenige ist, welches
materiell-rechtlich beansprucht werden kann, oder das, auf das ein Zahlungsanspruch besteht.
Es ist also nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen die rechtlich zutreffende Lösung zu ermitteln. Dabei ergibt sich: Regelungsabsicht
des Gesetzgebers und dessen Normvorstellungen sowie die Struktur des geregelten Bereichs lassen nur das eingangs dargelegte
Verständnis des Gesetzestextes zu: "Mögliches Erzg" ist gleich bedeutend mit der zu zahlenden Leistung (vgl hierzu auch Irmen
in Hambüchen, Kindergeld/Erziehungsgeld/Elternzeit, Kommentar, Stand Januar 2004, § 5 BErzGG RdNr 35).
Nach der Normvorstellung des Gesetzgebers sollte durch die Regelung des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF verhindert werden, dass Eltern, die wegen der Einkommensgrenzen nur einen sechsmonatigen Anspruch auf Erzg haben oder
hatten, statt des Regelbetrags für sechs Monate das Budget wählen, also die höhere Leistung in Anspruch nehmen, obwohl ab
dem siebten Lebensmonat der Anspruch entfällt oder entfallen war (vgl BT-Drucks 15/1502, S 35). In diesem Sinne wird zur Begründung
der hier anzuwendenden Fassung nach Beratung in Bundesrat und Ausschüssen ausgeführt, der neue Satz 2 stelle klar, dass die
Budgetleistung für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes nur dann entfalle, wenn die betreffende Familie ab dem siebten
Lebensmonat des Kindes wegen ihres höheren Einkommens auch kein gekürztes unbudgetiertes Erzg bekomme (BT-Drucks 14/3808,
S 27). Danach sollte zumindest in dem Fall, in dem ein Anspruch auf Erzg ab dem siebten Lebensmonat des Kindes nicht mehr
zu realisieren ist oder war, auch die Budgetleistung nicht geltend gemacht werden können. Dies gilt unabhängig davon, in welchem
Verhältnis Budgetsumme und Regelleistungsbetrag bezogen auf den Gesamtzeitraum stehen, also unabhängig davon, ob der Gesetzgeber
die Vorstellung hatte, auch ohne Vergleichsberechnung (vgl zur Kritik an der Vergleichsberechnung insbesondere Stellungnahme
im Rahmen der Anhörung des Deutschen Bundestages, Ausschuss für Familie und Senioren, Frauen und Jugend zum Entwurf eines
3. Gesetz zur Änderung des BErzGG >BT-Drucks 14/3118< am 15. Mai 2000, LMR. Huber, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen
und Gesundheit, Anlage zum Protokoll der 38. Sitzung, Protokoll Nr 14/38) und Budgetgrenze bleibe die Budgetsumme wegen der
für sie maßgeblichen höheren Minderungsquote in den meisten Fällen unter dem Gesamtbetrag für das nicht budgetierte Erzg (BT-Drucks
14/3808, S 27). Dem würde es zuwider laufen, im Rahmen des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF auf den materiell-rechtlichen Anspruch abzustellen, obwohl - wegen der Kleinstbetragsregelung - kein Erzg über den sechsten
Lebensmonat hinaus zu zahlen ist.
Dieses Ergebnis deckt sich auch mit dem bezweckten Ziel der Budgetregelung. Budget-Erzg ist als familienpolitische Alternative
zum Regel-Erzg entwickelt worden. Das Budget-Angebot soll die unterschiedlichen familiären Lebensverhältnisse berücksichtigen,
insbesondere die Väter motivieren, sich am Erziehungsurlaub zu beteiligen, im Interesse der elterlichen Partnerschaft und
des Wohles des Kindes (BT-Drucks 14/3118, S 11). Eine höhere Leistung bei Verkürzung des Zeitraumes, für den sie in Anspruch
genommen werden kann, stellt im Rahmen des zuvor beschriebenen Konzepts insbesondere dann einen entsprechenden Anreiz dar,
wenn auch tatsächlich eine Leistung zur Auszahlung gelangt. Hiervon kann in Fällen, in denen sich ein Zahlbetrag unter der
Grenze des § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG aF errechnet, nicht ausgegangen werden.
Die Einführung einer "Kleinstbetragsregelung" oder - wie sie an anderer Stelle bezeichnet wird - "Bagatellgrenze" (BT-Drucks
14/3118, S 17) wurde im Entwurf des BErzGG in der 10. Wahlperiode zwar ausdrücklich nur mit der Verwaltungsökonomie (BT-Drucks 10/3792, S 17) begründet. Der Begriff
der "Bagatellgrenze" bringt jedoch einen weiteren Aspekt der Regelung deutlich zum Ausdruck: Ein unter dieser Grenze liegender
Betrag ist nach Ansicht des Gesetzgebers so niedrig, dass auf eine Auszahlung verzichtet werden kann, ohne einen wichtigen
Zweck des Erzg zu gefährden, nämlich den Eltern die Betreuung ihrer Kinder durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder deren
Einschränkung zu ermöglichen (Bundesverfassungsgerichts >BVerfG< Beschluss vom 6. Juli 2004 - 1 BvR 2515/95 -, RdNr 33).
Nach dieser Vorgabe sind auch die weiteren Grenzen der §§ 5, 6 BErzGG aF (Sechsmonats- und Einkommensgrenzen) in das Gesamtsystem einzuordnen. Während für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes
erst dann Erzg entfallen sollte, wenn das Einkommen der Eltern ohne Berücksichtigung weiterer Kinder über 100.000,00 DM betrug
(§ 5 Abs 2 Satz 1 BErzGG in der hier anzuwendenden Fassung), sollte es ab dem siebten Lebensmonat nur noch dann gewährt werden, wenn wesentlich niedrigere
Einkommensgrenzen nicht überschritten wurden. Die Zusammenschau der Regelungen ergibt dabei folgenden Befund: Die Kleinstbetragsregelung
kommt in dieser Struktur nur dann zur Anwendung, wenn das Einkommen der Eltern auf Grund von Erwerbstätigkeit die Einkommensgrenzen
so weit überschreitet, dass unter Beachtung der Minderungsbeträge nur noch ein Kleinstbetrag an Erzg verbleibt, also das Erzg
keinen Anreiz mehr darstellt, auf Erwerbstätigkeit zu Gunsten der Kinderbetreuung zu verzichten. Hier fügt sich dann auch
§ 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF ein. Der aufgezeigte Gleichklang der Vorschriften ginge jedoch verloren, käme es im Rahmen des § 5 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF auf den materiell-rechtlichen Anspruch und nach § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BErzGG aF auf den Zahlungsanspruch an, würde also § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG aF nur beim Regelerziehungsgeld, nicht jedoch bei der Budgetleistung Wirkung entfalten.
Dieses Ergebnis ist auch insoweit sachgerecht, als das Erzg eine steuerfinanzierte Leistung ist, die in einer konkreten Situation,
nämlich hier maximal in den ersten 24 Lebensmonaten des Kindes, den damit verfolgten sozial- und gesellschaftspolitischen
Zweck erfüllen soll. Es unterscheidet sich daher grundlegend von solchen Leistungen des sozialen Sicherungssystems, die erst
auf Grund von erworbenen Anwartschaften (Rentenleistungen oder solche aus der Arbeitslosenversicherung) oder anderen Vorbedingungen
(Feststellung etwa einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge) zu einem Leistungsanspruch führen. In diesen Fällen kommt
dem Stammrecht und/oder der Feststellungsentscheidung grundlegende Bedeutung für die Realisierung eines späteren Leistungsanspruchs
zu. Ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Erzg entfaltet ohne den damit verbundenen Zahlungsanspruch hingegen keinerlei rechtliche
Wirkung. Die Wahl des Budget-Erzg ohne Bestehen eines Zahlungsanspruchs ab dem siebten Lebensmonat des Kindes kann daher nicht
dazu führen, dass allein wegen dieser Wahlentscheidung für die ersten sechs Lebensmonate ein höheres Erzg beansprucht werden
kann. Insoweit sind beide Fallkonstellationen gleich zu behandeln. Daher differenziert § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG aF auch nicht zwischen den verschiedenen Erzg-Formen.
Die von der Klägerin gegen dieses Auslegungsergebnis geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken überzeugen nicht. Der
Senat vermag den behaupteten Verstoß gegen Art
3 Abs
1 GG nicht zu erkennen. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber
ist damit aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Ihm kommt im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung
der begünstigten Personenkreise ein weiter Gestaltungsspielraum zu (stRspr, BVerfG, vgl zuletzt zum BErzGG Beschluss vom 6. Juli 2004 - 1 BvR 2515/95, RdNr 29, mwN). Ob die Regelung oder hier das Auslegungsergebnis dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art
3 Abs
1 GG entspricht, hängt davon ab, ob für die getroffene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestanden, dass
sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen konnten (BVerfG, aaO, mwN). Dieses gilt sowohl für die Differenzierung zwischen budgetiertem
und unbudgetiertem Erzg, als auch innerhalb der Anspruchsvoraussetzungen der budgetierten Leistung nach dem Über- oder Unterschreiten
der Bagatellgrenze. Das Differenzierungskriterium "Über- oder Unterschreiten der Bagatellgrenze" ist nicht sachwidrig. Die
Klägerin selbst erkennt die Rechtfertigung in der Verwaltungsvereinfachung. Insoweit ist es im Rahmen der Massenverwaltung
hinzunehmen, wenn typisierend unterhalb einer - hier unbestritten angemessenen Bagatellgrenze - Leistungen nicht erbracht
werden. Dieses gilt erst recht dann, wenn sich diese Grenze, wie hier, zudem am Zweck des Gesetzes orientiert.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.