LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2016 - 6 U 2615/16
Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen der Folgen einer Berufskrankheit in der gesetzlichen Unfallversicherung
Verwertbarkeit von Sachverständigengutachten
Keine notwendige Beiladung des Krankenversicherungsträgers im sozialgerichtlichen Verfahren bei alleiniger Zuständigkeit der
Berufsgenossenschaft für Rehabilitationsleistungen
1. Ein Sachverständiger muss nicht zur Erläuterung des Umfanges seiner Mitwirkung am Gutachten in einer mündlichen Verhandlung
gehört werden, wenn Rechtsschutzsuchende behaupten, zwar ein Gespräch mit ihm geführt, indes von ihm nicht untersucht worden
zu sein, und das Tatsachengericht Klarheit über die Verwertbarkeit des Beweismittels aus der schriftlichen Äußerung des Gutachters
dazu erzielt.
2. Sind Tatsachen, aus denen Rechtsschutzsuchende Rechte herleiten wollen, aufgrund ihres aggravierenden Verhaltens nicht
erweislich, geht dies nach den Grundsätzen über die objektive Feststellungslast zu ihren Lasten.
3. Ist die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung gegenüber Rechtsschutzsuchenden allein für Rehabilitationsleistungen
zuständig, ist die Beiladung der Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung nicht notwendig, wenn es allein auf die nach
dem materiellen Unfall- und Krankenversicherungsrecht identische Voraussetzung der Erforderlichkeit der Heilbehandlung ankommt
und deren Leistungsverpflichtung daher nicht ernsthaft in Betracht kommt.
1. Um das Vorliegen der MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen
beeinträchtigt ist.
2. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person
auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.
3. Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft.
4. Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten.
5. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte
Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel.
Vorinstanzen: SG Mannheim 18.05.2016 S 14 U 2770/14
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Der Kläger begehrt wegen der Folgen der bei ihm anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ( BKV) die Gewährung einer Rente und vorbeugender Maßnahmen sowie die Versorgung mit einem Lichtwecker.
Der 1969 geborene Kläger absolvierte von Herbst 1985 bis Sommer 1988 eine Ausbildung als Straßenwärter bei der Stadt H ...
Seit 1. August 1988 steht er in einem Arbeitsverhältnis mit der H. AG, einem Unternehmen der Haustechnik, und ist an deren
Standort in M. tätig. Zu Beginn war er in der Versandabteilung für Packen und Kommissionieren zuständig. Ab Januar 1995 arbeitete
er im Zweischichtbetrieb als Maschineneinleger an einer Trennanlage der R. & S. GmbH, Typ TSA-400. Von April 2000 bis 2014
war er im Bereich "Mechanik/Fertigung" im Dreischichtbetrieb eingesetzt. Zuletzt war er in der Abteilung "Kunststoff" tätig,
wo der Lärmexpositionspegel nach seinen Angaben 77 dB(A) betrug.
Im April 1998 zeigte der den Kläger behandelnde Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohren (HNO)-Heilkunde Dr. Sch. der Süddeutschen
Metallberufsgenossenschaft, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte), den Verdacht auf eine Lärmschwerhörigkeit
als Berufskrankheit an. Der Kläger leide an einer Hochtoninnenohrschwerhörigkeit. Bei einer Hörweitenprüfung sei die Flüstersprache
bis fünf Meter und die Umgangssprache über fünf Meter möglich gewesen. Des Weiteren legte er ein Tonaudiogramm vom 26. März
1998 vor.
Der Kläger gab gegenüber der Beklagten im September 1998 an, seit April dieses Jahres wegen Ohrenbeschwerden von Dr. Sch.
behandelt worden zu sein. Während der Tätigkeit in der Gießerei habe er Gehörschutz aus Watte getragen. Die Arbeitgeberin
teilte zur gleichen Zeit mit, von der Berufsgenossenschaft sei 1990 am Arbeitsplatz des Klägers eine Lärmmessung durchgeführt
worden, wonach ein Lärmexpositionspegel von 89 dB(A) ermittelt worden sei. Bei der Tätigkeit in der Gießerei habe er einen
Abstand von sieben Metern zu den hauptsächlichen Lärmquellen, einer Strahlanlage der F. Maschinen GmbH, Typ WS-1-200 und einer
Gießmaschine der R. & S. GmbH, Typ GR-4 eingehalten. Der Lärmexpositionspegel sei jeweils mit 89 dB(A) gemessen worden. Im
November 1998 bestätigte der Kläger gegenüber der Beklagten, Wattestöpsel erhalten zu haben.
Nach der Stellungnahme von Dr. G., Technischer Aufsichtsdienst der Beklagten, von November 1998 sei der Kläger insgesamt vier
Jahre einem äquivalenten Dauerschallpegel zwischen 85 und unter 90 dB(A) ausgesetzt gewesen.
Auf Nachfrage teilte der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. St. im November 1998 mit, der Kläger habe ihn einmalig Mitte April
1997 aufgesucht, indes nicht wegen einer Ohrerkrankung, sondern wegen der Austrocknung der Schleimhaut im Bereich von Nase
und Rachen mit wechselnder Behinderung der Atmung durch das Riechorgan. Die Beklagte zog Ende 1998 von der AOK Baden-Württemberg,
bei welcher der Kläger gegen Krankheit gesetzlich versichert war, das Vorerkrankungsverzeichnis bei.
Dr. B. vom Landesgesundheitsamt des Landes Baden-Württemberg, welches heute in das Regierungspräsidium Stuttgart eingegliedert
ist, führte Ende Januar 1999 in seiner gewerbeärztlichen Stellungnahme aus, nach den Angaben des Technischen Aufsichtsdienst
der Beklagten sei der Kläger Lärmbelastungen von gehörschädigendem Ausmaß nur über einen Zeitraum von etwa vierzig Monaten
ausgesetzt gewesen. Das Tonaudiogramm von Dr. Sch. habe einen nahezu symmetrischen Hochtonhörverlust mit Schrägabfall rechts
und Steilabfall links ab 1 kHz und einem Maximum von 75 dB bei 6 kHz beidseits gezeigt. Eine relevante Schallleitungskomponente
sei nicht festzustellen gewesen. Der Hörverlust habe nach den vorliegenden Audiogrammen beidseits 15 % betragen. Weitere Ergebnisse
von Gehöruntersuchungen lägen nicht vor, auch keine Prüfung mit überschwelligen Tests. So habe eine Lärmbelastung über eine
Dauer von knapp viereinhalb Jahren bei einem Beurteilungspegel von 89 dB(A) bestanden. Nach der Tabelle von Lüpke sei die
Entstehung einer entschädigungspflichtigen Lärmschwerhörigkeit unwahrscheinlich, da lediglich ein Risikomaß 2 auszumachen
gewesen sei. Es sei jedoch mit höherer Wahrscheinlichkeit möglich, dass sich eine geringere, nicht entschädigungspflichtige
Lärmschwerhörigkeit in diesem Zeitraum entwickelt habe. Es sei daher anzunehmen, dass der sich darstellende Hörverlust, auch
ohne dass das Ergebnis eines überschwelligen Tests vorliege, berufsbedingt sei. Der nach einer verhältnismäßig kurzen Expositionszeit
eingetretene Hörverlust sollte Anlass geben, künftig in vorgezogenen Abständen Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen und den
Kläger auf die besondere Empfindlichkeit seines Gehörs aufmerksam zu machen. Gehörschutz sollte empfohlen werden.
Der Baudirektor H. des Straßenbauamtes der Stadt H. teilte im Februar 1999, unter Vorlage des Ausbildungsplanes des Klägers,
mit, dieser habe sie entsprechend dem Berufsbild eines Straßenwärters von September 1982 durchlaufen. Es seien damals noch
keine Lärmmessungen am Arbeitsplatz des Klägers durchgeführt worden. 1987 sei eine Fachkraft für Arbeitssicherheit eingestellt
worden. Seit dieser Zeit würden die Betriebseinrichtungen regelmäßig überwacht und ärztliche Untersuchungen des Betriebspersonals
durchgeführt. Eine Untersuchung durch den Betriebsarzt sei während der Ausbildung des Klägers indes nicht erfolgt.
Im Dezember 2004 wies Dr. W., Facharzt für Arbeitsmedizin und der Betriebsarzt der Arbeitgeberin, gegenüber der Beklagten
auf eine kontinuierliche Verschlechterung des Hörvermögens des Klägers hin. In der Vergangenheit habe es zu den Audiogrammen
des diesen behandelnden niedergelassenen Arztes nicht erklärbare Differenzen gegeben. Hierzu legte er den Bericht über die
von ihm durchgeführte arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung am 22. November 2004 vor. Im Januar 2005 teilte der Kläger
der Beklagten noch mit, seit 1997 leide er auch an Ohrgeräuschen. Es handele sich um ein hohes Finsen. Er höre zwar, wenn
Menschen etwas sagten, verstehe sie aber nicht. Diese müssten alles wiederholen. Bis 1995 seien keine Vorsorgeuntersuchungen
durchgeführt worden, diese habe es erst ab 2001 gegeben. Die Schwerhörigkeit im aktuellen Ausmaß bestehe seit 2000. Erstmals
bemerkbar gemacht habe sie sich 1995. Auf Nachfrage bei Dr. Sch. übersandte dieser das Tonaudiogramm vom 6. März 2001.
Daraufhin beauftragte die Beklagte Dr. V., Oberarzt der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie der St. V.-Kliniken
K., mit der Erstattung eines Gutachtens. Trotz zweimaliger Einbestellung erschien der Kläger nicht zur Untersuchung. Daraufhin
teilte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 11. Juli 2005 mit, wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV möglicherweise zustehende Leistungen würden in vollem Umfang versagt. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe nicht festgestellt
werden können, ob seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Voraussetzungen einer Berufskrankheit erfüllten. Insbesondere
habe er sich nicht dazu erklärt, weshalb er einen der anberaumten gutachterlichen Untersuchungstermine bei Dr. V. nicht wahrgenommen
habe. Seine Mitwirkung sei unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass weitere Ermittlungen durchgeführt werden könnten. Darauf
und auf die Folgen einer unterlassenen Mitwirkung sei er hingewiesen worden.
Im Mai 2010 meldete sich der Kläger erneut bei der Beklagten. Wegen finanzieller Probleme sowie des Entzuges der Fahrerlaubnis
für neun Monate und einer Geldstrafe sei es ihm nicht möglich gewesen, damals einen Arzt aufzusuchen. Er sei auf sich allein
gestellt gewesen und habe keine Bekannte oder Freunde zur Unterstützung gehabt. Deswegen habe er auch keinen der Untersuchungstermine
beim Gutachter wahrgenommen. Er sei immer noch in der Mechanik an allen Maschinen tätig. Der Lärmpegel liege über 120 dB(A).
Von Dr. Sch. habe er sich nicht mehr untersuchen lassen. Sämtliche Tonaudiogramme und Untersuchungen seien jährlich von Dr.
W. erstellt beziehungsweise durchgeführt worden.
Nach der Stellungnahme des Mitarbeiters G.-S. des Präventionsdienstes der Beklagten von Juni 2010 sei der Kläger ab Mitte
Januar 2005 einem täglichen Lärmexpositionspegel von 85 dB(A) ausgesetzt gewesen.
Die Beklagte beauftragte den Arzt für HNO-Heilkunde Dr. Z. mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser führte nach der ambulanten
Untersuchung des Klägers am 29. Juli 2010 aus, die audiometrische Dokumentation umfasse den Zeitraum von 1998 bis 2010 und
belege eine bereits 1998 bestehende, in den Folgejahren kontinuierlich zunehmende, zunächst den Hochtonbereich umfassende
und später auch die mittleren Frequenzen einbeziehende, symmetrisch ausgeprägte Schallempfindungsschwerhörigkeit. Im Rahmen
der Anamnese habe der Kläger angegeben, 1997 auf dem Weg zur Arbeit plötzlich ein Ohrgeräusch verspürt zu haben, welches seitdem
konstant vorhanden sei, ihn aber nicht wesentlich belaste. Bei seiner Untersuchung sei der ohrmikroskopische Befund unauffällig
gewesen. Im Tonaudiogramm habe sich beidseits ein Hochtonhörverlust mit annähernd symmetrischer Ausprägung gezeigt. Eine Schallleitungskomponente
sei nicht zur Darstellung gekommen. Die überschwelligen und objektiven Testmethoden sprächen für einen cochleären Haarzellschaden.
Mittels Hirnstammaudiometrie (BERA) habe sich kein Hinweis für eine retrocochleäre Schädigung ergeben. Die Sprach- und Tonaudiogramme
korrelierten und seien insgesamt schlüssig. Die aktuelle audiologische Untersuchung habe eine Konfiguration der Hörschwellen
ergeben, welche wegen des Hörverlustes im Hochtonbereich mit einem chronischen Schalltrauma vereinbar sei. Die überschwellige
und objektive Audiometrie habe einen cochleären Schaden als Ursache der vorliegenden Hörstörung hinreichend wahrscheinlich
gemacht. Beim Kläger sei bereits kurze Zeit nach Beginn der beruflichen Lärmexposition eine Hochtonschwerhörigkeit dokumentiert
gewesen. Eine solche Entwicklung sei unter den gegebenen Lärmkautelen von 89 dB(A) ungewöhnlich. Allerdings könne bei einem
sehr lärmempfindlichen Ohr auch frühzeitig eine Schädigung einsetzen, gegebenenfalls habe bereits ein Vorschaden bestanden.
Dies sei wegen der fehlenden tonaudiometrischen Dokumentation zu Beginn der beruflichen Lärmbelastung im Nachhinein nicht
mehr zu beantworten. Andere Schädigungseinflüsse außerhalb der beruflichen Lärmexposition seien weder im Rahmen der Untersuchung
oder Anamnese ersichtlich noch der Aktendokumentation zu entnehmen gewesen. Daher sei die berufliche Lärmbelastung mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit als ursächlich für die jetzt dokumentierte Hörstörung anzunehmen. Zusammengefasst seien die lärmtechnischen
Anforderungen zur Induktion eines chronisches Schalltraumas als erfüllt anzusehen. Die nachgewiesene berufliche Lärmexposition
sei in ihrer Intensität und Dauer geeignet gewesen, ein chronisches Schalltrauma zu induzieren. Andere Schädigungsfaktoren
seien nicht zu eruieren gewesen. Es werde empfohlen, eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen. Eine eventuell vorhandene Vorschädigung sei nicht abzugrenzen und wäre auch mitversichert. Unter Berücksichtigung
der aktuellen ton- und sprachaudiometrischen Werte sowie der Tabelle nach Feldmann schätze er die aus der vorliegenden Hörminderung
erwachsende MdE auf 15 vom Hundert (v. H.). Folge der Berufskrankheit sei eine beidseitige geringgradige Schwerhörigkeit.
Das Ohrgeräusch sei plötzlich und außerhalb der beruflichen Lärmexposition aufgetreten. Es sei zudem in einem für ein chronisches
Lärmtrauma nicht typischen Frequenzbereich lokalisiert worden, weshalb es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht beruflich
indiziert sei. Die ton- und sprachaudiometrischen Indikationsgrenzen zur hörprothetischen Versorgung seien erfüllt gewesen.
Wegen der deutlichen Einschränkung des Dynamikbereiches erscheine eine Versorgung mit Hörgeräten der Kategorie 1 nicht ausreichend.
Die vorhandene Hörstörung sei suffizient zu versorgen. Es werde empfohlen, die Kosten für Hörgeräte der Kategorie 2 zu übernehmen.
Mit Bescheid vom 4. November 2010 erkannte die Beklagte beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV an. Die Kosten für die wegen der Berufskrankheit erforderlichen Hilfsmittel und die notwendige Heilbehandlung würden übernommen.
Ein Anspruch auf Rente bestehe hingegen nicht.
Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 wandte sich die B. GmbH, unter Vorlage der ärztlichen Verordnung von Dr. Sch. vom 14. Januar
2013 für beidseitigen Gehörschutz "Elacin Biopact" und einen Lichtwecker (Digital-Wecker DS-1, Blitzmodul MF-1, Vibrationskissen
einschließlich drei Mignon Batterien, insgesamt 190 EUR) sowie entsprechender Kostenvoranschläge, an die Beklagte und bat
um Bestätigung der Kostenübernahme.
Die Beklagte forderte von Dr. W. sämtliche Berichte der beim Kläger durchgeführten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen
an, welche dieser für den Zeitraum von August 1998 bis Juni 2013 übersandte.
Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. Sch. nach der ambulanten Untersuchung des Klägers am 24. September 2013 ein elf Beweisfragen
beantwortendes zweiseitiges Gutachten, wonach er bei diesem eine beidseitige mittel- bis hochgradige Lärmschwerhörigkeit diagnostiziert
habe. Gegenüber der letzten Begutachtung sei es zu einer beidseitig fortgeschrittenen Hochtoninnenohrschwerhörigkeit bei anhaltender
Lärmbelastung gekommen. Der Kläger habe weiter im Lärmbereich mit insuffizientem Hörschutz gearbeitet. Bei fortdauernder Lärmexposition
sei mit einer zunehmenden Verschlimmerung zu rechnen. Die beidseitige Versorgung mit Hörgeräten sei unbedingt erforderlich.
Ohne sie sei der Kläger im Straßenverkehr unfallgefährdet. Die Verordnung eines Lichtweckers sei unbedingt und in vollem Umfang
notwendig, da er weiterhin einer geregelten Arbeit nachgehe und alleinstehend sei. Im Nachgang übersandte Dr. Sch. die bei
der Untersuchung erstellten Ton- und Sprachaudiogramme.
Nach der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S., HNO-Ärztin und Sozialmedizinerin, von November 2013 beinhalteten die
Audiogramme der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen fast durchgehend nur die Luftleitungskurve. Das Audiogramm von
Juni 2013 sei für einen Lärmschaden vollkommen untypisch. Es finde sich keine umschriebene c5-Senke mehr. Zu bedenken sei
auch, dass der Lärmexpositionspegel nur noch 85 dB(A) betragen habe, so dass ein solcher Steilabfall nicht zu erwarten sei.
Nicht plausibel sei, dass zwischen 2010 und 2013 trotz der unveränderten arbeitstechnischen Voraussetzungen eine wesentliche
Verschlechterung eingetreten sei. Das Tonaudiogramm von September 2013 habe zunächst Schallleitungskomponenten zwischen 10
und 20 dB gezeigt, welche lärmunabhängig seien. Im Vergleich mit den Messdaten von 2010 und unter Berücksichtigung der Knochenleitungskurve
im Hochtonbereich habe sich keine wesentliche Hörverschlechterung gezeigt. Auffallend sei, dass das Gehör auf der linken Seite
im Bereich von 1.000 Hz deutlich schlechter geworden sei, demgegenüber auf der rechten im untypischen Tief-, Mittel- und beginnenden
Hochtonbereich. Hierbei bestehe der dringende Verdacht auf eine lärmfremde Hörverschlechterung, da sich die arbeitstechnischen
Voraussetzungen nicht geändert hätten. Das Sprachaudiogramm sei kaum auszuwerten, da mit Farbsymbolen gearbeitet worden sei,
welche in der Kopie nicht zum Ausdruck gekommen seien. Es scheinen auch Vergleichsmessungen mit Hörhilfen durchgeführt worden
zu sein. Auf der rechten Seite sei wohl zunächst ein Messfehler aufgetreten. Insgesamt habe sich das Gehör anscheinend erheblich
verschlechtert. Denn die Verständlichkeit für Zahlen habe massiv abgenommen, ebenso diejenige in allen Bezugsfrequenzen bei
60, 80 und 100 dB. Zusammenfassend müsse davon ausgegangen werden, dass es sich in den letzten Jahren seit der Begutachtung
bei unveränderten arbeitstechnischen Bedingungen und unterstellten zutreffenden Messdaten um eine massive Hörverschlechterung
gehandelt habe. Diese könne wegen des untypischen Verlaufes nicht mit der Lärmexposition in Einklang gebracht werden. Die
Ohrgeräusche seien in einem lärmunabhängigen Frequenzbereich von 1.500 Hz lokalisiert worden. Bekanntlich zeigten sich lärmbedingte
Ohrgeräusche im Bereich des größten Hörverlustes, weshalb es sich vorliegend um untypische Beschwerden handele. Nach dem Gutachten
von Dr. Z. sei ein Lichtwecker nicht erforderlich gewesen. Denn der Hörverlust im Sprachaudiogramm habe beidseits nach dem
gewichteten Gesamtwortverstehen 30 % betragen. Wegen der anzunehmenden lärmfremden Hörverschlechterung sei allenfalls die
Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung die Kostenträgerin.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2014 lehnte die Beklagte - abermals - ein Recht des Klägers auf Rente wegen der Folgen der Berufskrankheit
nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV ab. Zudem wurden die Kosten für einen Lichtwecker nicht übernommen. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Dr. S. führte
in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme von Ende Januar 2014 ergänzend aus, hinsichtlich des Lärmexpositionspegels sei
der Kläger ausreichend mit Gehörschutz versorgt. Eine wesentliche berufsbedingte Verschlechterung sei unter diesen Bedingungen
nicht zu erwarten. Eine Umsetzung sei nicht erforderlich. Ein Fortschreiten der anerkannten Lärmschwerhörigkeit sei nicht
wahrscheinlich. Eine Zunahme der Schwerhörigkeit sei indes aus lärmfremden Gründen möglich. Mit Bescheid vom 27. März 2014
lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Vorbeugung einer Verschlimmerung der als Berufskrankheit anerkannten
Schwerhörigkeit ab. Auch hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheiden vom 14. August 2014 wurden beide
Widersprüche zurückgewiesen.
Gegen die am 14. August 2014 abgesandten Widerspruchsbescheide hat der Kläger jeweils am 15. September 2014 Klagen beim Sozialgericht
Mannheim (SG) erhoben, welche zunächst unter den Aktenzeichen (Az.) S 3 U 2770/14 und S 3 U 2771/14 geführt worden sind. Mit Beschluss vom 15. Oktober 2014 sind beide Verfahren von dem Berichterstatter des Berufungsverfahrens,
welcher damals beim SG Kammervorsitzender gewesen ist, unter dem Az. S 3 U 2770/14 verbunden worden. Im Januar 2015 ist das Verfahren zuständigkeitshalber auf die 14. Kammer des SG übergegangen und mit dem Az. S 14 U 2770/14 fortgeführt worden.
Das SG hat Prof. Dr. D., Direktor der HNO-Klinik des Klinikums der Stadt L., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach
der ambulanten Untersuchung des Klägers am 2. November 2015 hat dieser ausgeführt, er leide auf HNO-ärztlichem Fachgebiet
unter einer beidseitigen, leicht asymmetrischen Schallempfindungsschwerhörigkeit mit leichtgradigem, kompensiertem Tinnitus
beidseits. Der tonaudiometrisch ermittelbare Hörverlust habe nach der Tabelle von Röser 1980 rechts 60 % und links 70 % betragen.
Nach dem Sprachaudiogramm habe sich rechts ein Hörverlust von 95 % und links von 90 % ergeben. Es sei davon auszugehen, dass
der tatsächliche Hörverlust wesentlich geringer sei. Im Rahmen der jetzt durchgeführten gutachterlichen Untersuchung habe
es zahlreiche Indizien einer Aggravation des Klägers gegeben. Hierzu zählten etwa die erheblich schwankenden Angaben bei der
Tonaudiometrie, der Umstand, dass die subjektive Tinnituslautheit geringer gewesen sei als die tonaudiometrisch ermittelte
Hörschwelle, die erhebliche Diskordanz von Ton- und Sprachaudiogramm, der Typ V nach Jerger bei der Békésy-Audiometrie sowie
die Abweichungen bei der Sprachabstandsprüfung und dem Sprachverstehen im Gespräch. Eine verlässliche und präzise Aussage
über das tatsächlich beim Kläger vorliegende Hörvermögen sei wegen der erheblichen Aggravation nicht möglich gewesen. Bei
der Begutachtung durch Dr. Z. sei ein beachtlicher Hörverlust im tiefen und mittleren Frequenzbereich auffallend gewesen.
Dieser habe einen Vorschaden nicht sicher ausschließen können. In der Folgezeit seien Siebtest-Lärmuntersuchungen im April
2011, März 2012 und Juni 2013 durchgeführt worden. Beim Vergleich dieser tonaudiometrischen Untersuchungen zeige sich eine
diskrete Zunahme der Schwerhörigkeit, rechts im tiefen, mittleren und hohen Frequenzbereich bis 4 kHz sowie links nur im Frequenzbereich
bis 2 kHz. Diese Verschlimmerung könne nicht wesentlich auf die Lärmexposition am Arbeitsplatz zurückgeführt werden, weil
die persönliche Tageslärmexposition in diesem Zeitraum den unteren Gefahrenwert von 85 dB(A) nicht überschritten habe. Zudem
hätten dem Kläger Otoplastiken mit einer Dämmwirkung bis 30 dB(A) zur Verfügung gestanden. Ferner hätte sich eine weitere
Lärmschädigung in erster Linie als weitere Verschlechterung des Hörvermögens im hohen Frequenzbereich manifestiert. Aus den
tonaudiometrischen Siebtest-Lärmuntersuchungen gehe demgegenüber hervor, dass zumindest auf der linken Seite überhaupt keine
signifikante Zunahme der Schwerhörigkeit im hohen Frequenzbereich eingetreten sei. Unter Berücksichtigung der Aggravation
sowie der lärmunabhängig entstandenen Hörverluste im tiefen und mittleren Frequenzbereich sei davon auszugehen, dass beim
Kläger eine berufsbedingte, indes allenfalls geringgradige beidseitige Schwerhörigkeit vorliege. Die MdE betrage schätzungsweise
15 v. H. Die Gefahr, dass sich die Hörstörung des Klägers bei Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit trotz konsequenter
Anwendung von wirksamem Gehörschutz verschlimmere, bestehe nicht.
Der Kläger habe am Tag der gutachterlichen Untersuchung beidseitig Hinter dem Ohr (HdO)-Hörgeräte vom Typ Phonak Una M AZ
der Kategorie 2 getragen. Außerberufliche Lärmbelastungen seien von ihm nicht angegeben worden. Er habe keine Hobbys betrieben,
die mit Lärm einhergegangen seien. Medikamente seien keine eingenommen worden. Auch hätten keine Kopfunfälle oder andere HNO-ärztlich
relevanten Vorerkrankungen vorgelegen. Nach der Erinnerung des Klägers sei der Hörtest bei der Musterungsuntersuchung bei
der Bundeswehr 1988 normal gewesen. Zunächst habe er 1998 auf der linken Seite schlecht gehört, kurze Zeit später habe auch
das Hörvermögen rechts nachgelassen. Fluktuationen oder Veränderungen der Schwerhörigkeit habe er nicht bemerkt. Das Hörvermögen
habe kontinuierlich abgenommen. Er habe angenommen, dass es bereits 1998 genauso schlecht gewesen sei wie aktuell. Direkt
danach gefragt habe der Kläger einen beidseitigen Tinnitus angegeben. Es habe sich um ein hochfrequentes Ohrgeräusch, beidseitigen
Pfeiftönen entsprechend, gehandelt. Der Tinnitus sei etwa 2010 erstmals aufgetreten; zunächst nur intermittierend, seit einiger
Zeit sei er permanent vorhanden. Die Otoplastiken, welche er am Arbeitsplatz zwecks Lärmschutz 2008 erhalten habe, habe er
nach eigenen Angaben nur äußerst selten getragen, zumal sie durch das verwendete Bohrwasser hart geworden seien und nicht
hätten eingesetzt werden können. Nach sorgfältiger Einweisung in den Untersuchungsvorgang und die Methode sei ein erstes Tonaudiogramm
aufgenommen worden. Hierbei habe der Kläger Hörverluste bei 1 kHz um 50 dB und 90/100 dB im hohen Frequenzbereich angegeben.
Bei der tonaudiometrischen Untersuchung etwa fünfzehn Minuten später habe er beidseits ein deutlich besseres Hörvermögen angegeben.
Rechts sei die Hörschwelle für die Knochenleitung bei 30/35 dB bis 750 Hz verlaufen, mit anschließendem Schräg-/Steilabfall
auf 70 dB bei 2 kHz. Links sei für die Knochenleitung ein Hörverlust bei 250 Hz um 25 dB mit anschließendem Schrägabfall auf
60 dB bei 1,5 kHz genannt worden. Zusätzlich sei eine so genannte "air-bone-gap" (Schallleitungskomponente) rechts von 10
dB im tiefen und mittleren Frequenzbereich sowie links von 10 bis 15 dB festgestellt worden. Etwa 45 Minuten später sei ein
drittes Tonaudiogramm aufgenommen worden. Jetzt habe die Hörschwelle rechts bei 30/35 dB bis 1 kHz mit anschließendem Schräg-/Steilabfall
auf 75 dB bei 2 kHz und links von 250 Hz schräg-/steilabfallend auf 65 dB bei 1,5 kHz gelegen. Auch jetzt habe er nochmals
eine air-bone-gap rechts und links im tiefen Frequenzbereich um 10 dB angegeben.
Das SG hat die Klagen mit Urteil vom 18. Mai 2016 abgewiesen. Beim Kläger habe sich berufsbedingt eine allenfalls geringgradige
Schwerhörigkeit objektivieren lassen, woraus keine Ansprüche auf Rente, vorbeugende Maßnahmen und die Versorgung mit einem
Lichtwecker resultierten. Es sei der Einschätzung von Prof. Dr. D. gefolgt worden, wonach der Kläger mit 85 dB(A) lediglich
der untersten Gefährdungsgrenze ausgesetzt gewesen sei und die von der Beklagten zur Verfügung gestellten Otoplastiken eine
Dämmwirkung bis 30 dB(A) gehabt hätten. Eine ernsthafte Gefahr einer lärmbedingten Verschlechterung des Hörvermögens sei nicht
gegeben, vorausgesetzt, der Kläger nutze die ihm zur Verfügung gestellten Otoplastiken.
Gegen die den Bevollmächtigten des Klägers am 20. Juni 2016 zugestellte Entscheidung hat dieser am 4. Juli 2016 beim SG Berufung eingelegt.
Er trägt im Wesentlichen vor, er habe bis 2014 in dem Unternehmen, in dem er bis heute beschäftigt sei, am Lärmarbeitsplatz
"Mechanik" in drei Schichten gearbeitet. Seit 2010 trage er Hörverstärker. Mit Hörgeräten versorgt sei er seit Mitte Oktober
2016. Diese müsse er laut Hörgeräteakustiker und behandelndem HNO-Arzt 15 Stunden je Tag tragen. Die berufsbedingte Hörstörung
habe mittlerweile zu einer MdE von 20 v. H. geführt. Das Gutachten von Prof. Dr. D. sei nicht schlüssig. Seine Auffassung,
wonach eine verlässliche und präzise Aussage über das tatsächliche Hörvermögen wegen der erheblichen Aggravation nicht möglich
sei, werfe die Frage auf, wie er dann überhaupt habe feststellen können, ob eine Verschlimmerung der Hörstörung seit 2010
eingetreten sei. Ohnehin habe ihn dieser nicht persönlich untersucht, sondern erst um 14 Uhr mit ihm ein Gespräch geführt,
bei dem er ihn lediglich zu seinem beruflichen Werdegang befragt habe. Das Gutachten habe er ihm nicht erläutert. Ihm stünden
weiter Leistungen zur Vorbeugung der Verschlimmerung der Lärmschwerhörigkeit zu. Die Otoplastiken seien nicht ausreichend,
da sie durch das Bohrwasser, welches bei der Arbeit verwendet werde, hart würden und am Arbeitsplatz gerade nicht eingesetzt
werden könnten. Wegen der berufsbedingten, mittlerweile hochgradigen Schwerhörigkeit höre er das Geräusch eines normalen Weckers
nicht, weshalb ihm ein Lichtwecker zustehe.
Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Mai 2016 und die Bescheide vom 15. Januar und 27. März 2014 in der jeweiligen
Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 14. August 2014 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, im wegen der Folgen der
Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vom Hundert und vorbeugende Maßnahmen zu gewähren, und diese
zu verpflichten, ihn mit einem Lichtwecker zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, die Begehren des Klägers könnten nach den Beweiserhebungen nicht zum Erfolg führen.
Auf Nachfrage hat Prof. Dr. D. im November 2016 mitgeteilt, er habe den Kläger höchstpersönlich untersucht. Die Eigenanamnese
habe er selbst erhoben. Zu Beginn der gutachterlichen Untersuchung habe der ärztliche Mitarbeiter Dr. Sch. Cerumen aus den
Gehörgängen entfernt. Die neurootologischen Funktionstests seien teilweise von der langjährigen Medizinisch-technischen Assistentin
für Funktionsdiagnostik Endres-Jotter durchgeführt worden. Die Auswertung und Beurteilung der Befunde sei ausschließlich durch
ihn erfolgt.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt und bis zuletzt aufrechterhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen
sowie die Verwaltungsakte der Beklagten (2 Bände) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann in seiner nach dem Geschäftsverteilungsplan des LSG (Abschnitt B, Teil I) und der Senatsgeschäftsverteilung,
jeweils für das Geschäftsjahr 2016, vorgeschriebenen und aus dem Rubrum ersichtlichen Besetzung entscheiden. Ein Richter ist
von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes zwar gemäß § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) § 41 Nr. 6 Alt. 1 Zivilprozessordnung ( ZPO) in Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt
hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt. Der Verbindungsbeschluss vom
15. Oktober 2014 war indes eine das mit der Berufung angefochtene erstinstanzliche Urteil vorbereitende Entscheidung, weshalb
unschädlich ist, dass diesen der Berichterstatter des Berufungsverfahrens, welcher damals Kammervorsitzender beim SG war, erließ (vgl. Stackmann, in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 41 Rz. 25).
Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann
(§ 124 Abs. 2 SGG), ist form- und fristgerecht beim SG eingelegt worden (§ 151 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGG) sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG). Die mit den verbundenen Klagen verfolgten verschiedenen und wirtschaftlich nicht identischen Ansprüche werden zusammengerechnet
(vgl. BSG, Urteil vom 25. Februar 1966 - 3 RK 9/63 -, BSGE 24, 260 (261)), weshalb hierdurch der Wert des Beschwerdegegenstandes erreicht (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und unerheblich ist, dass die begehrte Versorgung mit einem Lichtwecker nur einen Wert von 190 EUR hat. Das Rechtsmittel
ist indes unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 18. Mai 2016, mit dem die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und 4 SGG) sowie Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger unter Aufhebung der Bescheide vom 15. Januar und 27. März 2014 in der jeweiligen
Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 14. August 2014 wegen der anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur
BKV ("Lärmschwerhörigkeit") die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Rente nach einer MdE von 20 v. H. und vorbeugender
Maßnahmen sowie deren Verpflichtung zu seiner Versorgung mit einem Lichtwecker verfolgt hat, abgewiesen worden ist. Maßgebender
Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist sowohl für Leistungsklagen als auch, wie vorliegend, Verpflichtungsklagen
bei Ermessensentscheidungen, an sich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 - B 6 KA 34/08 R -, BSGE 104, 116 (124); Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34 f.), mangels Durchführung einer solchen indes der Zeitpunkt der Entscheidung.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen der Folgen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur
BKV.
Rechtsgrundlage für die begehrte Rentengewährung ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier einer Berufskrankheit - über die
26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit
infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für
jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern
(§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren (§ 56 Abs. 1 Satz 4 SGB VII).
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden
verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen der MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen
beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der
versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden. Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt
als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R -, [...], Rz. 16 m. w. N.). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze
sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine
gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel
(BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, BSGE 93, 63 (65)). Die Einschätzung der MdE setzt voraus, dass die Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV beim Kläger eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat. Die Feststellung der Höhe der MdE erfordert als
tatsächliche Feststellung stets eine Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel (BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R -, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8).
Dabei war der Senat nicht an den Inhalt des bestandskräftigen Bescheides vom 4. November 2010 gebunden, mit dem bereits ein
Recht auf Rente wegen dieser gleichzeitig angerkannten Berufskrankheit abgelehnt worden ist. Dieser betraf nur das durch den
Kläger im Mai dieses Jahres eingeleitete Verwaltungsverfahren, welches durch die damit getroffenen Feststellungen abgeschlossen
worden ist, unter anderem in Bezug auf einen Anspruch auf Rente. Insoweit ist eine der materiellen Bestandskraft (§ 77 SGG) fähige Feststellung allerdings nur insoweit getroffen worden, als das Begehren des Klägers nach dem maßgeblichen Sach- und
Rechtsstand bis zum Abschluss des damaligen Verwaltungsverfahrens beurteilt worden ist. Eine solche negative Feststellung
schließt dieses Verfahren ab, entfaltet jedoch keine Wirkung für die Zukunft. Wäre es anders, so käme dem Verwaltungsakt Dauerwirkung
zu (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 1999 - B 9 SB 4/98 R -, SozR 3-1500 § 77 Nr. 3), was nicht der Fall ist, da seine Regelungswirkung nach dem zu Grunde liegenden materiellen Recht
nicht über die punktuelle Gestaltung des Rechtsverhältnisses der Beteiligten hinausreicht (vgl. Urteil des Senats vom 26.
November 2015 - L 6 U 2782/15 -, [...], Rz. 44; Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum Zehnten Buch Sozialgesetzbuch - SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 3 mit § 45 Rz. 64). Aus diesem Grund findet vorliegend auch § 48 SGB X keine Anwendung. Der Senat ist indes nach inhaltlicher Prüfung auch zum aktuellen Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht zu
der Überzeugung gelangt, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente vorliegen. Die Folgen der Berufskrankheit nach
Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV haben bislang nicht zu einer MdE von mindestens 20 v. H. geführt, wie es vorliegend mangels eines vom Kläger angeführten
noch sonst ersichtlichen Stützrententatbestandes im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII Voraussetzung für einen Anspruch auf Gewährung einer Rente ist.
Mittels des im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. ZPO) verwerteten Gutachtens von Dr. Z., einschließlich der von ihm erhobenen ton- und sprachaudiometrischen Werte, ist zwar eine
auf diese Berufskrankheit zurückzuführende beidseitige geringgradige Schwerhörigkeit belegt, wie er schlüssig aufgezeigt hat.
Diese hat indes keine höhere MdE als 15 v. H. zur Folge, wie nicht nur er, sondern auch der Sachverständige Prof. Dr. D. angenommen
hat (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 364). Dieser Sachverständigenbeweis
war verwertbar. Prof. Dr. D. hatte den ihm vom SG erteilten Gutachtensauftrag nicht auf eine andere Person übertragen, sondern selbst durchgeführt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Er untersuchte den Kläger persönlich, erhob insbesondere die Anamnese, wertete die Befunde aus und bewertete sie, wie er
im November 2016 auf Nachfrage glaubhaft schriftlich kundgetan hat. Dass ein Gespräch stattfand, hat selbst der Kläger eingeräumt.
Soweit er vorgetragen hat, Prof. Dr. D. habe ihn lediglich nach dem beruflichen Werdegang gefragt, glaubt ihm der Senat nicht.
Die in dessen Gutachten im Rahmen der Eigenanamnese aufgeführten weiteren Daten zum Krankheitsbild und dessen Entwicklung,
zum Gehörschutz, zum Lärmexpositionspegel, zur letzten Arbeitsschicht, zu außerberuflichen Lärmbelastungen, zur Einnahme von
Medikamenten, zu den Kopf betreffenden Unfallereignissen sowie zur Versorgung mit Hörgeräten können nur vom Kläger selbst
stammen. Soweit Dr. Sch. anfangs das Ohrenschmalz aus den Gehörgängen entfernte, um überhaupt die Hörprüfungen hinreichend
zu ermöglichen, und die Medizinisch-technische Assistentin für Funktionsdiagnostik Endres-Jotter die neurootologischen Funktionstests
durchführte, wie Prof. Dr. D. ebenfalls im November 2016 mitgeteilt hat, handelte es sich lediglich um Hilfsdienste von untergeordneter
Bedeutung, weshalb sie im Gutachten nicht namhaft zu machen und der Umfang ihrer Tätigkeiten nicht anzugeben war (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO). Bei dieser Sachlage genügt es nicht, wie vom Kläger vorgenommen, zu behaupten, Prof. Dr. D. habe ihn nicht untersucht.
Da er nach seiner eigenen Einlassung Kontakt zu diesem hatte, wäre es ihm ohne Weiteres möglich gewesen, die Person näher
zu beschreiben, welche statt Prof. Dr. D. an dem Gutachten sonst noch mitarbeitete. Da er dies unterlassen hat, sah sich der
Senat nicht gedrängt, diesen zur Erläuterung des Umfanges seiner Mitwirkung am Gutachten in einer mündlichen Verhandlung zu
hören. Der Senat erzielte anderweitig Klarheit über die Verwertbarkeit seines Sachverständigengutachtens (vgl. BSG, Beschluss vom 14. Oktober 2014 - B 1 KR 96/14 B -, [...]). Prof. Dr. D. konnte das Gutachten dem Kläger gegenüber am Tag der Untersuchung bereits deshalb nicht erläutern,
da er es erst Anfang Januar 2016 fertigstellte. Ohnehin musste er nach dem Gutachtensauftrag erst dem SG eine schriftliche Expertise übermitteln (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 411 Abs. 1 ZPO), ohne sie zuvor dem Kläger zu erläutern.
Weder durch das Gutachten von Dr. Sch. nach der ambulanten Untersuchung des Klägers Ende September 2013 noch durch die bereits
im Verwaltungsverfahren vom Betriebsarzt der Arbeitgeberin Dr. W. übersandten Berichte der zwischen August 1998 und Juni 2013
durchgeführten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen konnten ein größerer beruflich lärmbedingter Hörverlust objektiviert
werden. Die Expertise von Dr. Sch. führt zwar eine mittel- bis hochgradige Lärmschwerhörigkeit an. Dessen Annahme kann indes
aufgrund seiner lediglich zwei Seiten umfassenden Beantwortung der ihm gestellten elf Beweisfragen sowie der im Nachgang übersandten
Ton- und Sprachaudiogramme, ohne die anamnestische Erhebung und die Ergebnisse der sonstigen HNO-ärztlichen Untersuchungen
wiederzugeben, nicht nachvollzogen werden. Es ist nicht ersichtlich, ob er alle Befunde einzeln geprüft und im Hinblick auf
ihre Plausibilität untereinander sowie auf ihre Vereinbarkeit mit dem Krankheitsbild kritisch gewürdigt hat (vgl. Empfehlung
für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit, Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV, Königsteiner Empfehlung, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V., S. 27 f.). Die HNO-Ärztin und Sozialmedizinerin
Dr. S. hat in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme von November 2013 zudem weitere Unstimmigkeiten aufgezeigt. Das Tonaudiogramm
von Dr. Sch. weist Schallleitungskomponenten zwischen 10 und 20 dB auf, welche lärmunabhängig sind. Im Vergleich mit den Messdaten
von 2010 und unter Berücksichtigung der Knochenleitungskurve im Hochtonbereich ist keine wesentliche Hörverschlechterung belegt.
Auffallend ist, dass das Gehör auf der linken Seite im Bereich von 1.000 Hz deutlich schlechter geworden zu sein schien, demgegenüber
auf der rechten im untypischen Tief-, Mittel- und beginnenden Hochtonbereich. Hierdurch ist der Verdacht auf eine lärmfremde
Hörverschlechterung begründet worden, da sich die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht geändert hatten. Es haben sich
Anzeichen ergeben, dass die Vergleichsmessungen mit Hörhilfen durchgeführt worden sind. Auf der rechten Seite ist wohl zunächst
auch ein Messfehler aufgetreten. Die Audiogramme der von Dr. W. durchgeführten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen
enthalten fast durchgehend nur die Luft- und nicht die Knochenleitungskurve, welche ebenfalls die Innenohrhörleistung wiedergibt
und der Plausibilitätsprüfung dient. Denn bei einer Lärmschwerhörigkeit stimmen die jeweiligen Hörschwellenkurven in den messtechnisch
bedingten Grenzen überein (vgl. Merkblatt zu der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV, Bek. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales - BMAS - vom 1. Juli 2008 - Iva 4-45222-2301, GMBl Nr. 39 vom 5. August
2008, S. 798 ff.). Das Audiogramm von Juni 2013 ist nach den weiteren Ausführungen von Dr. S. zudem für einen Lärmschaden
untypisch. Es hat sich keine umschriebene c5-Senke mehr gefunden, also ein pathognomonischer Hörverlust im Frequenzbereich
um 4.000 Hz. Ferner betrug der belegte Lärmexpositionspegel nur noch 85 dB(A), was der Senat der Stellungnahme des Mitarbeiters
G.-S. des Präventionsdienstes der Beklagten von Juni 2010 entnimmt und auch bis zum Wechsel des Arbeitsplatzes in die Abteilung
"Kunststoff" im Jahre 2014 galt, so dass ein solcher Steilabfall nicht zu erwarten gewesen ist.
Aufgrund dieser Sachlage waren zwar im gerichtlichen Verfahren weitere Ermittlungen von Amts wegen veranlasst (§ 103 Satz 1 SGG). Da indes bei der gezielten Begutachtung des Klägers durch den Sachverständigen Prof. Dr. D. eindeutig und explizit massive
Hinweise auf eine Aggravation, also die bewusste verschlimmernde beziehungsweise überhöhende Darstellung einer krankhaften
Störung zu erkennbaren Zwecken, die Übertreibung vorwiegend subjektiver Krankheitserscheinungen nicht vorhandener Defizite,
vorlagen, konnte sich der Senat nicht von einem größeren Hörverlust als einer beidseitigen geringgradigen Schwerhörigkeit
überzeugen. Der tonaudiometrisch ermittelte Hörverlust betrug zwar bei der gutachterlichen Untersuchung Anfang November 2015
nach der Tabelle von Röser 1980 rechts 60 % und links 70 %. Nach dem Sprachaudiogramm wurde rechts ein Hörverlust von 95 %
und links von 90 % ermittelt. Der tatsächliche Hörverlust ist jedoch zweifelsfrei geringer gewesen. Im Rahmen der gutachterlichen
Untersuchung durch Prof. Dr. D. fanden sich zahlreiche Indizien einer Aggravation des Klägers. Anzuführen sind die erheblich
schwankenden Angaben bei der Tonaudiometrie. Nach sorgfältiger Einweisung in den Untersuchungsvorgang und die Methode wurde
ein erstes Tonaudiogramm aufgenommen. Hierbei gab der Kläger Hörverluste bei 1 kHz um 50 dB und 90/100 dB im hohen Frequenzbereich
an. Bei der tonaudiometrischen Untersuchung etwa fünfzehn Minuten später führte er beidseits ein deutlich besseres Hörvermögen
an. Rechts war die Hörschwelle für die Knochenleitung bei 30/35 dB bis 750 Hz verlaufen, mit anschließendem Schräg-/Steilabfall
auf 70 dB bei 2 kHz. Links wurde für die Knochenleitung ein Hörverlust bei 250 Hz um 25 dB mit anschließendem Schrägabfall
auf 60 dB bei 1,5 kHz angegeben. Zusätzlich wurde eine air-bone-gap rechts von 10 dB im tiefen und mittleren Frequenzbereich
sowie links von 10 bis 15 dB festgestellt. Etwa 45 Minuten später wurde ein drittes Tonaudiogramm aufgenommen. Jetzt lag die
Hörschwelle rechts bei 30/35 dB bis 1 kHz mit anschließendem Schräg-/ Steilabfall auf 75 dB bei 2 kHz und links von 250 Hz
schräg-/steilabfallend auf 65 dB bei 1,5 kHz. Auch jetzt gab er nochmals eine air-bone-gap rechts und links im tiefen Frequenzbereich
um 10 dB an. Weiter sprachen für eine Aggravation der Umstand, dass die subjektive Tinnituslautheit geringer war als die tonaudiometrisch
ermittelte Hörschwelle, die erhebliche Diskordanz von Ton- und Sprachaudiogramm, der Typ V nach Jerger bei der Békésy-Audiometrie
sowie die Abweichungen bei der Sprachabstandsprüfung und dem Sprachverstehen im Gespräch. Eine verlässliche und präzise Aussage
über das tatsächlich beim Kläger vorliegende Hörvermögen war damit wegen der erheblichen Aggravation nicht möglich, wie Prof.
Dr. D. nachvollziehbar herausgearbeitet hat. Die Nichterweislichkeit von Tatsachen, vorliegend einer höheren als einer beidseitigen
geringgradigen Schwerhörigkeit, woraus der Kläger Rechte herleiten will, geht nach den Grundsätzen über die objektive Feststellungslast
zu seinen Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 8. Oktober 1964 - 1 RA 63/62 -, [...], Rz. 18).
Daneben ergaben sich Zweifel an einem ausschließlich beruflich bedingten Lärmschaden anhand der nach der Begutachtung durch
Dr. Z. im Sommer 2010 durchgeführten Siebtest-Lärmuntersuchungen im April 2011, März 2012 und Juni 2013, worauf Prof. Dr.
D. plausibel hingewiesen hat. Der Vergleich dieser tonaudiometrischen Untersuchungen zeigte eine diskrete Zunahme der Schwerhörigkeit
auf, rechts im tiefen, mittleren und hohen Frequenzbereich bis 4 kHz und links nur im Frequenzbereich bis 2 kHz. Diese Verschlimmerung
kann nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. D. nicht wesentlich auf die Lärmexposition am Arbeitsplatz zurückgeführt
werden, da die persönliche Tageslärmexposition in diesem Zeitraum den unteren Gefahrenwert von 85 dB(A) nicht überschritt,
selbst wenn die dem Kläger zur Verfügung gestanden Otoplastiken mit einer Dämmwirkung bis 30 dB(A) wegen des verwendeten Bohrwassers
nicht ausreichend waren, wie dieser vorgetragen hat. Ferner hätte sich eine weitere Lärmschädigung in erster Linie als zusätzliche
Verschlechterung des Hörvermögens im hohen Frequenzbereich manifestiert, was vorliegend nicht der Fall gewesen ist. Aus den
tonaudiometrischen Siebtest-Lärmuntersuchungen geht demgegenüber hervor, dass zumindest auf der linken Seite überhaupt keine
signifikante Zunahme der Schwerhörigkeit im hohen Frequenzbereich eingetreten ist.
Eine Erhöhung der MdE wegen eines Tinnitus als Folge der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV scheidet vorliegend aus. Dr. Z. hat überzeugend ausgeführt, dass das Ohrgeräusch plötzlich und außerhalb der beruflichen
Lärmexposition auftrat. Es ist zudem in einem für ein chronisches Lärmtrauma nicht typischen Frequenzbereich lokalisiert worden,
weshalb es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht beruflich indiziert ist. Damit in Einklang steht die nachvollziehbare
beratungsärztliche Einschätzung von Dr. S., wonach die Ohrgeräusche in einem lärmunabhängigen Frequenzbereich von 1.500 Hz
lokalisiert wurden. Lärmbedingte Ohrgeräusche zeigen sich demgegenüber im Bereich des größten Hörverlustes, worauf sie hingewiesen
hat, weshalb es sich vorliegend um untypische Beschwerden handelt.
Ein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen der Folgen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV besteht damit nicht.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung vorbeugender Maßnahmen.
Die begehrte Feststellung des Rechts auf Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BKV ist nicht vorzunehmen, da die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erwiesen sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. März 2011 - B 2 U 4/10 R -, SozR 4-5671 § 3 Nr. 5, Rz. 25 ff.). Danach haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung auch der für Versicherte
bestehenden Gefahr, dass sich eine bereits bestehende Berufskrankheit verschlimmert, mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken.
Eine Gefahr, dass sich die Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV verschlimmert, welcher der Beklagte mit geeigneten Mitteln entgegenwirken könnte, liegt beim Kläger seit dem Zeitpunkt des
Wechsels in die Abteilung "Kunststoff" im Jahre 2014, in der er nach eigenen Angaben nur noch einem Lärmexpositionspegel von
77 dB(A) ausgesetzt gewesen ist und welcher unterhalb der als gehörschädigend anzusehenden Schwelle von 85 dB(A) liegt (vgl.
Merkblatt zu der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV, a. a. O.; Schönberger/Mehrten/Valentin, a. a. O., S. 347 f.), nicht mehr vor. Daher kommt es im Zeitpunkt der Entscheidung
nicht mehr darauf an, ob der Kläger zuvor mit wirksamem Gehörschutz ausgestattet war.
Der Kläger hat ebenfalls keinen Anspruch auf die vorliegend streitgegenständliche Versorgung mit einem Lichtwecker als Sachleistung,
weder nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung noch nach demjenigen der gesetzlichen Krankenversicherung.
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ( SGB IX) Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie
auf Geldleistungen. Gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII hat die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig ergänzende Leistungen
zur Heilbehandlung und zu den Leistungen zur Teilhabe zu erbringen. Zum Umfang der Heilbehandlung zählen nach § 27 Abs. 1 Nr. 4, § 31 SGB VII Hilfsmittel. Darunter fallen alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen
von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderung,
Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Soweit für Hilfsmittel Festbeträge im Sinne des § 36 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ( SGB V) festgesetzt sind, gilt § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VII entsprechend (§ 31 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Leistungen zur Heilbehandlung müssen infolge des Eintritts des Versicherungsfalls (§§ 7 ff. SGB VII) erforderlich werden. Dies ergibt sich schon aus der Überschrift des Dritten Kapitels des SGB VII, in dem § 27 SGB VII enthalten ist. Voraussetzung ist somit, dass die versicherte Einwirkung einen Gesundheitsschaden objektiv und rechtlich wesentlich
verursacht hat, weswegen eine Heilbehandlung erforderlich wurde. Da das Ausmaß des Lärmschadens nach der durchgeführten Beweisaufnahme
nur in dem Ausmaß erwiesen ist, dass eine beidseitige geringgradige Schwerhörigkeit vorliegt, konnte sich der Senat nicht
davon überzeugen, dass die Versorgung des Klägers mit einem Lichtwecker erforderlich und ein akustischer Wecker nicht ausreichend
ist.
Die Beklagte, an die sich der Kläger über die B. GmbH Anfang 2013 wegen der Versorgung mit einem Lichtwecker wandte, ist zwar
die für ihn im Außenverhältnis (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 36/06 R -, SozR 4-2500 § 40 Nr. 4, Rz. 12) allein zuständige Rehabilitationsträgerin, weshalb sie die Sachleistung auch nach dem
Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen hätte. Dies folgt unabhängig der materiell-rechtlichen Zuständigkeit
aus § 14 SGB IX. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Norm stellt die Rehabilitationsträgerin, sofern Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei
Wochen nach Eingang des Antrages bei ihr fest, ob sie nach dem für sie geltenden materiellen Recht für die Leistung zuständig
ist. Stellt sie fest, dass sie hierfür nicht zuständig ist, leitet sie den Antrag unverzüglich der nach ihrer Auffassung zuständigen
Rehabilitationsträgerin zu (§ 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Wird der Antrag, wie vorliegend, nicht weitergeleitet, stellt die Rehabilitationsträgerin den Rehabilitationsbedarf unverzüglich
fest (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verliert die materiell-rechtlich an sich zuständige Rehabilitationsträgerin (§ 6 SGB IX) im Außenverhältnis zu den Versicherten oder Leistungsempfangenden ihre Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald die
zuerst angegangene Rehabilitationsträgerin eine nach § 14 Abs. 1 SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen
Rechtsgrundlagen auf sie übergegangen ist (vgl. BSG, a. a. O., Rz. 16). Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, zwischen den betroffenen Menschen mit Behinderungen und Rehabilitationsträgerinnen
schnell und dauerhaft die Zuständigkeit, welche ausschließlicher Natur ist, zu klären und so Nachteilen des gegliederten Systems
entgegenzuwirken (vgl. BSG, a. a. O.; BT-Drucks 14/5074, S. 95 zu Nr. 5 und S. 102 f. zu § 14). Ein Anspruch auf Krankenbehandlung, welche auch die
Versorgung mit Hilfsmitteln umfasst (§ 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3, § 33 Abs. 1 SGB V), besteht nach den vorstehenden Ausführungen mangels der identischen Voraussetzung der Erforderlichkeit ebenfalls nicht.
Wegen der fehlenden ernsthaften Möglichkeit der Leistungsverpflichtung der AOK Baden-Württemberg als für den Kläger zuständige
Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung war diese nicht gemäß § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG notwendig beizuladen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2016 - B 8 SO 7/15 R -, [...], Rz. 12 und Beschluss vom 5. Juli 2016 - B 1 KR 18/16 B -, [...], Rz. 5).
Das im Rahmen der Begründung der Berufung angebrachte Gesuch, ein weiteres HNOärztliches Sachverständigengutachten einzuholen,
hat sich durch die Zustimmung des Klägers zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erledigt. Erklären, wie vorliegend,
rechtskundig vertretene Beteiligte vorbehaltlos ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch
Urteil gemäß § 124 Abs. 2 SGG, werden sie so behandelt, als hätte sich ihr Beweisantrag erledigt. Sie haben damit dem Gericht gegenüber nach dem objektiven
Erklärungswert ihrer Mitteilung zum Ausdruck gebracht, dass es nunmehr ohne weitere Sachaufklärung entscheiden kann (vgl.
BSG, Beschluss vom 1. September 1999 - B 9 V 42/99 B -, SozR 3-1500 § 124 Nr. 3; Urteile des Senats vom 28. Juli 2016 - L 6 U 124/14 -, [...], Rz. 61 und vom 20. Oktober 2016 - L 6 U 1763/14 -, [...], Rz. 65).
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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