Ablehnung des Richters bei instanzübergreifender Richterehe
Gründe:
I
Der Kläger wurde am 13. Juli 1993 von Kräften des Mobilen Einsatzkommandos der Polizei überwältigt und verhaftet. Er behauptet,
dabei von den Beamten verletzt worden zu sein. Die Beklagte lehnte es ab, ihm wegen Verletzungsfolgen Versorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz iVm dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren (Bescheid vom 29. Mai 1996; Widerspruchsbescheid vom 17. November 1998).
Die Klage ist abgewiesen worden (Urteil des Sozialgerichts >SG< Hamburg vom 4. März 2003). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg
hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Beschluss vom 2. März 2005). An dieser Entscheidung hat der Richter am LSG
mitgewirkt, dessen Ehefrau - Richterin am SG - (damals als Ledige noch unter dem Namen ) als Kammervorsitzende an dem erstinstanzlichen
Urteil beteiligt gewesen ist. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Mit seiner dagegen eingelegten Beschwerde macht der Kläger - nachdem der Senat ihn über die Familienverhältnisse der vorinstanzlichen
Richter informiert hat - ua geltend, das Berufungsgericht habe ihm rechtliches Gehör versagt, indem es die instanzübergreifende
Richterehe nicht aufgedeckt habe. Hätte er einen Hinweis darauf erhalten, so hätte er den Richter - mit Aussicht
auf Erfolg - wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
II
Die Beschwerde ist begründet.
Der gerügte Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 Sozialgerichtsgesetz >SGG<) liegt vor. Das LSG hat Art
103 Abs
1 Grundgesetz (
GG), §
62 SGG (rechtliches Gehör) verletzt, indem es den Kläger nicht über die ihm unbekannte instanzübergreifende Richterehe als möglichen
Ablehnungsgrund unterrichtet hat.
Wie der Senat bereits entschieden hat, verstößt ein Gericht gegen das Gebot, die Beteiligten rechtlich zu hören, wenn es sie
über einen ihnen verborgenen, dem Gericht aber bekannten - möglichen - Ablehnungsgrund gegen einen Sachverständigen nicht
informiert, auf dessen Gutachten das Urteil sich stützt (SozR 3-1500 § 128 Nr 7). Entsprechendes gilt für die Richterablehnung.
Die grundrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (Art
101 Abs
1 Satz 2
GG) umfasst das Recht auf ein unparteiisches Gericht. Dessen Unparteilichkeit wird ua durch das Recht eines Beteiligten gesichert,
Gerichtspersonen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (§
60 Abs
1 SGG iVm §§
42 ff
Zivilprozessordnung). Damit ein Beteiligter von diesem prozessualen Recht Gebrauch machen kann, muss das Gericht ihn auf einen ihm als Außenstehenden
ersichtlich verborgenen Sachverhalt hinweisen, der - wie hier - aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei
Anlass für einen Befangenheitsantrag sein kann (vgl dazu Bundesgerichtshof >BGH<, Urteil vom 15. Dezember 1994 - I ZR 121/92 -, NJW 1995, 1677, 1679). Ein solcher Sachverhalt lag hier im Berufungsverfahren vor.
Auf dem gerügten Verfahrensfehler kann das angegriffene Berufungsurteil beruhen. Dem steht hier nicht die Rechtsprechung des
BGH entgegen, wonach die Mitwirkung der Ehefrau eines Rechtsmittelrichters bei Erlass der angefochtenen (Kollegial-) Entscheidung
generell keinen Ablehnungsgrund im Hinblick auf dessen Beteiligung an der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren darstellt
(Beschluss vom 20. Oktober 2003 - II ZB 31/02 -, NJW 2004, 163 f). Der Senat hat Bedenken gegen diese Ansicht (vgl zur überzeugenden Kritik an der Entscheidung des BGH: Feiber, NJW 2004,
650 f und Vollkommer, EWiR 2004, 205 f; s auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2005, §
60 RdNr 8a), kann aber offen lassen, ob ihr zu folgen ist. Er hält den vom BGH aufgestellten Rechtssatz jedenfalls dann für
unanwendbar, wenn das Ablehnungsgesuch nicht allein - wie in dem vom BGH entschiedenen Fall - auf das eheliche Näheverhältnis
gestützt, sondern darüber hinaus ein Verstoß des vorinstanzlichen Richters gegen die Prozessordnung geltend gemacht wird.
Denn durch eine derartige Rüge wird nicht nur die Überlegenheit einer von dem angegriffenen Urteil abweichenden Rechtsauffassung
behauptet, vielmehr wird dem an der angegriffenen Entscheidung beteiligten Richter eine berufliche Fehlleistung vorgeworfen.
Bei einer solchen Sachlage kann bei einem Beteiligten die begründete Besorgnis bestehen, dass ein mit einer erstinstanzlichen
Richterin als Ehegatte eng verbundener Berufungsrichter bei der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung im Rechtssinne
befangen ist (vgl dazu bereits den Beschluss des Senats vom 16. August 2005 - B 9a VJ 4/05 B - nicht veröffentlicht). So liegt
der Fall auch hier. Der Kläger hatte im Berufungsverfahren geltend gemacht, das erstinstanzliche Gericht habe von ihm benannte
Zeugen nicht prozessordnungsgemäß vernommen, sondern bei ihnen jeweils nur telefonisch nachgefragt.
Nach §
160a Abs
5 SGG kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzung des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliegt. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Das LSG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.