Anspruch auf eine Behandlung im Wege der Biostase
Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger begehrte ua festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm eine
Biostase-Behandlung für den Fall zu gewähren, dass keine andere lebenserhaltende Maßnahme mehr möglich sei. Biostase meint
die Kryokonservierung eines Organismus in flüssigem Stickstoff bei -196ºC (bei Anwendung des Konzepts auf Menschen auch als
Kryonik bezeichnet). Damit ist er beim SG erfolglos geblieben. Im Berufungsverfahren hat er beantragt, insbesondere L und den (damals) amtierenden Bundesgesundheitsminister
S im Rahmen einer öffentlichen Beweisaufnahme als Zeugen zu den sie als Politiker betreffenden Tatsachen zu vernehmen und
ihm Gelegenheit zu geben, diesen Zeugen Fragen zu stellen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Soweit die Kryonik versuche,
den Stoffwechsel eines Menschen komplett anzuhalten, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt wiederzubeleben, handele es sich nicht
um Krankenbehandlung im Sinne des
SGB V. Im Übrigen betonten selbst Befürworter der Methode, dass die Wiederbelebung tiefgefrorener großer und komplexer Organismen
noch nicht möglich sei (Beschluss vom 1.3.2021).
Hiergegen hat der Kläger, der angibt, er habe unter einem Pseudonym Klage erhoben, durch einen von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss eingelegt. Der Vorsitzende des Senats hat antragsgemäß die
Frist zur Begründung der Beschwerde bis zum 4.6.2021 verlängert. Der Kläger hat mit Schreiben vom 31.5.2021 die Beiordnung
eines Notanwalts beantragt, weil er dem zunächst bevollmächtigten Rechtsanwalt das Mandat habe entziehen müssen. Das am 1.6.2021
zur Post aufgegebene Schreiben ist am 7.6.2021 beim BSG eingegangen. Der bisherige Prozessbevollmächtigte hat mit Fax vom 3.6.2021 bestätigt, dass das Mandat infolge der Kündigung
durch den Kläger beendet sei.
II
Der Entscheidung des Senats steht kein Prozesshindernis entgegen. Die Identität des Klägers steht fest. Der unter dem Pseudonym
"H" auftretende Kläger ist H. Dies folgt daraus, dass der Kläger Bezug auf seine der Beklagten bekannte Versichertennummer
nimmt, die den Kläger als H identifiziert hat.
1. Der Antrag des Klägers, ihm für sein Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des LSG einen Notanwalt
beizuordnen, ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint.
Noch rechtshängiger Streitgegenstand ist das Feststellungsbegehren des Klägers, ihm eine Biostase-Behandlung für den Fall
zu gewähren, dass keine andere lebenserhaltende Maßnahme mehr möglich ist. Der Kläger hat in seinem Schreiben vom 31.5.2021
ausgeführt, die Nichtzulassungsbeschwerde und Revisionsabsicht betreffe nur die Ablehnung des Biostase-Feststellungsbegehrens.
Soweit das LSG die Berufung auch wegen anderer Begehren für unbegründet erachtet habe, sehe er es als nicht lohnend an, dagegen
in der Revision vorzugehen. Der Kläger hat damit die von seinem Prozessbevollmächtigten unbeschränkt eingelegte Beschwerde
bis auf das Biostase-Feststellungsbegehren zurückgenommen. Die Rechtsverfolgung dieses Feststellungsbegehrens mittels der
Nichtzulassungsbeschwerde ist aussichtlos. Dies schließt die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach §
202 Satz 1
SGG iVm §
78b Abs
1 ZPO aus.
Nach §
78b ZPO hat das Prozessgericht, soweit - wie hier im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach §
160a SGG iVm §
73 Abs
4 SGG - eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt
zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis
auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann. Diese Einschränkung der gerichtlichen Beiordnung
eines Notanwalts soll einen Rechtsanwalt, der die Verantwortung für den Inhalt und die Fassung seiner Schriftsätze trägt,
vor einer ihm nicht zumutbaren Vertretung in von vornherein aussichtslosen Sachen bewahren. Bei einer Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision in einem Urteil des LSG liegt eine solche Aussichtslosigkeit vor, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen
für einen der in §
160 Abs
2 SGG enumerativ aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz, Verfahrensmangel
- offenbar nicht vorliegen. Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden
hat, ist im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig und kann daher nicht deren Erfolgsaussichten begründen (BSG vom 29.3.2012 - B 14 AS 251/11 B - SozR 4-1750 § 78b Nr 1 RdNr 5 f mwN; BSG vom 13.7.2018 - B 9 V 19/18 B - juris RdNr 8).
Die auf den noch rechtshängig verbliebenen Streitgegenstand bezogene Nichtzulassungsbeschwerde ist nach dem vorgenannten Prüfungsmaßstab
aussichtslos. Das Vorliegen eines der in §
160 Abs
2 SGG genannten Gründe für die Zulassung der Revision ist auch nach summarischer Prüfung des Streitstoffs offenbar nicht gegeben.
Weder kommt die Rüge der grundsätzlichen Bedeutung nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG (dazu a) noch der Divergenz (dazu b) noch die Rüge eines entscheidungserheblichen Verfahrensfehlers in Betracht (dazu c).
a) Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn das BSG die Rechtsfrage zwar - wie hier - nicht unter den dort aufgeworfenen Aspekten ausdrücklich behandelt hat, aber deren Beantwortung
einerseits nach der klaren Rechtslage nicht ernsthaft in Zweifel steht und verbleibende Restzweifel andererseits aufgrund
der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Ergebnis jedenfalls bereits ausgeräumt sind, sodass eine weitere
Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl zB BSG vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - juris RdNr 7 mwN; BSG vom 28.3.2017 - B 1 KR 66/16 B - juris RdNr 7). Hier ist der Mangel der Klärungsbedürftigkeit sogar so offenbar, dass eine Grundsatzrüge als aussichtslos erscheinen muss.
Der Anspruch Versicherter auf Krankenbehandlung nach §
27 SGB V endet mit ihrem Tod. Das
SGB V eröffnet keinen postmortal wirkenden Anspruch, Versicherten nach ihrem Tod eine Chance auf eine Wiederauferstehung von den
Toten zu eröffnen. Das
SGB V sieht keinen Anspruch auf bestmögliche Kryokonservierung des Leichnams vor, um ihn zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der
Zukunft aufzutauen, den Organismus wiederzubeleben und letzteren mit den dann eventuell vorhandenen erweiterten medizinischen
Möglichkeiten zu therapieren. §
27a Abs
4 SGB V eröffnet nur einen Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen sowie Keimzellgewebe.
Das
GG gebietet nichts anderes. Es ist zwar mit den Grundrechten aus Art
2 Abs
1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art
2 Abs
2 Satz 1
GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine
allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von
ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf
Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Dies erfasst aber keine Ansprüche gegen die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auf postmortale hochexperimentelle Leistungen
der Kryokonservierung nach Eintritt eines von der Medizin nicht mehr zu verhindernden Todes. Das
GG schützt Tote unter dem Aspekt des postmortalen Persönlichkeitsrechts (vgl BVerfG vom 24.2.1971 - 1 BvR 435/68 - BVerfGE 30, 173, 194 = juris RdNr 61; BVerfG <Kammer> vom 19.12.2007 - 1 BvR 1533/07 - BVerfGK 13, 115 = juris RdNr 7 f).
Soweit hingegen das Feststellungsbegehren des Klägers auf die Einleitung einer Kryokonservierung noch zu Lebzeiten gerichtet
sein sollte, handelte es sich bei einer solchen Kryokonservierung, bei der ua das Blut durch Frostschutzmittel ersetzt wird,
um eine strafbare Tötung auf Verlangen (§
216 StGB). Strafbewehrte Handlungen sind von vornherein vom Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 1 KR 19/13 R - BSGE 117, 212 = SozR 4-2500 § 27 Nr 26, RdNr 11; vgl dagegen zur Problematik der Strafbarkeit des assistierten Suizids nach §
217 StGB BVerfG vom 26.2.2020 - 2 BvR 2347/15 ua - BVerfGE 153, 182).
Schließlich kann aufgrund der materiell-rechtlichen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung offenbleiben, ob nicht zugleich
auch eine prozessrechtlich begründete Aussichtslosigkeit besteht. Es bedarf keiner Entscheidung darüber, ob die Feststellungsklage
wegen eines fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig ist.
b) Eine Divergenz scheidet mangels einer Entscheidung des BSG zur Kryokonservierung von Menschen als Leistung der GKV von vornherein aus.
c) Auch ein Verfahrensfehler des LSG ist bei summarischer Prüfung nicht einmal entfernt erkennbar. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Letzteres setzt ua voraus, dass nach der Rechtsauffassung des LSG bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig
sind (vgl hierzu nur BSG vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - juris RdNr 3 mwN). Der Antrag des Klägers auf Vernehmung des derzeitigen Bundesgesundheitsministers und seines Amtsvorgängers ist nach der
insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG ohne jegliche rechtliche Relevanz.
2. Der zugleich mit dem ausdrücklichen Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts sinngemäß gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung
in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss erfolglos bleiben. Der Kläger vermochte wegen der Aussichtslosigkeit
seiner Rechtsverfolgung die Voraussetzungen des §
78b ZPO nicht substantiiert darzulegen.
a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu gewähren (§
67 Abs
1 SGG). Auf fehlendes Verschulden kann sich nur berufen, wer zur Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt beachtet, die für einen gewissenhaften
und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist (vgl hierzu zB BSG vom 27.5.2008 - B 2 U 5/07 R - SozR 4-1500 § 67 Nr 7 RdNr 14), um eine Fristversäumnis zu vermeiden.
Die Wiedereinsetzung scheitert hier nicht bereits daran, dass der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts nach Ablauf der Begründungsfrist
beim BSG eingegangen ist. Aus dem Briefumschlag des Antragsschreibens vom 31.5.2021 geht hervor, dass das Schreiben am 1.6.2021, einem
Dienstag, zur Post gegeben wurde. Hiernach durfte der Kläger mit einem Zugang des Antrags auf Beiordnung eines Notanwalts
beim BSG vor Ablauf der verlängerten Begründungsfrist rechnen.
b) Einem Beteiligten, der keinen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden hat, ist nach denselben Grundsätzen Wiedereinsetzung
in eine versäumte Frist zu gewähren wie einem solchen Beteiligten, der aus finanziellen Gründen zur Fristwahrung nicht in
der Lage war und deshalb PKH beantragt hat (vgl BSG vom 23.3.2017 - B 1 KR 10/16 BH - juris RdNr 4; BGH vom 12.6.2012 - VIII ZB 80/11 - juris RdNr 7; BGH vom 19.1.2011 - IX ZA 2/11 - juris RdNr 4). Hierzu ist erforderlich, dass der betroffene Beteiligte innerhalb der noch laufenden Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen
Gericht einen Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts stellt und die für die Bestellung eines Notanwalts nach §
78b ZPO erforderlichen Voraussetzungen darlegt (vgl BSG vom 23.3.2017 - B 1 KR 10/16 BH - juris RdNr 4; BGH vom 24.6.2014 - VI ZR 226/13 - juris RdNr 5; BFH vom 28.4.2004 - VII S 9/04 - juris RdNr 7).
Einem Beteiligten kann Wiedereinsetzung wegen der Versäumung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist nur dann
gewährt werden, wenn er hinsichtlich des Antrags auf Beiordnung eines Notanwalts die Voraussetzungen hierfür substantiiert
dargelegt hat. Hierzu gehört auch die Darlegung, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung weder mutwillig
noch aussichtslos ist. Wer eine mutwillige oder aussichtslose Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung betreibt, kann dieser
Darlegungslast nicht gerecht werden. Sein Verschulden besteht gerade darin, dass seine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
mutwillig oder aussichtslos ist. Ihm ist die Beiordnung eines Notanwalts dann verschlossen. Er trägt ohne Wiedereinsetzungsmöglichkeit
das Risiko, dass er innerhalb der jeweiligen Frist keinen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt für seine mutwillige oder aussichtlose
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung findet (ähnlich BGH vom 16.9.2021 - III ZR 70/21 - juris RdNr 8; BGH vom 25.10.2018 - III ZR 121/18 - juris RdNr 7).
Hiernach kann dem Kläger - unabhängig von einem sonstigen Verschulden - schon deswegen keine Wiedereinsetzung in die Frist
zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt werden, weil seine Rechtsverfolgung aussichtlos ist (vgl 1.).
Hinzu kommt hier, dass den Ausführungen des Klägers, warum er seinem bisherigen vertretungsbereiten Prozessbevollmächtigten
das Mandat entzogen hat, ein inhaltlich nachvollziehbarer Grund nicht zu entnehmen ist. Der Kläger führt lediglich unter Verweis
auf Datenschutzrechte Dritter aus, es gebe einen daraus resultierenden Grund, der weder in seiner Verantwortung noch der des
Prozessbevollmächtigten liege.
3. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der bis zum 4.6.2021 verlängerten
Frist zu ihrer Begründung (§
160a Abs
2 Satz 2
SGG) durch einen zur Prozessvertretung beim BSG berechtigten Prozessbevollmächtigten (§
73 Abs
4 SGG) begründet worden ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.