Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verletzung rechtlichen Gehörs
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist hinsichtlich des allein geltend gemachten Verfahrensmangels der Verletzung
rechtlichen Gehörs (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) zulässig. Die Beschwerde ist auch begründet. Es liegt ein Verfahrensfehler iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht. Das angegriffene Urteil des Berufungsgerichts ist verfahrensfehlerhaft
ergangen, weil das LSG nicht ohne mündliche Verhandlung hätte entscheiden dürfen.
Das Gericht entscheidet nach §
124 Abs
1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Mündlichkeit
enthält §
124 Abs
2 SGG. Danach kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Eine Einverständniserklärung
im Sinne dieser Vorschrift liegt im Grundsatz vor. Denn die Klägerin und der Beklagte haben am 12. bzw 15.7.2021 erklärt,
mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein. Diese Erklärungen, die das Gericht im
Zeitpunkt seiner Entscheidungsfindung von Amts wegen zu prüfen hat, verlieren aber ihre Wirksamkeit, wenn sich nach ihrer
Abgabe die Prozesssituation wesentlich geändert hat (BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 45/10 B - juris; BSG vom 11.4.2013 - B 2 U 359/12 B - juris; BSG vom 6.10.2016 - B 5 R 45/16 B - juris).
Dies war im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung der Fall. Der Berichterstatter des Verfahrens, auf den dieses nach Anhörung
der Beteiligten durch Beschluss vom 30.6.2021 übertragen worden war (§
153 Abs
5 SGG), hat mit Verfügung vom 8.9.2021 (nochmals) ausführlich darauf hingewiesen, dass ein weiterer Bescheid, über den das SG aber nicht entschieden habe, streitgegenständlich sei. Er hat auf die verfahrensrechtlichen Konsequenzen für das Berufungsverfahren
und auf eine "weitere Schwierigkeit" im Hinblick auf die aus seiner Sicht fehlende Ermessensentscheidung des Beklagten hinsichtlich
der übergangsweisen Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 4 SGB II hingewiesen. Folglich war nach dem Ergebnis seiner Prüfung nach der Übertragung des Verfahrens auf ihn und dem von den Beteiligten
erklärten Einverständnis eine relevante Änderung der Prozesssituation eingetreten. Ein Festhalten an der beabsichtigten Verfahrensweise,
durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, hätte zumindest nach Eingang der von ihm erbetenen Stellungnahmen
der Beteiligten eines Hinweises an diese bedurft, der hier aber fehlte.
Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob eine weitere Verletzung von Verfahrensrecht (Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters, Art
101 Abs
1 Satz 2
GG) darin zu sehen ist, dass das Urteil am 12.11.2021 nicht in der von §
153 Abs
5 SGG vorgesehenen Besetzung (1 Berufsrichter, 2 ehrenamtliche Richter), sondern ohne mündliche Verhandlung durch den gesamten
Senat in der von §
33 Abs
1 SGG vorausgesetzten Besetzung (3 Berufsrichter, 2 ehrenamtliche Richter) ergangen ist, eine (förmliche) Rückübertragung des Verfahrens
auf den Senat (§
202 SGG iVm §
526 Abs
2 Satz 1 Nr
1, Satz 3
ZPO; vgl BSG vom 21.9.2017 - B 8 SO 3/16 R - SozR 4-1500 § 153 Nr 16 RdNr 17; BSG vom 27.6.2019 - B 11 AL 8/18 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 27 RdNr 14) aber nicht erfolgt ist.
Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufheben und die Sache
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen (§
160a Abs
5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.