Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII
Anforderungen an die Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung in einem Internat bei einem erst zu einem späteren
Zeitpunkt abgeschlossenen Heimvertrag
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Kosten für den Besuch und die stationäre Unterbringung
(Internatsbesuch) der Heimsonderschule KBF Dschule M im Rahmen von Leistungen der Eingliederungshilfe (noch) für den Zeitraum
28. Juli 2016 bis 9. Juli 2018.
Bei dem 2010 geborenen Kläger besteht eine bilaterale gemischte spastisch-ataktische linksbetonte Cerebralparese III bis IV,
ein Zustand nach peripartaler intercerebraler Blutung, ein Verdacht auf zusätzlich embrional erworbene Retardierung, eine
symptomatische Epilepsie mit fieberassoziierten Anfällen, eine Sprachentwicklungsverzögerung, ein Spitzknickfuß mit Schaukelfußstellung
beidseits und ein Hüftüberdachungsdefizit.
Der Antragsteller beantragte am 7. Mai 2015 und in der Folgezeit am 25. Januar/5. Februar 2016 damals noch bezogen auf den
Besuch des Schulkindergartens sowie am 29. Juni/1. Juli 2016 jeweils die weitere dauerhafte Übernahme der Kosten für die stationäre
Unterbringung/Besuch der Dschule der Körperbehindertenförderung (KBF) in M. Zur Begründung wurde jeweils ausgeführt, die Inanspruchnahme
der Behinderungspflege und der zusätzlichen Betreuungsleistungen des familienentlastenden Dienstes würden nicht mehr ausreichen,
um dem Kläger all die Fördermaßnahmen und Therapien angedeihen zu lassen, die er benötige. Er habe derzeit dreimal pro Woche
Physiotherapie sowie einmal Ergotherapie und Logopädie und benötige darüber hinaus eine Reittherapie, um sein schlecht ausgeprägtes
Gleichgewicht zu trainieren. Im Winter benötige er darüber hinaus eine Alphatherapie. Der Mutter des Klägers falle es aufgrund
eigener Erkrankungen immer schwerer, dies alles dem Kläger zu ermöglichen. Der Vater könne aufgrund einer bestehenden Multiple-Sklerose-Erkrankung
gleichermaßen nichts zur Betreuung beisteuern.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2016 wurde dem Kläger die Kurzzeitunterbringung mit entsprechender Kostenübernahme in der Einrichtung
der KBF in M vom 14. September 2015 bis 5. Oktober 2015 sowie vom 18. November 2015 bis 29. Februar 2016 bewilligt.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 7. Juli 2016 gewährte der Beklagte eine weitere Kurzzeitunterbringung des Klägers
für die Zeit vom 1. März 2016 bis 27. Juli 2016 in der Einrichtung der KBF M. Eine weitere Kostenübernahme einer Unterbringung
des Klägers in dieser Einrichtung wurde jedoch abgelehnt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Kostenübernahme für
den bewilligten Zeitraum erfolge aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles. Insbesondere solle die verlängerte Kostenübernahme
der Kurzzeitunterbringung für den Zeitraum 1. März 2016 bis 27. Juli 2016 eine weitergehende gesundheitliche Stabilisierung
der Mutter des Klägers im Anschluss an die von ihr besuchte Reha-Maßnahme sicherstellen. Diese Reha-Maßnahme sei zum 17. November
2015 beendet worden. Insofern sei mit einer weiteren Kostenübernahme der Kurzzeitunterbringung von etwa acht Monaten über
das Ende der Reha-Maßnahme hinaus der Besonderheit des Einzelfalles in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Für die Zeit
ab dem 28. Juli 2016 könne eine weitere Kostenübernahme der Unterbringung des Klägers nicht in Aussicht gestellt werden. Eine
vollstationäre Heimunterbringung ab dem 28. Juli 2016 sei nicht mehr erforderlich. Den Bedarf des Klägers für Leistungen der
Eingliederungshilfe könne durch den teilstationären Besuch eines Sonderschulkindergartens bzw. eines integrativen Kindergartens,
gegebenenfalls durch Leistungen der Jugendhilfe, Angebote der familienentlastenden Dienste sowie durch Freizeitangebote im
Rahmen der Behindertenhilfe begegnet werden.
Mit Bescheid vom 18./21. Juli 2016 stellte das Staatliche Schulamt B den Anspruch des Klägers auf ein sonderpädagogisches
Bildungsangebot im Förderungsschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung fest und mit Bescheid vom 29. August 2016
wurde im Einvernehmen mit den Eltern des Klägers festgestellt, dass der Anspruch in der Dschule der KBF in M erfüllt werden
könne.
Mit ihrem am 20. Juli 2016 gegen den Bescheid vom 7. Juli 2016 erhobenen Widerspruch begehrte der Kläger Eingliederungsleistungen
auch ab 28. Juli 2016. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2016 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers im Wesentlichen
unter Wiederholung seiner Begründung aus dem Bescheid vom 7. Juli 2016 zurück.
In der Zwischenzeit gab es mehrere Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes S 5 SO 1982/16 ER, S 5 SO 127/17 ER,S 5 SO 1962/17
ER, S 5 SO 2825/17 ER und zuletzt S 5 SO 1215/18 ER beim Sozialgericht Reutlingen (SG) und dazu den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 6. September 2018 (L 2 SO 2515/18 ER-B) im Rahmen
derer jeweils die Verpflichtung ausgesprochen wurde, dass der Beklagte vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens
die entsprechenden Eingliederungshilfeleistungen auch über den 24. Mai 2018 hinaus, längstens für sechs Monate, bis zum Abschluss
des Verfahrens in der Hauptsache zu übernehmen habe.
Am 23. Dezember 2016 hat der Kläger beim SG Klage erhoben und sein Begehren auf Kostenübernahme der vollstationären Internatsunterbringung in der Einrichtung des KBF
in M als Leistungen der Eingliederungshilfe ab dem 28. Juli 2016 weiterverfolgt. Die Inanspruchnahme der Verhinderungspflege
und der zusätzlichen Betreuungsleistungen des familienentlastenden Dienstes seien nicht mehr ausreichend, um dem Kläger all
die Fördermaßnahmen und Therapien angedeihen zu lassen, die er benötige.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Die KBF hat den Entwicklungsbericht vom 11. Oktober 2017 vorgelegt. Danach ist der Kläger aufgrund seiner Behinderung auf
umfassende Hilfe und Aufsicht in allen Lebensbereichen angewiesen. Er muss gewaschen und gebadet werden und benötigt dabei
umfassende Hilfe. Das Zähneputzen übernehmen jeweils die Mitarbeiter; eine selbstständige Übernahme der Zahnpflege liegt in
weiter Ferne. Die Pflege wird immer nach demselben Schema ausgeführt, verbal begleitet und der Kläger wird zur aktiven Mithilfe
motiviert, um seine Selbstständigkeit zu fördern. Dies kann jedoch aufgrund seiner starken körperlichen und kognitiven Einschränkungen
nur in ganz kleinen Schritten geschehen. Der Kläger trägt nach wie vor Inkontinenzmaterial, da ihm eine eigenständige Blasen-
und Darmkontrolle nicht gelingt. Beim Essen benötigt der Kläger intensive Unterstützung. Im Entwicklungsbericht wird abschließend
darauf verwiesen, dass die intensive Betreuung und Förderung, die der Kläger dringend benötigt, um sich gut entwickeln zu
können, von beiden Eltern nicht gewährleistet werden kann, vielmehrt eine Internatsunterbringung weiterhin zwingend notwendig
ist.
Am 15. Dezember 2017 hat der Beklagte einen Vor-Ort-Termin in der Wohnung der Mutter und des Klägers durchgeführt und darüber
den Bericht vom 15. Januar 2018 erstellt. Aufgrund seiner Behinderung aus heilerzieherungspflegerischer Sicht sei der Kläger
nahezu in allen Bereichen auf Begleitung und Unterstützung in Form von personeller Anleitung durch vertraute Bezugspersonen
oder stellvertretende Ausführungen angewiesen. In der alltäglichen Lebensführung sei der Kläger allumfänglich auf die Hilfe
seiner Mutter oder anderer Vertrauenspersonen angewiesen. Auch in der Selbstversorgung benötige der Kläger die allumfassende
Übernahme durch Bezugspersonen. In der Mobilität sei der Kläger stark eingeschränkt. Nach neuroorthopädischen Operationen
im Mai 2017 und 2018 beginne der Kläger nur zögerlich mit Hilfe eines Rollstuhls in geschlossenen Räumen mobil zu sein. Der
Kläger könne (derzeit) nicht laufen und die Mutter könne die Versorgung des mittlerweile 38 kg wiegenden Klägers nicht bewältigen,
weshalb sie ihn nicht zu sich nehmen könne.
Mit Gerichtsbescheid vom 19. Juni 2020 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 7. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2016
verurteilt, dem Kläger die Kosten der stationären Unterbringung im Rahmen der Eingliederungshilfe in der Einrichtung der KBF
in M in Höhe von täglich 155,62 € in Hilfebedarfsgruppe II zuzüglich 0,92 € täglich für die Schulbegleitung und den Barbetrag
in Höhe von 10,50 € monatlich sowie für zusätzliche Öffnungstage täglich 71,98 € zu bewilligen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt, der Kläger gehöre zum Kreis der berechtigten Personen für Leistungen der Eingliederungshilfe. Diesen Leistungen
im Rahmen einer stationären Unterbringung in der Einrichtung der KBF in M stehe auch nicht § 9 Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) entgegen. Der insoweit normierte Vorrang ambulanter Leistungen von teilstationären und stationären Leistungen sowie teilstationärer
vor stationären Leistungen sei auf den Leistungsberechtigten ausgerichtet, nachdem ihm die Möglichkeit zum Verbleib in seiner
vertrauten Umgebung angeboten werden solle. Ein genereller Ausschluss des Wunsches der Leistungserbringung im Rahmen einer
stationären Unterbringung sei damit vom Gesetzgeber im Rahmen dieser Regelung nicht gewollt. Im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB XII komme es zur Abgrenzung maßgeblich darauf an, ob die stationäre Unterbringung des Klägers nach den Besonderheiten des Einzelfalles
erforderlich sei, weil anders der Bedarf nicht oder nicht ausreichend gedeckt werden könne und mit dem Verbleib keine unverhältnismäßigen
Mehrkosten verbunden wären. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze scheide eine ambulante Bedarfsdeckung vorliegend aus.
Unter Zugrundelegung des Berichts über den Hausbesuch bei der Mutter des Klägers sei augenscheinlich, dass die Kräfte und
Fähigkeiten dieser nicht ausreichten, um eine adäquate Versorgung des Klägers zu gewährleisten. Auch lasse die Umgebung nur
begrenzt den Einsatz von weiteren Hilfsmitteln zu. Die Raumverhältnisse ließen das Aufstellen eines Pflegebettes praktisch
nicht zu. Auch der Einsatz eines Lifts in der Badewanne scheide nach der im Rahmen des Außendienstberichts vertretenen Auffassung
aus. Die Mutter des Klägers habe aufgrund seiner Körpergröße und seines Körpergewichts Schwierigkeiten bei dessen Lagerung.
Insgesamt erwecke sie einen erschöpften und niedergeschlagenen Eindruck. Daneben lasse auch der Entwicklungsbericht der KBF
M erkennen, dass dort eine adäquate Versorgung des Klägers stattfinde, welche im familiären Umfeld aufgrund der eigenen Gesundheitsbeeinträchtigungen
des Vaters des Klägers sowie aufgrund der aufgezehrten Kräfte der Mutter des Klägers nicht gewährleistet werden könne. Auch
seitens des Staatlichen Schulamtes werde ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot am besten in einer Heimsonderschule
mit Internat gestützt. Dieses habe den Lernort auf die Dschule für Körperbehinderte in M festgelegt. Auch insoweit bestehe
kein Zweifel an der Notwendigkeit der Internatsunterbringung. Dem Beklagten sei zwar zuzugeben, dass das Leistungserbringungsrecht
im Sozialhilfebereich durch das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis zwischen dem Träger der Sozialhilfe, dem Leistungsberechtigten
und dem Leistungserbringer der Gestalt geprägt sei, dass die Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis dahingehend erfolge,
dass der Sozialhilfeträger den Beitritt zur privatrechtlichen Schuld des Hilfeempfängers aus dem zivilrechtlichen Vertrag
mit dem Leistungserbringer erkläre. Vorliegend bestehe indessen zumindest ein konkludentes Vertragsverhältnis zwischen dem
Kläger und der KBF, nachdem sie sich offensichtlich zur Leistungserbringung gegenüber dem Kläger verpflichtet sehe und die
Leistung erbringe und gleichzeitig in dem angefochtenen Bescheid des Beklagten zumindest zeitlich befristet durch die Bewilligung
von Leistungen bis 27. Juli 2016 gleichermaßen einen Schuldbeitritt erklärt habe, welcher ins Leere ginge, wenn er nicht selbst
vom Vorliegen einer entsprechenden schuldrechtlichen Verpflichtung ausgegangen sei. Nunmehr für die Zeit danach davon auszugehen,
dass keine wirksam vertragliche Grundlage trotz der fortgesetzten Unterbringung des Klägers und Leistungserbringung durch
die KBF bestehe, wäre damit willkürlich.
Gegen den dem Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 24. Juni 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser
am 16. Juli 2020 schriftlich beim LSG Berufung erhoben. Zur Begründung trägt er vor, das SG habe in seinem Gerichtsbescheid wohl versehentlich die Unterbringungskosten nicht fortgeschrieben. Nach Rücksprache mit der
Einrichtung würden die Pflegesätze für den streitgegenständlichen Zeitraum wie in der Anlage ersichtlich, eingeklagt. Es werde
nunmehr seit vier Jahren um einen Standardfall in der Eingliederungshilfe gestritten. Zu den Ausführungen des Beklagten, dass
bis zum 9. Juli 2018 keine Leistungsgewährung schon deswegen erfolgen könne, da bis zu diesem Zeitpunkt kein Heimvertrag zwischen
dem Kläger und der KBF vorgelegen habe, sei anzumerken, dass der Beklagte selbst nicht das Vorliegen eines Vertrages bestreite,
sondern er bemängele lediglich die fehlende schriftliche Ausfertigung eines Vertrages. Der Vertrag könne jedoch auch konkludent
geschlossen werden, was vorliegend erfolgt sei. Die diesbezüglichen Ausführungen zum Gesetz zur Regelung von Verträgen über
Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (WBVG) gingen fehl. Auch ein mündlich geschlossener Vertrag bleibe wirksam. Es sei im WBVG gerade keine Nichtigkeit wegen Formmangels im Sinne des §
125 Satz 1
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) angeordnet. Dies hätte auch zur Folge, dass der Kläger jedweden Schutz verlöre. Die Konsequenz der Formnichtigkeit verstieße
offensichtlich gegen die Intension des Gesetzes, einen optimalen Verbraucherschutz für hilflose und hilfebedürftige Personen
zu gewährleisten. Auch ein mündlicher Vertrag sei wirksam.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Juni 2020 insofern abzuändern, als der Beklagte unter Aufhebung
des Bescheids vom 7. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Dezember 2016 zu verurteilen ist, für den
Kläger die Kosten der stationären Unterbringung im Rahmen der Eingliederungshilfe in der Einrichtung des KBF in M in Höhe
von täglich 155,63 € in der Hilfebedarfsgruppe II zuzüglich 0,92 € täglich für die Schulbegleitung und einen Barbetrag in
Höhe von 10,50 € monatlich sowie für zusätzliche Öffnungstage täglich 71,98 € bis zum 30. April 2018 und in Höhe von täglich
159,94 € in der Hilfebedarfsgruppe II zuzüglich 0,95 € täglich für die Schulbegleitung für den Zeitraum bis 31. August 2019
zu bewilligen und im Übrigen die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte hat am 20. Juli 2020 schriftlich beim LSG Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom
23. Juni 2020 erhoben. Zur Begründung trägt er vor, zwischenzeitlich sei ein Heimvertrag zwischen dem Kläger und der KBF abgeschlossen
worden und zwar am 10. Juli 2018 rückwirkend zum 1. März 2016. Vor diesem Hintergrund scheide jedoch eine Leistungsgewährung
bis zum 9. Juli 2018 bereits deswegen aus, da bis zu diesem Zeitpunkt kein Heimvertrag vorgelegen habe und es bis zu diesem
Zeitpunkt somit an einer vertraglichen Grundlage für die Kostenübernahme fehle. Das Leistungserbringungsrecht im Sozialhilfebereich
sei durch das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis zwischen dem Träger der Sozialhilfe, dem Leistungsberechtigten und
dem Leistungserbringer (bei stationären und teilstationären Leistungen der Einrichtungsträger) geprägt. Zwischen allen drei
Beteiligten bestünden Rechtsbeziehungen, die sich wechselseitig beeinflussten. Im Verhältnis zwischen dem bedürftigen Hilfeempfänger
und dem Leistungserbringer bedürfe es des Abschlusses eines zivilrechtlichen Vertrages als privatrechtliches Erfüllungsverhältnis.
Das zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Leistungserbringer bestehende Rechtsverhältnis verbinde das öffentlich-rechtliche
Grundverhältnis und das privatrechtliche Erfüllungsverhältnis zu einer dreiseitigen Rechtsbeziehung. Der Sozialhilfeträger
erbringe die Leistungen regelmäßig nicht selbst, sondern stelle über Verträge mit den Leistungserbringern eine Sachleistung
sicher. Untrennbarer Bestandteil dieser Sachleistungsverschaffung sei die Übernahme der der Einrichtung im privatrechtlichen
Verhältnis zum Sozialhilfeempfänger zustehenden Vergütung. "Übernahme" der Vergütung im Sinne des § 75 SGB XII bedeute die Schuldübernahme durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt mit Drittwirkung in der Form eines Schuldbeitritts
im Sinne einer kummulativen Schuldübernahme. Somit sei zum einen Voraussetzung für die Übernahme einer Vergütung durch den
Sozialhilfeträger im Wege des Schuldbeitritts, dass der Sozialhilfeempfänger dem Leistungserbringer vertraglich überhaupt
ein Entgelt schulde. Zum anderen erwerbe der Leistungserbringer erst aufgrund des im Rahmen der Leistungsbewilligung erklärten
Schuldbeitritts einen Zahlungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger. Somit könne ohne das Vorliegen eines schriftlich geschlossenen
Vertrages keine Kostenübernahme erfolgen. Hieran ändere der Umstand nichts, dass ein Vertrag am 10. Juli 2018 rückwirkend
zum 1. März 2016 geschlossen worden sei. Nach § 6 WBVG sei der Vertrag schriftlich abzuschließen. Eine Ausnahme hiervon und mit der Folge, dass ein Vertrag rechtswirksam rückwirkend
abgeschlossen werden könne, sei nur dann möglich, wenn der schriftliche Vertragsschluss im Interesse des Verbrauchers unterblieben
sei, insbesondere weil beim Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Gründe vorgelegen hätten, die ihn an der schriftlichen
Abgabe seiner Vertragserklärung gehindert hätten. Dann sei der schriftliche Vertragsschluss aber unverzüglich nachzuholen.
Von einer solchen Fallkonstellation könne vorliegend nicht ausgegangen werden. Auch ein konkludenter Vertragsschluss sei nicht
möglich.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Juni 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Berichterstatter hat am 9. März 2021 das Sach- und Rechtsverhältnis mit den Beteiligten erörtert. In diesem Termin hat
der Beklagte der Notwendigkeit der internatsweisen Unterbringung des Klägers an sieben Tagen in der Woche in der Einrichtung
der KBF Dschule in M ausdrücklich zugestimmt. Sodann haben die Beteiligten vor dem Hintergrund des am 10. Juli 2018 (rückwirkend
zum 1. März 2016) abgeschlossenen Heimvertrags zwischen den Eltern des Klägers und der Einrichtung KBF M folgenden Vergleich
geschlossen:
Der Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger ab 10. Juli 2018 und laufend - allerdings zeitlich begrenzt durch eine eventuelle
Entscheidung des Staatlichen Schulamtes, welche einen Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot verneint - Eingliederungshilfeleistungen
im Sinne der Kostenübernahme der stationären Unterbringung (Internatsbesuch) in der Einrichtung KBF Dschule M zu gewähren.
Dabei berücksichtigt der Beklagte die ab 10. Juli 2018 geltenden Pflegesätze für die Hilfebedarfsgruppe II, die Schulbegleitung
und für den Aufschlag zusätzlicher Öffnungstage sowie den zu gewährenden Barbetrag.
Die Beteiligten waren sich darin einig, dass nunmehr noch Streitgegenstand des Berufungsverfahrens der Anspruch des Klägers
auf die Kostenübernahme der stationären Unterbringung in der genannten Einrichtung für den Zeitraum 28. Juli 2016 bis 9. Juli
2018 ist. Die Beteiligten haben außerdem einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte
des Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte aufgrund der Zustimmung der Beteiligten gem. §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist (noch) der Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme seiner stationären Unterbringung
(Internatsbesuch) der Einrichtung KBF Dschule M für den Zeitraum 28. Juli 2016 bis 9. Juli 2018.
Diesbezüglich hat die Berufung des Klägers überwiegend Erfolg; die Berufung des Beklagten hat ganz überwiegend keinen Erfolg.
Beide Berufungen sind gemäß §§
143,
144 Abs.
1 SGG zulässig; sie sind unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§
151 Abs.
1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung der Beklagten ist überwiegend unbegründet. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum
vom 28. Juli 2016 bis 9. Juli 2018 einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 54 Nr. 1, 55 SGB XII im Sinne der Kostenübernahme für die vollstationäre Unterbringung in der KBF Dschule M sieben Tage in der Woche, um eine
ausreichend gesicherte Pflege und Förderung, seine Teilhabe gerade inForm einer angemessenen Schulbildung zu gewährleisten.
Im vorliegenden Fall gehörte der Kläger zum Kreis der grundsätzlich leistungsberechtigten Personen im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII, weil er aufgrund einer bilateralen gemischten spastisch-ataktischen linksbetonten Cerebralparese II bis IV, einem Zustand
nach peripartaler intracerebraler Blutung, einem Verdacht auf zusätzlich embrional erworbener Retardierung, einer symptomatischen
Epilepsie mit fieberassoziierten Anfällen, einer Sprachentwicklungsverzögerung, eines Spritzknickfußes mit Schaukelfußstellung
beidseits und einem Hüftüberdachungsdefizit wesentlich in seiner Fähigkeit, am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben, beeinträchtigt
und im Vergleich zu anderen Kindern seiner Altersgruppe im weitaus stärkeren Maße auf fremde Hilfe angewiesen ist. Hieran
besteht für den Senat nach dem Entwicklungsbericht über den Kläger vom 11. Oktober 2017 und nach dem Bericht des Beklagten
vom 15. Januar 2018 über die Feststellung im Rahmen eines Vor-Ort-Termins in der Wohnung der Mutter des Klägers am 15. Dezember
2017 kein Zweifel. Danach ist der Kläger aufgrund seiner Behinderungen auf umfassende Hilfe und Aufsicht in allen Lebensbereichen
im streitgegenständlichen Zeitraum angewiesen gewesen und der deswegen gegebene intensive Betreuungs- und Förderungsbedarf
des Klägers im Sinne einer angemessenen Teilhabe und einer angemessenen Schulbildung konnte bei einer häuslichen Unterbringung
des Klägers in der Wohnung seiner Mutter nicht ansatzweise erfüllt werden; vielmehr war die Internatsunterbringung in der
Einrichtung des KBF zwingend notwendig. Dies wird im Übrigen (Stellungnahme des Beklagten im Erörterungstermin am 9. März
2021) auch vom Beklagten nicht (mehr) in Zweifel gezogen.
Dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum in der Einrichtung der KBF Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung erhalten
hat, wird bestätigt durch das Staatliche Schulamt B. Mit Bescheid vom 18. Juli 2016 hat das Staatliche Schulamt B den Anspruch
des Klägers auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung festgestellt
und mit Bescheid vom 29. August 2016 hat es im Einvernehmen mit den Eltern des Klägers festgestellt, dass der Anspruch in
der Dschule für Körperbehinderte in M erfüllt werden kann. Dabei hat die Frage, ob der Besuch einer bestimmten Schule die
für ein behindertes Kind angemessene Schulbildung vermittelt, nicht der Sozialhilfeträger zu beurteilen, dies würde zu einer
unzulässigen inzidenten Prüfung der Entscheidung der Schulbehörde über die Erfüllung der Schulbesuchspflicht durch den Sozialhilfeträger
im Rahmen der §§ 53 ff. SGB XII führen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 23. August 2013 - B 8 SO 10/12 R -, SozR 4-1500 § 130 Nr. 4). Nach § 82 Abs. 2 Schulgesetz Baden-Württemberg
entscheidet die Schulaufsichtsbehörde - gemäß § 33 Abs. 1 Schulgesetz Baden-Württemberg das Staatliche Schulamt -, ob die
Pflicht zum Besuch einer Sonderschule im Einzelfall besteht. Der Sozialhilfeträger ist an die Entscheidung der Schulverwaltung
über die Erfüllung der Schulpflicht eines behinderten Kindes in einer Schule bzw. über eine bestimmte Schulart gebunden (vgl.
BSG, Urteil vom 23. August 2013, a.a.O.).
Eine Einkommensberücksichtigung eines Einkommens der Eltern des Klägers bzw. seiner Mutter gemäß §§ 19 Abs. 3, 85 Abs. 2 SGB XII kommt vorliegend nicht in Betracht. Die Einkommensverhältnisse der Mutter des Klägers belegt durch die Nachweise des Jobcenters
Landkreis E über die Meldung von Seiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II an die gesetzliche Rentenversicherung waren so,
dass von einem Einkommen der Mutter des Klägers über der Einkommensgrenze nicht auszugehen ist.
Dem Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme seiner vollstationären Unterbringung in der Einrichtung der KBF steht auch nicht
entgegen, dass (jedenfalls) bis zum 9. Juli 2018 kein Heimvertrag zwischen dem Kläger und dem Einrichtungsträger bestanden
hätte. Zwischen dem Kläger und der Einrichtung bestand im streitgegenständlichen Zeitraum eine wirksame zivilrechtliche Schuld,
der der Beklagte beizutreten hat. Dabei kann der Senat es offenlassen, ob von einem konkludent zustande gekommenen Heimvertrag
zwischen dem Kläger und der Einrichtung - so das SG - auszugehen ist. Denn jedenfalls wurde am 10. Juli 2018 zwischen dem Kläger und dem Einrichtungsträger rückwirkend zum 1.
März 2016 ein entsprechender Heimvertrag über die Unterbringung des Klägers in der Einrichtung des Einrichtungsträgers abgeschlossen.
Da der Heimvertrag rückwirkend zum 1. März 2016 abgeschlossen wurde, erfasst er den (gesamten) streitgegenständlichen Zeitraum
der Unterbringung des Klägers. Dabei konnte der Heimvertrag auch mit Wirkung für die Vergangenheit abgeschlossen werden. Aus
den diesbezüglich maßgeblichen Vorschriften des WBVG ergibt sich kein Verbot des rückwirkenden Vertragsschlusses (vgl. dazu BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 - B 8 SO 1/16 R -, juris Rn. 32).
Nach alledem bleibt die Berufung des Beklagten insoweit ohne Erfolg.
Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet.
Im Rahmen des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses erbringt der Sozialhilfeträger die Leistungen regelmäßig nicht
selbst, sondern stellt über Verträge mit dem Leistungserbringer eine Sachleistung sicher (Prinzip der Sachleistungsbeschaffung).
Untrennbarer Bestandteil dieser Sachleistungsbeschaffung ist die Übernahme der der Einrichtung im privatrechtlichen Verhältnis
zum Sozialhilfeempfänger zustehenden Vergütung; die leistungsrechtlichen Vorschriften werden insoweit durch das in § 75 SGB XII geregelte Leistungserbringungsrecht konkretisiert, in welchem an mehreren Stellen geregelt ist, wann Vergütungen übernommen
werden. "Übernahme" der Vergütung im Sinne des § 75 SGB XII bedeutet sonach Schuldübernahme durch - privatrechtsgestaltenden - Verwaltungsakt mit Drittwirkung in der Form eines Schuldbeitritts
im Sinne einer kummulativen Schuldübernahme. Vorliegend hat das SG im Gerichtsbescheid den Beklagten (nur) dazu verurteilt, für den Kläger die Kosten der stationären Unterbringung im Rahmen
der Eingliederungshilfe in der Einrichtung KBF M in Höhe von täglich 155,63 € in Hilfebedarfsgruppe II zuzüglich 0,92 € täglich
für die Schulbegleitung und den Barbetrag in Höhe von 10,50 € monatlich sowie für zusätzliche Öffnungstage täglich 71,98 €
zu bewilligen. Dabei ist aber seitens des SG bei der Verurteilung zur Übernahme der Kosten der stationären Unterbringung des Klägers in der Einrichtung des KBF M außen
vor geblieben, dass ab 1. Mai 2018 der Pflegesatz für die Hilfebedarfsgruppe II auf 159,94 €, die Schulbegleitungspauschale
ab 1. Mai 2018 auf 0,95 €, der Aufschlag für zusätzliche Öffnungstage ab 1. Mai 2018 auf 74,15 € und schließlich der Barbetrag
ab 1. Februar 2018 auf 15,50 € und ab 1. Juli 2018 auf 16,50 € angehoben worden sind. Insofern ist der Gerichtsbescheid des
SG vom 19. Juni 2020 zugunsten des Klägers zu "korrigieren", da der streitgegenständliche Zeitraum vom 28. Juli 2016 bis 9.
Juli 2018 reicht.
Da jedoch auch der Beklagte Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 19. Juni 2020 erhoben hat, ist auch insoweit der Gerichtsbescheid zugunsten des Beklagten zu korrigieren, weil bei der
Entscheidung des SG zu Lasten des Beklagten unberücksichtigt geblieben ist, dass der Pflegesatz für Hilfebedarfsgruppe II vom 1. Mai 2016 bis
30. April 2017 152,35 €, die Schulbegleitungspauschale 0,90 €, und der Aufschlag für zusätzliche Öffnungstage 70,33 € betragen
haben. Insoweit ist somit das SG bei der Verurteilung des Beklagten zur Kostenübernahme von zu hohen "Beträgen" den Zeitraum 28. Juli 2016 bis April 2017
betreffend ausgegangen. Auch dies war aufgrund der Berufung des Beklagten vom Senat zu "korrigieren".
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.