Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag
Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob ein früherer Rechtsstreit
über die Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zum Teil wirksam für
erledigt erklärt wurde.
Die beklagte Krankenkasse stellte die Versicherungspflicht der Klägerin in der GKV aufgrund Beschäftigung für die Zeit vom
1.11.2008 bis zum 20.3.2009, vom 1.4. bis zum 15.9.2009, vom 1.10. bis zum 31.12.2009 sowie vom 1.1. bis zum 9.3.2010 fest.
Ein hierzu geführter Rechtsstreit wurde durch das Bayerische LSG durch Urteil vom 11.11.2014 (L 5 KR 316/12) rechtskräftig entschieden. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Beteiligten hätten in der mündlichen Verhandlung
die Zeiträume vom 1.1. bis 9.3.2010 sowie ab 1.8.2011 für erledigt erklärt.
Nachdem die Klägerin die Erledigungserklärung angefochten hatte, stellte das LSG mit Urteil vom 17.1.2017 fest, dass der frühere
Rechtsstreit durch Teil-Erledigterklärung beendet worden sei. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung
der Revision wurde das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Das LSG habe die wiederholten Anträge der unvertretenen Klägerin auf Terminaufhebung nicht ordnungsgemäß beschieden und damit
ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Beschluss des Senats vom 10.10.2017 - B 12 KR 64/17 B).
Im wiedereröffneten Verfahren bestimmte der Senatsvorsitzende des LSG durch Verfügung vom 17.11.2017 den Termin zur mündlichen
Verhandlung auf den 19.12.2017, 12:00 Uhr. Auf Antrag der Klägerin, den Termin wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit zu verlegen,
ist Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 16.1.2018, 9:00 Uhr, anberaumt worden. Ihren bei der Geschäftsstelle des LSG
am 8.1.2018 telefonisch gestellten Terminverlegungsantrag lehnte der Senatsvorsitzende des LSG am selben Tag mittels Telefax
ab. Auf ihren weiteren unter Vorlage eines ärztlichen Attests gestellten Verlegungsantrag ist der Termin aufgehoben worden.
Der Senatsvorsitzende des LSG hat mit Verfügung vom 18.1.2018 Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.2.2018, 9:00 Uhr, bestimmt
und die am 9. sowie 14.2.2018 beantragte Terminverlegung mit Schreiben vom 14. und 15.2.2018 abgelehnt. Nachdem die Klägerin
am 15.2.2018 erneut die Verlegung des Termins beantragt und zur Begründung ein "Ärztliches Attest" von Dr. M. vom selben Tag
vorgelegt hatte, wonach bis zum 25.2.2018 eine "Arbeits und Reiseunfähigkeit" bestehe, ist ihr von der Geschäftsstelle des
LSG am 19.2.2018 telefonisch auf Anordnung des Senatsvorsitzenden mitgeteilt worden, dass der Termin nicht verlegt würde.
Mit Telefax vom 20.2.2018 (7:19 Uhr, 7:21 Uhr, 7:24 Uhr und 7:26 Uhr) wiederholte sie ihren Verlegungsantrag, weil ungeachtet
ihrer Erkrankung die Kosten der Anreise nicht aufgebracht werden könnten. Auch von dessen Ablehnung ist sie von der Geschäftsstelle
des LSG telefonisch um 9:10 Uhr in Kenntnis gesetzt worden.
Das LSG hat am 20.2.2018 von 9:11 Uhr bis 9:26 Uhr in Abwesenheit der unvertretenen Klägerin mündlich verhandelt und danach
durch Urteil festgestellt, dass der frühere Rechtsstreit entsprechend der wirksamen Teil-Erledigterklärung teilweise beendet
worden sei. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Entscheidung habe in Abwesenheit der Klägerin ergehen können. Deren persönliches
Erscheinen sei nicht angeordnet gewesen. Die Klägerin habe Kenntnis von der Ablehnung ihrer Verlegungsanträge gehabt. Da sie
wegen Kopfschmerzen infolge eines Autounfalls nicht reisefähig gewesen sei, hätte ihr eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung
auch nicht durch Fahrtkostenzuschüsse ermöglicht werden müssen.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das LSG hätte die
mündliche Verhandlung verlegen müssen, um ihr eine spätere Teilnahme zu ermöglichen.
II
Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) iVm dem Grundsatz der Mündlichkeit (§
124 Abs
1 SGG) ergibt. Die Beschwerdebegründung enthält hinreichende Ausführungen dazu, dass das LSG zu Unrecht den Termin zur mündlichen
Verhandlung nicht verlegt hat. Weitergehender Ausführungen zum Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler
bedarf es nicht, wenn - wie hier - ein Beschwerdeführer behauptet, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden
zu sein (vgl BSG Beschluss vom 3.7.2013 - B 12 R 38/12 B - juris RdNr 8 mwN).
Die Beschwerde ist auch begründet. Der Entscheidung des LSG liegt ein Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG zugrunde. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör iVm dem Grundsatz der Mündlichkeit dadurch
verletzt, dass es das angegriffene Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung verkündet hat, obwohl sie weder daran teilgenommen
hat noch ordnungsgemäß vertreten war.
Gemäß §
124 Abs
1 SGG entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Dieser Mündlichkeitsgrundsatz
räumt den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten das Recht ein, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und mit
ihren Ausführungen gehört zu werden. Bei einem Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung muss den Beteiligten unabhängig davon,
ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung und Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben oder nicht, Gelegenheit gegeben
werden, sich zur Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung selbst zu äußern (BSG Beschluss vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 B - SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 8). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung umfasst auch
das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten oder auf Vertagung eines bereits begonnenen Termins, wenn dies aus
erheblichen Gründen geboten ist (§
227 Abs
1 ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG). Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung vor und wird diese ordnungsgemäß beantragt, besteht grundsätzlich
eine Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (BSG Beschluss vom 13.12.2018 - B 5 R 192/18 B - juris RdNr 8). Kommt der Vorsitzende dieser Verpflichtung bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung nicht nach, leidet
das Verfahren wegen der Versagung rechtlichen Gehörs an einem wesentlichen Mangel (vgl BSG Beschluss vom 3.7.2013 - B 12 R 38/12 B - juris RdNr 10 mwN). Das ist hier der Fall.
Die unvertretene Klägerin hat am 15.2.2018 mittels Telefax die Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung
wirksam beantragt. Sie hat zur Begründung darauf hingewiesen, an der Verhandlung nicht teilnehmen zu können, und zum Nachweis
hierfür ein "Ärztliches Attest" von Dr. M. vom selben Tag vorgelegt, wonach bis zum 25.2.2018 eine "Arbeits und Reiseunfähigkeit"
bestehe. Die fehlende Reisefähigkeit ist ein erheblicher Grund iS des §
227 Abs
1 ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG, der zur Terminverlegung hätte führen müssen (vgl BSG Beschluss vom 13.12.2018 - B 5 R 192/18 B - juris RdNr 11 f). Dass bei einem erst kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten und mit einer Erkrankung
begründeten Antrag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen ist, die Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung
angibt, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, die Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit des Beteiligten selbst beurteilen
zu können (BSG aaO RdNr 8 mwN), führt zu keinem anderen Ergebnis. Bei Zweifeln an einer krankheitsbedingten Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit
hat das Gericht - sofern rechtzeitig noch möglich - den Betroffenen entweder zur (weiteren) Glaubhaftmachung seines Vortrags
zur Vorlage eines aussagekräftigen Attests aufzufordern (vgl §
227 Abs
2 ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG) oder selbst eine nähere Stellungnahme des attestierenden Arztes über das Ausmaß der Erkrankung einzuholen (BSG aaO RdNr 12 mwN). Das ist vorliegend nicht geschehen. Ungeachtet dessen ist auch nicht zu erkennen, dass der Senatsvorsitzende
den von der Klägerin geltend gemachten erheblichen Grund als nicht hinreichend substantiiert oder nicht glaubhaft angesehen
hätte. Vielmehr ist mit der angegriffenen Entscheidung die Übernahme von Fahrtkosten wegen krankheitsbedingter Reiseunfähigkeit
versagt worden. Die damit angenommene Reiseunfähigkeit hätte den Senatsvorsitzenden zur Verlegung veranlassen müssen. Infolgedessen
kann offenbleiben, ob Zweifel an der Reiseunfähigkeit nicht nur wegen eines unzureichenden Attests, sondern auch wegen des
Antrags auf Übernahme der durch Teilnahme an der mündlichen Verhandlung entstehenden Reisekosten bestanden haben.
Liegen - wie hier - die Voraussetzungen eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an das LSG zurückverweisen (§
160a Abs
5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dabei wird für das wiedereröffnete Verfahren darauf hingewiesen, dass
der Anspruch auf rechtliches Gehör auch die Prüfung durch das Prozessgericht umfasst, ob unabhängig von den Vorschriften über
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§
73a SGG iVm §§
114 ff
ZPO) die Gewährung einer Reiseentschädigung an mittellose Verfahrensbeteiligte in Betracht kommt (vgl BSG Beschluss vom 19.12.2017 - B 1 KR 38/17 B - juris; BSG Beschluss vom 11.2.2015 - B 13 R 329/13 B - juris; Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 14.6.2006, Az 5110 - VI - 1930/03, JMBl S 90,
ber S 146).
Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.