Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge in der gesetzlichen Unfallversicherung; Kein Beginn der Verjährung mit der Kassation
der die Beitragsschuld begründenden Verwaltungsentscheidung
Gründe:
I
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von zur gesetzlichen Unfallversicherung für die Jahre 1996 bis 2001 entrichteten
Beiträgen streitig.
Die Klägerin betreibt seit 1983 einen Bade- und Saunabetrieb. Sie wurde von der Beklagten wegen der Unternehmensart "Masseure,
Med. Bademeister, Kurbäder" mit dem Strukturschlüssel 5000 ab 1.1.1996 zur Gefahrtarifstelle 8 und Gefahrklasse 7,5, ab 1.1.2001
zur Gefahrklasse 6,8 veranlagt (Bescheide vom 28.6.1996 und 3.7.2001).
Mit Schreiben vom 16.1.2007 machte die Klägerin unter Hinweis auf den von ihr geführten Saunabetrieb eine Überprüfung ihrer
Veranlagung sowie eine Beitragserstattung geltend. Die Beklagte veranlagte sie daraufhin ab 1.1.2007 nach dem Strukturschlüssel
5000 ("Masseure, medizinische Bademeister") zur Gefahrtarifstelle 8 und Gefahrklasse 6,5 sowie ab 1.2.2007 nach dem Strukturschlüssel
6000 ("Saunabetriebe") zur Gefahrtarifstelle 7 und Gefahrklasse 3,5 (Bescheide vom 5.2.2007).
Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 1.3.2007 Widerspruch gegen die Veranlagung für Januar 2007. Zudem beantragte sie, die
Beitragsbescheide für die Jahre 1983 bis 2005 aufzuheben, die Beiträge nach der Gefahrtarifstelle 7 neu festzusetzen und überzahlte
Beiträge zu erstatten. Die Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom 30.5.2007 ab. Darüber hinaus teilte sie mit, dass
dem Antrag auf Änderung der Veranlagung rückwirkend für die Vergangenheit stattgegeben werde und die "Beitragsbescheide ...
innerhalb des Verjährungszeitraums des §
27 Abs
2 SGB IV zu berichtigen" seien. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 11.9.2007 darauf hingewiesen hatte, dass der Widerspruch auf
"die Beitragserstattung der Jahre 1996 bis 2001 beschränkt" werde, wies die Beklagte den "Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen
am 03.03.2007) gegen den Veranlagungsbescheid vom 05.02.2007" zurück, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende Beitragskorrektur
ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde". Die Erstattungsansprüche in Bezug auf die Umlagejahre 1996 bis 2001 seien verjährt
(Widerspruchsbescheid vom 20.2.2008).
Das SG Berlin hat den Bescheid der Beklagten vom 5.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 insoweit
aufgehoben, als die Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 abgelehnt wurde und die Beklagte
verurteilt, die Klägerin hinsichtlich dieses Erstattungsbegehrens neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen
(Urteil vom 22.8.2011). Das LSG Berlin-Brandenburg hat das Urteil des SG geändert, die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 30.5.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008
verpflichtet, die Veranlagungs- und Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben, die Klägerin für diesen Zeitraum
zur Gefahrtarifstelle 7 (Saunabetriebe) zu veranlagen sowie Beiträge nach der jeweiligen Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle
7 neu festzusetzen. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich der Erstattung rechtsgrundlos geleisteter
Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es
die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der schriftsätzlich gestellte Berufungsantrag sei im Sinne
des Klagevorbringens auszulegen. Dem Beitragserstattungsanspruch habe eine Aufhebung der Veranlagungs- und Beitragsbescheide
logisch voranzugehen. Mit der unzutreffenden Veranlagung gehe die Neufestsetzung der Beiträge einher. Gegen den daraus resultierenden
Erstattungsanspruch stehe der Beklagten aber die Verjährungseinrede zu. Der Beginn der Verjährung sei nicht von der vorherigen
Entstehung des Erstattungsanspruchs abhängig. Dafür spreche ungeachtet der nicht einheitlichen Rechtsprechung des BSG der eindeutige Wortlaut des §
27 Abs
2 Satz 1
SGB IV. Gründe, welche die Erhebung der Verjährungseinrede als treuwidrig erscheinen ließen, seien nicht zu erkennen. Die Klägerin
hätte die unrichtige Veranlagung ohne Weiteres erkennen können. Eine den Verzicht auf die Verjährungseinrede begründende Ermessensreduzierung
auf Null liege nicht vor. Allerdings sei eine Ermessensausübung zugunsten der Klägerin in einem späteren Rückabwicklungsverfahren
nicht ausgeschlossen (Urteil vom 23.1.2014).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des §
27 SGB IV. Der Anspruch auf Beitragserstattung setze denklogisch die vorherige Aufhebung der zugrundeliegenden Veranlagungs- und Beitragsbescheide
voraus. Damit könne die Verjährung erst mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs in Lauf gesetzt werden. Im Falle der Verjährung
eines rückwirkend entstehenden Erstattungsanspruchs würde der mit ihr verfolgte Zweck vereitelt. §
27 Abs
2 SGB IV gehe vom Regelfall aus, dass Beiträge ohne zugrundeliegenden Verwaltungsakt rechtsgrundlos geleistet würden. Erst mit der
Aufhebung des Beitragsbescheids seien Beiträge "zu Unrecht" im Sinne dieser Vorschrift geleistet. Für diese Rechtsansicht
spreche nicht nur die Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenversicherung, sondern auch der systematische Zusammenhang mit §
160 Abs
2 Nr
2 SGB VII. Da die Überzahlung der Beiträge auf einer fehlerhaften Veranlagung der Beklagten beruhe, stelle die Erhebung der Verjährungseinrede
im Übrigen eine unzulässige Rechtsausübung dar.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2014 und des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2011
sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2008 abzuändern
und die Beklagte zu verurteilen, ihr überzahlte Beiträge in Höhe von 31 045,71 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die auf Beitragserstattung gerichtete Klage sei unzulässig, weil es insoweit an einem durchgeführten Vorverfahren fehle. Im
Übrigen stelle §
27 SGB IV für den Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt ab, in dem die Beiträge entrichtet worden seien. Die Verjährung könnte niemals
eintreten, wenn sie erst mit der Aufhebung der Beitragsbescheide beginnen würde.
II
Die Revision, mit der nur noch die Erstattung überzahlter Beiträge begehrt wird, ist zulässig aber unbegründet.
Allerdings ist die Klage zulässig erhoben worden. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1 und Abs
4 SGG), mit der unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsakte die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung überzahlter Beiträge
geltend gemacht wird. Eine solche Anfechtungsklage ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn
der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§
54 Abs
1 Satz 2
SGG). An dieser Klagebefugnis fehlt es zwar, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (BSG vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - BSGE 90, 127, 130 = SozR 3-5795 § 10d Nr 1 S 4), weil hinsichtlich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt (BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 13). Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht
über einen Leistungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde (§
88 SGG), kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben. Entsprechendes gilt für die mit der Anfechtungsklage
kombinierte (unechte) Leistungsklage (§
54 Abs
4 SGG). Auch sie setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger die begehrte Leistung versagt hat und kommt daher vor dem Erlass
einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung nicht in Betracht (BSG vom 21.9.2010 - B 2 U 25/09 R - Juris RdNr 17).
Der Bescheid der Beklagten vom 30.5.2007 enthält bei verständiger Auslegung (§
133 BGB) eine die Beitragserstattung versagende Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X. Den Inhalt eines Verwaltungsakts hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der
Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde
nach ihrem wirklichen Willen (§
133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Ausschlaggebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung, das objektivierte
Empfängerverständnis. Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, wie Adressaten
und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 15 mwN). Gemessen daran durfte die Klägerin aufgrund der Formulierung in dem Bescheid vom
30.5.2007, die "Beitragsbescheide sind innerhalb des Verjährungszeitraumes nach §
27 Abs.
2 SGB IV zu berichtigen" davon ausgehen, dass hiermit über ihren mit Schreiben vom 16.1.2007 gestellten und mit weiterem Schreiben
vom 1.3.2007 wiederholten Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge für die Zeit von 1996 bis 2001 entschieden werden sollte.
Aus der verlautbarten Erklärung wird deutlich, dass die Beklagte eine die Klägerin begünstigende Korrektur der Beitragsfestsetzung
und damit eine Beitragserstattung ablehnt, weil und soweit ihr die Verjährung entgegensteht.
Über den Anspruch auf Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 ist auch im Widerspruchsbescheid vom 20.2.2008 entschieden
worden, sodass die Zulässigkeit der Klage ferner nicht an einem fehlenden Vorverfahren gemäß §
78 Abs
1 SGG scheitert. Durchgeführt ist ein Vorverfahren erst dann, wenn im Anschluss an eine Nachprüfung der mit dem Widerspruch angefochtenen
Verwaltungsentscheidung ein auf diese bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist. Ob das der Fall ist, bestimmt sich ebenfalls
durch Feststellung des objektiven Erklärungsinhalts des Widerspruchsbescheids im Wege der Auslegung (§
133 BGB), zu der das Revisionsgericht befugt ist. Hierbei sind sowohl die Entscheidungsformel als auch die Begründung des Widerspruchsbescheids
zu berücksichtigen (BSG vom 25.4.2007 - B 12 AL 2/06 R - Juris RdNr 15 ff). Danach enthält der Widerspruchsbescheid der Beklagten auch eine Entscheidung zum geltend gemachten Anspruch
auf Erstattung der von 1996 bis 2001 zu Unrecht entrichteten Beiträge, auch wenn nach der Entscheidungsformel lediglich der
"Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen am 03.03.2007) gegen den Veranlagungsbescheid vom 05.02.2007" zurückgewiesen wird.
Für eine solche Auslegung spricht schon, dass der Widerspruch zurückgewiesen wird, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende
Beitragskorrektur ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde" und damit ausdrücklich eine Beziehung zur Beitragserstattung hergestellt
wird. Zudem weist die Beklagte in der Begründung ausdrücklich darauf hin, dass der Antrag auf Erstattung der Beiträge "für
die Jahre 1996 bis 2001" strittig geblieben sei und infolge "Verjährung der Rückerstattungsansprüche" eine Beitragskorrektur
ausscheide. Diese Auseinandersetzung mit dem Erstattungsanspruch und seine Ablehnung aufgrund eingetretener Verjährung konnte
die Klägerin als Erklärungsempfängerin nur so verstehen, dass die Beklagte auf ihren Widerspruch hin über die Beitragserstattung
für die Jahre 1996 bis 2001 entschieden hat.
Die Klage hat indes in der Sache keinen Erfolg. Die Ablehnung der Beitragserstattung in dem Bescheid der Beklagten vom 30.5.2007
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie
hat keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erstattung der in den Jahren 1996 bis 2001 zu Unrecht geleisteten Beiträge. Der Erstattungsanspruch
(dazu 1.) ist hinsichtlich der Beitragszahlungen für die Jahre 1996 bis 2001 verjährt (dazu 2.). Die Beklagte hat die Einrede
der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben (dazu 3.).
1. Nach §
26 Abs
2 Halbs 1
SGB IV in der hier maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 23.1.2006 (BGBl I 86) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten,
es sei denn, der Versicherungsträger hat bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für
den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen. Die Voraussetzungen
dieser auch in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich anwendbaren Erstattungsnorm (BSG vom 2.2.1999 -B2U 3/98 R - BSGE 83, 270, 276 = SozR 3-2400 § 26 Nr 11 S 56) sind hier erfüllt. Die Klägerin hat für die Jahre 1996 bis 2001 Beiträge nach der Gefahrtarifstelle
8 ohne Rechtsgrund (vgl hierzu BSG vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 6 RdNr 13 mwN) gezahlt. Für diese Beitragsentrichtung war weder eine materiell- noch formal-rechtliche
Grundlage gegeben. Die Beiträge wurden fälschlicherweise nach der Gefahrtarifstelle 8 anstelle der Gefahrtarifstelle 7 bemessen.
Die Beklagte ist zudem aufgrund des lediglich von der Klägerin angegriffenen Urteils des LSG nach § 44 Abs 1 SGB X verpflichtet, die Verwaltungsakte über die Beitragsfestsetzungen für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben. Dem Erstattungsanspruch
steht auch nicht die so genannte Verfallklausel des §
26 Abs
2 Halbs 1 Teils 2
SGB IV entgegen. Diese ist von vornherein ausgeschlossen, wenn es - wie hier - an jeglichem Zusammenhang zwischen den zu erstattenden
Beiträgen und erbrachten oder zu erbringenden Leistungen fehlt, weil die Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung auf einer unrichtigen
Veranlagung zum Gefahrtarif beruht (BSG vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - BSGE 63, 18, 24 f = SozR 1300 § 44 Nr 31 S 86).
2. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ist jedoch verjährt. Nach §
27 Abs
2 Satz 1
SGB IV verjährt der Erstattungsanspruch des §
26 Abs
2 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Die Verjährung hinsichtlich der
für die Jahre 1996 bis 2001 im jeweiligen Nachfolgejahr entrichteten Beiträge trat daher mit Ablauf des 31.12.2006 ein. Der
erst im Januar 2007 gestellte Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge konnte daher die Verjährung nicht hemmen iS des §
27 Abs
3 Satz 2
SGB IV.
Dass die Beklagte erst durch das hier angegriffene Urteil verpflichtet wurde, die der Beitragsbemessung zugrundeliegenden
Verwaltungsakte über die Veranlagung und Beitragserhebung aufzuheben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Entgegen der Auffassung
der Revision beginnt die Verjährung nicht erst mit der Kassation der die Beitragsschuld begründenden Verwaltungsentscheidung.
Der erkennende Senat schließt sich in Fortsetzung seiner eigenen Rechtsprechung (Urteil vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - BSGE 63, 18 = SozR 1300 § 44 Nr 31) nach nochmaliger Überprüfung dem 12. Senat des BSG an. Dieser hat zuletzt unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung mit Urteil vom 31.3.2015 (B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 §
27 Nr
6) entschieden, dass die in §
27 Abs
2 SGB IV für den Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge normierte Verjährungsfrist auch dann mit Ablauf des Kalenderjahres
der Beitragsentrichtung beginnt, wenn der Erstattungsanspruch später oder sogar erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entstehen
sollte. Dabei hat er sich auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, den mit ihr verfolgten Zweck sowie
das Regelungskonzept der §§
25 ff
SGB IV gestützt. Zudem hat er zur Begründung ausgeführt, dass der an den Zeitpunkt der Beitragsentrichtung anknüpfende Verjährungsbeginn
den Anforderungen an eine verfassungskonforme Inhaltsbestimmung des Eigentums iS des Art
14 Abs
1 Satz 2
GG genüge. Zwar ist einzuräumen, dass Gegenstand der Verjährung nur ein entstandener Anspruch sein kann. Daraus folgt aber nicht
denknotwendig, dass die Verjährung jeweils erst mit dem Entstehen des Anspruchs beginnen kann oder darf. Der Gesetzgeber ist
vielmehr nicht gehindert, für den Beginn der Verjährung an unterschiedliche Ereignisse anzuknüpfen (vgl §§
199 ff
BGB) und im Falle eines überhaupt entstandenen Anspruchs auf einen früheren Zeitpunkt als den seiner Entstehung abzustellen.
Infolgedessen kann offenbleiben, ob im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts über die Beitragsfestsetzung der Erstattungsanspruch
mit Wirkung ex nunc ab dem Zeitpunkt dieser Aufhebung oder mit Wirkung ex tunc bereits ab dem Zeitpunkt der fehlerhaften Beitragsentrichtung
entsteht.
Das Revisionsvorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Einwand der Klägerin, der Wortlaut des §
27 Abs
2 SGB IV gelte lediglich für den Regelfall einer Beitragsentrichtung ohne dass dieser ein Verwaltungsakt zugrunde liege, geht fehl.
Der Gesetzestext knüpft an das Kalenderjahr an, "in dem die Beiträge entrichtet worden sind", ohne nach der rechtlichen Grundlage
für die Beitragsforderung zu differenzieren. Eine Begrenzung der Verjährungsvorschrift auf nur eine bestimmte Gruppe von Beitragszahlungen
betreffende Erstattungsansprüche ist auch der Gesetzeshistorie nicht zu entnehmen. Durch §
27 Abs
2 SGB IV sollte vielmehr die Regelung des §
45 SGB I über die Verjährung von Sozialleistungen auf Erstattungsansprüche erstreckt werden (BT-Drucks 7/4122 S 34 zu § 26). Hinweise
darauf, dass die Verjährungsregelung nicht für Beitragszahlungen, die erst aufgrund eines entsprechenden Verwaltungsakts entstehen,
gelten soll, lassen sich den Gesetzesmaterialien hingegen nicht entnehmen.
Eine Auslegung des §
27 Abs
2 SGB IV im Sinne der Revision ist auch nicht durch den mit dem Rechtsinstitut der Verjährung verbundenen allgemeinen Zweck geboten.
Verjährungsregelungen dienen zwar einem angemessenen Ausgleich der Interessen von Schuldner und Gläubiger. Der Gläubiger muss
eine faire Chance haben, seine Ansprüche zu verfolgen (BGH vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - NJW-RR 2005, 1683, 1686). Er muss daher auch in die Lage versetzt werden, sich gegen oder für die Geltendmachung eines Anspruchs entscheiden
zu können. Gerade daran aber ist der Erstattungsberechtigte, der aufgrund eines ihm bekannt gegebenen Verwaltungsakts Beiträge
entrichtet, nicht gehindert. Gegen den die Beitragsbelastung feststellenden Verwaltungsakt kann Widerspruch und anschließend
Klage erhoben werden. Ist die Rechtsmittelfrist abgelaufen, besteht darüber hinaus grundsätzlich die Möglichkeit der Überprüfung
bestandskräftig festgestellter Beitragsforderungen im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Abs 1 SGB X. Zwar führt der auf den Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung festgelegte Beginn der Verjährung gemäß §
27 Abs
2 SGB IV gegebenenfalls dazu, dass einem Erstattungsanspruch, der erst durch die Aufhebung des die Beitragspflicht feststellenden
Verwaltungsakts begründet wird, von vornherein die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann, wenn die Beitragsentrichtung
entsprechend lange zurückliegt. Dieses Ergebnis ist aber dem vermeidbaren Umstand geschuldet, dass der Gläubiger von einer
rechtlichen Kontrolle der festgesetzten Beitragslast und der Geltendmachung überzahlter Beiträge über einen Zeitraum von mindestens
vier Jahren aus eigenem Entschluss abgesehen hat. Auch bei dem hier angenommen Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahrs
der Beitragsentrichtung wird dem Zweck der Verjährung, eine Übergangsfrist in Bezug auf die Prüfung und Geltendmachung von
Ansprüchen einzuräumen, mithin hinreichend Rechnung getragen.
Auch die Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung bedingen keine andere Einschätzung. Nach §
1 Abs
1 Satz 1 und
2 SGB IV gelten die Vorschriften des
SGB IV für die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte, die soziale
Pflegeversicherung sowie mit Ausnahme des Ersten und Zweiten Teils des Vierten Abschnitts und des Fünften Abschnitts auch
für die Arbeitsförderung. Vom Geltungsbereich des
SGB IV ist daher auch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst. Ausgenommen sind lediglich Vorschriften der jeweiligen Sozialleistungsbereiche,
soweit sie von den Bestimmungen des
SGB IV abweichen, sie bleiben unberührt (§
1 Abs
3 SGB IV). Das
SGB VII enthält keine §
27 Abs
2 Satz 1
SGB IV ausdrücklich verdrängende Regelung. Anders als §
351 Abs
1 Satz 2
SGB III, der §
27 Abs
2 Satz 2
SGB IV für die Beitragserstattung der Arbeitsförderung ausdrücklich ausschließt, ordnet das
SGB VII an keiner Stelle die Unanwendbarkeit des §
27 Abs
2 Satz 1
SGB IV an.
Auch das unfallversicherungsrechtliche Regelungskonzept der §§
160 und
168 SGB VII steht einem Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung nicht entgegen. §
160 SGB VII normiert die Aufhebung des nach §
159 SGB VII erlassenen Veranlagungsbescheids und bestimmt den Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Aufhebung. §
160 SGB VII ordnet einerseits die Aufhebung der ursprünglich rechtmäßigen Veranlagung bei Unternehmensänderungen für die Zukunft an (Abs
1) und normiert andererseits die Voraussetzungen, unter denen die Veranlagung mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben
wird (Abs 2). In allen übrigen Fällen wird die Veranlagung mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheids
folgt, aufgehoben (Abs 3). Diese Regelungen verdrängen als lex specialis die §§ 44 ff SGB X oder werden durch diese Vorschriften ergänzt (BT-Drucks 13/2204 S 112 zu § 160; BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 54/02 R - BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, RdNr 25 ff). Sie beeinflussen aber nicht die für sämtliche Sozialversicherungszweige geltende gemeinsame
Verjährungsregelung des §
27 Abs
2 Satz 1
SGB IV. Weder dem Wortlaut des §
160 SGB VII noch seinem Regelungsinhalt und auch nicht den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung, die lediglich auf die Vorgängerregelung
des § 734 Abs 2
RVO verweisen (BT-Drucks 13/2204 S 112 zu § 160), lassen sich Vorgaben oder ansatzweise Hinweise zu den beitragsrechtlichen Konsequenzen einer im Nachhinein veränderten
Veranlagung entnehmen. §
160 SGB VII bestimmt ausschließlich, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zeitpunkt eine Veranlagung iS des §
159 SGB VII zu korrigieren ist. Die Norm enthält aber gerade keine Regelung über die Durchsetzbarkeit einer mit der geänderten Veranlagung
einhergehenden Beitragsrückforderung.
Auch zwischen §
168 SGB VII und §
27 Abs
2 Satz 1
SGB IV lässt sich kein systematischer Zusammenhang herleiten, nach dem die Regelung des §
27 Abs
2 Satz 1
SGB IV im
SGB VII keine Anwendung finden soll. §
168 SGB VII regelt die Schriftform des Beitragsbescheids (Abs
1), zählt die Fälle auf, in denen ein Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten des Unternehmers aufzuheben
ist (Abs 2), sieht eine Satzungsermächtigung für die Selbstberechnung des Beitrags durch die Unternehmer vor (Abs 3) und bestimmt
eine Ausnahme für die Feststellung des Beitrags bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten (Abs 4). Beitragskorrekturen zugunsten
des Unternehmers sind indes gerade nicht Gegenstand der Vorschrift, sie richten sich nach § 44 SGB X. Dass § 44 Abs 4 SGB X lediglich den Sozialleistungsanspruch auf längstens vier Jahre vor der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts begrenzt,
ist aber gerade durch die für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge maßgebenden besonderen Bestimmungen der §§
26 und
27 SGB IV bedingt (vgl BT-Drucks 8/2034 S 34 zu §
42).
3. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie das ihr
eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und ihre Ermessensbetätigung in dem angefochtenen Verwaltungsakt hinreichend begründet
hat. Die in dem Urteil des LSG ausgesprochene Verurteilung der Beklagten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts neu zu bescheiden, ist von der Beklagten nicht mit der Revision angegriffen worden und damit in Rechtskraft erwachsen.
Für die Ermessensbetätigung relevante Gesichtspunkte, die eine sog Ermessensreduktion auf Null naheliegend erscheinen lassen
und ausnahmsweise hätten Anlass geben können, von der Verjährungseinrede abzusehen, sind nicht erkennbar. Der Erhebung der
Verjährungseinrede durch die Beklagte steht auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (vgl hierzu BSG vom 12.12.2007 - B 12 AL 1/06 R - BSGE 99, 271 = SozR 4-2400 § 27 Nr 3, RdNr 13). Zwar geht die rechtswidrige Beitragserhebung auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurück.
Das fehlerhafte Verwaltungshandeln schließt aber jedenfalls dann nicht die Erhebung der Verjährungseinrede aus, wenn - wie
hier - der Gläubiger des Erstattungsanspruchs die unrichtige Beitragsentrichtung aufgrund einer rechtswidrigen Veranlagung
ohne Weiteres hätte erkennen können. Das war nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG der Fall. Diese den Senat bindenden
Tatsachenfeststellungen (§
163 SGG) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden.