Beweiserhebung bei der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I
Der als Arzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger wendet sich gegen Bescheide im Rahmen
der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung, mit denen gegen ihn Regresse wegen unwirtschaftlicher Verordnung physikalisch-therapeutischer
Leistungen in den Quartalen I/1996 und II/1996 in Höhe von ca 13.000 bzw 12.500 DM festgesetzt worden sind.
Die Prüfung der Verordnungsweise des Klägers hinsichtlich physikalisch-therapeutischer Leistungen in den streitbefangenen
Quartalen ergab nach statistischer Prüfung Überschreitungswerte um ca 150 % über dem Durchschnitt der Vergleichsgruppe. Nachdem
vom Prüfungsausschuss Regresse in der Weise festgesetzt worden waren, dass die Verordnungskosten beanstandet wurden, die das
Doppelte des Durchschnitts der Fachgruppe überschritten, verminderte der beklagte Beschwerdeausschuss im Klageverfahren den
Regress dahin, dass für das Quartal I/1996 6,45 DM und für das Quartal II/1996 6,91 DM pro Fall in Regress genommen wurden.
Er berücksichtigte dabei auch die vom Kläger selbst erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen, und hatte zuvor die
Verordnungsweise des Klägers durch ein Fachgutachten würdigen lassen.
Das Sozialgericht hat die Klage, soweit sie sich nicht durch das Teilanerkenntnis des Beklagten erledigt hatte, abgewiesen.
Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Entscheidung damit begründet, die
Festsetzungen der Regresse für die Kosten physikalisch-therapeutischer Leistungen in den streitbefangenen Quartalen stehe
im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften und den für die Wirtschaftlichkeitsprüfung entwickelten Grundsätzen der höchstrichterlichen
Rechtsprechung (Urteil vom 28. Juni 2006).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger geltend, das LSG-Urteil weiche
von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) ab (Zulassungsgrund der Divergenz gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 Sozialgerichtsgesetz >SGG<) und im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
II
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Soweit der Kläger rügt, das Berufungsurteil weiche von der Rechtsauffassung ab, die in einem Urteil des BSG niedergelegt sei,
trifft dies nicht zu. Der Kläger entnimmt dem Berufungsurteil den Rechtssatz, dass die Strukturmerkmale der Praxis, deren
Verordnungskosten Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind, von den Prüfgremien zu beurteilen sind, denen insoweit nach
ständiger Rechtsprechung des BSG ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zustehe. Soweit der
Kläger dem die Aussage im Senatsurteil vom 2. November 2005 - B 6 KA 63/04 R - (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11) gegenüberstellt, wonach der Senat bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten
einen Beurteilungsspielraum der Prüfgremien nicht etwa generell hinsichtlich aller Fragen der Sachverhaltsermittlung und Beweisführung,
sondern nur in Bezug auf solche Fragestellungen angenommen hat, die einer Bewertung und Heranziehung der besonderen Fachkunde
der Mitglieder der Prüfgremien bedürfen (aaO, jeweils RdNr 36), weichen diese beiden Rechtsaussagen nicht voneinander ab.
Das ergibt sich bereits aus der Wendung, die der vom Beschwerdeführer zitierten Passage des Senatsurteils vom 2. November
2005 folgt. Dort heißt es: "Dementsprechend ist bei einer Richtgrößenprüfung ein Beurteilungsspielraum der Prüfgremien nur
anzuerkennen, soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht. Hingegen muss die Frage, ob die Verordnungen
eines Vertragsarztes dessen Richtgrößenvolumen um mehr als 25 % übersteigen, im Streitfall vom Gericht unter Heranziehung
der in Frage kommenden Beweismittel eigenverantwortlich entschieden werden". In dem hier interessierenden Zusammenhang geht
es nach der Beschwerdebegründung des Klägers darum, "ob die Praxis des Klägers gegenüber der Fachgruppe der Allgemeinärzte
Praxisbesonderheiten aufweist, die erheblich höhere Kosten für physikalisch-therapeutische Leistungen rechtfertigen". Hinsichtlich
einer solchen Fragestellung ist in der Rechtsprechung des Senats nie in Frage gestellt worden, dass den Prüfgremien bei der
Bewertung der insoweit maßgeblichen Umstände ein der gerichtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum
zur Verfügung steht. Das hat der Senat zuletzt im Urteil vom 14. Dezember 2005 verdeutlicht, wenn dort formuliert ist, "sofern
atypische Praxisumstände des zu prüfenden Zahnarztes vorliegen oder geltend gemacht werden, steht den Prüfgremien ein Entscheidungsspielraum
hinsichtlich der Beurteilung zu, ab welchem Ausmaß atypische Praxisumstände sie eine engere Vergleichsgruppe bilden oder Praxisbesonderheiten
annehmen und sachgerecht quantifizieren" (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 12 RdNr 16). Es steht mithin nach der Rechtsprechung des
Senats außer Frage und ist auch vom LSG nicht anders gesehen worden, dass die Frage, ob die Patientenklientel einer Praxis
atypisch zusammengesetzt ist, der gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren Bewertung der Prüfgremien unterliegt und nicht
Gegenstand der Beweiserhebung durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens sein kann, wie dies der Kläger
wünscht.
Soweit der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen geltend macht, ist seine Beschwerde überwiegend
unzulässig. Wer die Grundsatzrüge erhebt, muss eine Rechtsfrage in eigener Formulierung bezeichnen und darlegen, weshalb diese
in dem konkreten Rechtsstreit klärungsfähig (entscheidungserheblich) und klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus
von Bedeutung ist. Diesen aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Begründungsanforderungen wird die Beschwerde nur teilweise gerecht.
Den Begründungsanforderungen wird zunächst nicht genügt, wenn als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet wird, ob "die
statistische Vergleichsprüfung als Regelprüfmethode, auch wenn sie durch eine so genannte intellektuelle Betrachtung ergänzt
wird, auch dann eingreifen kann, wenn sich objektive Anhaltspunkte von vornherein aufdrängen, die für das Vorliegen eines
atypischen Sonderfalls sprechen". In dieser Allgemeinheit ist die aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsfähig. Im Übrigen
hat der Kläger ihre Klärungsbedürftigkeit nicht näher dargelegt. Dazu hätte aber Anlass bestanden, weil der Kläger unter dem
Gesichtspunkt der Anwendbarkeit der Regelprüfmethode des Vergleichs nach Durchschnittswerten geklärt wissen will, in welcher
Weise die Prüfgremien bei Überschreitungen des betroffenen Arztes bei den Kosten physikalisch-therapeutischer Leistungen zu
berücksichtigen haben, dass die Arzneiverordnungskosten der betroffenen Praxis unterdurchschnittlich sind und auch das Gesamthonorar
den Durchschnitt der Fachgruppe nicht erreicht. Die damit angesprochenen Fragen sind bereits Gegenstand umfangreicher Rechtsprechung
des Senats gewesen. Soweit der Kläger sinngemäß Zweifel äußert, ob der Beklagte die Gesamtwirtschaftlichkeit seiner Praxis
hinreichend beachtet hat, ist das Urteil vom 5. November 1997 von Bedeutung. Dort hat der Senat ausgeführt, er sei schon seit
langem den Gedanken entgegengetreten, dass Einsparungen in einem Leistungsbereich dem Arzt eine Art Freibrief gäben, in anderen
Leistungsbereichen mehr Aufwendungen haben zu dürfen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 42 S 232). Auch zur Bedeutung kompensierender
Minderaufwendungen existiert umfangreiche Rechtsprechung des Senats (neben dem Urteil vom 5. November 1997 etwa Senatsurteil
vom 28. Januar 1998, SozR 3-2500 § 106 Nr 43 S 239, Senatsurteil vom 11. Dezember 2002, SozR aaO, Nr 57 S 325). Mit diesen
Entscheidungen hat sich der Kläger nicht auseinandergesetzt und somit nicht aufgezeigt, welche konkrete Rechtsfrage in diesem
Zusammenhang noch zu entscheiden ist.
Unzulässig ist die Grundsatzrüge auch insoweit, als der Kläger geklärt wissen will, "in welcher Art und Weise ein auf der
Grundlage des Gesundheitsstrukturgesetzes der Prüfung ausgesetzter Arzt den Prüfgremien unter Vorlage seiner Unterlagen auf
diese Abweichung hinweisen muss und wie die Unterlagen eines Arztes beschaffen sein müssen, mit denen er erhebliche und statistisch
relevante Abweichungen zwischen den von ihm ausgestellten und den tatsächlich vorliegenden Verordnungsblättern bzw Verordnungen
geltend macht". Damit ist schon keine in einem Revisionsverfahren allgemein, also losgelöst von den Umständen des jeweiligen
Einzelfalles klärbare Rechtsfrage bezeichnet. Es wird nicht deutlich, welche generelle Antwort das Revisionsgericht auf die
Frage nach der Beschaffenheit der ärztlichen Unterlagen geben könnte, mit denen ein Arzt die fehlerhafte Zuordnung von Verordnungskosten
belegen will. Im Übrigen legt der Kläger nicht dar, inwieweit im Hinblick auf das Senatsurteil vom 27. April 2005 (BSGE 94,
273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, jeweils RdNr 18 ff) weiterer Klärungsbedarf hinsichtlich der Darlegungsobliegenheiten eines Arztes
besteht, der die fehlerhafte Zuordnung von Verordnungskosten geltend machen will.
Soweit der Kläger schließlich generell die Frage aufwirft, ob die "konzeptionellen Grundlagen für eine Prüfung nach Durchschnittswerten,
wie sie die Rechtsprechung des BSG nunmehr entwickelt hat, mit dem eigentlichen Zweck des Gebotes der Wirtschaftlichkeit vereinbar"
sind, ist die Beschwerde nicht begründet. Angesichts der in den letzten Jahrzehnten entwickelten und dem jeweiligen Stand
der Gesetzgebung angepassten Rechtsprechung des Senats zu den Grundsätzen der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung,
auch soweit die Verordnung von Arzneimitteln oder physikalisch-therapeutischen Leistungen betroffen ist, besteht aus Anlass
des hier zu entscheidenden Falls aus den ersten beiden Quartalen des Jahres 1996 kein Bedürfnis, erneut grundsätzlich zur
Zulässigkeit und Durchführung der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung Stellung zu nehmen. Der Gesetzgeber hat die
maßgeblichen Gesetzesgrundlagen zuletzt zum 1. Januar 2004 durch das GKV-Modernisierungsgesetz neu gefasst. Für einen nunmehr
zehn Jahre zurückliegenden Rechtszustand ist nicht ersichtlich, weshalb insoweit eine erneute höchstrichterliche Entscheidung
erforderlich sein könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 und 4
SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und im Hinblick auf die Klageerhebung im Jahre 2000 hier noch anzuwendenden Fassung.