Keine Zulassung der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren bei angegriffenem Sanktionsbescheid und fehlender Leistungsklage
Gründe
I.
Streitig ist der Wegfall von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.12.2013.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 26.07.2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.09.2013
u.a. bis 31.12.2013 in Höhe von 217,58 EUR monatlich unter Berücksichtigung einer Minderung in Höhe von 229,20 EUR monatlich
(60 % des Regelbedarfs in Höhe von 382,00 EUR) wegen einer wiederholten Pflichtverletzung, wobei die Berücksichtigung der
Minderung für den gesamten Zeitraum erfolgte, die Sanktion jedoch lediglich für die Zeit bis 31.10.2013 (Bescheid vom 22.07.2013)
festgestellt worden war. Wegen einer zweiten wiederholten Pflichtverletzung stellte die Beklagte den vollständigen Wegfall
des Alg II für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.12.2013 fest (Bescheid vom 23.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 03.12.2013).
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und in der mündlichen Verhandlung beantragt, den Bescheid vom 23.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 03.12.2013 aufzuheben. Er halte Sanktionen für verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe in seiner
Entscheidung vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 - den Anspruch auf Sicherung der physischen Existenz und eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen
und politischen Leben aus Artikel
1 Grundgesetz (
GG) hergeleitet. Er habe daher einen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 20.03.2014 abgewiesen. Der Sanktionsbescheid sei rechtmäßig. Der Kläger habe die Anbahnung eines
Arbeitsverhältnisses bei der Fa. E. trotz Belehrung über die Rechtsfolgen verhindert. Das BVerfG habe gerade nicht Sanktionen
für grundsätzlich unzulässig gehalten. Zudem sei eine letzte Grundversorgung sichergestellt durch ergänzende Sachleistungen.
Das SG hat die Berufung nicht zugelassen. In der Rechtsmittelbelehrung hat es jedoch darauf hingewiesen, dass das Urteil mit der
Berufung angefochten werden könne.
Gegen das Urteil des SG hat der Kläger Berufung und nach entsprechenden Hinweisen des Senats Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und erneut die Verfassungswidrigkeit
der Sanktionsregelungen geltend gemacht. Über die eingelegte Berufung wird im Rahmen des Verfahrens L 11 AS 461/14 entschieden.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
II.
Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig.
Es handelt sich insbesondere um das einzig zulässige Rechtsmittel, nachdem die Berufung weder zulässig ist, noch vom SG zugelassen worden ist. Die Zulässigkeit der Berufung scheitert daran, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR
nicht überschreitet, denn es ist letztendlich lediglich streitig, ob dem Kläger für die Monate Oktober, November und Dezember
2013 aus dem bestandskräftigen vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 26.07.2013 monatlich 217,58 EUR - für Oktober bereits
um 60 % gekürzt wegen der vorangegangenen ersten wiederholten Pflichtverletzung - zustehen, auch wenn er diese Bewilligung
für die Monate November und Dezember 2013 durch die Beklagte unzutreffend zu niedrig erfolgt ist, da auch für diese Monate
zu Unrecht nur ein um 60 vH geminderter Regelbedarf zuerkannt worden war. Zwar handelt es sich bei dem Bescheid vom 23.09.2013
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2013 lediglich um eine Feststellung der Pflichtverletzung sowie des Umfanges
und Beginns des Wegfalls der Leistungen, also um einen Feststellungsbescheid, der jedoch gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf eine Geldleistung gerichtet ist. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn - wie wohl das SG - die Auffassung vertreten wird, dass eine Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung nicht zusätzlich erforderlich
ist. Dies ist gerade aber auch dann der Fall, wenn man der Auffassung des Senats folgt, dass zusätzlich eine (teilweise) Aufhebung
der Leistungsbewilligung erfolgen muss (vgl. u.a. Beschluss vom 17.06.2013 - L 11 AS 306/13 B ER -, Beschluss vom 28.08.2014 - L 11 AS 556/14 NZB; Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 31 b Rdnr. 5 ff sowie Fachliche Weisungen der BA zu §§ 31, 31 a, 31 b SGB II in der Fassung vom 22.04.2014, Rz. 31.28), denn auch dann führt dieser Feststellungsbescheid zu einer Geldleistung (vgl.
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
144 Rdnr. 10 a).
Nachdem die vorliegende Geldleistung, die vom Kläger beansprucht wird, den Wert von 750,00 EUR nicht übersteigt, bedarf die
Berufung der Zulassung. Eine solche Zulassung durch das SG ist nicht erfolgt. Ein entsprechender Ausspruch im Tenor des Urteils oder in den Entscheidungsgründen findet sich nicht (vgl.
Leitherer aaO Rdnr. 39). Dass die Rechtsmittelbelehrung die Berufung erwähnt, genügt allein nicht (vgl. Leitherer aaO Rdnr.
40 mwN).
Eine grundsätzliche Bedeutung des vorliegenden Rechtsstreits ist nicht anzunehmen. Weil eine reine Anfechtungsklage erhoben
worden ist, ist allein der Bescheid vom 23.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2013 streitig. Das
SG hatte daher nach dem Antrag des Klägers allein über die Rechtmäßigkeit der Sanktion zu entscheiden, denn es war nur die Aufhebung
des angegriffenen Bescheides begehrt, nicht aber ein Leistungsantrag aus dem vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 26.07.2013
gestellt worden. Eine solche allgemeine, auf den Bewilligungsbescheid gestützte Leistungsklage hätte gegebenenfalls durch
Klageerweiterung in das sozialgerichtliche Verfahren aufgenommen werden können oder kann eventuell noch durch ein gesondertes
Klageverfahren geltend gemacht werden (vgl. dazu Urteile des Senats vom 21.04.2014 - L 11 AS 410/13 und L 11 AS 512/13). Dabei ist jedoch vorliegend zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Bescheid vom 26.07.2013 lediglich um eine vorläufige
Leistungsbewilligung handelt, die durch eine den Wegfall berücksichtigende endgültige Leistungsbewilligung gegebenenfalls
ersetzt werden könnte. Letztendlich aber ist wegen der erhobenen reinen Anfechtungsklage über die grundsätzliche Frage, ob
neben der Feststellung des Eintritts der Sanktion noch eine Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung erforderlich
ist (vgl. dazu die o.g. Beschlüsse des Senats, mit denen sich das SG nicht auseinandersetzt), in Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht zu entscheiden. Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt
sich auch nicht aus einer möglichen Verfassungswidrigkeit der Sanktionsregelung. Das vom Kläger zitierte Grundrecht auf ein
menschenwürdiges Existenzminimum gebietet nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger voraussetzungsloser Sozialleistungen. Auch
das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum leistet keinen von den Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten
unabhängigen Anspruch auf Sicherung eines Leistungsniveaus, das durchweg einen gewissen finanziellen Spielraum auch zur Gewährung
zwischenmenschlicher Beziehung und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben
gewährleistet (Berlit in LPK - SGB II, 5. Auflage, § 31 Rdnr. 13 mwN). Bei einer verfassungskonformen Auslegung schließt die Möglichkeit, bei einer Minderung der Regelleistung um
mehr als 30 % im angemessenen Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen, mithin einen Verfassungsverstoß
unmittelbar durch das Gesetz und damit die Verfassungswidrigkeit der Kürzungsregelungen, selbst unter diesem sozialstaatlichen
Aspekt aus (vgl. Berlit aaO Rdnr. 14 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - veröffentlicht in [...]). Auf die Möglichkeit zum Bezug ergänzender Sachleistungen ist der Kläger im Stellenangebot vom
22.08.2013 betreffend die Fa. E. hingewiesen worden.
Das SG weicht auch nicht von der o.g. Rechtsprechung des Senats ab (vgl. u.a. die o.g. Beschlüsse des Senats), denn der Kläger hat
lediglich eine reine Anfechtungsklage erhoben. Streitgegenständlich ist damit nicht die allgemeine Leistungsklage aufgrund
des Bewilligungsbescheides vom 26.07.2013. Das SG hat daher allein das Vorliegen der Pflichtverletzung, den Umfang und den Zeitraum der Minderung (hier: Wegfall) zu prüfen.
Dabei erfolgt im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde keine Prüfung der sachlichen Richtigkeit der Entscheidung durch das
SG.
Verfahrensfehler werden vom Kläger nicht geltend gemacht und sind für den Senat auch nicht ersichtlich. Insbesondere ist das
SG nicht gezwungen, auf eine Klageänderung hin zu einer reinen Leistungsklage (vgl. oben) hinzuwirken, nachdem die Rechtslage
hinsichtlich des Erfordernisses eines zusätzlichen Aufhebungsbescheides noch nicht abschließend geklärt ist (vgl. Leitherer
aaO § 106 Rdnr. 5a unter Hinweis auf BVerwGE 21,217).
Nach alledem war die Nichtzulassungsbeschwerde mit der Folge zurückzuweisen, dass das Urteil des SG rechtskräftig ist (§
145 Abs.
4 Satz 4
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).