Fristsetzung für Stellungnahme bei Zurückweisung der Berufung durch Beschluss im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Der Kläger hatte mit seinem Begehren, zum 1. Januar 1999 als Psychotherapeut bedarfsunabhängig zugelassen zu werden, weder
im Verwaltungsverfahren noch mit Klage oder Berufung Erfolg. Im Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) ist ausgeführt, der
Zulassung des Klägers stehe entgegen, dass er nicht im erforderlichen Maße für die vertragspsychotherapeutische Versorgung
zur Verfügung stünde. Seine Tätigkeit als Geschäftsführer von Pro Familia für 30 Stunden je Woche überschreite den höchstzulässigen
Umfang einer Nebenbeschäftigung, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein Drittel der üblichen wöchentlichen
Arbeitszeit, also 13 Wochenstunden, betrage.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG macht der Kläger vor allem einen Verfahrensmangel
geltend.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, weil sie hinreichende Darlegungen entsprechend den Anforderungen
des §
160a Abs
2 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) enthält. Sie ist aber unbegründet.
1. Mit seiner Verfahrensrüge (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG) beanstandet der Kläger, der Berichterstatter beim LSG habe in einem Erörterungstermin am 17. Februar 2006 auf die Möglichkeit
einer Entscheidung gemäß §
153 Abs
4 SGG hingewiesen, das LSG habe dann aber nicht ausreichend lange abgewartet, ob er - der Kläger - noch Stellung nehme. Das Gericht
habe keine bestimmte Frist zur Stellungnahme gesetzt, sodass er habe annehmen können, noch angemessene Zeit zur Stellungnahme
zu haben. Indessen habe der Senat bereits mit Beschluss vom 2. März 2006 die Berufung zurückgewiesen und ihm damit weiteres
Vorbringen abgeschnitten. Er hätte noch eine Stellungnahme entsprechend seinen Ausführungen auf Seite 2 bis 13 seiner Beschwerdebegründung
abgeben wollen.
Diese Verfahrensrüge greift nicht durch. Denn ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des LSG im Sinne des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG "beruhen kann", liegt nicht vor. Die Einräumung einer Frist nur bis zum 2. März 2006 - weniger als zwei Wochen - wäre in
der Tat zu kurz gewesen; faktisch hat dem Kläger aber eine ausreichend lange - mehr als einmonatige - Frist zur Verfügung
gestanden, ohne dass er sie zu einer Stellungnahme genutzt hat.
Wird mit dem Hinweis auf die Möglichkeit eines Beschlusses gemäß §
153 Abs
4 SGG nicht ausdrücklich eine Frist zur Stellungnahme vorgegeben, so wird rechtliches Gehör jedenfalls dann in ausreichender Weise
gewährt, wenn der Betroffene noch einen Monat für eine Stellungnahme zur Verfügung hat. Diese Auslegung ergibt sich aus einer
Gesamtschau der Fristbestimmungen im
SGG. In §
153 Abs
4 Satz 2
SGG selbst ist weder vorgeschrieben, dass das Gericht eine Frist bestimmen muss (ebenso zB BSG, Beschluss vom 26. August 2004
- B 13 RJ 203/03 B - mwN), noch ist für den Fall deren Fehlens geregelt, welche Mindestfrist das Gericht bis zu seiner Entscheidung abwarten
muss. Der Vergleich mit den sonstigen im
SGG enthaltenen Fristvorschriften ergibt indessen, dass das Abwarten eines Monats bis zur Entscheidung jedenfalls genügt.
Im
SGG sind im Allgemeinen - ebenso wie in den übrigen Prozessordnungen - Fristen von einem Monat vorgesehen, sowohl für die Einlegung
von Rechtsbehelfen (s zB § 84 Abs 1 Satz 1, § 87 Abs 1 Satz 1, § 105 Abs 2 Satz 1, § 145 Abs 1 Satz 2, § 151 Abs 1, § 160a
Abs 1 Satz 2, § 161 Abs 1 Satz 2, § 164 Abs 1 Satz 1, § 173 Satz 1, §
178 Satz 1, §
189 Abs
2 Satz 2, §
197 Abs
2 SGG) als auch in sonstigen Fällen (§
67 Abs
2 Satz 1, §
140 Abs
1 Satz 2
SGG). Längere Fristen kennen die Prozessordnungen nur für die Begründungen der Rechtsmittel der Revision und der Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde
sowie für wenige weitere Sonderfälle (§
160a Abs
2, §
164 Abs
2 SGG mit Fristen von zwei Monaten; s auch Fristen von drei Monaten gemäß §
84 Abs 1 Satz 2 und § 87 Abs 1 Satz 2 bei Bekanntgabe im Ausland, von mindestens drei Monaten gemäß §
75 Abs
2a Satz 6 bei sog Massen-Beiladungen und gemäß §
88 Abs
2 SGG für Untätigkeitsklagen bei Nichtbescheidung eines Widerspruchs; ohne Frist Feststellungsklagen gemäß §§
55,
89 SGG; - kürzere Fristen sind die Ausnahme: zwei Wochen für Terminsladungen und Tatbestandsberichtigungen gemäß §
110 Abs
1 Satz 1 und §
139 Abs
1 SGG sowie für Anhörungsrügen gemäß §
178a Abs
2 Satz 1
SGG).
Nach diesem Gesamtbild, das längere Fristen als einen Monat nur in besonderen Fällen kennt, ist davon auszugehen, dass es
ausreicht, wenn der Betroffene einen Monat für eine Stellungnahme nach Ankündigung einer Entscheidung gemäß §
153 Abs
4 SGG zur Verfügung hat. Dies steht in Einklang mit der sonstigen Rechtsprechung, die ein Zuwarten von vier oder sogar nur drei
Wochen als ausreichend ansieht (für vier Wochen: BSG, Beschluss vom 31. März 2004 - B 4 RA 203/03 B - SozR 4-1500 §
154 Nr 1 RdNr 9; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2005, §
153 RdNr 21; - für drei Wochen: BSG, Beschluss vom 22. Juni 1998 - B 12 KR 85/97 B; - nur 10 Tage fordert BVerwG NJW 1965, 2418 bei Ablehnung eines Beweisantrags). Würde ausdrücklich eine Frist gesetzt, so reicht eine kürzere aus (zwei Wochen zuzüglich
Postlaufzeiten laut BSGE 71, 104, 106 f = SozR 3-1300 § 24 Nr 7 S 23; regelmäßig zwei Wochen laut BSG SozR 1200 § 34 Nr 12 S 54 und SozR 4-1500 § 154 Nr 1
RdNr 9).
Gemessen an vorstehenden Maßstäben beruht die Entscheidung des LSG nicht auf einem Verfahrensmangel. Denn dem Kläger hat ein
Monat zur Verfügung gestanden, um zu dem Hinweis vom 17. Februar 2006 Stellung zu nehmen. Es hat sich nicht zu Lasten des
Klägers ausgewirkt, dass das LSG seinen Beschluss der Berufungszurückweisung schon am 2. März 2006 gefasst hat. Denn die Zustellung
dieses Beschlusses ist, wie den LSG-Akten zu entnehmen ist, erst einen Monat nach der Ankündigung vom 17. Februar, nämlich
am 17. März 2006, veranlasst und erst zwischen dem 20. und 22. März 2006 bewirkt worden. Wäre bis dahin noch eine Stellungnahme
des Klägers eingegangen, so hätte das LSG diese zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen können und müssen, indem es den
Vorgang der Ausfertigung und Absendung des - bisher noch intern gebliebenen und erst durch Zustellung wirksam werdenden -
Beschlusses anhält und erneut über die Sache berät (vgl hierzu BSG, Beschluss vom 31. März 2004 - B 4 RA 203/03 B - SozR 4-1500 § 154 Nr 1 RdNr 8).
Hat der Kläger mithin nicht binnen eines Monats nach der Mitteilung gemäß §
153 Abs
4 SGG tatsächlich Stellung genommen, so hat sich nicht ausgewirkt, dass das LSG zu früh - ohne Abwarten angemessener Zeit für eine
Stellungnahme - entschieden hat. Ein Verfahrensmangel, auf dem der Beschluss des LSG im Sinne des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG "beruhen kann", ist daher nicht gegeben.
2. Auch das weitere Vorbringen des Klägers kann nicht zur Revisionszulassung führen.
Es fehlt schon daran, dass der Kläger nach Maßgabe der möglichen Zulassungsgründe des §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG ausreichend deutlich klarstellt, welchen Zulassungsgrund er mit seinem weiteren Vorbringen geltend machen will. Aber auch
dann, wenn im Wege wohlwollender Auslegung seiner Ausführungen davon ausgegangen wird, er mache den Zulassungsgrund grundsätzlicher
Bedeutung gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG geltend, hat seine Beschwerde keinen Erfolg. Denn die Grundsatzrüge ist jedenfalls unbegründet. Eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache ist nicht gegeben.
Eine grundsätzliche Bedeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich)
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14;
s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f; SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3; Nr 6 RdNr 6, jeweils mwN). Falls
zu der Rechtsfrage schon Rechtsprechung des Revisionsgerichts vorliegt, kommt es darauf an, ob sie erneut klärungsbedürftig
geworden ist, weil zB neue Argumente angeführt oder erhebliche Einwände im neueren Schrifttum vorgebracht worden sind (vgl
BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; Nr 23 S 42; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f und
SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 6, jeweils mwN). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG [Kammer],
Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG [Kammer], DVBl 1995, 35).
Eine solche Klärungsbedürftigkeit ist vorliegend nicht gegeben.
Der Kläger räumt ein, dass die Auffassung des LSG, der von ihm begehrten Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung
stehe seine Tätigkeit als Geschäftsführer von Pro Familia mit 30 Wochenstunden entgegen, der Rechtsprechung des BSG entspricht,
das sich mit dieser Frage bereits befasst hat. Das BSG hat maßgeblich darauf abgestellt, dass beruflicher Status und Tätigkeit
im Gesamtbild deutlich von der vertragsärztlichen bzw -psychotherapeutischen Tätigkeit geprägt sein müssen, sodass eine anderweitige
Tätigkeit in abhängiger Beschäftigung nur untergeordnete Bedeutung haben darf. Dies hat das BSG mit einem Umfang von höchsten
13 Stunden je Woche konkretisiert (zum Gesichtspunkt der Prägung des Gesamtbildes besonders deutlich BSGE 89, 134, 140 f = SozR 3-5520 § 20 Nr 3 S 25; BSG SozR 3-5520 § 20 Nr 4 S 40).
Der Kläger ist allerdings der Ansicht, diese Rechtsprechung bedürfe der Überprüfung. Er macht mithin geltend, die Frage sei
zwar bereits geklärt worden, bedürfe aber nunmehr erneuter Klärung. Dafür müssten allerdings entweder seinen Ausführungen
neue Argumente zu entnehmen sein, oder es müsste ersichtlich sein, dass im neueren Schrifttum erhebliche Einwände gegen die
bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden (zu diesen Anforderungen siehe die oben genannten BSG-Entscheidungen). Beides
ist indessen nicht der Fall. Der Kläger vermag schon nicht in ausreichendem Maß ein seine Rechtsansicht stützendes Schrifttum
anzuführen. Abgesehen von dem neueren Aufsatz von Wenner (GesR 2004, 353), der keine erneute Klärung anmahnt, sondern lediglich
die erfolgte Klärung erläutert, benennt der Kläger nur den älteren Kommentar von Pulverich (Psychotherapeutengesetz, 3. Aufl
1999). Seine Beschwerdebegründung enthält auch keine eigenen neuen Argumente.
Alle vom Kläger angeführten Gesichtspunkte waren bereits bekannt, als die Urteile des BSG zum zulässigen Umfang von Nebentätigkeiten
ergingen. So hat das BSG sich in diesen Urteilen zB bereits mit dem Gesichtspunkt des Schutzes des Art
12 Abs
1 Grundgesetz auch für Zweitberufe befasst (s BSGE 89, 134, 150 = SozR 3-5520 § 20 Nr 3 S 35; BSG SozR 3-5520 § 20 Nr 4 S 43), ebenso mit der Frage eines Bestandsschutzes nach bereits
jahrelanger gleichzeitiger Tätigkeit als (Delegations-)Psychotherapeut und als abhängig Beschäftigter (s BSGE 89, 134, 149 = SozR 3-5520 § 20 Nr 3 S 34), mit der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs der Versagung der Kassenzulassung (s BSG SozR
3-5520 § 20 Nr 4 S 44) und schließlich mit der Frage, ob ein größeres Ausmaß an Nebentätigkeit ausnahmsweise dann hingenommen
werden kann, wenn im Einzelfall konkrete Beeinträchtigungen des Zur-Verfügung-Stehens im Sinne des § 20 Abs 1 Zulassungsverordnung
für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) durch die Nebentätigkeit nicht feststellbar sind (s BSGE 89, 134, 146, 148 = SozR 3-5520 § 20 Nr 3 S 30, 32).
Auch die vom Kläger angeführte Entscheidung BVerfGE 87, 287, war damals bereits bekannt und ist vom BSG berücksichtigt worden, wie daraus ersichtlich ist, dass das BSG sie ausdrücklich
aufgegriffen hat (s BSGE 89, 134, 150 = SozR 3-5520 § 20 Nr 3 S 35; BSG SozR 3-5520 § 20 Nr 4 S 43).
Im Übrigen hätte eine umfassende Würdigung seitens des Klägers erfordert, dass er über die beiden von ihm angeführten Urteile
des BSG hinaus (BSGE 89, 134 = SozR 3-5520 § 20 Nr 3 und BSG SozR 3-2500 § 20 Nr 4) auch das weitere Urteil vom 5. Februar 2003 einbezieht (BSG SozR 4-2500
§ 95 Nr 2 RdNr 15-17; evtl ferner die diese Rechtsprechung bestätigenden Entscheidungen des BVerfG [Kammer], Beschlüsse vom
23. September 2002 - 1 BvR 1315/02 - und vom 12. Februar 2003 - 1 BvR 59/03 -).
Auch die Frage ausreichender Bestimmtheit konkretisierungsbedürftiger - da generalklauselartig gefasster - Tatbestände wie
im Falle des § 20 Abs 1 Ärzte-ZV hat das BSG bereits geklärt. Dies ist zwar nicht ausdrücklich in den vorstehend genannten,
aber in anderen Urteilen des BSG geschehen (vgl dazu zB BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 29 und 41).
Zusammengefasst enthält die Beschwerdebegründung nur eine nochmalige Anführung bekannter Argumente, die in der Rechtsprechung
bereits erörtert worden sind. Relevante neue Aspekte, die es rechtfertigen könnten, eine erneute Klärungsbedürftigkeit anzunehmen,
enthält die Beschwerdebegründung nicht.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
160a Abs
4 Satz 3 Halbsatz 2
SGG abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 Abs
1 und 4
SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).