Parallelentscheidung zu BSG B 8 SO 35/22 BH v. 26.09.2022
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten steht die Bewilligung von Eingliederungshilfeleistungen für den seit Juli 2011 im Leistungsbezug
nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) bei dem Beklagten stehenden Kläger im Streit.
Am 19.1.2019 erhob der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Berlin die unter dem Az S 146 SO 112/19 geführte Klage, mit welcher er ua die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von
"mindestens Eingliederungshilfeleistungen" auf seine Anträge vom 19.3.2016, 30.3.2016, 6.4.2016 und 6.6.2016 begehrte sowie
festzustellen, dass ein Bedarf besteht und mindestens seit Antragstellung bestanden hat. Mit an das SG Berlin gerichteten
Schreiben vom 23.5.2019 teilte der Beklagte mit, dass der Kläger die genannten Anträge auf Eingliederungshilfeleistungen zurückgenommen
habe. Die Klage im Verfahren sei auch bereits deshalb unzulässig, weil ein Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei.
Am 20.6.2019 hat der Kläger Untätigkeitsklage zum SG erhoben und beantragt, den Beklagten hinsichtlich der Anträge vom 19.3.2016, 30.3.2016, 6.4.2016 und 6.6.2016 zu verpflichten,
über diese Anträge zu entscheiden bzw dem Beklagten hierzu eine angemessene Frist zu setzen. Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 30.10.2019). Die Klage sei bereits unzulässig, weil derselbe auf die Bescheidung seiner Anträge gerichtete Streitgegenstand zeitlich
früher im Klageverfahren zum Az S 146 SO 112/19 anhängig gemacht worden sei und daher doppelte Rechtshängigkeit vorliege (Az S 90 SO 864/19). Auch im Übrigen liege kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vor. Unzulässig sei schließlich auch die auf Gewährung
von 150 Euro gerichtete Klage, weil kein Vorverfahren stattgefunden habe.
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 3.5.2022). Die zulässige Berufung des Klägers sei nicht begründet. Zu Recht habe das SG die Klage abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner
Beschwerde und beantragt zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung einer Rechtsanwältin. Antragsteller
und Kläger haben dauerhaft seine Teilhabe nicht sicherstellen können.
II
PKH kann dem Kläger nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
73a Abs
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm §
114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§
73 Abs
4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend
nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Klärungsbedürftige Rechtsfragen im Hinblick auf die Unzulässigkeit einer Klage bei doppelter Rechtshängigkeit wegen eines
bereits anhängigen Gerichtsverfahrens bestehen nicht.
Nach dem Vorstehenden ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Das LSG durfte in Abwesenheit des Klägers entscheiden aufgrund mündlicher
Verhandlung, da er ordnungsgemäß in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (PZU 5.4.2022 Bl 69 ff LSG-Akte). Das LSG konnte auch in der Besetzung der Berichterstatterin als Vorsitzende mit zwei ehrenamtlichen Richtern bzw Richterin
entschieden. Gemäß §
153 Abs
5 SGG kann der Senat in den Fällen, in denen erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden wurde, durch Beschluss dem berufenen
Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Dies ist vorliegend durch Beschluss
vom 16.4.2020 (Bl 65 LSG-Akte) geschehen. Der Beschluss wurde dem Kläger zur Kenntnis gebracht. Der Kläger wurde zuvor angehört (Bl 49 LSG-Akte).
Soweit der Kläger sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG stützt, ist nicht ersichtlich, welche Tatsachen dem LSG als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 Grundgesetz <GG>) geltend machen könnte. Die vorliegend vor der mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellte sitzungspolizeiliche Anordnung
(§
176 Abs
1 Gerichtsverfassungsgesetz <GVG>), voraussichtlich wegen der andauernden COVID 19-Pandemie im Gerichtssaal eine Mund- und Nasenbedeckung tragen zu müssen,
wäre grundsätzlich wegen erkennbar vernünftigen Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt gewesen, weil sie geeignet ist, mögliche
Infektionen im Gerichtssaal zu verhindern oder zumindest die Wahrscheinlichkeit hierfür zu senken (vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 28.9.2020 - 1 BvR 1948/20 - MDR 2020, 1523; Mayer in Kissel/Mayer,
GVG, 10. Aufl 2021, §
176 RdNr 15a; Metz, Deutsche Richterzeitung 2020, 256); darin liegt auch kein Verstoß gegen das in §
176 Abs
2 Satz 1
GVG normierte Verhüllungsverbot. Letztlich kann dies dahinstehen, da der Kläger trotz eines kurz vor der mündlichen Verhandlung
vorgelegten ärztlichen Attests, in welchem die Unzumutbarkeit des Tragens einer Atmungsschutzmaske attestiert wird, gar nicht
an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und dem Vorsitzenden nicht die Möglichkeit gegeben hat, in seinem Einzelfall zu
prüfen, ob die sitzungspolizeiliche Anordnung insoweit ohne Ausnahme zu erlassen war. Auf die Möglichkeit eines Befreiungstatbestands
wurde der Kläger ordnungsgemäß hingewiesen. Zur mündlichen Verhandlung war der Kläger ordnungsgemäß geladen worden; sein persönliches
Erscheinen war nicht angeordnet worden, um Terminsverlegung hat er nicht gebeten. Damit kann eine Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör oder aus Art
2 Abs
1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten allgemeinen Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren nicht bezeichnet werden.
Ohnehin stellt sich die Entscheidung des LSG in der Sache als zutreffend dar, sodass auch nicht ersichtlich ist, welcher Vortrag
in der Sache dem Kläger zum Erfolg hätte verhelfen können.
Damit entfällt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH (§
73a Abs
1 SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).
Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich
vor dem BSG gemäß §
73 Abs
4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen,
folglich auch nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach §
73 Abs
4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf wurde der Kläger ausdrücklich hingewiesen. Die nicht formgerecht
eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 Satz 3
SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.