Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und Arbeitslosenhilfe (Alhi) für
die Zeit vom 1. Februar 2002 bis 31. Mai 2002, die damit verbundene Erstattungsforderung und den Ersatz von Sozialversicherungsbeiträgen
in Höhe von insgesamt 6.498,30 Euro.
Der im Jahre 1963 geborene Kläger bezog vom 15. Oktober 2001 bis 29. April 2002 Alg und ab 30. April 2002 Alhi. Die Beklagte
hob die Bewilligung von Alg bzw Alhi für den og Zeitraum auf und forderte die gewährten Leistungen zurück, weil der Kläger
in der Zeit vom 1. Februar 2002 bis 31. Mai 2002 als Honorarkraft in einer Praxis für Logopädie mehr als 19,5 Stunden pro
Woche eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt und diese Änderung nicht mitgeteilt habe (Bescheid vom 19. Mai 2003; Widerspruchsbescheid
vom 23. Juni 2003).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. März 2005), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom
27. April 2006). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei das Gericht überzeugt, dass
der Kläger wegen fehlender Beschäftigungslosigkeit nicht mehr arbeitslos gewesen und daher keinen Leistungsanspruch mehr gehabt
habe. Die Leistungsbewilligung sei daher wegen fehlender Meldung der Beschäftigungsaufnahme rückwirkend zum Zeitpunkt der
Veränderung der Verhältnisse aufzuheben gewesen.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger Verfahrensfehler. Das LSG habe den Grundsatz der
Öffentlichkeit verletzt. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung am 26. April 2006, die statt um 13.15 Uhr erst um 16.00 Uhr
begonnen habe, habe er während einer kurzen Unterbrechung durch den Vorsitzenden etwa um 17.00 Uhr das Gerichtsgebäude verlassen,
um für seinen PKW einen neuen Parkschein zu ziehen. Als er wieder in das Gerichtsgebäude habe zurückkehren wollen, sei dieses
zunächst verschlossen gewesen. Offensichtlich sei der Zugang zum Gericht der Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt bereits nicht
mehr möglich gewesen. Nur weil er einem Gerichtsbediensteten habe glaubhaft machen können, dass er Beteiligter einer noch
laufenden Verhandlung sei, sei er wieder eingelassen worden. Zudem sei das LSG ohne jede Begründung seinem schriftlichen Beweisantrag
in der Berufungsbegründung nicht gefolgt, Zeugen in Deutschland (Sachbearbeiter der Beklagten) sowie in Rumänien zum Beweis
der Tatsache zu vernehmen, dass er im Februar 2002 für eine Reise nach Rumänien ordnungsgemäß bei der Beklagten "Urlaub" beantragt
habe. In dieser Zeit hätte er deshalb die vom LSG angenommene Tätigkeit von über 18 Wochenstunden überhaupt nicht ausüben
können.
Der Senat hat Auskünfte des LSG eingeholt und den Beteiligten davon Kenntnis gegeben.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Der in der Beschwerdebegründung behauptete Verfahrensmangel der Verletzung des Grundsatzes
der Öffentlichkeit nach §
61 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) iVm §
169 Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) liegt nicht vor. Der außerdem als Zulassungsgrund geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlung) durch Nichteinholung von Beweisen ist nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise
dargelegt.
Der Grundsatz der Öffentlichkeit iS des §
169 GVG besagt, dass jeder, auch wenn er nicht Beteiligter ist, das Recht hat, an der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden
Gericht teilzunehmen. Es muss durchgehend gewährleistet sein, dass der Zutritt im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten deutlich
erkennbar gestattet ist. Eine Verletzung des §
169 Satz 1
GVG liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn sich - wie hier - der Berichterstatter des Verfahrens beim LSG selbst vor Beginn der
Sitzung um den ordnungsgemäßen Zugang zur Sitzung über die Pforte gekümmert hat (vgl: BSG, Beschluss vom 28. April 2004 -
B 6 KA 107/03 B; BFHE 143, 487, 488 mwN zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts) und der erkennende Gerichtskörper deshalb
von einem ungehinderten Zugang zur Sitzung ausgehen durfte.
Selbst wenn man die Angaben des Klägers als richtig unterstellt, nach Rückkehr von seinem Auto sei das Gerichtsgebäude zunächst
verschlossen gewesen und ein Gerichtsbediensteter habe ihn erst auf Verlangen eingelassen, liegt dann kein Verstoß gegen den
Grundsatz der Öffentlichkeit vor. Denn die Beeinträchtigung der Öffentlichkeit beruhte in diesem Fall nicht auf einem Fehlverhalten
des erkennenden Senats. Wie sich aus der dienstlichen Stellungnahme des zuständigen Berichterstatters des LSG ergibt, hat
sich dieser selbst unmittelbar vor Beginn der Verhandlung des Klägers an der Pforte bestätigen lassen, dass diese auch nach
16.00 Uhr besetzt sein würde. Diese Aussage ist umso glaubhafter, als sich der Berichterstatter wegen der besonderen Umstände
dieses Verfahrens (Verzögerung des Verhandlungsbeginns um 2,5 Stunden, erstmalige Auferlegung von Verschuldenskosten in seiner
langjährigen richterlichen Tätigkeit am LSG) an diesen Sitzungstag noch genau erinnern konnte. Der erkennende Senat des LSG
musste deshalb nicht mit Komplikationen rechnen.
Soweit der Kläger rügt, das LSG hätte die von ihm benannten Zeugen vernehmen müssen, genügt sein Vortrag nicht den gesetzlichen
Anforderungen (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; dabei kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels im Einzelnen müssen wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen
Revision zunächst die die Verfahrensmängel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (BSG SozR 1500
§ 160a Nr 14, 24, 34 und 36). Darüber hinaus ist die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen
Rechtsansicht - auf dem jeweiligen Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR
1500 § 160a Nr 14 und 36), es sei denn, es würden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß §
202 SGG iVm §
547 Zivilprozessordnung der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8). Bei dem geltend gemachten Verfahrensmangel handelt es sich nicht um einen solchen absoluten
Revisionsgrund.
Der Kläger hätte deshalb darlegen müssen, dass das LSG unter Berücksichtigung des Ausgangs der beantragten Beweisaufnahme
anders entschieden hätte. Dazu hätte er aber den genauen Zeitpunkt seiner "Reise", insbesondere deren Antrittszeitpunkt, benennen
müssen. Wäre der Kläger nämlich erst im Verlauf des Monats Februar 2002, nicht mit dessen Beginn, nach Rumänien aufgebrochen,
würde dies nicht zwangsläufig etwas an der Würdigung des LSG ändern, dass er am 1. Februar 2002 eine mehr als 18-stündige
Beschäftigung aufgenommen habe. Durch diese der Beklagten nicht gemeldete Aufnahme der Beschäftigung wäre allerdings die Wirkung
der Arbeitslosmeldung gemäß § 122 Abs 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - erloschen (BSG SozR 4-4300
§ 122 Nr 5), sodass es auf die Frage der weiteren Beschäftigung während der behaupteten Reise und danach überhaupt nicht mehr
ankäme. Zu diesem rechtlichen Aspekt fehlt jeglicher Vortrag.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.