Anwendbarkeit von § 929 Abs. 2 ZPO im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren; Berücksichtigung der Gewährung von Leistungen
nach dem SGB II oder SGB III bei der Prüfung des Anordnungsgrundes
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin auf Gewährung von Krankengeld.
Auf den entsprechenden Antrag hin hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 24. August 2010 die Antragsgegnerin verpflichtet,
dem Antragsteller vorläufig den pfändungsfreien Betrag des Krankengeldes in gesetzlicher Höhe ab 9. Juli 2010 bis zur gesetzlichen
Höchstdauer, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag zurückgewiesen.
Gegen diesen ihr am 30. August 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, die spätestens
am 7. September 2010 beim Sozialgericht Itzehoe eingegangen ist. Zur Begründung weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass
nach ihrer Information der Antragsteller seit 13. Juli 2010 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) beziehe.
Aus diesem Grund sei seine Existenz sichergestellt. Darüber hinaus sei §
44 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (
SGB V) zu berücksichtigen. Nach mehreren Schriftsätzen, bezogen auf die Höhe der Leistungen nach dem SGB II und deren Bedeutung
im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, teilt der Antragsteller auf die gerichtliche Verfügung vom 12. November 2010 mit,
die Antragsgegnerin sei am 13. September 2010 unter Fristsetzung zum 17. September 2010 aufgefordert worden, die Leistungen
an ihn zu erbringen. Sie habe jedoch nicht gezahlt, gewährleiste ihm aber gleichwohl Krankenversicherungsschutz, obwohl sie
der Ansicht sei, die Mitgliedschaft sei beendet. Im Übrigen erhalte er jetzt Arbeitslosengeld I. Dazu legt er den Bewilligungsbescheid
der Agentur für Arbeit Elmshorn über den Leistungszeitraum 19. August 2010 bis 17. August 2011 über einen täglichen Leistungsbetrag
von 55,01 EUR vor. Die Antragsgegnerin teilt mir, dass Leistungen an den Antragsteller bisher nicht erbracht und Vollstreckungshandlungen
nicht bekannt seien. Krankenversicherungsschutz werde im Hinblick auf §
5 Abs.
1 Nr.
2 und
2a SGB V gewährt.
II. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ist schon deswegen
aufzuheben, weil die einstweilige Anordnung nicht innerhalb der Frist des §
929 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) vollzogen worden ist. Nach dieser Vorschrift ist die Vollziehung des Arrestbefehls (hier der einstweiligen Anordnung) unstatthaft,
wenn seit dem Tage, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen
ist. §
929 Abs.
2 ZPO findet gemäß §
86b Abs.
2 Satz 4
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf den einstweiligen Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend Anwendung.
Die Anordnung des Sozialgerichts ist den Beteiligten am 26. August 2010 (Antragsteller) bzw. 30. August 2010 (Antragsgegnerin)
zugestellt worden, so dass ihre Vollziehung nur für die Zeit innerhalb eines Monats danach statthaft gewesen ist. Diese Vollziehungsfrist
ist von Amts wegen zu beachten; sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden. Ist sie versäumt, ist die Vollziehung der
einstweiligen Anordnung unwirksam und damit unzulässig. Da sie ihren Regelungsgehalt verloren hat ist die Anordnung nach Fristablauf
aufzuheben (Kopp/Schenke, aaO., §
123, Rz. 40; Hartmann in: Baumbach/Lautenbach/Albers/Hartmann
Zivilprozessordnung, 65. Aufl. 2007, § 929 Rz. 8). Eine zum Teil in der Verwaltungsgerichtsbarkeit - dort enthält §
123 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) eine gleiche Verweisung in Abs.
3 auf §
929 ZPO - vertretene Rechtsprechung, wonach Verwaltungsbehörden wegen des Rechtsstaatsprinzips rechtskräftige verwaltungsrechtliche
Entscheidungen befolgen müssen, so dass Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich nicht erforderlich sind und §
929 Abs.
2 ZPO insoweit nur eingeschränkt Anwendung findet, vermag der Senat aufgrund des eindeutigen Gesetzestextes und der uneingeschränkten
Verweisung in §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG auf §
929 Abs.
2 ZPO in seiner ständigen Rechtsprechung nicht zu teilen (Beschluss vom 26. November 2004 - L 1 B 183/04 KR ER). Dies entspricht auch der überwiegenden Rechtsprechung in der Sozialgerichtsbarkeit (vgl. z. B. Landessozialgericht
[LSG] Baden-Württemberg vom 11. Januar 2006 - L 7 SO 4891/05 ER-B; LSG Sachsen vom 24. Januar 2008 - L 3 B 610/07 AS-ER; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG-Kommentar, §
86b Rz. 46; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl., Rz. 329, jeweils m.w.N.). Die vom Gesetz vorgeschriebene Vollziehung
wird auch nicht dadurch ersetzt, dass der Antragsteller die Antragsgegnerin unter Fristsetzung zur Leistungserbringung aufgefordert
hat. Dies gilt umso mehr, als auch nach erfolglosem Fristablauf Vollstreckungshandlungen nicht erfolgten.
Der Senat kann im Übrigen auch im Rahmen des für die einstweilige Anordnung notwendigen Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit)
nicht unberücksichtigt lassen, dass der Antragsteller zwischenzeitlich Leistungen nach dem SGB II einschließlich, nach zwischenzeitlichen
Problemen mit dem Leistungserbringer, der Unterkunftskosten bezogen hat und nunmehr Arbeitslosengeld I in Höhe von kalendertäglich
55,00 EUR erhält. Daraus, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller gleichwohl Krankenversicherungsschutz gewährt, kann Letzterer
keinen Anspruch auf die vorläufige Gewährung von Krankengeld herleiten, da die Antragsgegnerin zutreffend insoweit auf §
5 Abs.
1 SGB V verweist. Nach Nr.
2 dieser Vorschrift sind Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld beziehen, versicherungspflichtig und nach der Nr.
2a besteht eine Versicherungspflicht für die Zeit, in der Personen Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG analog.
Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren kann nicht gewährt werden, denn die nach §
73a SGG i.V.m. §
114 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht der Sache ist nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung von PKH war die
Monatsfrist des §
929 Abs.
2 ZPO bereits abgelaufen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§
177 SGG).