Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen einzelne Regelungen des Hartz IV-Gesetzes mangels Erschöpfung des Rechtswegs
Gründe:
I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II),
die durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ("Hartz IV") vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954)
zum 1. Januar 2005 eingeführt worden ist.
Der Beschwerdeführer ist geschieden und hat das Recht zum Umgang mit seinem minderjährigen Sohn. Er ist arbeitslos und bezieht
Leistungen nach dem SGB II. Gegen den ersten Bescheid hat er Widerspruch erhoben. Weitere Angaben macht er im vorliegenden
Verfahren nicht.
Der Beschwerdeführer hält zahlreiche Regelungen des SGB II für verfassungswidrig. Der mit Leistungskürzungen sanktionierte
Zwang zur Annahme einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3 SGB II ("1-EUR-Job") verletze das
Verbot von Arbeitszwang und Zwangsarbeit aus Art.
12 Abs.
2 und
3 GG. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§§ 19 ff. SGB II) seien zu niedrig, um das verfassungsrechtlich gewährleistete Existenzminimum zu decken. Die Obliegenheit zur
Annahme jeder zumutbaren Arbeit nach § 10 SGB II verletze sein Elternrecht aus Art.
6 Abs.
2 GG, denn sie führe dazu, dass er sein Umgangsrecht mit seinem Sohn nicht wahrnehmen könne, und verstoße gegen sein Grundrecht
auf Freizügigkeit aus Art.
11 Abs.
1 GG, da er einer bundesweiten Vermittlung zur Verfügung stehen müsse. Der Zwang zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung
(§§ 15, 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a SGB II) verletze die Vertragsfreiheit aus Art.
2 Abs.
1 GG. Es verstoße gegen Art.
3 Abs.
1 GG, dass der Mehrbedarf alleinerziehender Eltern nach § 21 Abs. 3 SGB II nach dem Alter des Kindes gestaffelt sei. Ein Verstoß gegen Art.
6 Abs.
2 und
3 GG liege darin, dass er in der Zeit, in der er seinen Sohn zur Ausübung des Umgangs in seinen Haushalt aufnehme, kein Sozialgeld
für ihn beziehen könne. Es verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip, dass nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II die Beweislast für
den wichtigen Grund zur Ablehnung einer Arbeit beim Arbeitslosen liege und dass die Kürzung von Geldleistungen nach § 31 Abs.
6 SGB II auch dann drei Monate dauere, wenn der Arbeitsuchende sein obliegenheitswidriges Verhalten zuvor aufgebe. Letztlich
verletze die Erbenhaftung nach § 35 Abs. 1 SGB II die Erbrechtsgarantie des Art.
14 Abs.
1 Satz 1 Var. 2
GG.
II. Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg, denn sie ist unzulässig.
1. Einige Vorschriften, deren Verfassungswidrigkeit der Beschwerdeführer rügt, beschweren ihn nicht selbst, gegenwärtig und
unmittelbar im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG; jedenfalls hat er dies nicht ausreichend vorgetragen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). So steht nicht fest, ob er zu einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung herangezogen und zum Abschluss einer
Eingliederungsvereinbarung verpflichtet wird und welche Sanktionen verhängt werden, sollte er sich weigern. Da er seinen Sohn
nicht allein pflegt und erzieht, berührt ihn die im Gesetz vorgesehene Differenzierung beim Mehrbedarf für Alleinerziehende
nicht. Letztlich hat er nicht dargelegt, warum ihn die Erbenhaftung nach § 35 Abs. 1 SGB II konkret betrifft.
2. Auch im Übrigen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungsanforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Vor allem hat der Beschwerdeführer nicht vorgetragen und belegt, wie hoch die von ihm bezogenen Leistungen sind, welche
Leistungen in welcher Höhe er zuvor erhalten hat und welche konkreten Ausgaben und Verpflichtungen in treffen. Deshalb kann
nicht beurteilt werden, ob ihn die Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende schlechter stellt als zuvor und ob sein
Existenzminimum gefährdet ist.
3. Unabhängig davon ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil der Beschwerdeführer entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Rechtsweg nicht erschöpft hat.
a) Der Beschwerdeführer ist darauf zu verweisen, die Entscheidung über den bereits eingelegten Widerspruch gegen den ersten
Leistungsbescheid abzuwarten und bei einer Ablehnung die Sozialgerichte anzurufen, wenn er sich hiervon Erfolg verspricht
(vgl. BVerfGE 69, 122 [125]; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, 1 BvR 2323/04 vom 29. Oktober 2004, http://
www.bverfg.de/entscheidungen/rk20041029_1bvr232304.html).
b) Eine Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG scheidet aus. Hierbei kann offen bleiben, ob die von der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen von allgemeiner Bedeutung
sind oder dem Beschwerdeführer durch die Verweisung auf den Rechtsweg ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstände. Selbst
wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist das Bundesverfassungsgericht zu einer Vorabentscheidung nicht verpflichtet. Es hat
vielmehr alle für und gegen eine vorzeitige Entscheidung sprechenden Umstände abzuwägen (vgl. BVerfGE 8, 222 [226 f.]). Gegen
eine Vorabentscheidung spricht es, wenn die einfachrechtliche Lage und die tatsächlichen Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung
noch nicht ausreichend vorgeklärt sind, und das Bundesverfassungsgericht daher genötigt wäre, auf ungesicherten Grundlagen
weitreichende Entscheidungen zu treffen (vgl. BVerfGE 86, 15 [26 f.]). Eine solche rechtliche und tatsächlichen Klärung ist Aufgabe der Fachgerichte (vgl. BVerfGE 69, 122 [125]). Außerdem obliegt nach der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung auch der Rechtsschutz
gegen Verfassungsverletzungen vorrangig ihnen (vgl. BVerfGE 77, 381 [401]).
Aus diesen Gründen ist es auch bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende unabdingbar, dass die fachnahen Sozialgerichte die
relevanten tatsächlichen und rechtlichen Fragen klären und die einzelnen Regelungen verfassungsrechtlich überprüfen (vgl.
BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, aaO.). Dazu zählt es zum Beispiel, ob bei der Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung
abzuschließen, die Geldleistungen gekürzt werden dürfen (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a SGB II) oder ob es ausreicht, an Stelle
der Vereinbarung einen Verwaltungsakt zu erlassen (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II). Ebenso bedarf es tatsächlicher Feststellungen
über den finanziellen Bedarf zur Sicherung des Existenzminimums, um beurteilen zu können, ob die Leistungen nach dem SGB II
ausreichen, ihn zu decken. Zu klären ist außerdem, ob nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II die Geldleistungen auch dann für drei
Monate gekürzt oder gestrichen werden können, wenn der Betroffene sich nicht mehr weigert, eine Eingliederungsvereinbarung
abzuschließen oder eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung anzunehmen; hierbei wird zu berücksichtigen sein,
dass diese Leistungen das Existenzminimum sichern sollen und ein Betroffener nach § 21 SGB XII in dieser Zeit keine anderweitigen
existenzsichernden Leistungen erhält. Alle derartigen Maßnahmen kann der Beschwerdeführer sozialgerichtlich überprüfen lassen,
wenn sie ihn betreffen. Dies gilt letztlich auch für die Frage, ob sein Sohn in der Zeit, in der er in seinen Haushalt aufgenommen
ist, zu seiner Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II) zählt und daher nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II Sozialgeld beziehen
kann.
4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.